Packend wie ein Ringkanon: Das Netzwerk Frau, Musik und Gender

verfasst von
  • Susanne Wosnitzka
  • Anne-Marie Bernhard
  • Martina Bick
veröffentlicht 03. August 2020
In Deutschland wie Europa gibt es zahlreiche Institutionen und Initiativen zu Frauen und Genderfragen in der Musik. Das in den letzten Jahrzehnten entstandene Netzwerk wächst stetig weiter. Ein Überblick zum Stöbern.

Verbände, Archive, Bibliotheken

GEDOK 

Der Verband der Gemeinschaften der Künstlerinnen und Kunstförderer e.V. GEDOK ist das älteste und europaweit größte Netzwerk von Künstlerinnen und Kunstförderinnen mit den Sparten Bildende Kunst, Angewandte Kunst/Artdesign, Literatur, Darstellende/Interdisziplinäre Kunst und Musik. Seit der Gründung 1923 durch Ida Dehmel verfolgt der Verband das Ziel, Musikerinnen und Komponistinnen durch Konzerte, interdisziplinäre Projekte, Diskussionen, CD-Produktionen und einen Wettbewerb bekannt zu machen. Die Arbeit wird finanziert aus Mitgliedsbeiträgen und fast ohne öffentliche Zuschüsse. Es werden zeitgenössische Kompositionen, aber auch ältere Werke gefördert. GEDOK macht auf Ungleichbehandlungen von Frauen aufmerksam und entsendet Delegierte in Gremien wie den Deutschen Kunstrat, den Deutschen Musikrat, den Europäischen/Internationalen Musikrat sowie die Landesmusikräte.

Archiv Frau und Musik und Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik

1979 entstand das erste und bis heute umfangreichste internationale Archiv für Werke von Komponistinnen und andere Zeugnisse des kulturellen Handelns von Frauen in der Musik: das Archiv Frau und Musik. Dem vorangegangen war die Gründung des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik (IAK) auf Initiative der Dirigentin Elke Mascha Blankenburg. Zweck des Vereins laut Gründungsdokumenten ist es, „Kompositionen von Frauen in Vergangenheit und Gegenwart ausfindig zu machen, zu sammeln und aufzuführen und sie damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen“.1

Eine Fülle an Musikalien, bis dahin privat gesammelt, wurde nun zu einem öffentlichen Archiv. Zum Bestand zählen alle Arten von Materialien, die das Wirken von Frauen in der Musik dokumentieren, vor allem aber Noten, Publikationen, Handschriften, Fotografien sowie Archivalien und Instrumente. Er umfasst heute rund 26.000 Medieneinheiten.

Das Archiv Frau und Musik wird vom Vorstand des IAK geleitet, sein Sitz ist Frankfurt am Main. Neben der Archivarbeit vergibt es auch ein Composer-in-Residence-Stipendium, veranstaltet Konzerte und bietet Recherchedienstleistungen.

Internationale Komponistinnen-Bibliothek, Unna

Ebenfalls von Elke Mascha Blankenburg ins Leben gerufen wurde die Internationale Komponistinnen-Bibliothek in Unna. Die öffentliche Einrichtung hat die Aufgabe, Werke von Komponistinnen zu sammeln, zu archivieren und auch vergessene Kompositionen wieder zu entdecken und zugänglich zu machen. Zurzeit stehen über 3.000 Werke von Komponistinnen aus acht Jahrhunderten zur Verfügung. Eng verknüpft mit der Musikbibliothek ist die Sybil-Westendorp-Stiftung, die sowohl das Werk der Hamburger Komponistin Sybil Westendorp als auch Musik von Frauen aus allen Jahrhunderten für die Nachwelt bewahrt und zugänglich macht, zum Beispiel durch die Ausschreibung von Stipendien, Komponistinnen-Wettbewerbe oder Konzerte. Klassische Musik, zeitgenössische Werke und Avantgarde gehören ebenso zum Programm der Reihe Komponistinnen-Konzerte wie Jazz, Chanson oder Folk.2

musica femina münchen und Komponistinnen und ihr Werk, Kassel

Kompositionen von Frauen zu Gehör bringen und den Anteil der Werke von Komponistinnen in Konzerten erhöhen: Das sind auch die Ziele von musica femina münchen (mfm), gegründet 1988 in München, und von Komponistinnen und ihr Werk, gegründet 1990 in Kassel.

Seit 2003 vergibt mfm alle zwei Jahre Kompositionsaufträge an Komponistinnen, die seit der Spielzeit 2003/2004 vom Münchener Kammerorchester uraufgeführt werden. Darüber hinaus bietet mfm Kontakte und Informationen für Musiker*innen und leistet Medien- und Öffentlichkeitsarbeit mit Vorträgen, bei Tagungen und mit ausführlichen Programmheften. 

Die Konzertreihe Komponistinnen und ihr Werk, von Christel Nies 1990 in Kassel gegründet und seither von ihr geleitet, widmet sich in jährlich bis zu vier Konzerten dem Schaffen von Komponistinnen aus Vergangenheit und Gegenwart. In rund 200 Veranstaltungen alleine in Kassel und zahlreichen weiteren in Europa wurden Werke von mehr als 110 Komponistinnen aufgeführt, darunter viele Ur- oder Erstaufführungen. 30 Komponistinnen aus dem In- und Ausland kamen zu Porträtkonzerten nach Kassel. In fünf Buchausgaben sind alle Veranstaltungen der Reihe von 1990 bis 2016 dokumentiert. 

ForumMusikDiversität Schweiz und CID Fraen an Gender in Luxemburg

In der Schweiz entstand 1982 im Zuge der zweiten Welle der Frauenbewegung das Kompetenzzentrum FrauenMusikForum, heute – erweitert um Aspekte der Diversität – ForumMusikDiversität Schweiz (FMD) genannt.

In Luxemburg wurde 1992 das CID Fraen an Gender mit dem Ziel gegründet, die Gleichheit zwischen Geschlechtern auf vielen Ebenen voranzutreiben. Von Anfang an war das Thema Musik und Gender ein Schwerpunkt. Missionen sind das Sammeln und Archivieren von Partituren, Tonaufnahmen, Literatur und deren Aufwertung und Vermittlung über Projekte sowie die Förderung von Komponistinnen. Im CID befinden sich unter anderem auch die Archive Komponistinnen in Luxemburg. 

Forschung

Sophie Drinker Institut, Bremen

Eine der Begründerinnen musikwissenschaftlicher Frauen- und Geschlechterforschung in den USA ist Namensgeberin des 2001 durch Freia Hoffmann etablierten Sophie Drinker Instituts in Bremen. Neben dem Online-Lexikon Europäische Instrumentalistinnen des 18. und 19. Jahrhunderts gibt das Institut eine Schriftenreihe heraus, sammelt und bibliografiert Literatur musikwissenschaftlicher Frauen- und Geschlechterforschung sowie Noten und Tonträger, die in einer Präsenzbibliothek öffentlich zugänglich sind, und veranstaltet regelmäßig Konzert- und Vortragsabende. 

MUGI 

MUGI steht für Musik(vermittlung) und Gender(forschung) im Internet. 
Die durch Beatrix Borchard an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg gegründete und durch die Mariann Steegmann Foundation geförderte Forschungsplattform ist seit 2003 online zugänglich. Seit 2015 wird sie zusammen mit Nina Noeske herausgegeben. In einem wissenschaftlich betreuten Lexikon werden über 500 Komponistinnen, Musikerinnen, Pädagoginnen und Musikvermittlerinnen durch Fachwissenschaftler*innen, Angehörige oder Interessierte biografisch aufgearbeitet (Stand November 2018). Hierarchisierungen und eine Auswahl nach herkömmlichen Ordnungskategorien werden vermieden. Außerdem werden männliche Musikschaffende unter Genderaspekten untersucht und in multimedialen Präsentationen neue Formen der Darstellung von Genderthemen angeboten. 

Forschungszentrum Musik und Gender, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover 

Das Forschungszentrum Musik und Gender (fmg) wurde 2006 von Susanne Rode-Breymann zusammen mit Annette Kreutziger-Herr und Beatrix Borchard sowie mit Eva Rieger an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover gegründet. Es wird von der Mariann Steegmann Foundation gefördert. Das Forschungszentrum bietet Studierenden und Interessierten die Möglichkeit, Ergebnisse der musikwissenschaftlichen Gender Studies kennenzulernen, sich mit ihren zentralen Positionen auseinanderzusetzen und musikwissenschaftliche Themenfelder zu bearbeiten. Das fmg steht auch für die institutionelle Etablierung und Verstetigung der Gender Studies in der musikwissenschaftlichen Forschung und Lehre. 

Förderung

Mariann Steegmann Foundation

Die Mariann Steegmann Foundation wurde 2000 von der Schweizer Psychologin und Mäzenin Mariann Steegmann (1939–2001) als gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts mit Sitz in Bremen konzipiert und gegründet. Ihr Hauptzweck ist die Finanzierung von Aktivitäten zur Förderung von Frauen in Kunst und Musik. Durch die Stiftung werden das Mariann Steegmann Institut Kunst & Gender an der Universität Bremen sowie das Forschungszentrum Musik und Gender an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover sowie weitere Forschungseinrichtungen betrieben. Außerdem stellt die Foundation jährlich einen Betrag zur Förderung von wissenschaftlichen Einzelprojekten im Bereich Musik und Gender zur Verfügung.

Musikverlage

Furore Verlag

Der 1986 gegründete Furore Verlag hat bislang mehr als 2.000 Werke von über 170 musikschaffenden Frauen aus Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Australien verlegt. Die Zeitspanne der Entstehung dieser Musik reicht vom Mittelalter bis heute. Die bekannteste verlegte Komponistin im Furore Verlag ist Fanny Hensel geb. Mendelssohn Bartholdy. Weitere Schwerpunkte sind die Werke von Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach, Wilhelmine von Bayreuth, Emilie Mayer, Louise Farrenc und Mel Bonis. Grundlage des Verlags in seinen Anfangszeiten war die enge Kooperation mit Musikwissenschaftlerinnen wie Prof. Dr. Eva Rieger und Elke Mascha Blankenburg, Mitbegründerin des Archivs Frau und Musik, die bereits vielfach Werke von Frauen aus Autografen heraus aufgeführt hatte. 

Certosa-Verlag 

Der 2010 gegründete Certosa-Verlag gehört zu den wenigen, die sich ausschließlich der Veröffentlichung von Musik von Komponistinnen verschrieben haben. Werke der musikalischen Avantgarde sowie bislang ungedruckte ältere Musikhandschriften des 18. bis 19. Jahrhunderts sind die Schwerpunkte des Verlagsprogramms. Die Komponistin Barbara Heller, Gründungsmitglied des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik/Archiv Frau und Musik, und die Co-Leiterin des Certosa-Verlags, Isolde Weiermüller-Backes, sind Herausgeberinnen des Lexikons Klaviermusik von Komponistinnen vom 17. bis 21. Jahrhundert (2003).

Stand: 03. August 2020
Verfasst von
Susanne Wosnitzka

freischaffende Musikwissenschaftlerin, freie Mitarbeiterin Archiv Frau und Musik

Anne-Marie Bernhard

wissenschaftliche Projektkoordinatorin (2018/2019), Archiv Frau und Musik

Martina Bick

Musikwissenschaftlerin

Empfohlene Zitierweise
Susanne Wosnitzka/Anne-Marie Bernhard/Martina Bick (2020): Packend wie ein Ringkanon: Das Netzwerk Frau, Musik und Gender, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/packend-wie-ein-ringkanon-das-netzwerk-frau-musik-und-gender
Zuletzt besucht am: 11.05.2024

Fußnoten