- Bundesarchiv, Bild 146-1987-143-05
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Über Lida Gustava Heymann
Ausbruch aus den Konventionen der Zeit
„Nichts ist unmöglich!“ war ihre Vision, um „Freiheit, Recht und Menschenwürde zur Grundlage allen Seins zu erheben“.1
Als dritte von fünf Töchtern des aus Hamburg stammenden, brasilianischen Großkaufmanns Gustav Christian Heymann und dessen Ehefrau Adele (geb. von Hennig), wurde Lida Gustava Heymann am 15. März 1868 in Hamburg geboren.2 In eine Zeit hineingeboren, in der Frauen keinerlei Rechte hatten, erhielt sie die standesgemäß klassische Bildung ihrer Zeit: Zunächst wurde sie privat zu Hause unterrichtet, dann besuchte sie eine höhere Töchterschule und anschließend ein internationales Mädchenpensionat in Dresden. Zurückgekehrt nach Hamburg entschied sie, ihr Leben so frei wie möglich zu gestalten. Sie unterrichtete zunächst Kinder in einer Armenschule und bekam so auch Kontakt zu den Müttern, die sie unterstützen wollte. Als die Armenschulen in den 1890er-Jahren verstaatlicht wurden, durfte sie ohne fachliche Ausbildung nicht weiter unterrichten. Um den Kontakt zu den Müttern der Kinder nicht zu verlieren, gründete sie eine private Nähschule in ihrem Elternhaus.3
Ihrem Vater imponierte diese Entschlossenheit seiner Tochter.4 Er bezog sie früh in seine Geschäfte mit ein und bestimmte sie neben zwei weiteren Vertrauten der Familie zur Verwalterin seines Nachlasses. Abgesichert durch eine großzügige Leibrente war Lida Gustava Heymann nach dem Tod des Vaters am 13. Februar 1896 finanziell absolut unabhängig. Zudem wurde sie Ende desselben Jahres in Hamburg naturalisiert (eingebürgert)5, was ihr fortan ermöglichte, unter anderem selbstständig Geschäfte abzuschließen und das Vermögen ihres Vaters zu verwalten. Mit diesen besten Voraussetzungen begann sie, ihr soziales Engagement und ihre finanziellen Möglichkeiten gezielt zur Unterstützung und Verbesserung der Lebenssituationen von Frauen einzusetzen.6
Soziales Engagement und der Kampf gegen die Doppelmoral
Zunächst organisierte sie einen Mittagstisch für Ladnerinnen (Verkäuferinnen) und deren Kinder, für den sie eine Etage in einem Geschäftshaus im Innenstadtzentrum anmietete.7 Im Juni 1896 gehörte sie zu den Gründungsmitgliedern der Hamburger Ortsgruppe des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) von 1865, der durch Bildung von Frauen deren gesellschaftliche Situation zu verändern versuchte.8
Als eine der Vertreterinnen dieser Ortsgruppe besuchte Lida Gustava Heymann im September 1896 den ersten Internationalen Frauenkongress für Frauenwerke und Frauenbestrebungen in Berlin, der ihr bedeutende Anregungen gab, ihr eigenes Engagement zielgerichtet zu gestalten. Zudem wurde sie in Berlin erstmals mit dem Thema ‚Prostitution‘ konfrontiert, das ausschlaggebend wurde für ihre spätere radikale Politisierung, mit der sie Zeit ihres Lebens gegen die Doppelmoral kämpfte.9
Vom Kongress inspiriert traf Lida Gustava Heymann recht zügig die Entscheidung, ein Haus in der Hamburger Innenstadt zu kaufen, in dem sie nicht nur den Mittagstisch für Frauen und einen Kinderhort unterbringen konnte, sondern darüber hinaus auch Beratungen und Vernetzung ermöglichte.10 Damit war sie Aktivistin ebenso wie Mäzenin der radikalen bürgerlichen Frauenbewegung.11 Im April 1897 eröffnete sie nach kurzen Umbauarbeiten ein einmaliges Zentrum für Frauen und Kinder mit Mittagstisch, Kinderhort, einer Badeanstalt mit Wannenbädern und Duschen und einer Beratungsstelle.12 „War das für uns alle ein stolzes Gefühl! Eine zweite und dritte Etage, ein Kellergeschoß und Hofraum zur freien Verfügung, dort konnten wir schalten und walten, wie es uns gefiel. […] Es folgten beglückende Jahre des Schaffens, des Helfens, des Aufbauens, des Kampfes für die Befreiung der Frau, für Gleichheit und Freiheit.“13
Um gesellschaftlich etwas zu bewirken, um gehört und wahrgenommen zu werden, schlossen Frauen sich in Vereinen zusammen.14 Vor diesem Hintergrund fiel Lida Gustava Heymann bald in Hamburg auf durch die Gründung von Vereinen mit radikalen Forderungen, wie dem Verein Frauenwohl, der für die Gleichstellung der Frau auf allen gesellschaftlichen Gebieten eintrat, und dem Verein der Internationalen Abolitionistischen Föderation, der sich für die Abschaffung der Reglementierung von Prostituierten einsetzte.15 Diese Forderungen berührten Gesellschaft und Politik zugleich und hatten zur Folge, dass Lida Gustava Heymann fortan von der politischen Polizei überwacht wurde – dies bis 1918.
Frauenwahlrecht und Überwachung
Überzeugt davon, dass sich ohne politische Mitbestimmung auch die soziale Situation von Frauen nicht verbessern würde, hatte Lida Gustava Heymann in einem Vortrag bereits 1899 öffentlich erklärt, "die radikale Frauenbewegung müsse vor allem das Stimmrecht erreichen. Man habe lange genug bescheiden darum gebeten, jetzt müsse man es als Recht fordern.“16 So wurde 1902 der Vorschlag von Anita Augspurg, gemeinsam mit anderen in Hamburg den ersten Deutschen Verein für Frauenstimmrecht zu gründen, sofort umgesetzt. Jetzt konnten sich im Deutschen Kaiserreich Frauen erstmals für das Wahlrecht organisieren. Bereits zwei Jahre später wurde der Verein in den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht umgewandelt, was den Anschluss an den neu gegründeten Weltbund für Frauenstimmrecht ermöglichte.17
Lida Gustava Heymann zählte damals zu den prominenten und gefragtesten Rednerinnen für das Frauenstimmrecht. So entstanden unter anderem durch die Agitation der Frauenstimmrechtlerinnen ‚der ersten Stunde‘ bald auch in anderen Städten Frauenstimmrechtsvereine. In dieser Zeit war Lida Gustava Heymann zudem Mitglied der Deutschen Freisinnigen Volkspartei, deren männlich dominierte Strukturen und Arbeitsweisen sie jedoch nach wenigen Jahren zum Austritt bewogen.18
Neuverortung
Etwa 1903 übergab sie die soziale Arbeit in Hamburg ihren Mitarbeiterinnen, um als Gasthörerin zur Vorbereitung auf eine weiterführende politische Arbeit an den Universitäten in Berlin und München zu studieren. Um 1905 verlegte sie ihren Hauptwohnsitz nach Bayern, wo sie sich im Isartal gemeinsam mit Anita Augspurg auf einem eigenen Hof landwirtschaftlich betätigte. Darüber hinaus engagierten sich beide Frauen weiter für das Frauenstimmrecht und organisierten 1912 in München einen ersten Demonstrationszug.
Als im August 1914 die Mobilmachung für den Ersten Weltkrieg erfolgte, waren Lida Gustava Heymann und Anita Augspurg über die Frauenstimmrechtsbewegung lange schon international vernetzt und gehörten als Pazifistinnen zu den Mitinitiatorinnen des ersten Internationalen Frauenfriedenskongress 1915 in Den Haag, an dem mehr als 1100 Vertreterinnen aus europäischen Ländern und den USA teilnahmen.19 Im Ergebnis wurden Resolutionen darüber, wie der Krieg zu beenden sei, an Vertreter politischer Regierungen verschiedener kriegs- und nicht kriegsführender Länder und der USA überbracht. Zur Fortführung der auf diesem Kongress begonnenen Arbeit für Frieden und Völkerverständigung wurde 1915 der Internationale Frauenausschuss für dauernden Frieden (IFDF) gegründet. Weltweit wurden nun Länderausschüsse organisiert, um diese Arbeit fortzusetzen. Das Büro des deutschen Ausschusses in München wurde von Lida Gustava Heymann geleitet. Die bayerische Regierung erklärte ihre Aktivitäten recht bald als „kriegsgefährdend“ und wies sie 1917 offiziell aus Bayern aus.20 In Hamburg hätte sie vor dem Hintergrund ihrer öffentlich pazifistischen Aktivitäten eine einjährige Haftstrafe21 erwartet, weshalb sie sich bis zum Kriegsende in München bei ihrer Schwester versteckte.22
Im Mai 1919 kamen die Frauen der Länderausschüsse in Zürich zusammen und der IFDF wurde umbenannt in den noch heute geführten Namen Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF), deren erste Vizepräsidentin bis 1924 Lida Gustava Heymann war. Die IFFF protestierte als erste internationale Organisation gegen die Bedingungen des Versailler Friedensvertrags.23
Nach dem Krieg, November 1918, bekamen Frauen in Deutschland das aktive und passive Wahlrecht, sodass 1919 die ersten freien Wahlen gleichberechtigt stattfinden konnten. Für eine umfassende politische Bildung brachte Lida Gustava Heymann gemeinsam mit Anita Augspurg nun die Monatszeitschrift Die Frau im Staat heraus, die inhaltlich radikal pazifistische und feministische Positionen vertrat und entscheidend von Lida Gustava Heymann geprägt wurde.24
Politische Arbeit und Exil
Lida Gustava Heymann kandidierte 1919 auf der Liste der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) als Parteilose für die deutsche Nationalversammlung, erhielt aber nicht ausreichend Stimmen. Früh erlebte die Pazifistin die Angriffe der aufstrebenden Nationalsozialisten. Noch vor dem misslungenen Hitler-Putsch 1923 forderte sie mit anderen vergebens die Ausweisung Hitlers aus Bayern und bot insbesondere mit diesem Engagement schon früh eine Angriffsfläche für die Nationalsozialisten.
Zum Zeitpunkt der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 befanden sich Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann auf einer Auslandsreise. Da sich beide Frauen der Lebensgefahr25 bei einer Rückkehr nach Deutschland bewusst waren, entschieden sie sich, zunächst in der Schweiz zu bleiben. Finanzielle Mittel waren noch vorhanden und die Freundinnen der IFFF unterstützten die beiden mit Unterkünften. Während sie hofften, dass sich die Situation bald schon wieder verändern würde, wurde Lida Gustava Heymann im Hintergrund aktiv durch Unterstützung der Gründung (1933) einer Stiftung zur Völkerverständigung, dem PAX Jugendwerk26: Jährlich lud die Stiftung sechs Kinder aus Deutschland und sechs Kinder aus Frankreich in die Schweiz ein zu einem sechswöchigen Ferienaufenthalt. Das Engagement für diese Stiftung gehörte zwischen 1933 und 1942 zu den wenigen Aktivitäten, an denen Lida Gustava Heymann sich im Exil noch beteiligen konnte, insbesondere, nachdem 1934 ihr gesamtes Vermögen durch die Nationalsozialisten konfisziert worden war.
In der Schweiz verfasste sie mit Anita Augspurg die gemeinsamen Memoiren Erlebtes - Erschautes. Am 31. Juli 1943 starb sie wenige Monate vor Anita Augspurg in Zürich, wo noch heute eine Gedenkplatte auf dem Friedhof Fluntern an ihre Grabstätte erinnert.
In Hamburg wurde bereits 1946 eine Straße nach ihrem vollen Namen benannt, die wenige Jahre später der Länge wegen in Heymannstraße umbenannt wurde. Seit 2009 erinnert in Hamburg eine Gedenktafel in der Europapassage an Lida Gustava Heymann.27
Netzwerk von Lida Gustava Heymann
Zitate von Lida Gustava Heymann
Biografie von Lida Gustava Heymann
Fußnoten
- 1 Heymann, Lida Gustava (in Zusammenarbeit mit Dr. jur. Anita Augspurg): Erlebtes – Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850-1940 [1941]. Hrsg. v. Margrit Twellmann [1972]. Frankfurt a. M. 1992, S. 327.
- 2 Ebenda, S. 35 ff.
- 3 Ebenda.
- 4 Ebenda, S. 44.
- 5 Hoffkamp, Sabine: Grenzgebiet Paulstraße, Vortrag auf der Tagung Feminismus und Öffentlichkeit(en): Widerstand, Potentiale und Interventionen, organisiert von der Fachgruppe Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht, Frankfurt a. M. 4.–6.10.2017.
- 6 Dölle, Gilla: Die (un)heimliche Macht des Geldes, Finanzstrategien der bürgerlichen Frauenbewegung in Deutschland zwischen 1865 und 1933, in: Hering, Sabine (Hg.): Siegener Frauenforschungsreihe, 2. Bd., Frankfurt a. M. 1997, S. 87.
- 7 Ebenda.
- 8 Vgl. Heinsohn, Kirsten: Politik und Geschlecht. Zur politischen Kultur bürgerlicher Frauenvereine in Hamburg, Hamburg 1997, S. 210 f.
- 9 Heymann: Erlebtes - Erschautes, S. 75.
- 10 Ebenda, S. 51.
- 11 Dölle: Die (un)heimliche Macht des Geldes. S. 82–90.
- 12 Hoffkamp: Lida Gustava Heymann, in: Kopitzsch, Franklin / Brietzke, Dirk (Hg.): Hamburgische Biografie, Personenlexikon, 5. Bd., Göttingen 2010, S. 188 ff.
- 13 Heymann: Erlebtes - Erschautes, S. 50.
- 14 Heinsohn: Politik und Geschlecht, S. 10.
- 15 Hoffkamp: Lida Gustava Heymann, S. 189.
- 16 Zitiert nach Himmelsbach, Christiane: „Verlaß ist nur auf unsere eigne Kraft!“, Oldenburg 1996, S. 66.
- 17 Wischermann, Ulla: Frauenbewegungen und Öffentlichkeiten um 1900. Netzwerke, Gegenöffentlichkeiten, Protestinszenierungen, Frankfurt a.M. 2003, S. 108.
- 18 Kinnebrock, Susanne: Anita Augspurg (1857–1943). Feministin und Pazifistin zwischen Journalismus und Politik. Eine kommunikationshistorische Biographie, Herbolzheim 2005, S. 276.
- 19 Wilmers, Annika: Frieden - Gewalt - Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung in Davy, J. A. et al. (Hg.), Essen 2005, S. 123–143.
- 20 Heymann: Erlebtes - Erschautes, S. 157
- 21 Hamburgischer Korrespondent vom 2.6.1915, Nr. 275.
- 22 Heymann: Erlebtes - Erschautes, S. 157.
- 23 Ebenda.
- 24 Kinnebrock: Anita Augspurg, S. 477 f.
- 25 Streubel, Christiane: Radikale Nationalistinnen: Agitation und Programmatik rechter Frauen in der Weimarer Republik, Frankfurt a.M. 2006, S. 217.
- 26 Hoffkamp, Sabine / Pater, Monika: Praktischer Pazifismus als Beitrag zur Demokratisierung in Europa, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte, Missionen und Visionen – Frauenbewegungen in Europa, 2011, H. 60, S. 51–57.
- 27 Hoffkamp, Sabine: Lida Gustava Heymann, S. 190.