Über Verein Frauenwohl

Der Verein Frauenwohl gründete sich 1888 in Berlin mit der Zielsetzung: „‚Anregung geben, Aufklärung bringen, Lücken ausfüllen, Einheitlichkeit und Harmonie anstreben auf einem so schwerwiegenden Gebiet, wie das Frauenleben es nun einmal in der Gegenwart darstellt“.

Die Gründung des Vereins Frauenwohl erfolgte „auf die Initiative einsichtiger Männer hin als ‚Frauengruppe der Deutschen Akademischen Vereinigung‘“.1  Zunächst blieb der Verein unter diesem Dach und bot Diskussions- und Vortragsabende an, an denen viele später in der Frauenbewegung engagierte Frauen teilnahmen. Fünf Jahre später wurde der Verein eigenständig und gab seit Mai 1893 die Zeitschrift Frauenwohl heraus.2

Zielsetzung

Die Mitglieder des Vereins wollten vorbildhaft wirken und damit Anhängerinnen und Anhänger für ihre Forderungen gewinnen. Die Festschrift des 25jährigen Jubiläums stand unter dem Motto von Hedwig Dohm, „Zeigt, daß ihr einer begeisterten Hingebung fähig seid, erweckt durch euer Tun und euer Werk die Gewissen der Menschheit.“3  Damit setzte der Verein auch noch 1913 ein politisches Statement und präsentierte sich als Verein, der sich für Frauenrechte, für Gleichberechtigung und insbesondere für das – „allgemeine, gleiche, direkte und geheime, aktive sowie das passive“ – Wahlrecht für alle Frauen einsetzte.

Satzung des Verein Frauenwohl Groß-Berlin, 1916

Auch initiierte der Berliner Verein 1894 die erste öffentliche Versammlung eines bürgerlichen Frauenvereins zu einem politischen Thema mit einem Vortrag von Lily von Gizycki, spätere Braun: „Die Bürgerpflicht der Frau“. Sie fasste darin alle Argumente für das Frauenstimmrecht zusammen und richtete einen „flammenden Appell an die Frauen und ihre Verantwortlichkeit für Staat, Gemeinde und das soziale Wohl.“ Für Ute Gerhard markiert dies den Beginn der deutschen Frauenbewegung als politische Bewegung.4 Die gemäßigte Mehrheit der Frauenvereine hielt die „lautstarke Forderung des Frauenstimmrechts“ zu diesem Zeitpunkt für verfrüht und unklug.5

Der Berliner Verein wurde zur „Wiege weiblichen Protests und frauenbewußter Politik“ und galt als der „Ausgangspunkt der meisten radikalen Initiativen“.6  ‚Radikal‘ war in erster Linie eine Selbstdefinition. Während publizistisch häufig Gräben zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung gezogen wurden, überschnitten sich ihre Netzwerke, Ziele, Aufgaben und Forderungen in vieler Hinsicht – auch im Hinblick auf die Forderung nach dem Frauenwahlrecht. Unterschiedlich war die Strategie, wie das Frauenwahlrecht erreicht werden könnte, aber auch hier gab es Überschneidungen.7

Netzwerk von Aktivistinnen

Herausragende Aktivistinnen im Verein Frauenwohl waren Minna Cauer, Lida Gustava Heymann, Anita Augspurg, die spätere Sozialistin Lily von Gizicky (Braun) und Else Lüders. Dieses Netzwerk von Aktivistinnen – thematisch und personell eng verflochten – gründete weitere Vereine wie 1888 durch Cauer den Kaufmännischen Hilfsverein für weibliche Angestellte, 1899 den Verband fortschrittlicher Frauenvereine, 1902 in Hamburg durch Anita Augspurg den Verein für Frauenstimmrecht, 1906 den Preußischen Landesausschuss (seit 1908 Landesverein) für Frauenstimmrecht – 1908 bis 1912 war Minna Cauer dessen Vorsitzende. Für Heymann waren sie „Spitzenorganisationen der ‚radikalen‘“.8  „In all ihren Tätigkeitsfeldern“, so Briatte-Peters, legten die Radikalen „großen Wert auf die Rechtsgleichheit zwischen Männern und Frauen und forderten konsequent das Wahlrecht für Frauen. Denn dieses solle die Frauen beflügeln, selbst für die Geschlechtergerechtigkeit der Gesetze zu sorgen.“ Minna Cauer setzte Hilfe zur Selbsthilfe zum Ziel. Für sie war der Verein Frauenwohl nicht primär dazu bestimmt, praktische Arbeit zu leisten, sondern vielmehr ‚Propagandaarbeit‘.9

Publikationen

Publikationen waren ein bedeutendes Propagandamittel der Frauenbewegung, besonders da ihr der parlamentarische Raum nicht zur Verfügung stand. Seit 1895 gab Minna Cauer die von ihr finanzierte und daher unabhängige Zeitschrift Die Frauenbewegung heraus, die das Vereinsblatt Frauenwohl ablöste. Insbesondere die Beilage Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung hatte die staatsbürgerliche Erziehung von Frauen und deren politische Aufklärung zum Ziel. Die Zeitschrift Frauenbewegung grenzte sich zunehmend stark vom BDF ab, warf ihm reine Frauenrechtlerei und Vereinsmeierei vor und ging teilweise in heftige Polemik über.10  Der Verein verfügte zudem über eine eigene Bibliothek zur Fortbildung.

Katalog der Bibliothek zur Frauenfrage des Vereins Frauenwohl Berlin

Arbeitsweise und Themenschwerpunkte

Neben den Publikationen war eine der wichtigsten Strategien die Organisation von Diskussionsabenden mit Vorträgen, wie 1903 mit Else Lüders über „Die Frauen und die Landtagswahlen“. Bedeutend war auch die Formulierung von und Agitation für Petitionen. Sie dienten zur Anregung von Veränderungen auf parlamentarischer Ebene, darüber hinaus musste aber ein Konsens über die politische Zielrichtung erarbeitet werden. Petitionen trugen politische Themen zu Mitstreitenden, mobilisierten sie und politisierten bestimmte Themenbereiche.

Diskussionsabende des Vereins Frauenwohl, 1903 - 1911
Petitionen und Rundschreiben des Vereins Frauenwohl

Der Verein Frauenwohl stritt unter anderem für eine freie politische Betätigung und Meinungsäußerung von Frauen – was in den meisten Bundesstaaten bis 1908 nicht möglich war –, er erörterte politische Tagesfragen und bot politische Kurse an. Er forderte die Einstellung von Ärztinnen, eine Reform des Gefängniswesens, gründete in Hamburg eine Reformschule und wählte mit dem koedukativen Ansatz bewusst einen anderen Weg als Helene Lange mit ihren Gymnasialkursen für Mädchen.11
Die Frauenwohl-Vereine setzten sich ein für: Arbeiterinnen, die Einführung der weiblichen Fabrikinspektion, das Frauenstimmrecht bei Gewerbegerichten, 1den Streik von Konfektionsarbeiterinnen im Jahr 1896 etc. Wenig erfolgreich organisierten sie eine gewerkschaftsähnliche Bewegung für Dienstbotinnen. Clara Zetkin lehnte als Vertreterin der proletarischen Frauenbewegung solche Initiativen für Arbeiterinnen von Seiten der bürgerlichen Frauenbewegung ab und „erklärte die Interessen der bürgerlichen und der proletarischen Frauen für unvereinbar.“12

Die Aktivistinnen reisten auch durch die Provinz und regten Gründungen von Schwesternvereinen an.13  Neben dem Berliner Verein gab es zahlreiche lokale Vereine14 , die relativ unabhängig agierten. Minna Cauer drängte 1897 auf einer Delegiertenversammlung auf einen stärkeren Zusammenschluss – es wurden aber nur gemeinsame Ziele verfasst. Im Januar 1899 lösten sich nach einer „ekelhafte[n] Wahlschlacht“ einige Frauenwohl-Vereine vom Berliner Hauptverein, weil sie sich nicht den radikalen Positionserklärungen des Hauptvereins, wie zur Abschaffung der reglementierten Prostitution und zu Aufgaben des BDF, anschließen wollten.15

Verein Frauenwohl, BDF und Verband fortschrittlicher Frauenvereine (VFF)

Bereits bei der Gründungsversammlung des BDF 1894 „herrschte Uneinigkeit zwischen den Frauen, die sich später dem ‚radikalen‘ bzw. dem ‚gemäßigten‘ Lager zuordnen sollten“, unter anderem bezüglich der Mitgliedschaft der Arbeiterinnenvereine.16  Als auch andere Vorschläge der Radikalen bei den folgenden Generalversammlungen des BDF abgelehnt wurden, entschlossen sich 1899 die Radikalen mit acht Vereinen zur Gründung einer eigenen Dachorganisation, des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine. Weiterhin suchte der Verein aber auch den BDF in seinem Sinne zu beeinflussen und regte Propagandaaktionen an.17
Einige weitere Vereine schlossen sich diesem Verband an, aber der Vorstand bestand ausschließlich aus Mitgliedern des Vereins Frauenwohl. Der Verein Frauenwohl in Berlin als Zentrale und der Verband fortschrittlicher Frauenvereine waren personell so eng verflochten, dass zunehmende Zerwürfnisse der führenden Aktivistinnen sich besonders stark auswirkten.18

Einführung des Frauenwahlrechts und Auflösung des Vereins 1918/19

Nach 1908 konnte sich der Verein Frauenwohl Berlin in Preußen auch offiziell politisch betätigen und konzentrierte seine Tätigkeit zunächst auf die Hauptstadt.19  Die Erweiterung des politischen Betätigungsfeldes für Frauen in Preußen führte zu einem Bedeutungsverlust des radikalen Flügels. Verschiedene parteipolitische Ausrichtungen zeigten sich nun deutlicher, die Frauenstimmrechtsbewegung ging hinsichtlich der Priorisierung ihrer Ziele – Kommunalwahlrecht, preußisches Dreiklassenwahlrecht, allgemeines Wahlrecht – nicht einheitlich vor. Viele Positionen der sogenannten Radikalen teilten nun auch andere Frauenvereine.

Mit der Einführung des Frauenwahlrechts im November 1918 stellte Minna Cauer auch die Publikation der Zeitschrift Die Frauenbewegung ein.20  In der Folgezeit gab es viele Diskussionen um neue Zielsetzungen oder Auflösung des Vereins. Ein Neuanfang mit der Umbenennung in Politischer Frauenbund am 20. März 1919 scheiterte jedoch nach kurzer Zeit – ein provisorischer Ausschuss führte zunächst die Geschäfte. Einen „Antrag, sich der pazifistischen ‚Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit‘ anzuschließen, lehnte die Mehrheit ab.“21

Für die Auflösung des Vereins nannten die Mitglieder verschiedene Gründe –Geldmangel, Mitgliederschwund, auch da einige Mitglieder nun in Parlamenten und Ministerien eingespannt waren –, vor allem aber war im Jahresbericht 1919 formuliert: „Durch die Verleihung der Bürgerrechte an die Frauen sah der Verein seine eigentliche Aufgabe erfüllt und die Frage lag nahe, ob er unter den veränderten Verhältnissen noch eine Existenzberechtigung habe.“22

Stand: 18. Mai 2021
Verfasst von
Dr. Barbara von Hindenburg

geb. Wedding, ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin. Nach einem Forschungsprojekt an der Freien Universität Berlin über die Abgeordneten des Preußischen Landtags (1919–1933) hat sie 2017 ein biografisches Handbuch und eine biografische Analyse über die Abgeordneten publiziert. Sie arbeitet derzeit als freie Historikerin und Publizistin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das 19. und 20. Jahrhundert, die neue Politikgeschichte, Biografieforschung sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte.

Empfohlene Zitierweise
Dr. Barbara von Hindenburg (2021): Verein Frauenwohl, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/verein-frauenwohl
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Netzwerk von Verein Frauenwohl

Fußnoten

  • 1Lüders, Else: Der ‚linke Flügel‘, Berlin 1904, S. 16. Näheres zur „Vereinigung“ führt Lüders nicht aus.
  • 2Pommerenke, Petra: Propaganda für den Fortschritt. Der radikale „Verein Frauenwohl“, in: Ariadne, H. 28, November 1995, S. 16–22, hier S. 16 f.
  • 3Cauer, Minna: Der Fortschrittlichen Frauenbewegung gewidmet zum 25jährigen Jubiläum des Vereins Frauenwohl Groß-Berlin. Gegründet 1888, o. O. 1913, Titelblatt.
  • 4Gerhard, Ute: Unerhört. Die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Hamburg 1990, S. 164, 216–219, 221 (Zitat), 222; Pommerenke: Propaganda, S. 17; Braun, Lily: Memoiren einer Sozialistin, 2. Aufl., München 1986, S. 189–191.
  • 5Briatte-Peters, Anne-Laure: Sie stand sich selbst im Weg. Die radikale Frauenbewegung im Verhältnis zu den anderen und zu sich selbst, in: Ariadne, 2015, H. 67/68, S. 80–88, hier S. 82.
  • 6Gerhard, Unerhört, S. 164.
  • 7S. a. Wolff, Kerstin: Noch einmal von vorn und neu erzählt. Die Geschichte des Kampfes um das Frauenwahlrecht in Deutschland, in: Richter, Hedwig/Wolff, Kerstin (Hg.): Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg 2018, S. 35–56.
  • 8Heymann, Lida Gustava: Erlebtes – Erschautes. Deutsche Frauen kämpfen für Freiheit, Recht und Frieden 1850–1940, Meisenheim a. Glan 1977, S. 87
  • 9Briatte-Peters: Sie stand, S. 80 (Zitat), 82.
  • 10Monika Golling: Radikal, furchtlos und polemisch: „Die Frauenbewegung“ (1895–1919), in: Ariadne, 1995, H. 28, S. 23–29.
  • 11Heymann: Erlebtes und Erschautes, S. 56–59.
  • 12Briatte-Peters: Sie stand, S. 83 (Zitat), S. 83 f. zur Haltung von Zetkin; zum VFF und Arbeiterinnen S. 84 f.
  • 13S. z. B. eine Liste der Vortragsreisen im Jahresbericht des Vereins Frauenwohl zu Berlin für das Jahr 1903, Berlin 1904, S. 8, in: Landesarchiv Berlin, A Rep. 060-53 – Verein Frauenwohl, Berlin1904–1920, MF-Nr. 4204–4211.
  • 14S. z. B. zu Witten: Barbara von Hindenburg: Die Abgeordneten des Preußischen Landtags 1919–1933. Biographie – Herkunft – Geschlecht, Frankfurt a. M. 2017, S. 286 f.
  • 15Zitat: Pappritz, Anna: Wie ich zu meiner Arbeit kam, Berlin 1908, S. 19, zit. n. Pommerenke: Propaganda, S. 19, s. zu den Vorgängen ebd. S. 18 f.
  • 16Briatte-Peters: Sie stand, S. 81.
  • 17Pommerenke: Propaganda, S. 20; Golling: Radikal, S. 25.
  • 18Briatte-Peters: Sie stand, S. 87.
  • 19Pommerenke: Propaganda, S. 21.
  • 20Cauer, Minna: 25 Jahre. Ein Abschluß, in: Die Frauenbewegung, 25. Jahrgang, 1919, S. 128.
  • 21Bötticher, Kerstin: Beschreibung: Verein Frauenwohl, in: Landesarchiv Berlin, Bestand: Verein Frauenwohl (https://www.meta-katalog.eu/Record/ARep06053hla, abgerufen am 02.07.2019).
  • 22Jahresbericht 1918, verfasst von Henriette Oske, S. 1, in: Landesarchiv Berlin, A Rep. 060-53 – Verein Frauenwohl, Berlin1904–1920, MF-Nr. 4204–4211.

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