Über Verband Fortschrittlicher Frauenvereine

Der Verband fortschrittlicher Frauenvereine (VFF) gründete sich 1899. In ihm versammelten sich die Vereine, die sich als ‚radikale‘ Speerspitze der Frauenbewegung interpretierten. Er verfolgte das Ziel, den BDF in seinem Programm zu politisieren. Doch spätestens 1907 schloss der Verband mit dem BDF seinen Frieden und trat ihm bei.

„Es ist eine nicht fort zu leugnende Tatsache, daß die Frauenbewegung in Deutschland gerade im letzten Jahrzehnt einen merklichen Aufschwung genommen hat – seit einem Jahrzehnt hat sich immer deutlicher eine jüngere Richtung, eben der linke Flügel, innerhalb der deutschen Frauenbewegung kristallisiert“, so Else Lüders (1872–1948) 1904.1  Die ‚radikale‘ Frauenrechtlerin, langjährige Sekretärin Minna Cauers (1841-1922) und Führungsfigur des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine (VFF) widmete dem Verband und seinen Zielen eine ausführliche Darstellung, da sie – zu Recht – monierte, dass der VFF in den Publikationen des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF) nicht ausreichend gewürdigt wurde.2  Sie schrieb: Neben der sozialdemokratischen, der bürgerlich ‚gemäßigten‘ und der konfessionellen Frauenbewegung habe sich eben auch die ‚radikale‘ Frauenbewegung entwickelt. Man solle die verschiedenen Strömungen „durchaus nicht als eine Zersplitterung der Frauenbewegung“ ansehen, letztlich hätten alle Genannten gleiche Ziele.3  Doch ganz so harmonisch scheint das Verhältnis zwischen den selbsternannten ‚Gemäßigten‘ und den sich selbst als ‚radikal‘ bezeichnenden Frauenrechtlerinnen nicht immer gewesen zu sein. „Ihr Verhältnis zum BDF, Abgrenzungsversuche sowie Strategien der Einflussnahme prägten die Geschichte“ des VFF.4

Vortrag Else Lüders auf der Generalversammlung der Fortschrittlichen Frauenvereine 1911 über „Das Verhältnis der Fortschrittlichen Frauenbewegung zur politischen Frauenbewegung und zu den Provinzialverbänden“
Unterlagen zur 3. Generalversammlung vom 2. bis 4. Oktober 1905 in Berlin und 4. Generalversammlung im September 1907 in Frankfurt am Main.
Unterlagen zur Tätigkeit des Verbands Fortschrittlicher Frauenvereine

‚Gemäßigte‘ und ‚Radikale‘: Getrennt marschieren mit gleichen Zielen?
Else Lüders stellte an den Beginn der Entwicklungsgeschichte des ‚radikalen‘ Frauenbewegungsflügels die Gründung des Vereins Frauenwohl durch Minna Cauer 1888 in Berlin. Er machte bald in den Fragen der Mädchenbildung, Rechtsstellung des weiblichen Geschlechts und des Frauenstimmrechts von sich reden. Doch als sich 1894 der BDF als Dachverband der deutschen Frauenvereine gründete, fehlte Minna Cauer im Vorstand. Cauer gehöre, schrieb 1901 Anna Plothow (1853–1924), eine frühe Chronistin der Frauenbewegung, „nicht zu den eigentlichen Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung, aber zu ihren vielgenannten Führerinnen“.5  Eine Erklärung indes, wie die hier getroffene Unterscheidung zu verstehen sei, blieb Anna Plothow schuldig. 

Zur Arbeiterinnenfrage als zentrales Thema der ersten Verbandstagungen vgl. den Bericht über die erste Geschäftsperiode 1901.

Die ‚Radikalen‘ – darunter Lina Morgenstern (1830–1909), Minna Cauer, Jeanette Schwerin (1852–1899) und Marie Raschke (1850–1935) – antworteten auf die Gründung des BDF zwei Jahre später, 1896, mit der Ausrichtung eines internationalen Frauenkongresses in Verbindung mit der zeitgleich stattfindenden international ausgerichteten Gewerbeausstellung in Berlin. Der Kongress war ein Erfolg. Zirka 17.000 Teilnehmerinnen aus 14 Ländern wurden gezählt. Die ‚Radikalen‘ nutzten das Forum, um ihre Sicht der Frauenbewegungsziele zu verbreiten. Das waren schon in den 1890er Jahren Bestrebungen, die soziale Lage der Arbeiterinnen zu heben, die gymnasiale Mädchenbildung, der Kampf für das Frauenstimmrecht und die Stärkung der abolitionistischen Sittlichkeitsbewegung. Später sollten noch die Ehereform, die Zulassung von Frauen zu allen Berufen und die Aufhebung des Beamtinnenzölibats (Entlassung nach der Heirat) in den Forderungskatalog aufgenommen werden. Und so wurde auf dem Kongress 1896 nicht das auf Geschlechterdifferenz aufbauende Bildungskonzept Helene Langes vorgestellt, sondern das vom ‚radikalen‘ Verein Frauenbildung – Frauenstudium begründete erste Mädchengymnasium in Karlsruhe. Auch die vom BDF bereits 1894 gezogene scharfe Trennlinie zur Sozialdemokratie wurde unterlaufen.

Die Sozialdemokratin Lily Braun (1865–1916) durfte über die Arbeiterinnenfrage referieren, die Frauenfriedensbewegung konnte sich darstellen und die Frauenstimmrechtsfrage wurde ausführlich diskutiert. Marie Stritt (1855–1928) konnte den internationalen Gästen schildern, wie unzufriedenstellend bislang die Erfolgsbilanz der deutschen Frauenbewegung ausfiel. Der Kongress brachte, so Maria Lischnewska, „die Offenbarung der Zersplitterung“ der Frauenbewegung, „welche bisher nur den Eingeweihten bekannt geworden war“.6  Doch die breite mediale Öffentlichkeit, die der Kongress erkämpft hatte, blieb nicht ohne Auswirkungen auf den BDF. Er erweiterte im gleichen Jahr seinen ‚gemäßigten‘ Vorstand mit Jeanette Schwerin und Marie Stritt um zwei Frauenrechtlerinnen, die eher dem ‚fortschrittlichen‘ Lager zuzurechnen waren. Marie Stritt konnte 1899 gar den Vorsitz des BDF übernehmen. Sie arbeitete intensiv daran, die Gräben zwischen ‚gemäßigten‘ und ‚radikalen‘ oder ‚fortschrittlichen‘ Frauenrechtlerinnen zu überbrücken und geriet dabei wohl zwischen beide Lager.

Vgl. Petition von 1908 in Preußen, die Aufnahme von Mädchen in höhere und mittlere Knabenschulen betreffend.
Zur Sittlichkeitsfrage vgl. Bericht über die zweite Geschäftsperiode des Verbands 1903.
Thesen des Verbands zur Sittlichkeitsfrage
1913 erfolgte der Beschluss der Generalversammlung, sich künftig verstärkt mit der Vereinbarkeit von Ehe und Beruf zu beschäftigen.
Schaffung einer Zentralstelle für die Probleme „Frauenerwerbsarbeit und Ehe“

Die ‚Radikalen‘ indes gründeten 1899 mit dem VFF ihren eigenen Verband – nicht um die Frauenbewegung zu spalten, vielmehr wohl in erster Linie, um ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit und innerhalb des BDF zu stärken. Und so hieß es im Programm des VFF: „Der Verband steht dem Bunde deutscher Frauenvereine sympathisch gegenüber und wird an der inneren und äußeren Ausgestaltung des nationalen Verbandes einen kräftigen Anteil nehmen.“7

Programm und Satzung des Verbandes von 1899

Das tat er dann in den nächsten Jahren recht erfolgreich. Doch mit der Etablierung der Gymnasialkurse Helene Langes in Berlin und des Karlsruher Mädchengymnasiums verlor die Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Mädchenbildungswegen im frühen 20. Jahrhundert an Schärfe. Die Erlaubnis des regulären Frauenstudiums in Baden im Jahr 1900 machte deutlich, dass sich auch jenseits aller Debatten um frauengemäße Studien die allgemeine Eroberung der Universität abzuzeichnen begann. Auf der Generalversammlung des BDF 1902 gelang es den ‚Radikalen‘ überdies, den BDF auf die abolitionistische Sittlichkeitsbewegung einzuschwören und dem Vorstand eine indirekte positive Stellungnahme zum Frauenstimmrecht abzuringen. Erkennbar war nun auch, dass der Versuch des VVF fehlgeschlagen war, die Verbindungen zur sozialdemokratischen Frauenbewegung zu stärken. Und so gab sich der VVF auf der Generalversammlung des BDF 1905 damit zufrieden, dass die Versammlung künftig die Agitation für Frauengewerkschaften begrüßen wollte. 

Protokoll der Vorstandsitzung des Verbandes, 28.11.1906 mit Debatte über den geplan-ten Beitritt zum BDF.

Insgesamt, so lässt sich festhalten, hatten die Erfolge des VVF und seiner Mitgliedsvereine den Verband im frühen 20. Jahrhundert „in gewisser Weise überflüssig gemacht… Seine Anliegen waren aufgegriffen worden und durch die Einzelvereine so wirksam vertreten, daß sie des Verbandes als ‚Katalysator‘ des fortschrittlichen Flügels nicht (mehr, d.V.) bedurften.“8  Es schien daher nur folgerichtig, dass sich der VVF zwar 1907 nicht auflöste, aber als Gesamtverband dem BDF beitrat. Der Beschluss wurde keinesfalls von allen ‚Radikalen‘ begrüßt. Berühmte Protagonistinnen des Verbands wie Lida Gustava Heymann (1868–1943) oder Anita Augspurg (1857–1943) traten vergeblich gegen die Verbindung mit dem BDF ein, doch letztlich markiert der Beitritt die inhaltliche Annäherung der beiden Lager. 1915 löste sich der VVF unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs endgültig auf.

Einladung zur außerordentlichen Mitgliederversammlung am 30. Oktober 1915 mit Tagesordnungspunkt "Antrag der unterzeichneten Vorstandsmitglieder auf Auflösung des Verbandes"

Der VVF nur ein Propagandaverein?

Postkarte an die Propaganda-Zentrale des Verbandes fortschrittlicher Frauenvereine

Schon seit der Gründung des VVF hatten seine Repräsentantinnen besonderes Gewicht auf Öffentlichkeitsarbeit und, wie es damals hieß, auf Propaganda für die eigene Sache gelegt. Eigens hierfür gab sich der VVF eine „Propaganda-Zentrale“. Nach der Befriedung der Lagerdifferenzen deuteten die dem Verband treu bleibenden ‚Radikalen‘ die vormaligen Unterschiede in den Zielen des BDF und VVF als nachrangig. Else Lüders trug zum Jahrbuch der Frauenbewegung 1914 einen Aufsatz über „Wesen und Wert der Propaganda“ bei.9  Darin interpretierte sie im Nachhinein die Spaltung der Frauenbewegung in ‚gemäßigte‘ und ‚fortschrittliche‘ Vereine schlicht als Auseinandersetzung um den Wert von Öffentlichkeitsarbeit. Den ‚Fortschrittlichen‘ sei es nicht wie den ‚Gemäßigten‘ in erster Linie um konkrete Sozialarbeit, sondern vielmehr um Agitation gegangen. „Den Anstoß zu dieser Arbeitsteilung – die jedoch anfangs durchaus nicht als nützlich empfunden wurde, sondern teilweise starkem Mißtrauen begegnete und zu gegenseitiger Befehdung führte“, hätten die ‚fortschrittlichen‘ Frauenvereinen gegeben.10  Doch die Arbeitsteilung habe sich bewährt. Insbesondere in den 1890er-Jahren, „als die deutsche Frauenbewegung in eine gewisse Stagnation gekommen war“, seien den ‚Fortschrittlichen‘ „eine Reihe kräftiger Vorstöße gelungen, die belebend und befruchtend auf die ganze spätere Entwicklung gewirkt haben“.11
Doch jenseits solcher Selbstdeutungen ist festzuhalten: Nach einer kurzen Blütephase geriet der VVF rasch „in den Windschatten der Frauenbewegung“.12

Artikel von Minna Cauer in der Neuen Hamburger Zeitung, 27. September 1913 über die Tätigkeit und die Themen des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine seit seinem Beitritt zum BDF.
Stand: 19. März 2019
Verfasst von
Prof. Dr. Sylvia Schraut

Prof. Dr. Sylvia Schraut vertritt die Professur für Deutsche und Europäische Geschichte der Neuzeit an der Universität der Bundeswehr, München. Sie hat Forschungs- und Publikationsschwerpunkte in der Geschlechtergeschichte und in der historischen Gewaltforschung.

Empfohlene Zitierweise
Prof. Dr. Sylvia Schraut (2019): Verband Fortschrittlicher Frauenvereine, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/verband-fortschrittlicher-frauenvereine
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Fußnoten

  • 1Lüders, Else: Der „linke Flügel“. Ein Blatt aus der Geschichte der deutschen Frauenbewegung, Berlin 1904, S. 8.
  • 2Zu Else Lüders vgl. Schöck-Quinteros, Eva: Else Lüders (1872–1948). Von der Radikalen zum Oberregierungsrat – Leben und Karriere zwischen Frauenbewegung und bürgerlicher Sozialreform, in: 1999. Zeitschrift für die Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 12. Jg., 1997, H. 1, S. 49–67.
  • 3Lüders, Der „linke Flügel“, S. 7.
  • 4Gehmacher, Johanna: Käthe Schirmacher. Agitation und autobiografische Praxis zwischen radikaler Frauenbewegung und völkischer Politik, Wien u.a. 2018, S. 320.
  • 5Plothow, Anna: Die Begründerinnen der deutschen Frauenbewegung, Leipzig 1907, S. 219.
  • 6Lischnewska, Maria: Der Bund deutscher Frauenvereine. Reformgedanken, Spandau 1898, S. 5.
  • 7Lischnewska, Maria: Die Stellung und die Aufgaben des „Verbands fortschrittlicher Frauenvereine“ innerhalb des Bundes, in: Frauenbewegung, Jg. 5, 1899, S. 173, zitiert nach Greven-Aschoff, Barbara: Die bürgerliche Frauenbewegung in Deutschland 1894–1933, Göttingen 1981, S. 92.
  • 8Klausmann, Christina: Politik und Kultur der Frauenbewegung im Kaiserreich: das Beispiel Frankfurt am Main, Frankfurt a.M./New York 1997, S. 259.
  • 9Lüders, Else: Wesen und Wert der Propaganda. In: Jahrbuch der Frauenbewegung 1914. Leipzig/Berlin, S. 136–142.
  • 10ebd., S. 137.
  • 11ebd.
  • 12Klausmann, Politik und Kultur, S. 259.