#femaleheritage entdecken

veröffentlicht 13. November 2020
Helene Stöcker (1869–1943) forderte u.a. die Öffnung aller Berufe für Frauen, Straffreiheit von Homosexualität, die Freigabe von Verhütungsmitteln und Abschaffung des § 218.
Helene-Lange-Archiv, B Rep. 235-20 115
Helene Stöcker (1869–1943) forderte u.a. die Öffnung aller Berufe für Frauen, Straffreiheit von Homosexualität, die Freigabe von Verhütungsmitteln und Abschaffung des § 218.

Sie forderte nichts Geringeres als das Recht auf Selbstbestimmung der Frau. „Ganz im Gegensatz zum kategorischen Imperativ, dass jeder Mensch als Selbstzweck, nicht als Mittel zu betrachten sei, ist die Frau in der alten Sexualmoral bisher nicht als Mensch, als Seele, als Persönlichkeit gewertet worden, sondern als Sache, als Leib, als Mittel zum Genuss oder Kindergebärerin.“[1]

Geboren am 13. November 1869 in Elberfeld/Wuppertal galten diese Sätze der damals ungefähr 30-jährigen Helene Stöcker im deutschen Kaiserreich als unerhört. Wer war also diese Frau, die es wagte, über weibliche Sexualität, körperliche Selbstbestimmung und außereheliche Lebensgemeinschaften und Mutterschaft öffentlich zu sprechen?

Frauenstimmrecht und sexuelle Selbstbestimmung

Helene Stöcker (1869–1943), Frauenrechtlerin, Philosophin und Publizistin, gehörte dem radikalen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts an. In der wilhelminischen Gesellschaft herrschte eine rigide Geschlechterordnung, die jedoch zunehmend zu bröckeln begann.

Der Befreiungskampf der Frauen zielte nicht nur auf den Zugang zu den Universitäten und die Erlangung des Wahlrechts ab. Nach Ansicht von Stöcker war auch eine Sexualmoral notwendig, die eine körperliche und sexuelle Selbstbestimmung von Frauen vorsah und eine grundlegende Veränderung der Beziehungen zwischen Mann und Frau forderte (‚Neue Ethik‘).

Zugleich kämpfte sie für die rechtliche wie materielle Verbesserung alleinstehender Mütter. Helene Stöcker gründete 1905 den Bund für Mutterschutz, der sich drei Jahre später in Bund für Mutterschutz und Sexualreform umbenannte. Von 1880 bis 1933 gab sie zudem die verbandseigende Zeitschrift Die Neue Generation heraus.

Akteur*innen, Netzwerke, historische Dokumente

Helene Stöcker ist eine von zahlreichen Akteur*innen der Frauenbewegungen, die im Digitalen Deutschen Frauenarchiv zu entdecken sind. Das DDF bündelt das Wissen der deutschsprachigen Frauenbewegung. Es informiert über Akteur*innen, Netzwerke und Themen und zeigt Materialien von 33 feministischen Erinnerungseinrichtungen, die sich im i.d.a.-Dachverband organisieren.

Bücher, Zeitschriften, Plakate, teils unveröffentlichte Briefe und Protokolle machen so eine der größten sozialen Bewegungen des 20. Jahrhunderts digital greifbar. Für Recherchen ist der META-Katalog eine wertvolle Grundlage: Fachliteratur, zeitgeschichtliche Dokumente und Bestandsdaten sind digital für Bildung und Wissenschaft zugänglich.

Feministische Geschichtsschreibung

Das DDF bietet zudem weitere inhaltliche Themensammlungen wie Dossiers zu gesellschaftlich relevanten Ereignissen und betrachtet diese aus feministischer Perspektive. So macht das DDF Frauen*, die Geschichte machen, sichtbar. Das Jubiläumsjahr 2020 begleitet das DDF mit seinem Dossier 30 Jahre geteilter Feminismus und fragt darin, was Feminismus in Ost und West damals und heute verbindet.

2021 blicken wir besonders auf feministische und frauenbewegte Forderungen zum § 218 und ergründen dessen bereits 150-jährige Geschichte. Das DDF bereitet die vielstimmigen Diskussionen, Positionen und Kämpfe zu diesem auch innerhalb der Frauenbewegungen zentralen Thema – Selbstbestimmungsrecht und reproduktive Rechte – bis heute auf. Wiedertreffen werden wir hier auch Helene Stöcker. Sie und der von ihr gegründete Bund für Mutterschutz und Sexualreform werden im Dossier 2021 genauer vorgestellt.

Was fällt euch zu Frauen und Erinnerungskultur ein? An welche prägenden Frauen erinnert ihr euch? Welche weibliche Persönlichkeit ist vergessen und sollte eurer Meinung nach wieder aktiv erinnert werden? Noch bis zum 9. Dezember lädt die Münchner Monacensia-Bibliothek im Hildebrandhaus zur Blogparade „Frauen und Erinnerungskultur #femaleheritage“ (Laufzeit: 11. November bis 9. Dezember 2020) ein. Neben dem DDF beteiligen sich auch einzelne i.d.a.-Einrichtungen, u.a. das Archiv der deutschen Frauenbewegung (AddF).

 

[1] Stopczyk-Pfundstein, Annegret: Philosophin der Liebe. Helene Stöcker. Die „Neue Ethik“ um 1900 in Deutschland und ihr philosophisches Umfeld bis heute, Stuttgart 2003, S. 146–147.

Stand: 13. November 2020

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