„Shout, shout, up with your song!“ Formen der Vernetzung von Frauen in der Musikkultur

verfasst von
  • Anne-Marie Bernhard
  • Martina Bick
  • Susanne Wosnitzka
veröffentlicht 16. Januar 2020
Ob Komponistin, Sängerin, Instrumentalistin oder Musikpädagogin – Frauen waren schon immer im Feld der Musik aktiv und vernetzt. Seit den 1970er-Jahren – motiviert durch die Frauenbewegung – sind sie wieder sichtbarer geworden. Das Archiv Frau und Musik (Frankfurt am Main) hat dazu viel beigetragen.

Von musikalischen Geselligkeiten, Frauen-Ensembles und Musikschulen zu klingenden Widerstandsnestern und feministischen Wissenschaften

Mit „Shout, shout, up with your song“1 (Übersetzung: „Ruft, ruft, heraus mit eurem Lied“) sangen sich die Suffragetten ab 1910 Mut zu. Die englische Komponistin Ethel Smyth hatte diesen ‚The March of the Women‘ (Übersetzung: Der Marsch der Frauen) für die Demonstrationen der Frauenwahlrechtskämpferinnen komponiert, nach einem Text von Cicely Hamilton. Und wer weiß, was für Hymnen Frauen Jahrhunderte zuvor gemeinsam angestimmt haben, wenn es um Selbstermächtigung und Widerstand ging?

Neben einer gut vernetzten Musikkultur von Frauen in Klöstern und Schwesternhäusern des Mittelalters und der Frühen Neuzeit waren Netzwerkerinnen und Mäzeninnen auch an den europäischen Fürstenhöfen und Theatern zu finden. Gesellige Veranstaltungen mit Musik, bei denen Frauen den ‚Ton‘ angaben – heute häufig ‚Salons‘ genannt –, gab es bereits im 17. Jahrhundert. Im 19. Jahrhundert erhielten Frauen begrenzt Zutritt zu den Konservatorien und konzertierten anschließend bestens ausgebildet als Solistinnen oder in Frauenkapellen oder -ensembles. In privaten Musikschulen unterrichteten erfahrene Pädagoginnen Mädchen und Frauen auch in Musikgeschichte und -theorie. Wichtige berufliche Netzwerke bildeten sich auch als Vereine oder um lehrende Musiker*innen wie zum Beispiel um Clara Schumann (1819–1896), Franz Liszt (1811–1886), Pauline Viardot (1821 1910), Joseph Joachim (1831–1907) oder Nadja Boulanger (1887–1979).

Die Errungenschaften der Frauenbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert ermöglichten neue Formen des Musizierens und Netzwerkens. „Gemeinsame Not verstärkt den Willen“2 hin zu Veränderungen in puncto Zusammenhalt und gemeinsames Weiterkommen. Eine wichtige soziale und netzwerkende Stütze war der Club der Wiener Musikerinnen (gegründet 1888), der dafür sorgte, dass Frauen eigenes Geld verdienen konnten und sich nicht gezwungen fühlten, sich zu verheiraten und ihren Beruf aufzugeben. Dieser noch heute existierende Club schuf auch eine der ersten Sozialkassen Österreichs als Vorbild zur heutigen Künstlersozialkasse. 

Am Ausgang des 19. Jahrhunderts setzten sich auch in Deutschland Musikpädagoginnen wie zum Beispiel die Berliner Musikschriftstellerin Anna Morsch (1841–1916) für eine geregelte und staatlich kontrollierte Musiklehrerinnenausbildung ein; hierbei hatte sie insbesondere die Vielzahl von Frauen im Sinn, die seit Jahrzehnten ohne soziale Absicherung oder den Schutz von Berufsverbänden Musikunterricht erteilten. Sie wurde Gründungsmitglied des Deutschen Musikpädagogischen Verbands und von ihren männlichen Kollegen als „die unermüdliche Streiterin im Kampfe gegen das Musikerproletariat und ganz gewiß die fleißigste Arbeiterin in unserem Wirkungskreise“3  geehrt. 

Auch in den sogenannten Wellen der Zweiten Frauenbewegung ab 1967 spielten Musikerinnen eine zentrale Rolle. So traten auf Frauenfesten neue Frauenbands auf, und an Universitäten und Musikhochschulen kämpften Komponistinnen und Musikerinnen dafür, paritätisch auf die Lehrstühle berufen zu werden. Patriarchale Zustände im Musikbetrieb wurden interdisziplinär hinterfragt und öffentlich thematisiert, etwa in selbstorganisierten Konzerten. 

Plakate aus dem Archiv Frau und Musik

In einer Reihe von Zeitschriften und Radiosendungen wurde das Musikschaffen von Frauen in den Blick genommen. Es wurden Frauen-Musik-Initiativen gegründet, welche beispielsweise Frauenmusikwochen, Festivals und Workshops organisierten; eigene Verlage, Labels und Bibliotheken entstanden. Alle diese politischen und privaten Initiativen hatten das Ziel, die Aktivität von Frauen im Bereich Musik und die Vernetzung untereinander zu fördern. 

Auch die musikwissenschaftliche Forschung entwickelte sich motiviert von Ansätzen der feministischen Wissenschaft weiter und lenkte ihren Blick auf die Tätigkeiten von Frauen als Musikerinnen, Musikpädagoginnen und Komponistinnen. In der Genderforschung wurden Grundannahmen und zentrale Kategorien der Musikhistoriographie – etwa Werk und Œuvre, Kanon, Autor*innenschaft oder der Geniebegriff – hinterfragt und auf ihre geschlechtergeschichtlichen Implikationen hin analysiert. In Abkehr von einem rein lexikalischen oder biografischen Ansatz und mit einer Perspektivverschiebung vom Werk auf kulturelles Handeln wird Musikkultur auch als Bestandteil gesellschaftlicher Konstruktionen von Herrschaft und Macht untersucht. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Forschungsschwerpunkten, die etwa die Konstruktion von Geschlecht, Konzepte des kulturellen Handelns oder Geschlechterperformativitäten in den Blick nehmen.

Lobbyarbeit seit 1945

Das politische Engagement von Frauen, um eine konkrete Umsetzung des Grundgesetz-Artikels „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“4 zu realisieren, führte auch im Kulturbetrieb nach und nach zur Auflösung der Männerriegen in Orchestern, Theatern und Hochschulen. Mit Implementierung der Frauen- und Gleichstellungsparagrafen in die verschiedenen Gesetze begann die Lobbyarbeit in den öffentlichen Institutionen. Musikerinnen hatten bis dahin oft keine Chance, einen Arbeitsplatz in einem der professionellen Orchester zu erhalten (siehe Fall Karajan/Meyer 1983) oder als Dirigentin oder Intendantin zu agieren. Auch an den Musikhochschulen war der Professorinnenanteil zwar stets etwas höher als an den Universitäten, aber bei Weitem nicht paritätisch. Aktuelle Zahlen belegen dieses Ungleichgewicht bis heute5 . Heute sind auch an den größeren deutschen Musikhochschulen Lehrstühle mit Genderschwerpunkt eingerichtet und die Gleichstellungsbeauftragten sind mit unterstützenden Mitarbeiterinnen und eigenen Etats ausgestattet. Alle Gleichstellungsbeauftragten an Hochschulen sind vernetzt durch eine Bundeskonferenz (BUKOF), die künstlerischen Hochschulen zusätzlich durch die Kommission für künstlerische Hochschulen.

‚Das Private ist politisch!‘ – ‚Frauen gemeinsam sind stark‘ – Gründungen von Institutionen und Zusammenschlüsse

In den 1970er-Jahren wurde Musik als hochpolitisch begriffen, erforscht und neu gestaltet – der Begriff ‚politisch‘ wurde hier kreativ erweitert als eine Art gesellschaftliches Laboratorium, auch wenn sie scheinbar ‚ohne Programm‘, als ‚l’art pour l’art‘ daherkam. Frausein war politisch – Musik von Frauen deshalb ebenso. Sowohl das Herausbilden neuer Forschungsschwerpunkte an Universitäten, die Gleichstellungsinitiativen in den öffentlichen Kulturinstitutionen als auch der Zusammenschluss von Frauen in Bands, Ensembles oder Arbeitskreisen ermöglichten die Bildung von Netzwerken, welche bis heute stetig weiterwachsen.

Den Anfang machte im November 1977 die Dirigentin Elke Mascha Blankenburg mit einem Artikel über vergessene Komponistinnen in der Zeitschrift EMMA, in dem sie schrieb: „Ich möchte mit diesem Artikel Vorurteile abbauen und Beweise anführen für die Kreativität und Leistungsfähigkeit der Frau in der Kunst – in Vergangenheit und Gegenwart.“6
Dieser Artikel erregte großes Aufsehen. In der Folge versammelten sich weitere musikschaffende Personen wie die Komponistinnen Barbara Heller, Siegrid Ernst und andere um Elke Mascha Blankenburg und gründeten den Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik e. V. 

Artikel Vergessene Komponistinnen von Elke Mascha Blankenburg in der EMMA Nr. 11 1977

Die in diesem privaten Kreis zusammengetragenen Dokumente und Kompositionen entwickelten sich hin zu einem öffentlich erlebbaren Archiv – das Archiv Frau und Musik war geboren. Nach jahrelanger ehrenamtlicher Tätigkeit kann es heute den regelmäßigen und qualifizierten Einsatz von ständigen Mitarbeiter*innen finanzieren und befindet sich in den hoffmanns höfen in Frankfurt am Main. Von 1983 bis 2015 gab der Trägerverein des Archivs eine bedeutende Zeitschrift heraus, zunächst als Info, später unter dem Titel VivaVoce. Durch den Wegfall eines Teils der Regelförderung musste das Archiv Frau und Musik sein Magazin vorläufig einstellen.

Letzte Ausgabe der VivaVoce (Nr. 100)

2001 wurde das Sophie Drinker Institut durch Freia Hoffmann in Bremen gründet. Neben zahlreichen Forschungsprojekten, Sammlungen und Publikationen wurde auch ein Online-Lexikon für Instrumentalistinnen im 18. und 19. Jahrhundert aufgebaut. Die Gründung der Mariann Steegmann Foundation durch Eva Rieger im Jahr 2000, die sich explizit die Förderung von Frauen- und Geschlechterforschung im Bereich Musik zum Ziel gesetzt hat, ermöglichte den Aufbau von weiteren Netzwerken: Seit 2003 wird an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg die Online-Plattform MUGI = Musik(-vermittlung) und Gender(-forschung) im Internet durch Beatrix Borchard und (ab 2015 gemeinsam mit) Nina Noeske herausgegeben. Neben einem Lexikon für Musikerinnen und Musiker unter Genderaspekten sind hier auch multimediale Präsentationen frei zugänglich. Mit dem Forschungszentrum für Musik und Gender (fmg) an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover startete 2006 – gegründet von Susanne Rode-Breymann in Kooperation mit Annette Kreutziger-Herr, Eva Rieger und Beatrix Borchard – eine weitere akademische Institution, die Forschung, Lehre, Sammlungen und Musikvermittlung im deutschsprachigen Raum verbindet.

Viele weitere Formen von Vernetzung im deutschsprachigen und internationalen Raum werden im Essay Packend wie ein Ringkanon vorgestellt. Im Rahmen des Digitalen Deutschen Frauenarchivs soll die Dokumentation der Aktivitäten und die Arbeit von Institutionen im Bereich Frau und Musik sowie Musik und Gender kontinuierlich weiter ausgebaut werden. 

Stand: 16. Januar 2020
Verfasst von
Anne-Marie Bernhard

wissenschaftliche Projektkoordinatorin (2018/2019), Archiv Frau und Musik

Martina Bick

Musikwissenschaftlerin, Mitarbeiterin Musik und Gender im Internet (MUGI) der HfMT Hamburg

Susanne Wosnitzka

Freischaffende Musikwissenschaftlerin, freie Mitarbeiterin Archiv Frau und Musik 
 

Empfohlene Zitierweise
Anne-Marie Bernhard/Martina Bick/Susanne Wosnitzka (2020): „Shout, shout, up with your song!“ Formen der Vernetzung von Frauen in der Musikkultur, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/shout-shout-your-song-formen-der-vernetzung-von-frauen-der-musikkultur
Zuletzt besucht am: 25.04.2024

Fußnoten