Vom Schweigen befreit? Feministische Konzertreihen nach 1945 bis heute

verfasst von
  • Jelena Rothermel
veröffentlicht
„Können Frauen komponieren?“ Diese provokante Frage war das Motto eines der ersten Frauenmusikfestivals. Es galt, den Beweis anzutreten: Frauen komponierten schon immer und tun das auch heute! Das Archiv Frau und Musik hütet Konzertprogramme, die Geschichten mit gesellschaftlicher Sprengkraft erzählen.

Die Anfänge nach 1945

Das Archiv beherbergt zahlreiche Konzertprogramme, die vor allem aus seinem Entstehungszeitraum stammen. Gegründet wurde es 1979 von Frauen aus der Musikbranche rund um die Kölner Dirigentin Elke Mascha Blankenburg sowie den Komponistinnen Barbara Heller und Siegrid Ernst. Zunächst diente es vor allem der Sammlung von Musiknoten, die von den Mitgliedern des dazugehörigen Arbeitskreises in zahlreichen Bibliotheken gefunden wurden. Aufbewahrt wurden aber auch die Programme eigener Konzerte. Daraus ergibt sich auch die Schwerpunktsetzung auf klassische Konzerte aus Westdeutschland.

Hauskonzert junger Musikstudierender am 2.2.1947 mit Ruth Hoyme
Komponistinnenkonzert 1953, Weimar

Vor der Nazi-Herrschaft hatte es zwar schon vereinzelte Komponistinnenkonzerte gegeben, diese konnten sich jedoch nicht zu einer Tradition entwickeln. Eine Sichtung der Zeugnisse dieser frühen Konzerte steht noch aus. Ein erster Hinweis auf Aufführungen mit Werken von Frauen nach 1945 stammt aber aus der DDR. In Weimar veranstaltete der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands mehrere Konzerte. Die Pianistin Elisabeth Knauth stellte 1953 vier Frauen vor, darunter ihre Schülerin Ruth Bodenstein-Hoyme.1 Doch solche Konzerte sollten zunächst Einzelfälle bleiben. In der Regel wurden Werke von Frauen im Rahmen von Hochschulkonzerten aufgeführt. 

Das änderte sich mit den Umwälzungen durch die Frauenbewegungen der 1970er-Jahre. Auch Musikerinnen waren selbstverständlich Teil von frauenbewegten Gruppen und brachten – neben ihrer Musik – politische Forderungen auf die Bühne. Schon die englischen Suffragetten um die Komponistin Ethel Smyth sangen Anfang des 20. Jahrhunderts ihre eigene Hymne, nun rückte die Musik als Medium politischer Kommunikation noch stärker ins Bewusstsein. Sie war jetzt ein Experimentierfeld neuer Ausdrucksformen. Frauen forderten vehement ein Ende der patriarchalen Vorherrschaft. Im Populärbereich gab es schon früh – inspiriert durch die USA – Frauenfeste. Diese ermöglichten es, eine Vielzahl von Konzerten unter einem Motto zusammenzufassen und in einem zeitlich und räumlich begrenzten Rahmen darzubieten. Auch im Klassikbereich bedienten sich die Musikerinnen und Komponistinnen bald des Formats Musikfestival.2 Eines der ersten klassischen Frauenmusikfestivals veranstaltete der 1979 gegründete Internationale Arbeitskreis e. V. (IAK) um die Dirigentin Elke Mascha Blankenburg, die Musikwissenschaftlerin Eva Weissweiler und die Komponistin Barbara Heller.

Frau und Musik – ein Festival

Schon 1980 fand in Köln und Bonn Frau und Musik – Ein Festival: Werke von Komponistinnen aus 9 Jahrhunderten statt. Im Programmheft beschrieb Blankenburg die Motivation hinter dem Festival: Kein Studium, kein Lexikon der Musikgeschichte erwähne Komponistinnen. Doch durch „die Frauenbewegung lernte ich Geschichte, d. h. Geschichtsschreibung anders zu sehen.“3 Das Festival war eine erste Werkschau der Recherchen zahlreicher Frauen, die sich ehrenamtlich auf die Suche nach Noten vergessener Werke gemacht hatten und zeitgenössische feministische Musik aufführen wollten. Zudem gab es Workshops und experimentelle Formate wie eine Performance mit Myriam Marbé zu rumänischen Gesangsritualen oder feminist improvised music.4

Weil nicht nur Musik erklingen, sondern auch am Mythos des rein männlichen Genies gesägt werden sollte, gab es ein ausführliches Programmheft sowie Vorträge und Ausstellungen zu Arbeitsbedingungen, Diskriminierungen und Vernetzungsmöglichkeiten. Die Städte Bonn und Köln finanzierten das Projekt.

Plakat zu Frau und Musik - Ein Festival, 1980

Komponistinnenkonzerte

Noch im selben Jahr folgten weitere Konzerte in Bremen und Köln. Blankenburg hielt Vorträge in Volkshochschulen und Frauenzentren.5 Außerdem gaben Mitglieder des IAK Konzerte in Schulen, um schon dort die rein männliche Musikgeschichte aufzubrechen. Auch die Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstfreunde e. V. veranstaltete früh Komponistinnenkonzerte. Die Pianistin und Komponistin Barbara Heller trat in Frauencafés, Buchläden oder Privatwohnungen auf. „Ich bin überall herumgelaufen. In Darmstadt war ich bekannt als die Frau von ‚Frau und Musik‘ und habe jede Woche in irgendeinem Buchladen oder in den vielen Frauen-Cafés gespielt […].“6 Im Vordergrund stand die Mission, in sicherer Atmosphäre Musik kennenzulernen und patriarchale Strukturen diskutieren zu können. Männer waren ausdrücklich nicht erwünscht, weder als Interpreten noch im Publikum. 

Im Jazz-, Rock- und Popbereich gründeten 1984 acht Frauen den Verein Frauen machen Musik e. V. Sie organisierten Frauen-Musik-Wochen, Konzerte und gaben eine Zeitschrift – den Rundbrief – heraus.7 1990 zog der Verein nach Frankfurt um, benannte sich um in Frauen Musik Büro und veranstaltet bis heute Konzertreihen wie die Melodiva Club Concerts.

Im Betrieb etablieren

Komponistinnen aus Japan und Deutschland, Heidelberg 1991

In Heidelberg fand 1985 unter der Leitung der Sopranistin Roswitha Sperber das 1. Internationale Festival Komponistinnen statt. Es wurde, teilweise unter anderem Namen und veränderter Konzeption, bis ins Jahr 2005 weitergeführt und ist damit eines der etabliertesten Festivals seiner Art. Sperber kooperierte mit zahlreichen Kulturinstitutionen der Region. Gefördert wurde das Festival von der Stadt Heidelberg, dem Land Baden-Württemberg, Stiftungen sowie durch Spenden. Ziel war es, internationale Komponistinnen bekannter zu machen, Zeitgenossinnen zu vernetzen und die Arbeitsbedingungen zu erforschen. Sperber gründete zu diesem Zweck ein eigenes Ensemble, das aus Profi-Musiker*innen bestand. Früh luden die Organisator*innen Komponistinnen aus Rumänien, Russland und weiteren osteuropäischen Staaten ein und machten sie der deutschen Öffentlichkeit bekannt. Einzigartig war auch die Vernetzung mit der Heidelberger Musikwissenschaft und der Professorin Dorothea Redepenning. 

Vom Schweigen befreit 

1987 gründeten Christel Nies und Roswitha Aulenkamp in Kassel das Festival Vom Schweigen befreit, das in der Folge noch zwei Mal, 1990 und 1993, stattfand. Wie auch bei dem Heidelberger Festival ging es in Kassel vor allem darum, zeitgenössischen Komponistinnen Auftritts- wie Vernetzungsmöglichkeiten zu bieten und die einseitige Musikgeschichtsschreibung zu korrigieren. 1987 traten zeitgenössische Komponistinnen bei Konzerten, Podiumsdiskussionen und in einer Kammeroper auf. Abgelöst wurde das Festival durch die Konzertreihe Komponistinnen und ihr Werk von 1990 bis zuletzt 2018. Hier fanden jährlich Aufführungen statt, in den ersten Jahren vor allem Portraitkonzerte zu und mit einzelnen Frauen wie Ilse Fromm-Michaels oder Sofia Gubaidulina, später dann wurden geographische Schwerpunkte gesetzt.8

Vom Schweigen befreit. Internationales Komponistinnenfestival, Kassel 1987
Bildunterschrift: Konzert mit Grete von Zieritz und Christel Nies, Recklinghausen
Komponistinnen und ihr Werk – Grete Zieritz; Köln 1990

Die Gründerinnen arbeiteten ehrenamtlich für das Festival und das Archiv Frau und Musik. Die Noten der historischen Werke kamen aus dessen Beständen, die der Zeitgenossinnen wurden von diesen bereitgestellt. Von Anfang an förderten das Hessische Landesministerium und die Stadt Kassel das Festival. Ab 1990 war die Heinrich-Böll-Stiftung als Förderin dabei. Laut Christel Nies gab es viel Zuspruch auf Seiten der Förderinstitutionen, aber: „Wir haben uns auch mal beim Ministerium reingeschlichen und unsere Plakate verteilt – damit die uns mal bemerken!“9 Es spielten nur professionelle Künstler*innen, um so dem Vorurteil vorzubeugen, dass Musik von Frauen dilettantisch sei. Eine Sorge, die zahlreiche Veranstalterinnen beschäftigte.

Gerade die beiden Festivalreihen zeigen, wie sich engagierte Frauen einen Platz im lokalen Musikbetrieb erkämpfen konnten. Die gewählten Formate unterschieden sich dabei nicht fundamental von denen anderer Konzerte. Der Betrieb sollte nicht strukturell und radikal verändert werden, sondern das Repertoire und damit die Möglichkeitsräume der Frauen. Roswitha Sperber formulierte das Ziel, nicht „reine Frauenmusikfestivals zu veranstalten, sondern Werke von Frauen im Umfeld des normalen Musikbetriebs sichtbar zu machen.“10 Beide Festivals thematisierten aber die speziellen Herausforderungen des Kulturbetriebs für Frauen.11 Gleichzeitig dienten die Festivals als Netzwerk und stellten nicht selten das Sprungbrett zu einer erfolgreichen Karriere dar.

Sirenenrufe 

Schon 1982 kamen musikinteressierte Frauen aus der autonomen Frauenbewegung Münchens zu einem Stammtisch zusammen. Um den alltäglichen Diskriminierungen im Musikbetrieb etwas entgegenzusetzen, gründeten sie 1985 die Sirenen – Musikfrauen München e. V., die 1986 ihr erstes Konzert veranstalteten. Hier wurde gemeinsam gefeiert, es gab Jazz von Frauenbands, Workshops sowie eine Klassik-Matinée. Auf, vor und hinter der Bühne standen nur Frauen. Ziel war es, Musikerinnen, Technikerinnen, Grafikerinnen im Musikbetrieb zu stärken. Finanziert wurden die Festivals 1986 und 1987 durch Spenden – alle Organisatorinnen arbeiteten ehrenamtlich. Doch das Konzept sorgte auch für Unmut, wie sich in kurzfristigen Raumabsagen und offener Ablehnung von Medienvertretern zeigte. 

Im Sommer 1987 beschlossen dann vier Frauen, die zum Teil auch an den Sirenen-Konzerten beteiligt waren, eine eigene Initiative für klassische Musik zu gründen: musica femina münchen war geboren.

Programm Sirenen-Festival, München 1986
Programm Sirenen-Festival, München 1987

Heroines of Sound

2014 gründete Bettina Wackernagel Heroines of Sound. Das Festival präsentiert „frühe und aktuelle Heldinnen des elektronischen Sounds.“12 Trotzdem versteht es sich vor allem als Veranstaltung mit feministischer Agenda und nicht als Frauen-Musikfestival. Das Festival programmiert auch Stücke von nicht-binären Personen. Unter den professionellen Interpret*innen finden sich alle Gender. Mit dem Fokus auf elektronischer Musik ergeben sich andere Hörformate: Klanginstallationen, Podcasts, Performances mit oder inmitten des Publikums. Wackernagel sieht zudem einen Trend zu partizipativen und kollektiven Herangehensweisen. Und das Publikum ist sehr divers, international und generationenübergreifend.13

Die Frauenkonzerte und -festivals haben unseren Blick auf das Musizieren und Komponieren verändert und viele Frauen bekannt(er) gemacht. Und dennoch ist es heute noch ein weiter Weg bis zur Gleichstellung im Musikbetrieb.

Veröffentlicht: 19. Januar 2024
Lizenz (Text)
Verfasst von
Jelena Rothermel

Wissenschaftliche Projektkoordinatorin 2022, Archiv Frau und Musik

Empfohlene Zitierweise
Jelena Rothermel (2024): Vom Schweigen befreit? Feministische Konzertreihen nach 1945 bis heute, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/vom-schweigen-befreit-feministische-konzertreihen-nach-1945-bis-heute
Zuletzt besucht am: 08.10.2024
Lizenz: CC BY-SA 4.0
Rechteangabe
  • Jelena Rothermel
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY-SA 4.0

Fußnoten

  1. 1 Philipp, Beate: Von der Natur inspiriert: Ruth Bodenstein-Hoyme, in: Philipp, Beate (Hg.): Komponistinnen der Neuen Musik, Kassel 1993, S. 96.
  2. 2 Zu dem Phänomen des Musikfestivals in Deutschland siehe Lutz, Joachim (Hg.): Musikfestivals und Musikfestspiele in Deutschland, Wiesbaden 2017.
  3. 3 Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik (Hg.): Frau und Musik. Ein Festival in Bonn und Köln. 20.–23.November 1980. Gesamtprogramm, Bonn 1980, S. 7.
  4. 4 Ebenda, S. 7.
  5. 5 Interview mit Barbara Heller, 27.3.2019, Zugriff am 18.1.2024 unter https://www.meta-katalog.eu/Record/24737fraumusik.
  6. 6 Ebenda.
  7. 7 Bernasconi, Hildegard, 2019: It’s a man’s world: Rock-, Pop- und Jazzmusikerinnen schließen sich zusammen, Zugriff am 18.1.2023 unter https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/its-mans-world-rock-pop-und-jazzmusikerinnen-schliessen-sich-zusammen und Bernasconi, Hildegard, 2020: Zeitschrift – Vom Rundbrief Frauen machen Musik zu MELODIVA, Zugriff am 18.1.2023 unter https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/zeitschrift-vom-rundbrief-frauen-machen-musik-zu-melodiva.
  8. 8 Dokumentiert sind die Programmhefte und Konzerte in fünf Bänden. Nies, Christel (Hg.): Komponistinnen und ihr Werk, Bd. 1–5, Köln/Kassel 1992–2016.
  9. 9 Christel Nies in einem Telefonat mit der Autorin des Textes am 6.9.2022.
  10. 10 Sperber, Roswitha: Komponistinnen im 20. Jahrhundert, in: Sperber, Roswitha (Hg.): Gegenwelten. 10 Jahre internationales Festival für Neue Musik, Heidelberg 1997, S. 56.
  11. 11 Ebenda, S. 50.
  12. 12 Sanio, Sabine / Wackernagel, Bettina: Einleitung. Heroines of Sound, in: Sanio, Sabine / Wackernagel, Bettina (Hg.): Heroines of Sound. Feminismus und Gender in elektronischer Musik, Hofheim 2019, S. 18.
  13. 13 Telefonat zwischen Bettina Wackernagel und der Autorin des Textes am 20.9.2022.

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