Traditionslinien migrantischer Selbstorganisation
2001 gibt der Kölner Frauengeschichtsverein einen Band mit dem Titel Was erreicht? Frauenbewegte Lebensgeschichten aus der Sicht unterschiedlicher Kulturen heraus. Das Thema: Frauenprojekte und Frauengruppen in Köln – mit einem Fokus auf migrantische Selbstorganisation. „Dieser Fokus war damals für die weiß-dominierte Frauenbewegung gar nicht so üblich“, erklärt Nuria Cafaro vom Kölner Frauengeschichtsverein, „zumindest gibt es wenige Publikationen zum Thema der migrantischen Selbstorganisation zu dieser Zeit“. Damit reagieren die Aktivistinnen des Geschichtsvereins auf die seit den 1980er Jahren erstarkende Bewegung migrantischer Frauen und den Austausch mit deutschen Frauenbewegungen. Exemplarisch dafür steht die Konferenz Sind wir uns denn so fremd?, die 1984 in Frankfurt am Main stattfand.
Zeit der Mobilisierung
Damit möchte das Projekt auch mit der Erzählung aufräumen, dass die 1990er Jahre eine stille Zeit in Bezug auf die Frauenbewegung war. So zeigt der Iranisch-deutsche Frauenverein – deren iranische Mitglieder in den 1980ern nach Deutschland flohen – exemplarisch, wie aktiv sich diese Frauen, die oftmals schon in ihrer Heimat politisch aktiv waren, in Deutschland engagierten. Am Beispiel von AGISRA, der Arbeitsgemeinschaft gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung, deren Organisationsmaterialien einen Großteil des zu digitalisierenden Bestandes für das Projekt ausmachen, lassen sich zusätzlich die vielfältigen politischen Arbeiten nachzeichnen, die migrantische Frauenorganisationen leisteten.
Inspiriert von der AGISRA-Gründung in Frankfurt am Main, sollte auch ein Standbein in Köln etabliert werden, dass auf das Engagement von vier Frauen zurückgeht und schon 1993 über Arbeitsbeschaffungsstellen von der Bundesanstalt für Arbeit und städtischen Förderungen auf offizielle Beine gestellt wurde. Zahlreiche Flyer, Broschüren und auch Fotos zeigen, wie aktiv AGISRA in Informations-, Beratungs- und Unterstützungstätigkeiten für migrantische Frauen, aber auch im Lobbying und der Öffentlichkeitsarbeit war. Und AGISRA ist nur eine von vielen Organisationen, was eine Broschüre des Bunten Frauennetzwerks in Köln zeigt. Diese stellt im Überblick alle migrantischen Frauenorganisationen vor und soll als Teil des diesjährigen Projekts digitalisiert werden.
Der Blick zurück für einen Schritt nach vorn?
Das Projekt ermöglicht einen Blick auf die Vorgängerinnen und Vorkämpferinnen heutiger migrantischer Frauenbewegungen. „Komischerweise passiert hier der Blick nach hinten gar nicht so häufig“, so Nuria Cafaro, die das DDF-Projekt maßgeblich wissenschaftlich begleitet. „Und das ist wirklich schade, denn an die Themen, die damals diskutiert wurden und auch an die Lösungen, die für Problemlagen gefunden wurden, könnte eigentlich gut angeknüpft werden.“
So war der Umgang mit Rassismen innerhalb der gemischten Gruppen auch schon damals ein Problem, der neben Vorurteilen und Ausschlüssen auch vom Kampf um die Besetzung von Stellen und migrantische Deutungsmacht geprägt war. Dennoch wurden hier praktische Lösungen gefunden. Heidi Thiemann, eine der Mitbegründerinnen von AGISRA Köln, begrenzte zum Beispiel ihre eigene Stelle auf die Laufzeit von einem Jahr, um diese für migrantische Frauen freizumachen. Noch heute ist es für AGISRA wichtig, Stellen mit migrantisierten Frauen zu besetzen. Für die Historikerin Nuria Cafaro ist klar: „Da wurden Diskussionen auf einem Niveau geführt und total anwendbare Lösungen gefunden, die mich überraschen, weil einfach so wenig davon bekannt ist.“ Damit derartige Prozesse und konstruktive Auseinandersetzungen wieder bekannt werden, ist eine Arbeit an den Materialien von damals unabdingbar. Denn: Der Blick zurück kann für gegenwärtige feministische Kämpfe einen bedeutsamen Schritt nach vorne bedeuten!
Der Kölner Frauengeschichtsverein wurde 1986 gegründet und macht seither Frauengeschichte in Köln sichtbar. Hier werden Stadtrundgänge, Veranstaltungen und Vorträge angeboten, Ausstellungen erstellt und Bücher, Artikel und Broschüren zur Kölner Frauengeschichte veröffentlicht. Zudem werden Frauengeschichte(n) und die Geschichte der Kölner Frauen*-/Lesben- und Migrantinnenbewegung in unserer Fachbibliothek und in unserem Archiv dokumentiert.
Das DDF-Kooperationsprojekt vom Kölner Frauengeschichtsverein ist am 1. Januar 2022 gestartet und hat eine Laufzeit von zwölf Monaten. Es werden Interviews mit Zeitzeuginnen geführt, Materialien aus dem eigenen Bestand digitalisiert, erfasst, Rechte geklärt und zwei Essays zu AGISRA und den Aktivitäten migrantischer Selbstorganisation in Köln verfasst.
Ausgewählte Beiträge des Frauengeschichtsverein Köln in DDF und META:
- Essay über Emanzipation Frauen Argumente –Zeitschrift der neuen Frauenbewegung
- Essay zum Politischen Nachtgebet
- Digitalisate zum Frauentheater Piccolo in Köln
- zur Arbeit von AGISRA: DDF-Podcast zu Migration, Flucht & Stadtpolitik