Über Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit

Die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, 1925 unter dem Vorsitz von Alice Salomon gegründet, war Weiterbildungsakademie und Forschungseinrichtung auf Hochschulniveau für Frauen in sozialen Berufen und Wirkungskreis bedeutender Vertreterinnen der bürgerlichen Frauenbewegung.

Gründung und Ziele der Akademie

„Ich konnte nicht länger daran zweifeln“, so Alice Salomon 1929, „daß all die Reformen, die wir erreicht hatten, zunichte gemacht würden, wenn nicht Frauen als Leiterinnen in die verschiedenen Zweige des öffentlichen Dienstes berufen würden.“1 Sie strebte die Professionalisierung der Ausbildung in der Sozialen Arbeit an. Da hier qualifizierte Frauen dominierten und mit Männern konkurrierten, entwickelte sie in den 1920er-Jahren die Idee einer akademischen Weiterbildung für Frauen in sozialen Berufen. Neben der sozialen Frage ging es hier um den „Kampf um die Frauenbildung“ und die „Vergesellschaftung weiblicher Arbeitsbereiche“2 . Schon 1902 formulierte Alice Salomon, dass „nimmer […] ein Platz, den ein Mann inne hat, einer Frau geräumt werden [wird], sofern die Frau ihn nicht besser auszufüllen imstande ist“.3  

Um eine wissenschaftliche Fortbildung von weiblichen Führungskräften in typischen Frauenberufen (zum Beispiel Wohlfahrtspflegerinnen, Berufsschullehrerinnen, Krankenpflegerinnen, Hauswirtschaftlerinnen) und parallel in Forschungsaktivitäten zu etablieren, wurde am 25. Mai 1925 in Berlin von Alice Salomon die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit4  gegründet – mit einer eigenen Abteilung für empirische Forschung im Sinne einer „Hochschule der Frauen“5 . Unterstützt wurde Alice Salomon von weiteren Aktiven der bürgerlichen Frauenbewegung wie Marie Baum, Gertrud Bäumer, Hildegard von Gierke, Helene Weber und Siddy Wronsky. Über Ziel und Aufgabe der Frauenhochschule schrieb Alice Salomon: „Die pädagogische wie die soziale Arbeit braucht Führerinnen für höhere und leitende Posten. Sie braucht Menschen, die über die Tagesarbeit hinaus der sozialen und pädagogischen Arbeit neue Ziele stecken. Die Akademie will aber auch zu einer Stätte werden, in der Lehrkräfte für die sozialpädagogischen Bildungsanstalten wie Frauenschulen und Wohlfahrtsschulen ausgebildet werden.“6  Im Vorstand der Akademie saßen neben der Vorsitzenden Alice Salomon unter anderem Gertrud Bäumer, Marie Baum, Erna Corte, Charlotte Dietrich, Lilli Droescher, Hildegard von Gierke, Hans Muthesius, Eduard Spranger, Helene Weber, Siddy Wronsky – insgesamt 25 Personen und 28 Organisationen, vom Deutschen Akademikerinnenbund über soziale Berufsvereinigungen bis zum Fröbel-Verband und zum Lette-Verein, die sich in Kommissionen organisierten. „Salomon repräsentierte nun nach 1925 durch die Akademie nicht mehr nur die Frauen der gemäßigten, aber doch feministisch gesinnten Frauenbewegung, sondern auch große Teile der konfessionellen Frauenarbeit, die mit ihrer Forderung nach Geschlechtertrennung andere Ziele verfolgten als Salomon selbst.“7 Der Sitz der Akademie befand sich im Haus der Sozialen Frauenschule in Berlin Schöneberg, Studienleiterin und Direktorin war Dr. Hilde Lion, Geschäftsführerin war Charlotte Friedenthal.8

Der Lehrbetrieb und die Fortbildungskurse

Die Akademie konnte von Frauen besucht werden, die ein Staatsexamen und drei Jahre Berufsausbildung in sozialer Arbeit, Krankenpflege, Hauswirtschaft oder Unterricht an Berufsschulen hatten. Der Lehrbetrieb begann im Oktober 1925 mit zehn Kursen und 358 Teilnehmerinnen. Die Akademie, zu deren Lehrkörper Margarete Berent, Frieda Wunderlich, Charlotte Dietrich, Margarete Meusel, Hildegard von Gierke, Siddy Wronsky, Elisabeth Blochmann, Carl Mennicke und Hans Muthesius gehörten, bot verschiedene Fort- und Weiterbildungsangebote für unterschiedliche Zielgruppen an: Jahreskurse für ausgebildete Wohlfahrtspflegerinnen, für Jugendleiterinnen und Berufs- und Fachschullehrerinnen verschiedener Ausbildungsgänge, vor allem auch aus landwirtschaftlich orientierten Schulen, ein Aufbaustudium für Akademikerinnen, die bereits über berufspraktische Erfahrungen in der Wohlfahrtspflege verfügten und eine leitende Tätigkeit in staatlichen und privaten Einrichtungen anstrebten, sowie Nachmittags- und Wochenkurse für an Weiterbildung Interessierte. Einen spezifischen Aufgabenkreis bildeten die Kurse für Mütter – die Akademie sollte auch dem gegenseitigen Verständnis von häuslich und außerhäuslich tätigen Frauen dienen – und die Ausbildungskurse von Schwestern in leitender Stellung. Ab 1926 konnten die Akademiestudentinnen wählen zwischen einjährigen Vollstudienkursen und zwei- bis dreijährigen berufsbegleitenden Abendstudienkursen.

Zum Studium gehörten neben einer Vielfalt von theoretischen Fächern (wie Fürsorgerecht, Soziologie und Volkswirtschaft, Psychologie, Pädagogik und Anstaltswesen) auch das Besichtigen von Einrichtungen der Wohlfahrtspflege und Betrieben, die Teilnahme an Kongressen sowie Studienreisen, die nach Holland, Österreich und England führten, und Vortragsreihen im Stil wissenschaftlicher Akademieabende zu sozialen, ethischen, religiösen, philosophischen und literaturwissenschaftlichen Themen. Vorträge und Vorlesungen wurden von Gertrud Bäumer, Helene Weber, Marie Baum, Emmy Wolff, Marie-Elisabeth Lüders und auch von bedeutenden Wissenschaftlern der Zeit gehalten wie Albert Einstein, Carl G. Jung, Ernst Cassirer, Romano Guardini und Eduard Spranger. 
Die Akademie wurde von Studentinnen aus ganz Deutschland und verschiedenen europäischen Ländern und dem außereuropäischen Ausland, wie aus Japan, besucht, 1931 wurde ein spezieller Kurs für Ausländerinnen angeboten. Für Alice Salomon war das besondere Ziel der Akademie die „Geistesschulung“, die zu einer inneren Freiheit und Selbstständigkeit in der Arbeit führen sollte, damit eine Wohlfahrtspflegerin nicht zum „erstarrten Handwerker“ würde, „der sich mit toten Werkzeugen an lebendigen Aufgaben vergreift“.9 Das eigentliche Studieren fand neben den Wahlpflicht- und Wahlveranstaltungen in Arbeitsgemeinschaften mit 20 bis 30 Teilnehmerinnen statt, ergänzt durch Tutorien in Kleinstgruppen und Einzelberatungen. Kritik der Studentinnen an den Lehrformaten und Lehrenden war erwünscht und wurde berücksichtigt, die Studentinnen sollten lernen, zu sich widersprechenden Grundsätzen und Theorien eine eigene Position zu erarbeiten. Dazu sollten sie „die in der Praxis gewonnenen Erkenntnisse heben und gemeinsam mit den Lehrern die Methoden erarbeiten, die den neu entstehenden Sozialwissenschaften entsprechen“.10 Verschiedene Formen des Austausches fanden statt bei Teenachmittagen, in Kommissionssitzungen oder im schriftlichen Austausch, und auch das gesellige Beisammensein kam nicht zu kurz.

Die Auflösung der Akademie 1933

Spätestens 1933 waren Mitglieder der Akademie der antisemitischen Politik des Nationalsozialismus ausgesetzt, besonders die Direktorin Hilde Lion. Am 5. Mai 1933 verfügte Alice Salomon, nach Hinweisen zu einer drohenden Durchsuchung, in einer geheimen Sitzung die Auflösung der Akademie, um der Liquidierung durch die nationalsozialistische Regierung zu entgehen und die jüdischen Mitarbeiterinnen zu schützen. Die Schließung erfolgte in aller Eile, „weil befürchtet wurde, dass die Nazis die Akademie selber übernehmen wollten“.11 Aus dem Protokoll des Vorstandes der Akademie vom 5. Mai 1933 geht hervor: „Auf Dr. Alice Salomon ist ein Druck ausgeübt worden, Dr. Lion von ihrem Amt zu entheben; unter diesen Umständen erklärt auch Dr. Salomon, ihr Amt niederlegen zu wollen. Frau Dr. Alice Salomon schlägt unter diesen Umständen vor: die Akademie aufzulösen. […] Der Vorstand, der sich aus Angehörigen verschiedener politischer und weltanschaulicher Richtungen zusammensetzt, steht auf dem Standpunkt, dass sich auch bei Auflösung der Akademie die Idee der sozialen Frauenbildung, die von hier aus ihre stärksten Antriebe erhalten hat, in der Zukunft durchsetzen wird.“12

Zu den Umständen der Selbstauflösung der Akademie und dem Verbleib der Unterlagen schrieb Alice Salomon: „Die Krise hatte sich innerhalb 24 Stunden so schnell entwickelt, daß ich in diesem Moment nur besorgt war, daß mein Entschluß zur Schließung der Akademie auch akzeptiert würde. Als die Nazis schließlich erschienen, kamen sie zu spät. Wir hatten die Liste der Studenten und Mitglieder zerstört, ebenso unsere Archive; es gab nichts mehr zu beschlagnahmen.“13 Zum Glück irrte Alice Salomon im letztgenannten Punkt. Weil Akten und Unterlagen auf verschiedenen Wegen gerettet wurden, ist es heute möglich, Teile davon als Digitalisate über das Digitale Deutsche Frauenarchiv einzusehen.

Zum Zeitpunkt der Auflösung der Akademie waren an der Sozialen Frauenschule wie auch im Pestalozzi-Fröbel-Haus die jüdischen und linksliberalen Mitarbeiterinnen bereits entlassen worden. Die Auflösung bedeutete den Verlust einer wichtigen Möglichkeit der wissenschaftlichen Weiterqualifizierung für Soziale Berufe, einer innovativen Forschungsinstitution sowie der Verbindung zu den akademischen Wissenschaften. 

Bedeutung und Wirkung

Die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit geriet wie ihre Forschungen lange Zeit in Vergessenheit. Dennoch ist ihre kurze Geschichte beeindruckend erfolgreich. Zu ihren bekannten Absolventinnen zählen Elmire Coler, Gertrud Feiertag, Marianne Hapig, Margarete Meusel, Gertrud Staewen, Helene Wessel oder Hilde Wulff. In den letzten Jahren sind insbesondere die Familienforschungen der Akademie wiederendeckt worden, die auf die Forschungstradition der Akademie verweisen.14

Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit. Veröffentlichung
Berichte über die Entwicklung
Zeitungsartikel über die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit
Quelle
Alice Salomon Archiv der ASH Berlin
Lizenz
Die deutsche Frauenakademie / Die ersten fünf Jahre.

 

Stand: 09. November 2022
Verfasst von
Prof. Dr. Sabine Toppe

geb. 1962, Studium der Sozialpädagogik/Sozialarbeit, Promotion zum obrigkeitsstaatlichen Mutterschaftsdiskurs im 18. Jahrhundert, Professorin für Geschichte der Sozialen Arbeit an der ASH Berlin. Forschungsschwerpunkte: Frauenbewegung und Soziale Arbeit, Geschichte von Familie und Kindheit, Historische Geschlechterdiskurse, Sozialpädagogische Bildungsforschung.

Empfohlene Zitierweise
Prof. Dr. Sabine Toppe (2022): Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/deutsche-akademie-fuer-soziale-und-paedagogische-frauenarbeit
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Netzwerk von Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit

Biografie von Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit

25. Mai 1925

Gründung in Berlin

Oktober 1925

Start des Lehrbetriebs mit zehn Kursen und 358 Teilnehmerinnen

1926

Initiierung der Familienforschungen der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit

5. Mai 1933

Auflösung

Am 5. Mai 1933 verfügte Alice Salomon, nach Hinweisen zu einer drohenden Durchsuchung, in einer geheimen Sitzung die Auflösung der Akademie, um der Liquidierung durch die nationalsozialistische Regierung zu entgehen und die jüdischen Mitarbeiterinnen zu schützen.

Fußnoten

  • 1Salomon, Alice: Charakter ist Schicksal. Lebenserinnerungen, Weinheim/Basel 1983, S. 214.
  • 2Kuhlmann, Carola: Alice Salomon und der Beginn sozialer Berufsausbildung, Stuttgart 2007, S. 168.
  • 3Salomon, Alice: Soziale Hilfsthätigkeit, in: Soziale Frauenpflichten. Vorträge, gehalten in deutschen Frauenvereinen, Berlin 1902, S. 11‒37, hier S. 37.
  • 4Salomon, Alice: Die deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit im Gesamtaufbau des deutschen Bildungswesens (1929), in: Muthesius, Hans (Hg.): Alice Salomon. Die Begründerin des sozialen Frauenberufs in Deutschland. Ihr Leben und ihr Werk, Köln/Berlin 1958, S. 240–248.
  • 5Die Frau, 33. Jg., 1925, H. 2, S. 119.
  • 6Salomon, Alice: Die Idee einer Hochschule für Frauen, in: Die Erziehung, 1. Jg., 1925, H. 2, S. 125 ff, hier S. 126.
  • 7Kuhlmann: Alice Salomon, S. 171.
  • 8Feustel, Adriane / Labonté-Rosé, Christine: Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit 1925-1933. Verhandlungs- und Sitzungsprotokolle, Jahresberichte, Dozentenkonferenzen, Lehrpläne, Berlin 1992.
  • 9Salomon, Alice: Die deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit und die Geistesschulung der Wohlfahrtspflegerinnen, in: Soziale Berufsarbeit. Organ der Arbeitsgemeinschaft der Berufsverbände der Wohlfahrtspflegerinnen, 8. Jg., 1928, Nr. 11/12, S. 2‒6, hier S. 2.
  • 10Salomon, Alice: Die Ausbildung zum sozialen Beruf, Berlin 1927, S. 240.
  • 11Stoehr, Irene: Eine hohe Schule weiblicher Kulturleistung: Die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit (1925‒1933), in: Zwaka, Petra (Hg.): Ich bin meine eigene Frauenbewegung: Frauen-Ansichten aus der Geschichte einer Großstadt, Berlin 1991, S. 59‒64, hier S. 64.
  • 12Feustel / Labonté-Roset: Deutsche Akademie, o. S.
  • 13Salomon, Alice: Lebenserinnerungen: Jugendjahre, Sozialreform, Frauenbewegung, Exil, Frankfurt a.M. 2008, S. 300.
  • 14Reinicke, Peter: Die Deutsche Akademie für pädagogische und soziale Frauenarbeit und ihre Jahreskurse, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit, 18. Jg., 1987, H. 3, S. 201‒222, hier S. 222; Toppe, Sabine: „Auflösung und Fortbestand der Institution Familie“: Historische Forschungen und aktuelle Legitimationen im Spannungsfeld von Privatheit und Öffentlichkeit, in: Bütow, Birgit et al. (Hg.): Sozialpädagogik zwischen Staat und Familie - Alte und neue Politiken des Eingreifens, Berlin/Toronto 2015, S. 79‒97.