Musik und Widerstand - engagierte Komponistinnen

verfasst von
  • Martina Bick
veröffentlicht 02. August 2021
Musik, die im Kontext von Kritik und Widerstand entsteht, stellt den Bezug zu politischen Ideen mit voller Absicht her: Sie kann und will daran mitwirken aufzuklären, zu agitieren, Identität und Kooperationsbereitschaft herzustellen – durch Texte wie auch durch die Musik selbst.

Wie Arbeiter- und Jugendbewegungen oder die Black Panther in den USA haben auch emanzipatorische Frauenbewegungen eigene Musikkulturen geschaffen. The March oft the Women der englischen Komponistin Ethel Smyth unterstützte die Suffragetten. Die Frauenbewegung der 1970er- und 1980er-Jahre ist ohne die Musik von Aretha Franklin, Janis Joplin, Patty Smith, Gianna Nannini oder der Flying Lesbians und Nina Hagen nicht denkbar, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.

Auch wenn jede Musik auf ihre Weise Ideologien und Utopien transportiert, in deren Umfeld sie entsteht1 , verorten zeitgenössische Komponistinnen der Klassik-Szene ihr künstlerisches Werk in der Regel jenseits solcher Zuordnungen. Nur wenige setzen sich bewusst mit politischen Themen auseinander, zum Beispiel die 1956 geborene Babette Koblenz, die 1995 als Auftragswerk des Hamburger Instituts für Sozialforschung in ihrer Komposition Die Kinder von Bjelaja Zerkow die Ermordung von 90 Kindern in der Ukraine durch die Wehrmacht bearbeitete. Für die 1968 geborene Österreicherin Olga Neuwirth „kann der Sinn von Musik nicht darin liegen, Menschen mit Verheißungen einer alle Grenzen überbrückenden Gemeinsamkeit einzulullen und gefügig zu machen. Ich kann die Wirklichkeit nicht besser machen als sie ist. Ich möchte bewußt denkende Menschen, Selberdenker als Zuhörer haben […]. Ich will mich nicht wegjodeln lassen.“2 Oft in Zusammenarbeit mit der Schriftstellerin Elfriede Jelinek entstehen ihre provokativen gesellschaftskritischen Musiktheaterwerke. Neuwirth gilt heute als eine der kreativsten Komponistinnen und Komponisten zeitgenössischer Musik.

Im Rahmen des DDF-Projekts ‚Worauf warten wir?‘ stellt das Archiv Frau und Musik im Folgenden vier engagierte Komponistinnen des 20. Jahrhunderts vor, die sich direkt oder indirekt im Sinne von ‚Musik und Widerstand‘ mit ihren Werken gegen die politischen Systeme kehrten, die sie ausgrenzten, als Jüdinnen verfolgten oder psychisch zerstörten. Vertiefende Informationen gibt es in den Personen-Essays, in denen Leben und Werk im Archiv-Kontext nachgezeichnet werden.

Für die im November 1914, drei Monate nach Beginn des Ersten Weltkriegs, geborene Hamburger Komponistin Felicitas Kukuck waren Krieg und Verfolgung von Anfang an bestimmende Erfahrungen. Die Not der Zivilbevölkerung, Zerstörung, Trennungen und Verlust erlebte sie schon als kleines Kind durch den Spiegel der Erwachsenen. Die Feldpostbriefe eines gefallenen Onkels väterlicherseits befinden sich in ihrem Nachlass, sorgfältig bewahrt und kommentiert von ihrer Mutter, Eva Kestner. Diese hatte ebenfalls einen Bruder mit 19 Jahren im Krieg verloren. In Leben und Werk der von den Nationalsozialisten als ‚Vierteljüdin‘ eingestuften Felicitas Kukuck haben sich die Kindheitseindrücke und Kriegserfahrungen in einer strikt pazifistischen Haltung niedergeschlagen. Im Alter von über 70 Jahren schloss sie sich noch der Friedensbewegung an und setzte 1995 mit ihrer Kantate Und es ward: Hiroshima, uraufgeführt im Rahmen der Weltfriedenswoche in der Ruine der St. Nikolai Kirche in Hamburg, ein deutliches Zeichen gegen den Krieg. Auch in ihren Liedern für gemischten Chor … und kein Soldat mehr sein. Zehn Lieder gegen den Krieg (1996), in den Gedichtvertonungen von Nelly Sachs, Paul Celan und Selma Meerbaum-Eisinger oder in den Liedern zu Frieden, Gerechtigkeit, Umwelt für vierstimmigen gemischten Chor (1996/97) stellte sie die Musik in den Dienst ihrer politischen Haltung. Dies geschah nicht nur durch die Auswahl von Texten, sondern auch indem sie anwandte, was sie bei Paul Hindemith gelernt hatte.

Feldpostbriefe von Fritz Kestner an die Familie, 1914

Sie entwickelte und setzte genau das ein, was für Hanns-Werner Heister ein Musikstück „politisch sprechend“ macht: „Widmung und Vokabelbildung, Melodiezitat und Motto, Chiffren und Topoi, Texte und Vortragsbezeichnungen, Genre- und Strukturzitate, Tonsatz und Formtypen“ werden entsprechend gestaltet, denn nicht der Text allein trägt die Bedeutung, sondern auch die Musik selbst „[…] wird dergestalt eine spezifische, konkrete Sprache und ist nicht bloß abstrakte Verschönerung von Weihespiel, Aufmarschplatz oder Fronteinsatz oder gebrauchsmusikalisches Spiel.“3

Die 1924 in Breslau geborene Leni Alexander, Tochter des Kaufmanns Max Alexander und der Opernsängerin Ilse Marie, geb. Pollak, musste 1939 mit ihrer jüdischen Familie nach Chile fliehen, wo sie ihr in Hamburg begonnenes Musikstudium fortsetzte und anschließend als angesehene Komponistin und Kompositionslehrerin in Santiago lebte. 1973 blieb sie wegen des chilenischen Militärputsches in Europa, wo sie sich seit Mitte der 1950er-Jahre häufiger aufhielt und 1969 ein Guggenheim-Stipendium in Paris erhalten hatte. Als politisch Linke konnte sie das menschenverachtende Militärregime nicht tolerieren, das sie für über ein Jahrzehnt aus ihrer (zweiten) Heimat vertrieb, ebenso wie ihre drei Kinder. Am Jahrestag des Putsches am 11. September 1974 setzte sie mit der Orchesterkomposition Ils se sont perdus dans l’espace étoilé (UA 1976 ) dem im chilenischen Gefängnis ermordeten Sänger und Liedermacher Victor Jara, auf dessen letztem Gedicht die Komposition beruht, ein Denkmal.4 Mit Chacabuco, die Geschichte einer Geisterstadt, prangerte sie die Verstrickung der Europäer aufgrund ihrer ökonomischen Interessen mit dem chilenischen Regime an. Mit Hörspielen, die in den 1980er-Jahren im Auftrag des WDR entstanden, hielt sie die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Diktatur wach und machte darauf aufmerksam, dass die Täter in Chile noch immer zu finden waren.

Leni Alexanders Kompositionen sind keinem Kompositionsstil eindeutig zuzuordnen. Starre Systeme und Tonalität widersprachen ihrer Biographie und Weltanschauung, mutmaßt Hans W. Koch und führt zum Beispiel die freiere Schreibweise und die Verwendung aleatorischer Strukturen, die die aktive Mitgestaltung der Interpretinnen und Interpreten ermöglicht, auf die politischen Anschauungen der Komponistin zurück.5

Die 1953 in Buenos Aires geborene Silvia Alvarez de la Fuente konnte bereits während ihres Studiums in Buenos Aires eigene Werke aufführen. 1977 erhielt sie den begehrten Kompositionspreis Floro Ugarte und wurde Mitglied im Argentinischen Komponistenverband, ehe sie 1984 ihr von Militärputschen und Diktaturen gepeinigtes Heimatland verließ, um mit einem Stipendium ihr Studium in Deutschland an der Stuttgarter Musikhochschule fortzusetzen. 1986 bis 1988 schloss sie sich dem Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik e.V. an. Eine langfristige Mitarbeit war ihr jedoch nicht möglich, weil zunehmende gesundheitliche und materielle Sorgen sowie die politische Situation in Argentinien sich im Exil immer schwerer ertragen ließen. Ihrer eher introvertierten Natur entsprechend entwickelte sie weder in ihrem Handeln noch in ihren Kompositionen kämpferischen Widerstand. Ihr persönlicher Rückzug und der selbst gewählte Tod 2004 sind jedoch nicht weniger Ausdruck einer politischen Haltung. Dieser entspricht die strenge Reduktion der kompositorischen Mittel in Alvarez de la Fuentes späten Werken, mit denen sie kammermusikalische Feinarbeiten schuf, die häufig von Dietburg Spohr und dem Gesangsensemble belcanto aufgeführt wurden. „Kunst ist nie nur abstrakt, alles ist politisch“, schrieb Dietburg Spohr 2003. „Künstler arbeiten immer politisch brisant.“6  

Die 1962 in Lwiw (Urkaine) in eine polnisch-ukrainische Musikerfamilie hineingeborene Sängerin und Komponistin Weronika Markiewicz starb bereits mit nur 43 Jahren an einer Krebserkrankung, nachdem sie zeitlebens zwischen vielen Kulturen und zwei Staaten – Ukraine und Polen – gependelt war. Sie studierte in Warschau und Danzig (Polen), aber auch in Lwiw und änderte mehrfach ihren Namen, unter anderem weil ihr ukrainischer Geburtsname Biłogubka in Polen häufig falsch geschrieben wurde. Welche weiteren Erfahrungen sie bei ihren Grenzgängen machte, ob sie sich eher ausgeschlossen oder durch die verschiedenen Kulturen in ihrer kreativen Arbeit inspiriert und bereichert fühlte, muss noch erforscht werden.

Als ausgebildete Mezzosopranistin begeisterte Weronika Markiewicz ihr Publikum mit dem Vortrag von Opernarien und mehrsprachigen Volksliedbearbeitungen. Seit frühster Kindheit verfasste und vertonte sie eigene Texte. Sie ließ sich jedoch auch von englischen Gedichten inspirieren oder legte zum Beispiel ihren Musicals für Kinder englische Texte zugrunde, die sie mit Jazz-Elementen vertonte. Sie bearbeitete polnische oder französische Volkslieder, russische Märchen und jüdische und hebräische Lieder, die sie in ihren Vokalkonzerten als Zugabe aufführte. Nach Aussage ihrer Mutter, der Musikwissenschaftlerin Zofia Leżańska, setzte sie sich erst spät mit ihrer jüdischen Herkunft auseinander.

Dass ihr Nachlass in Deutschland im Frankfurter Archiv Frau und Musik liegt, geht auf eine Initiative Zofia Leżańskas zurück und ermöglicht es uns, das Werk dieser spannenden Komponistin zu entdecken.

 

Stand: 02. August 2021
Verfasst von
Martina Bick

Musikwissenschaftlerin und Autorin, Mitarbeiterin im Projekt ‚Musik und Gender im Internet‘ (MUGI) der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.

Empfohlene Zitierweise
Martina Bick (2021): Musik und Widerstand - engagierte Komponistinnen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/musik-und-widerstand-engagierte-komponistinnen
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Fußnoten

  • 1Vgl. Heister, Hanns-Werner: Eigenständigkeit und Engagement. Zu den politischen Dimensionen von Musik, Zugriff am 24.5.2020 unter http://www.bpb.de/apuz/160071/zu-den-politischen-dimensionen-von-musik.
  • 2Zit. nach Neumayr, Eva: Olga Neuwirth, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003 ff, Stand vom 15.5.2018. URL: https://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Olga_Neuwirth.html.
  • 3Heister: Eigenständigkeit und Engagement, S. 6.
  • 4Vgl. Frankenbach, Bettina: Leni Alexander, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003 ff. Stand vom 24.4.2018. URL: http://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Leni_Alexander. Zugriff am 25.9.2020.
  • 5Koch, Hans W.: Intensität. Erinnerung an Leni Alexander, in: MusikTexte, H. 107, Nov. 2005, S. 39.
  • 6Schickhaus, Stefan: Lichtverwirrung auf dem Zauberberg. Beim fünften „Kunst Kontra Kälte“-Festival in Kelkheim geht es um Neue Musik, viel Licht und etwas Schatten, in: Frankfurter Rundschau vom 27.2.2003.