It’s a man’s world: Rock-, Pop- und Jazzmusikerinnen schließen sich zusammen
Im Rock, Pop und Jazz waren bis dahin Musikerinnen, vor allem Instrumentalistinnen, eine Ausnahme und fanden sich als Exotinnen wieder, begleitet von vielen Vorurteilen und dem Druck, sich als Frauen unter ‚Platzhirschen‘ doppelt beweisen zu müssen.
Berühmte Musikerinnen, die als Vorbilder dienen konnten, gab es wenige, viele von ihnen aus den USA oder England, wie zum Beispiel Joan Baez (1960 erste Solo-LP), Marianne Faithfull (1964, As Tears Go By), Tina Turner (1966 Ike & Tina Turner, River Deep, Mountain High), Aretha Franklin (1967, I Never Loved a Man the Way I Love You), Janis Joplin (1967 Monterey Pop Festival). Vorbilder im Jazz kamen ebenfalls aus den USA, berühmte Jazz- und Blues-Sängerinnen waren Ella Fitzgerald, Abbey Lincoln, Sarah Vaughan und Billie Holiday. Rar gesät waren bekannte Instrumentalistinnen wie Rhoda Scott (Hammond-Orgel). Zwei Jazzmusikerinnen aus Deutschland wurden schon in den 1950er-Jahren international bekannt, Jutta Hipp (Piano) und Inge Brandenburg (Sängerin). Beide zogen sich sehr früh aus der Musikwelt zurück und waren viele Jahre vergessen. Die für Frauen schwierigen Strukturen im Musikbusiness können hier als Erklärungen dienen. Mit der Band Frumpy trat in Deutschland in den 60er-Jahren Inga Rumpf als Sängerin hervor, im Bereich Schlager gab es ebenfalls einige bekannte Sängerinnen.
In Großbritannien war in den 60er-Jahren die Beatmusik geboren, „...ein hüftschlackemder Kraftakt der männlichen Jugend. SIE war weiterhin lange Jahre ‚Sweet little Sixteen‘.“1
Unbeschreiblich Weiblich
Doch dann geriet etwas in Bewegung: Die erste deutsche Frauenrockband Flying Lesbians gründete sich 1973 spontan für ein Berliner Frauenfest. 1972 erschien Ina Deter’s Song Ich habe abgetrieben und im Mai 1974 fand das erste Frauen-Musikfest Festival in Rock statt. In den USA trat Patti Smith auf die Bühne, die 1975 mit ihrer ersten LP Horses weltberühmt wurde und ein neues Frauenbild verkörperte. Suzi Quatro wurde – als Bassistin und Sängerin – zu einer der ersten erfolgreichen Rockmusikerinnen. 1971 von den USA nach England gekommen, feierte sie 1973 mit Can the Can ihren ersten Nummer-1-Hit und wurde auch in Deutschland bekannt (1974 Goldener Bravo Otto und Bravo-Starschnitt). Damit wurde sie zu einem wichtigen Vorbild und Role model für junge Frauen. Besonders großen Erfolg hatte sie auch in Deutschland: 1974 erhielt sie den Goldenen Bravo Otto der Jugendzeitschrift BRAVO und erschien als BRAVO-Starschnitt.
1977 gründete sich in Hamburg Schneewittchen, eine der ersten erfolgreichen Frauenbands in Deutschland. Die damals schon bekannte Blues- und Jazz-Sängerin Angi Domdey und die Künstlerin und Musikerin Bruni Regenbogen hatten sich im März 1977 auf einem Frauenmusiktreffen in Göttingen kennengelernt. Mit dem Song von Angi Unter dem Pflaster liegt der Strand errangen sie Kultstatus.
Am Ende der 70er-Jahre eroberte der Punk die Rock- und Pop-Bühnen, darunter auch neue Frauenbands. Vorreiterinnen war die Band The Slits (GB), die androgyn und provokant mit dem Weiblichkeitsideal ihrer Zeit brachen. Im August 1978 spielte die Band in Berlin, Vorgruppe war die Nina Hagen Band. Kurz danach machte Nina Hagen mit schrillen Titeln wie Unbeschreiblich Weiblich Karriere.
Wir werden nicht zu überhören sein!
Die ersten Frauen-Musik-Initiativen entstehen in Deutschland – Gründung des Vereins Frauen machen Musik e.V.
„Es begann auf der 1. Österreichischen Frauen-Musik-Woche im Februar 1983 in Wien, viele Frauen aus der BRD hatten den weiten Weg nicht gescheut, um mit anderen Musikerinnen neue Erfahrungen zu sammeln. Bei einigen entstand die Idee, ein ähnliches Projekt in Norddeutschland zu organisieren, nach mehreren Treffen gründeten wir einen gemeinnützigen Verein zur Förderung musikalischer Aktivitäten im populären Bereich von Frauen.“2
Acht Frauen aus Köln, Oldenburg, Lüneburg und Hamburg - Sonja Griefahn, Christine Hörmann, Nema Heiburg, Katrin Sdun, Lavenda Schaff, Marlis Bredehorst, Sigrid Poepping, Ele Grimm - gründeten 1984 den Verein Frauen machen Musik e.V. in Lüneburg. Sie organsierten die 1. Norddeutsche Frauenmusikwoche, die im August 1984 mit großem Erfolg stattfand; 90 Frauen nahmen in zehn verschiedenen Ensembles teil.
Einige der Dozentinnen, die sich dort kennengelernt hatten, gründeten im Anschluss das Frauenjazzorchester Reichlich Weiblich – zehn Blechbläserinnen sowie Frauen an Piano, Bass und Schlagzeug. Das Programm bestand zum größten Teil aus Kompositionen von Sybille Pomorin (sax) und Iris Timmermann (tr).
Den Vereinsgründerinnen war klar, dass eine Frauen Musik Woche im Jahr nicht ausreichen würde, um die Musiklandschaft und die geringe Präsenz von Frauen zu verändern. Doch statt über mangelnde Möglichkeiten zu lamentieren, planten sie weitere Aktivitäten wie Konzerte und hoben den Rundbrief als Kommunikationsmedium aus der Taufe: „Wir werden nicht zu Überhören sein!“3 Im Februar 1985 erschien die erste Ausgabe des Rundbriefs Frauen machen Musik.
Sisters are doin’ it for themselves (Eurythmics, 1985)
Das Beispiel machte Schule – in vielen deutschen Städten organisierten sich Frauen in Initiativen und veranstalteten Frauen Musik Wochen, Konzerte, Frauenfestivals, Tagungen und Diskussionen, über die in den Rundbriefen berichtet wurde.
Anfang November 1986 trafen sich 30 Frauen von 13 verschiedenen Initiativen und Projekten aus der BRD, der Schweiz und den Niederlanden mit dem Ziel, sich in einem Europäischen Frauenmusik-Netzwerk zusammenzuschließen. Dabei waren: Lärm & Lust – Berlin, Defizit – Köln, FraMaMu – Zürich, Frauen machen Musik – Lüneburg, Frauenmusikzentrum – Hamburg, Sirenen – München, Weibliche Note – Hamburg, Frauenkulturhaus – Bremen, Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik – Düsseldorf, Unerhört – Bremen, Bremer Frauenwoche, Werkgroup vrouw en muziek – Amsterdam, Frauenwoche – Hildesheim.4
Schon im April 1986 hatte das 1. Internationale Frauen-Jazz-Festival Canaille im Frankfurter Jazzkeller stattgefunden,5 bei der 2. Ausgabe der Canaille im Oktober 1986 in der Roten Fabrik in Zürich soll Irène Schweizer gesagt haben, sie fände es gut, wenn Männer zuhörten; sie sollten nur merken, dass sie sich langsam anstrengen müssten, um mit den Frauen mithalten zu können.6
Weitere Starts und Gründungen:
1986 wurde von FraMaMu Zürich die erste Frauen Musik Woche in der Schweiz organisiert und 1988 die Erste Stuttgarter Frauenmusikwoche Rock-Pop-Jazz. 1990 gründete sich der Frauenmusikclub Köln und 1991 rocksie! In Dortmund. 1991 fand ein erstes Vereinsfrauen-Treffen in Berlin beim Frauen-Musik-Festival Wie es ihr gefällt statt. 1992 wurden die ersten Niedersächsischen Frauenmusiktage von der LAG Rock Niedersachsen in Hannover organisiert.
Die ersten Ausgaben des Rundbriefs geben einen guten Überblick über die Reaktionen der Presse und der Öffentlichkeit auf die Musikerinnen und ihre Initiativen. Abfällige, verächtlich machende Kommentare sowie Voreingenommenheit waren keine Seltenheit: ‚Girls are usually long on looks and short on talent‘, (‚sie haben zu kleine Lungen, um kräftig blasen zu können‘.
Weitere Themen der Ausgaben widmeten sich der Musikgeschichte. Die Recherche nach vergessenen Musikerinnen begann, um den Anteil der Frauen im Jazz, Blues und Rock herauszustellen. In Berichten und Interviews wurden aktuelle Musikerinnen und deren Bands vorgestellt.
Neben informativen Artikeln wie Improvisieren lernen7, Frauen und Technik8 gab es viele Berichte und Diskussionsbeiträge zum Finden eines Selbstverständnisses der Neuen Frauen Musik Bewegung und ihrer Ziele: Gibt es weibliche Musik, männliche Musik? Wie können sich Frauen den patriarchalen Strukturen in der Musik widersetzen?9
Von Frauen Musik Woche bis sistars – das Networking geht in Frankfurt weiter
Nach dem Umzug des Vereins Frauen machen Musik e.V. 1990 nach Frankfurt am Main und einer Umbenennung in Frauen Musik Büro entstanden hier viele neue Projekte. Ab 1996 erschien der Rundbrief unter dem neuen Namen Melodiva vierteljährlich in gedruckter Form bis zum Jahr 2000 und danach als Online-Journal www.melodiva.de bis heute.
Die Hessische Frauen Musik Woche wurde erstmalig 1998 durchgeführt und fand jährlich bis zuletzt 2017 in Kooperation mit der Frankfurter Musikinitiative Waggong e.V. statt: Mehrere Ensemble-Workshops von Rock, Pop und Jazz wurden mit wechselnden Dozentinnen aus dem In- und Ausland angeboten.
2001 entstand das Projekt Girls That Rock: ein Mädchenband-Coaching in Kooperation mit Waggong e.V. und dem Jugendhaus Heideplatz. Junge Mädchenbands erhielten Workshop-Module von Marketing, Bühnentraining bis Studioaufnahmen und Konzertauftritt. 2003 wurde aus Girls That Rock das bundesweite Projekt sistars, eine Kooperation der Frankfurter Vereine mit rocksie Dortmund, Fmz Hamburg, LAG Rock Hannover. Insgesamt gab es vier Durchläufe des Projekts bis 2007.
Informationen über weitere Projekte im Nachwuchsbereich wie zum Beispiel Bandfieber, Miezenabend, Melodita - Online-Journal von und für Mädchen und junge Frauen sowie über die Konzertreihe Melodiva Club Concerts und aktuelle Projekte finden sich auf den Webseiten des Vereins.
Am 7. Juli 2018 – 50 Jahre nach Entstehen der Neuen Frauenbewegung – erscheint die überregionale Tageszeitung Frankfurter Rundschau mit der dreiseitigen Titelgeschichte Laut sein. Frauen sind in der Musikbranche auf allen Ebenen unterrepräsentiert. Und James Brown’s Beschreibung der herrschenden Männerwelt aus dem Jahr 1966 ist immer noch nicht Geschichte!
Fußnoten
- 1 Farin, Klaus in: Deutsche Volkszeitung Nr. 15 aus: Rundbrief Nr. 07, Juni 1987, o. S.
- 2 Rundbrief Nr. 0, Februar 1985, S. 3.
- 3 Rundbrief Nr. 0, Februar 1985, S. 4.
- 4 Vgl. Rundbrief 06, Februar 1987, S. 3.
- 5 Vgl. Rundbrief 04, Juni 1986, S. 5.
- 6 Vgl. Rundbrief 06, Februar 1987, S. 1.
- 7 Rundbrief 15, Juni 1990.
- 8 Rundbrief 12, Juni 1989.
- 9 Vgl. Rundbrief 12. Juni 1989; Rundbrief 13. Oktober 1989.