Geschichte des Frauenwahlrechts in Deutschland
1918 im November wurde in Deutschland das Frauenstimm- und -wahlrecht eingeführt und zwar durch den Rat der Volksbeauftragten. Dieses historische Ereignis führte in Deutschland dazu, dass die Gewährung der vollständigen Demokratie mit dem Ersten Weltkrieg verknüpft wurde und die spannende und ideenreiche Geschichte des Frauenwahlrechtskampfes, der fast im gesamten 19. Jahrhundert zu beobachten war, ignoriert wurde. Im Folgenden soll deshalb die Entwicklung der deutschen Frauenstimmrechtsbewegung im 19. Jahrhundert kurz skizziert und wichtige Organisationen und entscheidende Personen sollen vorgestellt werden.
Die Selbstständigkeit der Frauen im Staat – frühe Vordenkerinnen
In Deutschland war es Louise Otto (später Otto-Peters), die in der Zeit der bürgerlichen Revolution von 1848 die Erste war, die sich dezidiert für ein Wahlrecht der Frauen aussprach. Sie wurde am 26. März 1819 in Meißen als jüngstes Kind des Juristen Fürchtegott Wilhelm Otto und seiner Frau Christiane Charlotte, geb. Matthäi, geboren. Früh entschied sie sich, politische Schriftstellerin zu werden, und begann, sozialkritische Texte zu verfassen.
In der Revolutionszeit von 1848 stellte sich Louise Otto bedingungslos an die Seite der Erneuerer. 1849 gab sie die erste politische Frauenzeitung in Deutschland heraus und forderte in dieser „das Recht der Mündigkeit“ für die Frau und „die Selbständigkeit im Staat“. Damit sprach sie explizit das Wahlrecht auch für Frauen an und dies in einer Zeit, in der selbst die Revolutionäre in Frankfurt am Main, die in der Paulskirche tagten, die Frauen von der politischen Partizipation ausgeschlossen hatten. Dieser einmal eingeschlagenen Linie blieb Louise Otto auch in den Reaktionsjahren treu, auch später in ihrem Leben sah sie das Frauenwahlrecht als notwendig an.
Die Nächste, die mit spitzer Feder publizistisch das Wahl- und Stimmrecht für die deutschen Frauen forderte, war Hedwig Dohm. Im Jahr 1831 geboren, heiratete Marianne Adelaide Hedwig Schlesinger 1853 den leitenden Redakteur beim Satireblatt Kladderadatsch, Wilhelm Friedrich Ernst Dohm, und bekam in den nächsten Jahren fünf Kinder. Aber das Leben als Mutter, Hausfrau und geistreiche Gastgeberin füllte Dohm nicht aus. Sie begann zu schreiben und verfasste zahlreiche politische Essays, Romane, Novellen und sogar einige Märchen. Bekannt geworden ist sie vor allem für ihre scharfzüngige politische Literatur. 1876 erschien ihr Werk Der Frauen Natur und Recht, in dem sie sich intensiv mit dem Frauenstimmrecht beschäftigte. Dieser Text ist eine offene Kampfansage an alle Antifeministen und Antifeministinnen der Zeit und ein flammendes Plädoyer für das Frauenwahlrecht. Interessant ist, dass Dohm nicht wortreich zu erklären versuchte, warum das Wahlrecht für die Frau wichtig sei. Vielmehr drehte sie den Spieß um und verlangte von den Gegner_innen eine schlüssige Argumentation, warum diese den Frauen das Wahlrecht vorenthielten: „Warum soll ich erst beweisen, daß ich ein Recht dazu habe? […] Der Mann bedarf, um das Stimmrecht zu üben, eines bestimmten Wohnsitzes, eines bestimmten Alters, eines Besitzes, warum braucht die Frau noch mehr?“
Diese Stimmen hatten das Terrain für eine Frauenwahlrechtsagitation sicher vorbereitet; es war dann aber die Frauenbewegung, die ab den 1890er-Jahren begann, organisiert für das Frauenwahlrecht zu kämpfen.
Organisierung für das Frauenstimmrecht
Auch die Frauenbewegung war durch das Sozialistengesetz, welches zwischen 1878 und 1890 die Ausbreitung der Sozialdemokratie verhindern sollte, am Wachsen gehindert worden. Erst als dieses nicht mehr verlängert wurde, konnte die Frauenbewegung Fahrt aufnehmen, wobei sie immer noch durch eine extrem rigide Vereinsgesetzgebung an der politischen Arbeit gehindert wurde. Denn in einigen Ländern des Kaiserreichs waren Vereinsgesetze in Kraft, die Frauen ausdrücklich untersagten, sich politisch zu betätigen. Diese Einschränkung wurde erst 1908 aufgehoben, als im Wilhelminischen Deutschland ein reichsweit einheitliches Vereinsgesetz erlassen wurde und dabei die Sonderbestimmungen gegen Frauen aufgehoben wurden.
Entgegen der Ergebnisse früherer Forschungen haben sich nicht nur die Protagonistinnen der ‚radikalen‘ bürgerlichen Frauenbewegung und die Sozialdemokratinnen für das Frauenwahlrecht eingesetzt. Auch die als bürgerlich-gemäßigt geltenden Frauen wandten sich früh den Forderungen nach einem Wahlrecht für Frauen zu. Ein Beispiel ist hier die Lehrerin Helene Lange, die 1896 eine Publikation zum Stimmrecht veröffentlichte. 1902 nahm auch der große Dachverband Bund deutscher Frauenvereine (BDF) den Kampf für das Frauenwahlrecht in sein Programm auf.
Im gleichen Jahr gründete Anita Augspurg in Hamburg den ersten Frauenwahlrechtsverein, den Deutschen Verein für Frauenstimmrecht, und von diesem Moment an folgte eine Flut von Publikationen, Petitionen und Vorträgen, die sich alle mit dem Frauenstimmrecht auseinandersetzten. Dabei gab es durchaus inhaltliche Unterschiede in den Debatten, denn nicht alle Frauen strebten ein freies, gleiches, geheimes und direktes Wahlrecht an. Viele Frauen, vor allem in Preußen, favorisierten als ‚Zwischenschritt‘ ein Wahlrecht, wie Männer es hatten: im preußischen Fall also ein Dreiklassenwahlrecht für Frauen.
Diese Position war höchst umstritten und so kam es zur Spaltung der deutschen bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung. Vor dem Ersten Weltkrieg existierten in Deutschland dann drei Frauenstimmrechtsvereine. Minna Cauer, die im Deutschen Stimmrechtsbund aktiv war, fasste diese Entwicklung im Februar 1914 mit den Worten zusammen: „Es ist nunmehr genügend Auswahl vorhanden, so daß jeder sein Feld sich aussuchen kann; das konservative, das gemäßigte und das demokratische. Rechnen müssen die Frauen also jetzt mit diesen drei Richtungen der bürgerlichen Frauenstimmrechtsbewegung in Deutschland.“
Die proletarische und die internationale Frauenbewegung
Die proletarische Frauenbewegung wusste ihre Partei, die SPD, hinter sich, die 1891 – auf Druck von Clara Zetkin – das Frauenstimmrecht in ihr Wahlprogramm aufgenommen hatte. Um Propaganda für das Frauenstimmrecht zu machen, hatten die Sozialdemokratinnen 1910 einen jährlichen Agitationstag ausgerufen, den Internationalen Frauentag, der am 19. März 1911 in Deutschland und in anderen Ländern zum ersten Mal stattfand. Ziel war es, an diesem Tag Propaganda für das Frauenstimmrecht zu machen.
Auch die bürgerlichen Frauenstimmrechtlerinnen organisierten sich international; so wurde bereits 1904 in Berlin der Weltbund für Frauenstimmrecht (International Woman Suffrage Alliance [IWSA] – ab 1926: International Alliance of Women) gegründet. Auf regelmäßig stattfindenden internationalen Tagungen kamen die Aktivistinnen zusammen, um über die erfolgreichsten Strategien und Aktionen zu berichten.
Im Ersten Weltkrieg: zwischen Heimatfront und Friedensbewegung
Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges beendete zunächst alle Bemühungen um das Frauenwahlrecht. Die Männer zogen an die Front und die (meisten) Frauen organisierten die sogenannte Heimatfront; ein kleiner Teil engagierte sich für den Frieden und schaffte es, zwei Frauen-Friedenskonferenzen einzuberufen. Die sozialdemokratischen Pazifistinnen trafen sich 1915 in Bern, die bürgerlichen Pazifistinnen in Den Haag.
Das Erlahmen der Aktivitäten um das Frauenwahlrecht endete, als der deutsche Kaiser Wilhelm II. 1917 in seiner Osterbotschaft eine demokratische Wahlrechtserweiterung in Aussicht stellte, die Frauen und ihre Forderung dabei aber ignorierte. Aufgrund dieses kaiserlichen Schweigens kam es ab 1917 zu einem breiten Frauenbündnis, welches gemeinsam das Frauenwahlrecht erreichen wollte. Im Herbst des Jahres veröffentlichten die Frauen der Mehrheitssozialdemokratie (die SPD hatte sich im Weltkrieg in eine MSPD und eine USPD, Unabhängige Sozialdemokratie, gespalten), der Reichsverband für Frauenstimmrecht und der Deutsche Stimmrechtsbund eine gemeinsame Erklärung zur Wahlrechtsfrage. Zwischen Dezember 1917 und November 1918 kam es in vielen größeren Städten immer wieder zu gemeinsamen Kundgebungen zum Frauenwahlrecht, allerdings ohne Erfolg. Deshalb starteten die Stimmrechtlerinnen im Oktober 1918 einen letzten Versuch. Sie schickten eine Eingabe an den Reichskanzler Prinz Max von Baden, in der um eine Unterredung nachgesucht wurde. Die Liste der Unterzeichnerinnen war beeindruckend: Marie Juchacz für die Mehrheitssozialdemokratinnen (MSPD), Anita Augspurg für den Deutschen Bund für Frauenstimmrecht, Gertrud Hannah für das Arbeiterinnensekretariat der Generalkommission der Freien Gewerkschaften, Getrud Bäumer für den Bund deutscher Frauenvereine, Lida Gustava Heymann für den Deutschen Frauenausschuß für dauernden Frieden, Helene Lange für die Frauenorganisation der Fortschrittlichen Volkspartei, Clara Mende für die nationalliberalen Frauen und Marie Stritt für den Deutschen Reichsverband für Frauenstimmrecht. Zu einer Unterredung mit dem Reichskanzler kam es dann allerdings nicht mehr; am 12. November 1918 proklamierte der Rat der Volksbeauftragten, der das politische Heft in die Hand genommen hatte, das künftige demokratische Wahlrecht, wodurch das preußische Dreiklassenwahlrecht abgeschafft und das aktive und passive Frauenwahlrecht eingeführt worden war.
Und dann?
Nun war die Stunde gekommen, in der alle Parteien sich um Wählerinnen und auch um kandidierende Politikerinnen kümmern mussten. Spezielle Wahlwerbungen für Frauen wurden geschaltet und auch die Frauenbewegung machte Aufklärungsarbeit für die Wahl.
Am 19. Januar 1919 fand die Wahl zur Deutschen Nationalversammlung statt; sie war die erste reichsweite Wahl nach dem Verhältniswahlrecht und die erste, in der Frauen das aktive und passive Wahlrecht hatten. In die verfassungsgebende Nationalversammlung wurden 37 Frauen aus 5 Parteien gewählt.
Die ersten Parlamentarierinnen waren:
Für die SPD: Lore Agnes, Anna Blos, Minna Bollmann, Wilhelmine Eichler, Frieda Hauke, Else Höfs, Marie Juchacz, Wilhelmine Kähler, Gertrud Lodahl, Frida Lührs, Ernestine Lutze, Toni Pfülf, Johanne Reitze, Elfriede Ryneck, Elisabeth Röhl, Minna Martha Schilling, Louise Schroeder, Clara Schuch, Anna Simon und Johanna Tesch.
Für die USPD: Anna Hübler und Luise Zietz.
Für die Deutsche Demokratische Partei: Marie Baum, Gertrud Bäumer, Elisabeth Brönner, Elise Ekke, und Katharina Kloss.
Für die Deutsch-Nationale Volkspartei: Margarete Behm, Anna von Gierke, Käthe Schirmacher.
Für das Zentrum – vergleichbar mit der heutigen CDU: Hedwig Dransfeld, Agnes Neuhaus, Maria Schmitz, Christine Teusch, Helene Weber und Marie Zettler.
Für die Deutsche Volkspartei: Clara Mende.
Obwohl sich bald herausstellte, dass das Frauenwahlrecht nicht die allgemeine Gleichberechtigung der Geschlechter brachte und sich eine politische Arbeitsteilung etablierte, die Frauen auf bestimmte Politikbereiche festlegte, veränderte das Frauenwahlrecht die politische Landschaft des Landes nachhaltig.