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Über Hedwig Dohm
Die Geschichte der Frauenbewegungen kennt so manche Persönlichkeit, die bereits zu ihren Lebzeiten mit ihren Ansichten und Forderungen polarisierte und bei ihren Zeitgenoss/innen Missgunst und gar heftige Ablehnung hervorrief, bevor die Nachwelt ihre Brillanz und Originalität zu schätzen wusste. Zu diesen außergewöhnlichen Charakteren zählt Hedwig Dohm.
Hedwig Dohm gilt als brillanteste und radikalste Feder der historischen Frauenbewegung und als bedeutendste Vordenkerin des radikalen Flügels. Bereits 1873 forderte sie das Stimmrecht für Frauen und kämpfte für deren rechtliche, soziale und ökonomische Gleichstellung. Als feministische Theoretikerin und Autorin zahlreicher Essays, Romane und Novellen gehört sie zu den wichtigsten Autorinnen der Wende zum 20. Jahrhundert.
„Ein leidenschaftlich unglückliches Kind“1
Hedwig Dohm wurde am 20. September 1831 in Berlin geboren. Sie war das vierte Kind – und die erste Tochter von Gustav Adolph Schlesinger und Henriette Wilhelmine Jülich. Sie erfuhr eine für das 19. Jahrhundert typische geschlechtsspezifische Erziehung: Während die Eltern bei Hedwigs Brüdern Wert auf eine gute Ausbildung legten, durfte die hochintelligente Tochter nur die Mädchenschule besuchen. Mit 15 Jahren musste Hedwig ihre Schulausbildung gezwungenermaßen beenden. In der Hoffnung auf mehr Bildung rang sie ihren Eltern ein Lehrerinnenseminar ab, das sie aber ebenfalls als „stumpfsinnig“2 empfand.
Erst als sie im Alter von 22 Jahren den Autor Ernst Dohm heiratete, der als Redakteur beim Satiremagazin Kladderadatsch arbeitete, bekam sie Zugang zu intellektuellen Kreisen. Hedwig Dohm betrieb in Berlin einen Salon, in dem einflussreiche Frauen ihrer Zeit wie Helene Lange oder Adele Schreiber sowie berühmte Männer wie etwa Franz Liszt und Fritz Reuter verkehrten. Im Alter von 40 Jahren – zu diesem Zeitpunkt hatte Dohm bereits fünf Kinder großgezogen – begann sie, über die Frauenfrage zu schreiben.
„Ich schwärme für Freiheit“ 3– Radikal und furchtlos für die Frauenfrage
Innerhalb von fünf Jahren publizierte Hedwig Dohm vier Bücher, die in der Radikalität ihrer Forderungen und der furchtlosen satirischen Analyse ein absolutes Novum darstellten und die sie mit einem Schlag zu einer der bekanntesten wie auch gefürchtetsten intellektuellen Stimmen ihrer Zeit machten: 1872 erschien Was die Pastoren von den Frauen denken, ein Jahr später folgte Der Jesuitismus im Hausstande, 1874 veröffentlichte die Berlinerin Dohm Die wissenschaftliche Emanzipation der Frau und schließlich 1876 Der Frauen Natur und Recht.4
In ihren Schriften attackierte sie mit Humor und Scharfsinn die Unterdrückung der Frauen auf allen Gebieten: Hedwig Dohm widerlegte die unterstellte ‚Natur der Frau‘ und hielt der Idee eines biologistischen Geschlechterdualismus – hier das Gefühlswesen Frau, dort der rationale Mann – ihre Idee von Frauen und Männern als sogenannte Ganzmenschen entgegen. Sie plädierte für die gleichberechtigte Bildung und Ausbildung von Mädchen sowie für die freie Wahl eines Berufs, der Frauen die ökonomische Selbstständigkeit sicherte. Sie forderte das Recht auf selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch, kritisierte das Eherecht, die Mystifizierung der Mutterschaft und die Doppelmoral und sah in Prostitution eine „abstoßende Karikatur von Erotik“, sie kämpfte gegen die unzureichende sexuelle Aufklärung junger Mädchen sowie den Jugendwahn, der „das Weib entmenscht“.5
In ihren Essays und Feuilletons prangerte die Autorin nicht nur die gesellschaftlichen Missstände bezüglich der Stellung der Frauen an. Hedwig Dohm – Absolventin einer Mädchenschule – zeigte keinerlei Respekt gegenüber den zeitgenössischen anerkannten Intellektuellen. Friedrich Nietzsche fiel ihrem bissigen Spott ebenso zum Opfer wie Paul Möbius, Autor des damaligen antifeministischen Bestsellers Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes. Auch gegenüber ihren Geschlechtsgenossinnen sparte Hedwig Dohm nicht mit Kritik. Sie beklagte das Verhalten der Frauen, die offensichtlich an ihrer Situation nichts ändern wollten, und forderte sie auf: „Mehr Stolz, ihr Frauen! Der Stolze kann missfallen, aber man verachtet ihn nicht. Nur auf den Nacken, der sich beugt, tritt der Fuß des vermeintlichen Herrn!“6
Dem gemäßigten Flügel der Frauenbewegung, der den Geschlechterdualismus und die angebliche natürliche Bestimmung der Frau zur Hausfrau und Mutter nicht infrage stellte, waren Dohms Ideen schlicht zu radikal. „Radikal heißt wurzelhaft“, erklärte Dohm, „und bezeichnet am besten das Wollen und Handeln jener streitbaren Frauen, die die Axt an die Wurzel der Übel legen.“7 Erst als der radikale Flügel um 1890 erstarkte, fand Hedwig Dohm mit Minna Cauer, Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann Schwestern im Geiste, denen sie sich anschloss und mit denen sie sich organisierte.
Sie wurde Gründungsmitglied des Frauenvereins Reform, der eine umfassende Bildungsreform und den Zugang von Frauen zu den Universitäten forderte, und trat auch Helene Stöckers Bund für Mutterschutz und Sexualreform bei, der sich unter anderem für das Selbstbestimmungsrecht der Frau über ihren Körper, das Recht auf Abtreibung und gegen die Stigmatisierung lediger Mütter einsetzte. Auch im von Minna Cauer gegründeten Verein Frauenwohl für das Recht von Frauen auf Bildung und Berufstätigkeit engagierte sich Dohm.8
Publizistin und Pazifistin
Die neu gegründeten Zeitschriften des radikalen Flügels der Frauenbewegung boten der scharfsinnigen Autorin neue Möglichkeiten: Zwischen 1895 und ihrem Tod 1919 veröffentlichte Hedwig Dohm mehr als 80 Artikel. Außerdem veröffentlichte sie zahlreiche Feuilletons vornehmlich in linken und liberalen Zeitungen und Zeitschriften wie zum Beispiel in Die Zukunft oder in der auflagenstarken Vossischen Zeitung. Zugleich suchte Dohm nach anderen literarischen Formen, um ein größeres Publikum zu erreichen. Sie begann, Romane und Novellen zu schreiben, in denen sie anhand individueller Frauenschicksale deren Unterdrückung sowie Wege der Befreiung aufzeigte. Innerhalb von sechs Jahren veröffentlichte Hedwig Dohm ihre Romantrilogie: Schicksale einer Seele (1899), Sibilla Dalmar (1896) und Christa Ruland (1902). In diesen drei Büchern schilderte sie das Leben dreier Frauengenerationen des 19. Jahrhunderts und thematisierte zugleich die Veränderungen der weiblichen Lebenswelt an der Schwelle zum 20. Jahrhundert.
Hedwig Dohm war nicht nur radikale Feministin, sondern auch Pazifistin. Im Ersten Weltkrieg war sie eine der wenigen öffentlichen Stimmen im deutschen Kaiserreich, die mit Texten wie Der Missbrauch des Todes oder Wäre ich ein glühender Patriot dem allgemeinen nationalen Kriegswahn widerstand. Nach Ende des Ersten Weltkriegs erlebte die Frauenstimmrechts-Pionierin als 87-Jährige, wie der Rat der Volksbeauftragten im November 1918 das Wahlrecht für Frauen verkündete. Hedwig Dohm starb am 1. Juni 1919 in Berlin.
Netzwerk von Hedwig Dohm
Zitate von Hedwig Dohm
Biografie von Hedwig Dohm
Fußnoten
- 1 Dohm, Hedwig: Kindheitserinnerungen einer alten Berlinerin, in: Boy-Ed, Ida et al.: Als unsere großen Dichterinnen noch kleine Mädchen waren, Leipzig/München 1912, S. 28.
- 2 Rohner, Isabel: Spuren ins Jetzt. Hedwig Dohm – eine Biografie, Taunus 2010, S. 24.
- 3 Dohm, Hedwig: Die Opfer der Mode, in: Freidenker, 9. Jg., 1880, Nr. 18, hier S. 70.
- 4 Rohner: Spuren ins Jetzt, S. 64.
- 5 Dohm, Hedwig: Die alte Frau, in: Die Zukunft, 12. Jg., 1903, Bd. 42, hier S. 22–30.
- 6 Dohm, Hedwig: Die Antifeministen. Ein Buch der Verteidigung, Berlin 1902, S. 165.
- 7 Dohm, Hedwig: Frauenrechtlerinnen, in: Nord und Süd. Monatsschrift für internationale Zusammenarbeit, Bd. 94, 1900, S. 93–103.
- 8 Rohner: Spuren ins Jetzt, S. 109.