Marianne Koerner – ein Leben im Zeichen von Frauenforschung und Erinnerungsarbeit

veröffentlicht 02. August 2023

Marianne Koerner hat in den 1980er-Jahren den ersten Rundgang in Göttingen ins Leben gerufen und damit Pionierinnengeschichte geschrieben: Mit dem Konzept der Frauenstadtrundgänge machte Koerner Frauen- und Lesbengeschichte sichtbar. Das feministische Archiv ausZeiten in Bochum bearbeitet in seinem diesjährigen DDF-Projekt den Nachlass von Marianne Koerner.

Beschriftete Archivmappen mit Materialien von Marianne Koerner
Quelle
ausZeiten
Rechteangabe
Beschriftete Archivmappen mit Materialien aus dem Nachlass von Marianne Koerner

Der Inhalt von 15 Archivkisten ruht seit dem Jahr 2000 im Bochumer Archiv ausZeiten und wartet darauf, frauengeschichtlich kontextualisiert zu werden. Als Koerner Ende der 1990er-Jahre bereits schwer erkrankt, ist ihr bewusst, dass ihr Werk erhalten bleiben muss. Die Bewegungshistorikerin hat ihr ganzes Leben Frauengeschichte weitergetragen und vermittelt. Ihr Anliegen war es – sei es beim Göttinger Frauenstadtrundgang oder in Kursen an der Volkshochschule – möglichst vielen Frauen diese Geschichte zugänglich zu machen.

Für ihren eigenen Nachlass musste sie einen Ort finden. Auserkoren hat sie das Archiv ausZeiten. Diesem Ort war sie schon eine ganze Weile verbunden, unter anderem weil sie im Oktober 1994 anlässlich des 23. Treffens der deutschsprachigen Frauenarchive und -bibliotheken in Bonn zwei Mitarbeiterinnen von ausZeiten in ihrer Wohnung hat übernachten lassen. So entsteht damals auch eine persönliche Anbindung an das Bochumer Archiv.

Ein Nachlass – viele Dokumente aus der Zweiten Frauenbewegung

Später zieht sie für eine Stelle an der Ruhr-Uni nach Bochum und besucht auch ausZeiten in der Josephinenstraße. Nach Koerners Tod im Jahr 2000 erhält ausZeiten ihren Nachlass – testamentarisch festgelegt bekommt das Archiv ihre Unterlagen. Der Nachlass ist für ausZeiten insofern von großer Bedeutung, als es vor Ort der erste von einer Akteurin aus der Zweiten Frauenbewegung ist. Er enthält vor allem Materialien aus ihrem wissenschaftlichen Schaffen, wie zum Beispiel Artikel aus der Zeitschrift Hypatia, Manuskripte für die Veröffentlichung der Frauenstadtrundgänge als Buch sowie die Korrespondenzen mit Verlagen dazu, aber auch ihre Zusammenarbeit mit Geschichtswerkstätten und Frauengeschichtsvereinen. So lassen sich einzelne Schritte bis zur Veröffentlichung ihres ersten Buchs 1989 rekonstruieren. Für dieses Buch über die Frauenstadtrundgänge erhält sie den SPD-Frauenpreis . 1990 wird sie Mitbegründerin der Miss Marples Schwestern. Hier vernetzten sich Frauengruppen, Projekte und einzelne Frauen, die regionale und lokale Frauengeschichte erforschen und in Rundgängen, Ausstellungen und Büchern vermitteln.

Koerners Geschichts- und Erinnerungsarbeit ist für Frauen, die sich gemeinsam mit anderen Frauen als feministische Bewegungen organisierten und organisieren, elementar. Diese Arbeit ermöglicht es, mehr über die eigene Geschichte als Frauen und Lesben zu lernen und damit einer Geschichtslosigkeit und Vereinzelung im Patriarchat entgegenzutreten: Zu wissen, dass frau nicht alleine ist und es auch niemals war. 
Wenn die feministische Historikerin Gerda Lerner von den „grausamen Zyklen von Wiederholungen“ spricht, meint sie, dass Frauen aus dem Nicht-Wissen über ihre Vorgängerinnen die gleichen Kämpfe führen müssen wie andere vor ihnen. Die systematische Archivierung von Materialien der Zweiten Frauenbewegung ist ein erster Schritt zur Durchbrechung dieser „grausamen Zyklen“. Der Gedächtnis-Aktivismus Marianne Koerners und vieler anderer FrauenLesben der Bewegung ist eine Voraussetzung dafür. Damit sind der Nachlass und das DDF-Projekt nicht nur von historiografischer Bedeutung, sondern verweisen zugleich in die Zukunft der Arbeit von FrauenLesben-Archiven- und Bibliotheken, Frauengeschichtsvereinen oder Frauenstadtrundgängen, um nur einige Beispiele feministischer Geschichtsarbeit zu nennen. Aus Koerners Erinnerungsarbeit können wir lernen – eine Möglichkeit, die zugleich Alleinstellungsmerkmal dieses Projekts ist.

Das feministische Archiv ausZeiten wird 1995 in Bochum als ein Projekt der autonomen Frauen-/Lesbenbewegung gegründet. ausZeiten archiviert Materialien der Neuen Frauen- und Lesbenbewegungen seit den 1970er-Jahren sowie aktuelle Materialien über Frauen/Lesben aus allen gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichen, regional und international.

Das DDF-Projekt ist am 1. Januar 2023 gestartet und hat eine Laufzeit von 12 Monaten. Es werden Materialien erfasst, digitalisiert und Rechte geklärt. Außerdem werden Interviews beziehungsweise Gespräche mit Zeitzeuginnen geführt. In Anknüpfung an Marianne Koerners regionalgeschichtliche Geschichtsvermittlung wird ein neuer Bochumer feministischer Stadtrundgang entwickelt – für noch mehr Lesben- und Frauenbewegungsgeschichte im DDF. 

Ausgewählte Beiträge von ausZeiten im DDF:

Stand: 02. August 2023
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