- Staatsarchiv Basel, Signatur: PD-REG 3a 42922
- Gemeinfrei
Über Charlotte Friedenthal
Familie und Schulbesuche in Breslau
Charlotte Friedenthal wurde am 1. Dezember 1892 in Breslau geboren, ihre Eltern waren der Rechtsanwalt, Notar und Justizrat Ernst Friedenthal und Elisabeth Else Bertha Friedenthal, geborene Milch. Sie wuchs mit mehreren Geschwistern in einer gutbürgerlichen Familie jüdischer Herkunft auf und wurde nach evangelischen Glaubensgrundsätzen erzogen.
Freiwilligenarbeit und Berufstätigkeit in Breslau
Nach dem Besuch von praktischen und theoretischen Kursen in der freiwilligen Krankenpflege arbeitete Charlotte Friedenthal von September 1914 bis Januar 1915 als Hilfsschwester im Rahmen der Kriegskrankenpflege im Allerheiligen-Hospital in Breslau. Von September 1915 bis Juli 1918 engagierte sie sich im Vaterländischen Frauenverein und Nationalen Frauendienst und arbeitete im Bereich der Kriegswohlfahrtspflege. Als die Stelle aufgelöst wurde, übernahm sie bis 1919 Tätigkeiten in der Auskunftsstelle für Kriegsheimkehrer und beteiligte sich an der Einrichtung eines Wohlfahrtsamtes für Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene in Breslau.
Anschließend arbeitete Charlotte Friedenthal als Wohlfahrtspflegerin in verschiedenen Bereichen, nach dem Besuch der Sozialen Frauenschule 1922 mit staatlicher Anerkennung. So übernahm sie die Aufgaben der Büroleitung und einer stellvertretenden Geschäftsführerin in der Städtischen Geschäftsstelle für Schulkinderpflege in Breslau und arbeitete hier zusammen mit dem von Anna von Gierke gegründeten Verband für Schulkinderpflege, der sich der Aufgabe widmete, den Gedanken der Kinderfürsorge einschließlich der Schulkinderpflege zu fördern. Im Oktober 1926 verließ Charlotte Friedenthal Breslau und ging zur beruflichen Weiterqualifizierung nach Berlin.
Weiterqualifizierung und Leitungsfunktion an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin
Die Deutsche Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit in Berlin wurde 1925 unter dem Vorsitz von Alice Salomon als Weiterbildungsakademie auf Hochschulniveau für Frauen in sozialen Berufen eröffnet. Alice Salomon schrieb dazu: „Ich konnte nicht länger daran zweifeln, daß all die Reformen, die wir erreicht hatten, zunichte gemacht würden, wenn nicht Frauen als Leiterinnen in die verschiedenen Zweige des öffentlichen Dienstes berufen würden.“2 Neben der sozialen Frage ging es hier um den „Kampf um die Frauenbildung“ und die „Vergesellschaftung weiblicher Arbeitsbereiche“3. Charlotte Friedenthal besuchte von 1926 bis 1927 einen der ersten Jahreskurse, um sich für Leitungsfunktionen im Bereich der Wohlfahrtspflege weiter zu qualifizieren. Das Thema ihrer Abschlussarbeit lautete: Untersuchung nach der Herkunft von Hortkindern und wurde von Siddy Wronsky, Charlotte Dietrich und Alice Salomon im Herbst 1927 mit ‚im Ganzen gut‘ bewertet .
Nach Abschluss des Jahreskurses wurde Charlotte Friedenthal Mitglied und Schriftführerin in der Vereinigung der ehemaligen Teilnehmerinnen an der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit. In dieser 1927 gegründeten Vereinigung, in der auch Mitglied werden konnte, wer die Voraussetzungen zum Besuch der Jahreskurse erfüllte, wurden Wiedersehenstreffen, Weiterbildungen und Diskussionsveranstaltungen der Teilnehmerinnen zu aktuellen Themen und Problemen der Zeit und zu berufspolitischen Fragen organisiert. Im Oktober 1927 übernahm Charlotte Friedenthal die Funktion der Geschäftsführerin in der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, und damit eine zentrale Leitungsaufgabe innerhalb einer für die bürgerliche Frauenbewegung in den 20er und 30er Jahren wichtigen Institution, die sich dafür engagierte, wissenschaftliche Fortbildungen von weiblichen Führungskräften in typischen Frauenberufen (Wohlfahrtspflegerinnen, Berufsschullehrerinnen, Krankenpflegerinnen, Hauswirtschaftlerinnen …) und Forschungsaktivitäten zu etablieren. Im April 1932 wurde die Position der Geschäftsführung in der Akademie aufgrund schwieriger wirtschaftlicher Bedingungen aufgegeben. Für die Akademie war es immer eine Herausforderung, genügend finanzielle Mittel zur Verfügung zu haben, in Zeiten der Weltwirtschaftskrise und des aufkommenden Nationalsozialismus führte dies zu gravierenden Einschnitten.
Engagement ab 1932 in Berlin
Nach dem Verlust ihrer Stelle an der Akademie arbeitete Charlotte Friedenthal als Vertretungskraft im Freiwilligen Arbeitsdienst für soziale Hilfe und war hier verantwortlich für Organisations- und Verwaltungsarbeiten und pädagogische Aufgaben. Sie baute unter anderem einen freiwilligen Arbeitsdienst für junge Mädchen auf, beschaffte Arbeitsmöglichkeiten und organisierte Arbeitsgruppen. Im Februar 1933 wurde sie als ‚Nichtarierin‛ entlassen.
Ab 1934 leistete sie ehrenamtliche Wohlfahrtspflege im Evangelischen Bezirkswohlfahrtsamt Berlin-Zehlendorf, das von Margarete (Marga) Meusel geleitet wurde. Charlotte Friedenthal und Marga Meusel kannten sich aus der Deutschen Akademie für soziale und pädagogische Frauenarbeit, sie wurden dort Freundinnen. Marga Meusel hatte hier 1927/1928 studiert und sich später am Forschungsprogramm zu Bestand und Erschütterung der Familie in der Gegenwart mit einer eigenen Veröffentlichung beteiligt. Sie wurde in der Zehlendorfer Bezirksstelle früh mit den Problemen der jüdischen Bevölkerung und insbesondere mit denen getaufter jüdischer Christen nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten und einer fehlenden Unterstützung der Kirche der sogenannten ‚nichtarischen‛ Christen konfrontiert. Eine persönliche Betroffenheit entstand durch ihre Freundin und Studienkollegin Charlotte Friedenthal und ihre Lehrerinnen Alice Salomon und Hilde Lion.
Bereits Anfang 1933 plante Charlotte Friedenthal mit Marga Meusel die Einrichtung einer zentralen Beratungsstelle für Christen jüdischer Herkunft, die allerdings von offiziellen Kirchenvertretern nicht unterstützt wurde.
Marga Meusel begann im Rahmen ihrer Einrichtung im Stillen Widerstand zu leisten, indem sie jüdische Fürsorgerinnen, die nicht mehr im öffentlichen Dienst arbeiten durften, zwischen 1933 und 1936 als Praktikantinnen oder ehrenamtliche Mitarbeiterinnen aufnahm. So wurde auch Charlotte Friedenthal, nach den ‚Rassegesetzen‛ der Nationalsozialisten Jüdin, 1934 zunächst unbezahlte Mitarbeiterin. Im März 1936 ernannte sie Superintendent Martin Albertz, Leiter der oppositionellen Bekennenden Kirche, zur ‚Sekretärin zur Förderung der nichtarischen Christen‛, in bezahlter Stellung.4 Charlotte Friedenthal beteiligte sich mit vielfältigen Aktivitäten an Fluchthilfen für Verfolgte des Nazi-Regimes, auch indem sie Kontakte zu ausländischen Organisationen in der Schweiz und in England herstellte, was eine besondere Bedeutung erhielt, als 1940/41 immer mehr Mitarbeitende der Bekennenden Kirche, wie Superintendent Albertz, verhaftet wurden.
Flucht in die Schweiz
1942 verdichteten sich Hinweise, dass Charlotte Friedenthal wegen ihrer jüdischen Herkunft und als Mitarbeiterin der illegalen Vorläufigen Kirchenleitung der Bekennenden Kirche doppelt gefährdet, und mittlerweile in ein ‚Judenhaus‛ eingewiesen, deportiert werden sollte. Sie besaß zwar ein Einreisevisum in die Schweiz, die Einreise wurde aber durch einen Erlass Himmlers 1941 zur Verhinderung der Auswanderung von Juden gestoppt. Dietrich Bonhoeffer hatte Charlotte Friedenthal in der Bekennenden Kirche in Berlin-Zehlendorf kennengelernt. Ende 1941 stellte er einen Kontakt zu seinem Schwager Hans von Dohnanyi und dadurch dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht her, wodurch ihr Name mehrmals von den Deportationslisten gestrichen wurde. In der geheimen Aktion ‚Unternehmen Sieben5, in der insgesamt 14 verfolgte Personen gerettet wurden, flüchtete sie am 4. September 1942, unterstützt von Dietrich Bonhoeffer, in die Schweiz nach Basel. Ihr eigentliches Ziel war ihre in Lausanne lebende Cousine Dr. Käthe Dolivo.6 In ihrem Tagebuch schrieb Charlotte Friedländer über die Flucht: „Die Fülle im Zug nimmt von Karlsruhe an ab [...] Eine Dame beobachtet mich vom Gang aus. Schliesslich kommt sie zu mir und fragt, wie das möglich ist, dass ich als ‚Sternträgerin’ reise, es sei doch verboten. Ich beruhige sie, dass alles in Ordnung ginge. [...]. Pass und Devisenkontrolle in Ordnung. Zoll-, Arzt- und Gepäckkontrolle. Ich vergesse ganz und bemerke es nicht, dass ich auf Schweizer Boden bin. Zwei Beamte machen mich sehr freundlich darauf aufmerksam, dass ich den Stern ablegen kann. Welch ein Augenblick!!! Ein Schweizer Beamter lächelt mich an und sagt: Sie sind aber ein Glückspilz! Das ist ja ein Wunder.“7
Charlotte Friedenthal blieb während des Krieges in Basel, besuchte an der Universität theologische Vorlesungen und arbeitete zeitweise für den ökumenischen Rat der Kirchen in Genf. Sie verfasste verschiedene Manuskripte wie eine Denkschrift unter dem Titel Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Judenfrage, die wegen des strikten Betätigungsverbots der Schweizer Behörden 1945 noch nicht unter ihrem Namen erscheinen durfte.
Im Sommer 1948 kehrte Charlotte Friedenthal nach Berlin zurück und war bis zu ihrem Ruhestand bei der Kirchlichen Erziehungskammer für Berlin als Sekretärin angestellt. Sie starb hier im Jahr 1973 .
Netzwerk von Charlotte Friedenthal
Zitate von Charlotte Friedenthal
Biografie von Charlotte Friedenthal
Fußnoten
- 1 Reinicke, Peter: Friedenthal, Charlotte, in: Maier, Hugo (Hg.): Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg 1998, S. 185‒187, hier S. 186.
- 2 Salomon, Alice: Charakter ist Schicksal. Lebenserinnerungen, Weinheim/Basel 1983, S. 214.
- 3 Kuhlmann, Carola: Alice Salomon und der Beginn sozialer Berufsausbildung, Stuttgart 2007, S. 168.
- 4 Rusterholz, Heinrich: „... als ob unseres Nachbarn Haus nicht in Flammen stünde“. Paul Vogt, Karl Barth und das Schweizerische Evangelische Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland 1937–1947, Zürich 2015, S. 313.
- 5 ‘Meyer, Winfried: Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion, Frankfurt a.M. 1993.
- 6 Röhm, Eberhard / Thierfelder, Jörg: Juden-Christen-Deutsche. Band 4/1: 1941-1945, Stuttgart 2004, S. 423.
- 7 Ebenda, S. 408.
Ausgewählte Publikationen
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Friedenthal, Charlotte: Handschriftlicher Lebenslauf, Abschrift des Akademie-Studienzeugnisses und Abschrift der Beurteilung ihres Einsatzes im Freiwilligen Arbeitsdienst für soziale Hilfe. Archiv des Diakonischen Werkes der EKD (ADW), BP 246 1.
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Meyer, Winfried: Unternehmen Sieben. Eine Rettungsaktion für vom Holocaust Bedrohte aus dem Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht, Frankfurt am Main 1993.
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Reinicke, Peter: Die Deutsche Akademie für pädagogische und soziale Frauenarbeit und ihre Jahreskurse, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 1987, Nr. 3, S. 2 10-222.
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Rusterholz, Heinrich: „... als ob unseres Nachbarn Haus nicht in Flammen stünde“. Paul Vogt, Karl Barth und das Schweizerische Evangelische Hilfswerk für die Bekennende Kirche in Deutschland 1937–1947, Zürich 2015.