Über Emmy Wolff
Herkunft, Schulbildung, Studium und Promotion
Emmy Wolff, geboren am 25. Dezember 1890 in Bernburg an der Saale in einer Familie des gehobenen Bürgertums und jüdischen Glaubens, war das älteste von drei Kindern des Bankiers Paul Wolff und Julie Wolff, geb. Fließ, die sich ehrenamtlich in der lokalen jüdischen Gemeinde engagierte.
Emmy Wolff besuchte bis zum 14. Lebensjahr standesgemäß eine Höhere Töchterschule und anschließend eine Ecole supérieure in der Schweiz1. Von 1915 bis 1918 absolvierte sie, gegen den Widerstand ihres konservativ eingestellten Vaters, eine Ausbildung an der 1911 von Henriette Goldschmidt gegründeten Hochschule für Frauen in Leipzig in der Abteilung für Sozial- und Rechtswissenschaften mit dem Berufsziel Wohlfahrtspflegerin. Parallel leitete sie eine von ihr gegründete öffentliche Bibliothek und arbeitete als Prokuristin in der Bank ihres Vaters.2
Anschließend studierte sie in München Sozialwissenschaften und ab 1920 in Frankfurt am Main Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Sozialpolitik, 1922 erhielt sie das Diplom für Sozial- und Verwaltungsbeamte. 1924 promovierte sie zum Dr. rer. pol. an der Frankfurter Universität mit einer Dissertation zum Thema Ein Mädchenclub und der Herkunftskreis seiner Mitglieder. Ein Beitrag zum Problem der Erfassung schulentlassener weiblicher Jugend durch die Jugendpflege. Sie untersuchte hier im Sinne lebensweltlicher Forschung einen Mädchenklub, in dem sie selbst gearbeitet hatte und der von der jüdischen Frauenbewegung, unter Leitung Bertha Pappenheims, als Hilfsmaßnahme zur Unterstützung alleinstehender junger Arbeiterinnen eingerichtet worden war: „Man kann den […] ‚Mädchenklub der weiblichen Fürsorge‛ als Organ der privaten weiblichen konfessionellen Jugendpflege bezeichnen. [...] Der Mädchenklub entstand aus dem Einblick in die Notwendigkeit, ‚da[ss] den Bedürfnissen der normal entwickelten und selbständigen weiblichen Jugend in speziellen Anstalten Rechnung getragen werden mü[ss]te‛.1) Diese Erkenntnis entstand aus der ständig wachsenden Zahl außerhäuslich arbeitender Mädchen, von denen viele allein der Großstadt zuziehen, losgerissen von Familien und Heimatssicherheit und allen Gefahren der Unerfahrenheit preisgegeben.“3
Berufstätigkeit und Engagement in der bürgerlichen Frauenbewegung
In ihrer Studienzeit in München engagierte sich Emmy Wolff in den Jugendorganisationen des Stadtbundes Münchener Frauenvereine, war Geschäftsführerin des Hauptverbandes Bayerischer Frauenvereine sowie Schriftleiterin des Verbandsorgans Bayerische Frauenzeitung. 1920 beschrieb sie kritisch die Situation der bürgerlichen Frauenbewegung: „Die Frauenbewegung war aus der Mode gekommen; vergeblich sahen ihre Führerinnen sich nach dem neuen Nachwuchs um. Undankbar war er damit beschäftigt, ihre Ernte zu verspeisen und sie dabei als kompromittierenden Zusammenschluss von Überweibern zu schmähen, wenn er überhaupt von ihrem Vorhandensein – hingenommen von Berufstätigkeit und persönlichem Leben – etwas wusste.“4 In Frankfurt angekommen schloss sie sich dem Neuen Kreis für Frauenfragen an, einem reichsweiten Zusammenschluss von jungen Frauen, „die versuchten, ihren Platz innerhalb der gewachsenen, aber auch unflexiblen Strukturen der bürgerlichen Frauenbewegung zu finden. Diese ‚dritte‛ Generation diskutierte über ihr Selbstverständnis als ‚neue Frauen‛, über aktuelle und zukünftige Aufgaben der Bewegung“5.
Nach ihrer Promotion und einem Umzug nach Berlin wurde Emmy Wolff 1925 persönliche Referentin von Gertrud Bäumer, zentrale Führungspersönlichkeit im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) und Reichstagspolitikerin, und Mitglied im Redaktionsteam der liberaldemokratischen Zeitschrift Die Hilfe. Von 1927 bis 1931 war sie Geschäftsführerin des BDF. Hier gab sie mit Alice Bensheimer von 1928 bis 1931 das Nachrichtenblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine heraus, publizierte 1927 und von 1928 bis 1931 im Auftrag des BDF das Jahrbuch der Frauenbewegung und war Mitarbeiterin im verbandseigenen Ausschuss für internationale Beziehungen sowie Vertreterin der Organisation im Presseausschuss des Internationalen Frauenbundes.6 In der bürgerlich-konservativen Zeitschrift der Frauenbewegung Die Frau veröffentlichte sie eigene Gedichte, Porträts von Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Tagungsberichte, Beiträge zum Mutter- und Arbeiterinnenschutz, zur Jugendbewegung und zum Thema Familie. Zur 1928 in Köln veranstalteten Internationalen Ausstellung PRESSA gab Emmy Wolff das Buch Frauengenerationen in Bildern mit Texten von Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung und bekannter Schriftstellerinnen wie Gertrud Bäumer, Ricarda Huch, Else Ulich-Beil, Agnes Miegel, Mary Wigman, Ilse Neumann, Helene Weber, Ina Seidel, Emmy Beckmann, Marie von Bunsen, Hilde Lion, Ilse Reicke, Margarete Bernhard, Hanna Meuter und Hannah Karminski heraus.
Ein spezifisches Interesse von Emmy Wolff innerhalb der Frauenbewegung galt den arbeitenden Frauen und Mädchen. Sie strebte „eine sozialere Mutterschutzgesetzgebung an“7 und entwickelte eine umfangreiche Dozentinnentätigkeit im Bereich beruflicher Qualifikationen von Frauen. Ab 1925 bildete sie als Dozentin für Wohlfahrtspflege sowie Kinder- und Jugendliteratur im Sozialpädagogischen Seminar des von Anna von Gierke geleiteten Vereins Jugendheim Charlottenburg Jugendleiterinnen aus, eine Kollegin hier war Hilde Lion, ihre spätere Lebensgefährtin.
Emmy Wolff unterrichtete auch an der von Alice Salomon gegründeten Sozialen Frauenschule Berlin, an der Werner-Schule des Roten Kreuzes und war 1927 und 1929/30 Dozentin für Sozialpädagogik an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit. Hilde Lion war an der Akademie ab 1928 Studienleiterin und ab 1929 Direktorin. Im Vorstand der Weiterbildungs- und Forschungseinrichtung für Frauenberufe saßen Alice Salomon, Charlotte Dietrich, Gertrud Bäumer, Marie Baum, Lilli Droescher, Hildegard von Gierke, Helene Weber, Anna von Gierke und Siddy Wronsky.
Flucht und Exil in England
Nach der Machergreifung der Nationalsozialisten verlor Emmy Wolff aufgrund ihrer jüdischen Herkunft alle Ämter und Lehrtätigkeiten. Auch Hilde Lion konnte als Jüdin ihre Direktorinnenstelle an der Akademie nicht weiterführen. Nach warnenden Hinweisen vor einer drohenden Durchsuchung verfügte Alice Salomon am 5. Mai 1933 in einer geheimen Sitzung die Auflösung der Akademie, um die jüdischen Mitarbeiterinnen zu schützen. Hilde Lion verließ bald nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten Berlin und emigrierte 1933 nach England. Dort gründete sie die interkonfessionell und international konzipierte Stoatley Rough School in Haslemere/Surrey, eine Internatsschule für deutsche Flüchtlingskinder. Emmy Wolff, die eine „von den Nationalsozialisten biologisch begründete Klassifikation ‚jüdisch‛“8 ablehnte und sich als jüdische Deutsche im kulturellen und nationalen Sinn verstand, bei dem das Jüdische wie das Christliche zum Deutschen gehörte und Nationalgefühl nicht im Widerspruch stand zu Weltoffenheit und religiöser Toleranz, folgte ihrer Lebensgefährtin 1935 nach England. Hier leiteten sie bis 1956 gemeinsam die Schule. Emmy Wolff unterrichtete Deutsch, Französisch und Literatur für geflüchtete Kinder und Jugendliche aus Deutschland, später auch für englische SchülerInnen aus unteren sozialen Schichten, und sie war als Köchin tätig.
Die Stoatley Rough School erwarb sich schnell einen Ruf als deutsche Frauen-Insel in England, auf der Verfolgte aus Berlin Schutz fanden. Praktikantinnen und Mitarbeiterinnen aus Deutschland betreuten dort bis zu vierzig Kinder unentgeltlich. Unter schwierigen Umständen wurde Geld aus Deutschland nach England transferiert und Menschen in die Schule gerettet. Bis Ende 1938 reisten Emmy Wolff und Hilde Lion mehrmals nach Deutschland, um die Emigration von Kindern zu organisieren und Freundinnen und Freunde zu treffen.
1938 begleitete Emmy Wolff sechzehn Kinder aus Deutschland auf ihrem Weg nach England, trotz Warnungen vor den Gefahren. Sie und Hilde Lion arbeiteten über viele Jahre an der Stoatley Rough School zusammen, auch als sie kein Paar mehr waren und Hilde Lion mit der Musikpädagogin Luise Leven zusammenlebte. 1960, mit dem Ruhestand von Hilde Lion, schloss die Schule.
Nach 1945 besuchte Emmy Wolff häufiger Deutschland und traf unter anderem Gertrud Bäumer und Theodor Heuss sowie ehemalige Schülerinnen aus dem Jugendheim Charlottenburg. 1957 ging Emmy Wolff in den Ruhestand, sie widmete sich wieder mehr der Literatur und dem Schreiben von Gedichten. Deutschland besuchte sie nur noch sehr selten. Emmy Wolff starb am 9. November 1969 in Haslemere/Surrey, England.
Zur Bedeutung Emmy Wolffs
Emmy Wolff repräsentiert die jüngere Generation der ersten deutschen Frauenbewegung, aus der sie entscheidende Impulse für ihr soziales, pädagogisches und politisches Engagement bezog und in der sie zentrale Positionen innehatte. Sie wirkte vielfältig in den Institutionen der Frauenbewegung und besonders in der Aus- und Weiterbildung von Frauen für die Soziale Arbeit. Ein weiterer wichtiger Wirkungsbereich lag im Verfassen und Publizieren von vielfältigen Textsorten – nicht nur – zu Themen der Frauenbewegung. Nach ihrer Vertreibung aus Deutschland und der Emigration nach England zerbrachen viele ihrer Frauenbündnisse.
Netzwerk von Emmy Wolff
Zitate von Emmy Wolff
Biografie von Emmy Wolff
Fußnoten
- 1 Dauks, Sigrid: Das ‚Frauenstudium‛ in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zwischen 1890 und 1933 am Beispiel der Pädagogin Emmy Wolff, in: Dickmann, Elisabeth / Schöck-Quinteros, Eva (Hg.): Politik und Profession. Frauen in Arbeitswelt und Wissenschaft um 1900, Bremen 1996, S. 121‒150, hier S. 130.
- 2 Thorun, Walter (Hg.): Gedichte Deutscher Sozialpädagogen, Hamburg 2001, S. 149.
- 3 Wolff, Emmy: Ein Mädchenklub und der Herkunftskreis seiner Mitglieder. Ein Beitrag zum Problem der Erfassung schulentlassener weiblicher Jugend durch die Jugendpflege, Frankfurt a. M. 1924, S. 6 ff. Die Fußnote verweist auf: Pappenheim, Berta: Rückblick auf die jüdisch-soziale Frauenarbeit der Vereine „Weibliche Fürsorge“, Heim des jüdischen Frauenbundes, Isenburg“, „Mädchen-Klub“ und Ortsgruppe Frankfurt des „Jüd. Frauenbundes“, Frankfurt 1920, S. 7.
- 4 Wolff, Emmy: Die sozialen Jugendgemeinschaften, ihr Werden und ihr Ziel, in: Die Frau, 28. Jg., 1920, H. 3, S. 67, zitiert nach Wolff, Kerstin: Das Erbe des Feminismus, in: Wir Frauen 2008, H. 4, S. 10.
- 5 Dauks, Emmy Wolff, S. 131; vgl. auch Wolff, Emmy: Von Köln bis Corvey. Rückschau und Überblick, gelegentlich der Zusammenkunft des „Neuen Kreises für Frauenfragen“ in Corvey, in: Die Frau, 30. Jg. 1922/23, S. 46‒52.
- 6 Vgl. Jahrbücher des Bundes Deutscher Frauenvereine 1927-1931, Mannheim.
- 7 Berger, Manfred: Emmy Wolff, in: Maier, Hugo (Hg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998, S. 637.
- 8 Dauks, Emmy Wolff, S. 133.
Ausgewählte Publikationen
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Berger, Manfred: Führende Frauen in sozialer Verantwortung: Emmy Wolff, in: Christ und Bildung 1995, H. 7–8, S. 229.
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Berger, Manfred: Hilde Lion – Gründerin eines Landerziehungsheims im englischen Exil, in: Zeitschrift für Erlebnispädagogik, 2004, S. 48–62.
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Berger, Manfred: Wolff, Emmy, Dr. rer. pol., in: Labouvie, Eva (Hg.): Frauen in Sachsen-Anhalt, Bd. 2: Ein biographisch-bibliographisches Lexikon vom 19. Jahrhundert bis 1945, Böhlau, Köln u. a. 2019, S. 452–453.
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Berger, Manfred: Wolff, Emmy, in: Maier, Hugo (Hg.): Who is who in der Sozialen Arbeit, Freiburg/Brsg. 1998, S. 367–368.
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Dauks, Sigrid: Das 'Frauenstudium' in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zwischen 1890 und 1933 am Beispiel der Pädagogin Emmy Wolff, in: Dickmann, Elisabeth (Hg.): Politik und Profession. Frauen in Arbeitswelt und Wissenschaft um 1900, Bremen 1996, S. 121–152.
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Dick, Jutta / Sassenberg, Marina: Jüdische Frauen im 19. und 20. Jahrhundert. Lexikon zu Leben und Werk, Reinbek 1993.
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Reinicke, Peter: Die Deutsche Akademie für pädagogische und soziale Frauenarbeit und ihre Jahreskurse, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, Nr. 3/ 1987, S. 210‒222.
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Thorun, Walter: Deutsche Sozialpädagogen. Sie schrieben auch Gedichte. Eine Anthologie, Hamburg 2001.
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Wolff, Emmy, in: Walk, Joseph (Hg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945, München, S. 391.
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Wolff, Emmy: „Frauen in Not“. Betrachtungen zu einer Kunstausstellung, in: Die Frau, 39. Jg., 1931, H. 2, S. 99–104.
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Wolff, Emmy: Die Frau im Deutschen Volk. Gesamteindruck der Ausstellung Berlin 1933 [Die Frau in Familie, Haus und Beruf], in: Die Frau, 40. Jg., 1932, H. 7, S. 421–432.
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Wolff, Emmy: Die sozialen Jugendgemeinschaften, ihr Werden und ihr Ziel, in: Die Frau, 28. Jg., 1920, H. 3, S. 65–70.
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Wolff, Emmy: Die sozialen Jugendgemeinschaften, ihr Werden und ihr Ziel, in: Lion, Hilde/ Rathgen, Irmgard, Ulich-Beil, Else (Hg.): Dritte Generation. Für Gertrud Bäumer, Berlin 1923.
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Wolff, Emmy: Frauengenerationen in Bildern, Berlin 1928.
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Wolff, Emmy: Hymnen an die Einsamkeit, in: Der Morgen, 1935/36, H. 11, S. 490.
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Wolff, Emmy: Studentinnen im Tagesroman von heute, in: Die Frau, 36. Jg., 1928, S. 482.
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Wolff, Emmy: Von Köln bis Corvey. Rückschau und Überblick, gelegentlich der Zusammenkunft des „Neuen Kreises für Frauenfragen“ in Corvey, in: Die Frau, 30. Jg. 1922/23, S. 46‒52.