
Über Silvia Leonor Alvarez de la Fuente
Geburt und Leben in Argentinien
Silvia Leonor Alvarez de la Fuente wurde am 18. März 1953 als Tochter von Ernesta de la Fuente Simon und Manuel Alberto Alvarez in Buenos Aires, Argentinien geboren. Ihre sechsjährige Grundschulzeit (Primaria) absolvierte sie an der Privatschule Santa Ana in Buenos Aires. Das Abschlusszertifikat vom Dezember 1965 findet sich in Alvarez de la Fuentes Nachlass. Die anschließende Secundaria absolvierte sie ebenfalls an der privaten Lehranstalt Santa Ana, wo sie in den Jahren 1966 bis 1972 ihren Abschluss zur Staatlichen Oberschullehrerin in Musik mit der Fachrichtung Klavier erwarb. Während dieser Zeit legte sie unter anderem Prüfungen in den Fächern Klavier, Musiktheorie, Chor und Chorleitung, Musikgeschichte, Pädagogik und Harmonielehre ab, wie ein Blick in ihr Zensurenbuch zeigt. Im Rahmen ihrer Ausbildung am Institut Santa Ana absolvierte sie ihr Abitur mit pädagogischer Fachrichtung, welches ihr in der Folge ein Studium an der staatlichen Musikhochschule Carlos López Buchardo in Buenos Aires im Fach Komposition ermöglichte.
In ihre Studienjahre 1973 bis 1981 fielen die ersten, von Alvarez de la Fuente selbst dokumentierten Aufführungen eigener Werke. Die Uraufführung von La brilliante aurora für Sopran und Klavier im Jahr 1976 war die erste nachweisbare Aufführung eines ihrer Werke.1 Darüber hinaus dokumentieren Zeitungsausschnitte weitere Aufführungen während ihrer Studienjahre in Argentinien. Alvarez de la Fuentes außerordentliches Talent zeigte sich nicht nur in ihren Prüfungszeugnissen, sondern auch durch die Verleihung des renommierten Kompositionspreises Floro Ugarte durch die Hochschule Carlos López Buchardo im Jahr 1977. Auf ihren Abschluss zur Oberschullehrerin in der Fachrichtung Komposition (Profesora Superior de Composición), welchen sie im November 1981 ablegte, folgte ihre aktive Mitgliedschaft im Verband der Argentinischen Komponisten (Asociación Argentina de Compositores) ab Dezember desselben Jahres. Die Mitgliedschaft in diesem Verband war für sie bedeutend, was sich unter anderem an einem Dokument zeigt, aus dem hervorgeht, dass sie im Namen des Verbandes mit anderen Musik-Organisationen in Verbindung treten durfte.
In den Jahren 1982 und 1983 sind mehrere Aufführungen ihrer Werke in Buenos Aires und Tandil dokumentiert, darunter die Uraufführung ihres Preludios para piano im November 1982 sowie die Aufführungen ihres Trios para Cañas im Salon Agrupación Sinfónica, dem Konzertsaal des nationalen Sinfonieorchesters von Argentinien.
1984 folgte ihr Umzug nach Deutschland. Gründe für ihren Umzug nach Deutschland gehen aus den Dokumenten im Nachlass nicht eindeutig hervor. Vermutlich aber lag es an einem Stipendium, welches sie erwirken konnte.
Studium und Wirken in Deutschland
Ein Dokument des Instituts für Begabtenförderung der Konrad-Adenauer-Stiftung vom 12. Januar 1984 bescheinigte Alvarez de la Fuente den Erhalt eines monatlichen Grundstipendiums, gekoppelt an ein Studium an einer deutschen Universität. Noch im selben Jahr ging die junge Komponistin nach Deutschland, um an der Stuttgarter Musikhochschule Komposition bei Milo Kelemen zu studieren. Ihr Studierendenausweis belegt, dass sie ihr Studium im Sommersemester 1985 begann. Neben ihrem Studium versuchte sie sich in Deutschland zu vernetzen. So trat sie 1986 in den Internationalen Arbeitskreis Frau und Musik e. V. (IAK Frau und Musik) ein, wenn auch nur für zwei Jahre. Aus einem Briefwechsel aus dem Herbst 1988 zwischen Alvarez de la Fuente und der damaligen Vorsitzenden Siegrid Ernst gehen die Gründe für den Austritt der argentinischen Komponistin hervor. Auch wenn sie der Meinung war, „daß es die Frauen allgemein im Beruf schwerer als die Männer haben“2, werden in den Briefen die persönlichen Konflikte Silvia Alvarez de la Fuentes deutlich.3 Die politische Situation in Argentinien sowie ihre gesundheitlichen und materiellen Probleme belasteten sie so stark, dass sie sich nicht im Stande sah, sich für die Ziele des Arbeitskreises einzusetzen.4 Trotz der schwierigen privaten Umstände schloss sie ihr Studium in Stuttgart am 28. Februar 1989 im Fach Komposition ab.
Ein Studium in einer fremden Sprache, das Zurechtfinden in einem neuen Land sowie ihre gesundheitlichen Probleme hinderten Silvia Leonor Alvarez de la Fuente während ihrer kompletten Studienzeit nie am Komponieren. Werke, die im Zeitraum von 1987 bis 1990 zur Aufführung gebracht wurden, sind größtenteils für Kammermusikensembles geschrieben. Zeitgleich begann sie auch Texte zu vertonen. Das zeigen Werke wie Tiempo y Sueno für Kammerchor und Ensemble oder die Drei Lieder nach Text von O. Paz für Sopran und Klavier.
Nach Abschluss ihres Studiums ging sie als Lehrerin für musikalische Früherziehung, Grundausbildung und Klavier an die freie Musikschule Feuerbach in Stuttgart. Dort unterrichtete sie sechs Jahre, wie ein Arbeitszeugnis in ihrem Nachlass zeigt. Parallel zu ihrer pädagogischen Arbeit unternahm sie alles, um sich weiter in der deutschen Musiklandschaft zu etablieren. Das zeigt nicht zuletzt die Korrespondenz mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg. Darin beantragte sie, die in Argentinien erworbenen Titel auch in Deutschland führen zu dürfen. Auch ihre Arbeit als Komponistin ließ sie zu keinem Zeitpunkt ruhen. Sie übernahm Kompositionsaufträge des Heidelberger Festival Ensembles (1992) und des Diabelli-Trios (1996) sowie mehrere Uraufführungen in den 1990er-Jahren.
Insbesondere das Engagement im Rahmen des Heidelberger Festivals 1992 ist aus frauenpolitischer Sicht interessant. Das 1985 auf Initiative von Roswitha Sperber ins Leben gerufene Festival fand in den ersten Jahren unter dem Titel Komponistinnen gestern–heute statt. Neben historischen Komponistinnen, wie Fanny Hensel, Clara Schumann und Lili Boulanger, standen von Anfang an zeitgenössische Komponistinnen im Vordergrund. Seit 1987 (und ab 1990 jährlich) vergab das Festivalkomitee den Heidelberger Künstlerinnenpreis, zu deren Preisträgerinnen neben Adriana Hölszky, Ruth Schöntal und Ruth Zechlin auch die aus der DDR stammende Komponistin Annette Schlünz zählt. Annette Schlünz erinnert sich an ihre Erfahrungen in Heidelberg im Interview aus dem Jahr 2019 mit dem Archiv Frau und Musik. Über eine Begegnung mit Silvia Alvarez de la Fuente spricht sie jedoch nicht.
Obwohl Alvarez de la Fuente sich für einige Zeit im IAK Frau und Musik engagierte, fehlte ihr nach eigener Aussage die Kraft für einen kontinuierlichen kultur-politischen Einsatz für Komponistinnen und Musikerinnen. Ohnehin wollte sie für ihre Werke „keine filosofische [sic], etische [sic], politische[n] oder programmatische[n] Hintergr[ü]nde als Berechtigungsstrategie oder Grundlage anerkennen“5. Für Alvarez de la Fuente war die Musik eine „innerliche Aussage“ und braucht „keine Berechtigung“.6
Zusammenarbeit mit dem <belcanto>-Ensemble
In die letzten Jahre ihres Lebens fiel die Zusammenarbeit Alvarez de la Fuentes mit der Chorleiterin Dietburg Spohr und dem Frankfurter <belcanto>-Ensemble. Im Jahr 2000 trug diese Zusammenarbeit erste Früchte: Das Frankfurter Ensemble brachte unter der Leitung von Dietburg Spohr das Werk Cuestionamentes/Fragenerörterung zur Uraufführung. Die „lyrische Komprimiertheit“7 dieser Komposition, wie Gerhard R. Koch es in seinem Nachruf nannte, wird nur noch durch die Stillen Lieder 1+2, die ebenfalls das <belcanto>-Ensemble zur Uraufführung brachte, gesteigert. In diesen Werken reduziert Alvarez de la Fuente ihren kammermusikalischen Kompositionsstil auf ein Minimum. In beiden Werken wird eine Solo-Sängerin nur von einer Ocean-Drum, eine spezielle Trommel, die das Rauschen des Meeres imitiert, begleitet. Trotz dieser starken Reduktion schaffte sie es, „mit scheinbar einfachen Mitteln die Magie des Meeres suggestiv“8 zu beschwören.
Psychische Krankheit und früher Tod
„Wenn ich ’Etwas zu sagen habe’, dann fange ich an Komponistin zu sein; ich arbeite lang und tief mit dem ersten Funken, ich informiere mich, lese, denke und lasse die musikalischen Gefühle auf mich und meine Techniken wirken.“9 Dieses Zitat gibt einen schönen Einblick, welche Bedeutung das Komponieren für Silvia Alvarez de la Fuente hatte. Doch auch wenn sie Zeit ihres Lebens die Möglichkeit hatte zu komponieren und aufgeführt zu werden und sich so Gehör zu verschaffen, entsteht durch die Beschäftigung mit ihrem Nachlass das Bild einer Frau, die sich mit einer psychischen Krankheit auseinandersetzen musste. Aus verschiedenen Gründen war sie nie in Deutschland heimisch geworden und offensichtlich war die Rückkehr in ihre Heimat Argentinien keine Option gewesen.
Nach ihrem selbst gewählten Tod im Jahr 2004 kam ihr Nachlass auf eigene Bitte über die Chorleiterin Dietburg Spohr ins Archiv Frau und Musik nach Frankfurt, wo er seitdem verwahrt wird. Im Jahr 2020 wurde dieser vollständig erschlossen und die Inhalte stehen im Archiv der Öffentlichkeit und Forschung zur Verfügung. Das bietet auch die Möglichkeit, sich mit dem Werk der Komponistin zu beschäftigen und ihre Musik aufzuführen und erklingen zu lassen, denn: „Musik wird erlebt. Musik braucht keine Berechtigung durch Philosophie, technische Moden und Klischees. Sie ist eine der unabhängigsten, schönsten und tiefsten Künste, die es gibt; deswegen ist es schwer und oft sinnlos, darüber zu sprechen.“10
Netzwerk von Silvia Leonor Alvarez de la Fuente
Zitate von Silvia Leonor Alvarez de la Fuente
Biografie von Silvia Leonor Alvarez de la Fuente
Fußnoten
- 1 Im Anhang findet sich eine Liste der Aufführungen ihrer eigenen Werke.
- 2 Zit. Archiv Frau und Musik (im Folgenden AFM), Briefe IAK, Brief an Siegrid Ernst 18.09.1988, r.
- 3 Ebenda.
- 4 Zit. AFM, Briefe IAK, Brief an Siegrid Ernst 16.10.1988, r.
- 5 Zit. Alvarez de la Fuente, Silvia, Kompositorische allgemeine Grundgedanken, undatiert, Quelle: Archiv Frau und Musik, S. 2.
- 6 Ebenda.
- 7 Zit. Koch, Gerhard R.: Zum Tode der argentinischen Komponistin Silvia Alvarez de la Fuente, in: VivaVoce, Sommer 2004, Nr. 68, S. 16.
- 8 Zit. ders. ebenda.
- 9 Zit. Alvarez de la Fuente, Silvia, Kompositorische allgemeine Grundgedanken, undatiert, Quelle: Archiv Frau und Musik, S. 2.
- 10 Ebenda.
Ausgewählte Publikationen
-
Dietburg, Spohr, …verloren…Stationen eines Lebens. Silvia Leonor Alvarez de la Fuente, VivaVoce Nr. 71, 2005.
-
Koch, Gerhard R., Zum Tode der argentinischen Komponistin Silvia Alvarez de la Fuente, in: VivaVoce Nr. 68, Sommer 2004.
-
Lienhard, Daniel, Silvia Alvarez de la Fuente: Ein Leben auf zwei Kontinenten, in: clingKlong Nr. 52, 2004.