Digitalisat des Monats: Post von Anita Augspurg

veröffentlicht 07. September 2022

Die Einrichtungen des i.d.a.-Dachverbands digitalisieren über die DDF-Projektförderungen zentrale Teile ihrer Bestände. Bereits über 15.000 Digitalisate finden sich im META-Katalog. Jedes einzelne erzählt seine ganz eigene Geschichte. Ein besonderer Fund wird alle vier Wochen zum #DigitalisatDesMonats.

Zum Auftakt: eine Postkarte von Anita Augspurg (1857–1943) an Grete Meisel-Hess (1879–1922), verfasst am 22. August 1911. Zu sehen ist die Vorderseite, mit dem Sujet: „Frauenstimmrecht, eine Forderung der Gerechtigkeit! Frauenstimmrecht, eine Forderung der Notwendigkeit! Frauenstimmrecht, eine Forderung der Kultur! Gerechtigkeit erhöht ein Volk!“ Sogar mit einer Sonderbriefmarke zum Frauenstimmrecht wurde die Karte versehen. Auf der Rückseite ist in Augspurgs Handschrift zu lesen: „Sehr geehrte Frau! Meinen besten Dank für Ihr Buch! Ich habe zu der Zeitschrift Frauenbewegung garkeine Beziehungen, außer daß ich die ‚Beilage für Frauenstimmrecht‘ redigiere. Wegen Bücherbesprechungen dazu wenden Sie sich am besten an Fräulein Else Lüders. Mit verbindlichem Gruß A. Augspurg.“ 

 

Frauenbewegte Zeichen

Was macht diese Postkarte nun besonders? Da ist zuerst der Hinweis auf die Zeitschrift Die Frauenbewegung, an der sich auch die Geschichte der frühen deutschen Frauenbewegung ablesen lässt. Mit der Gründung des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht 1902 durch Augspurg wurde die Zeitschrift, die schon seit 1895 von Minna Cauer (1841–1922) herausgegeben wurde, für einige Jahre zum Sprachrohr der Bewegung. Dass Augspurg hier „garkeine Beziehungen“ zur Zeitschrift vorgibt, bezieht sie vermutlich vor allem auf die organisatorische und redaktionelle Verantwortlichkeit: Die von Meisel-Hess angefragte Buchrezension ist schlichtweg an andere Personen in der Zeitschriftenredaktion zu richten.

Zusammen mit Cauer ist Augspurg zu jener Zeit zentrale Repräsentantin des radikalen Flügels der bürgerlichen Frauenbewegung. In Die Frauenbewegung publiziert sie bis 1912 die hochpolitische Beilage Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung. Ab 1912 gibt sie außerdem die Beilage für Frauenstimmrecht heraus, die bereits seit 5 Jahren die offizielle Verbandspublikation des Deutschen Verbands für Frauenstimmrecht ist. Als Teil des radikalen Flügels brachten Augspurg und ihre Mitstreiterinnen das Thema des Wahlrechts für Frauen in die bürgerliche Frauenbewegung ein. So ist es nicht verwunderlich, dass dieses Thema nicht nur das Sujet der Postkarte ist, sondern auch viele der Publikationen der Bewegung inhaltlich bestimmt.

Frauenbewegte Zeiten

Der Zeitpunkt der Postkarte lässt zudem aufmerken, denn ab 1911 ändert sich nicht nur für die Zeitschrift, sondern auch für den Verband einiges: Der Richtungsstreit, der schon seit 1907 zwischen den pazifistisch-radikalen und national-liberalen Verbandsmitgliedern um die Abschaffung des Klassenwahlrechts herrscht, nimmt eine endgültige Wendung zu Augspurgs Ungunsten, indem sich auf die Beibehaltung des Klassenwahlrechts eingelassen wird.  Zusammen mit ihrer Mitstreiterin und Lebensgefährtin Lida Gustava Heymann (1868–1943) tritt sie aus dem Verband aus und gründet den Deutschen Frauenrechtsbund. Und obwohl es vor und in den Kriegsjahren ruhiger um Augspurg wird, wird die von ihr und zahlreichen Frauenrechtlerinnen gestellte zentrale Forderung um das Frauenwahlrecht nach langem Kampf der Frauenbewegung 1918 schlussendlich in geltendes Recht umgesetzt.

Grete Meise-Hess
Quelle
Österreichische National Bibliothek
Lizenz
Grete Meisel-Hess
Anita Augspurg
Deutsches Historisches Museum, ZB 20 -119. 1902
Anita Augspurg

1911 markiert außerdem den Höhepunkt des Schaffens von Grete Meisel-Hess (1879–1922). Die österreichische Autorin ist für ihre Streitschriften und literarischen Werke zur sexuellen Befreiung der Frau bekannt. Das Werk Die Intellektuellen, um welches es in ihrer Anfrage vermutlich geht, wird 1911 veröffentlicht und erbringt ihr endgültige Bekanntheit in der deutschen, insbesondere der Berliner Frauenbewegung. Regelmäßig fragt sie in den Zeitschriften der ersten Frauenbewegung für mögliche Rezensionen ihrer Schriften zur Sexualmoral der Zeit an und steht ebenfalls mit Minna Cauer im Kontakt, wie weitere Digitalisate im META-Katalog belegen. So kennen wir den Briefwechsel mit Cauer, der auf ihre Anfrage an Augspurg folgte, und wissen, dass die Rezension ihres Romans Die Intellektuellen tatsächlich 1911 in Die Frauenbewegung erschien.

Viele verschiedene Ebenen werden also von dieser einzelnen Postkarte berührt, die zu einer spannenden Bedeutungsträgerin wird: Sie ist ein Zeugnis zentraler feministischer Akteurinnen und deren Vernetzungen, sie trägt Merkmale der gesellschaftlichen und frauenpolitischen Umstände der Vorkriegszeit und zeigt, welche tagtägliche (Netzwerk-) Arbeit in die Kämpfe der ersten Frauenbewegung eingeflossen sind.

Mehr Hinweise zu den Verbindungen der Akteur*innen der Frauenbewegung gibt es im Akteur*innennetzwerk  zu entdecken.

Stand: 07. September 2022
Lizenz (Text)

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