Frauenpolitik in der DDR durch die Brille der ‚Für Dich‘ gesehen
„Für sie, die berufstätige Frau mit Kindern, ist FÜR DICH im Januar 1963 geboren worden.“1 Drei Jahrzehnte begleitete die Zeitschrift Frauen und Männer durch ihren DDR-Alltag. Mit einer Auflage von einer Million Exemplaren pro Jahr kann das Wochenblatt als meinungsprägend gelten. Themen waren Lohnarbeit und Weiterbildung, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Partnerschaft sowie „praktische Mode für die berufstätige Frau“.2 Doch hatten in der Zeitschrift – vor dem Hintergrund staatlicher Zensur – auch kritische Stimmen zum Fortgang der Gleichberechtigung und zur DDR-Frauenpolitik Platz? Im Vordergrund jedenfalls standen frauenpolitische Errungenschaften und Porträts beruflich erfolgreicher Frauen.
Recht auf Arbeit und legaler Schwangerschaftsabbruch – Die Errungenschaften der DDR-Frauenpolitik
„Der gesellschaftliche Fortschritt läßt sich exakt messen an der gesellschaftlichen Stellung des schönen Geschlechts“3 – dieser viel zitierte Ausspruch des kommunistischen Vordenkers Karl Marx sollte die Messlatte sein für den sozialistischen Staat. Frauen gehörten in die Fabriken, Chefsessel, politischen Gremien und nicht an den Kochtopf. Ein Konzept, wer stattdessen die Hausarbeit erledigen sollte, fehlte.
Die Gleichstellungspolitik galt vorwiegend der weiblichen Berufstätigkeit. Die Gründung von Frauenausschüssen in den Betrieben wurde in gleicher Geschwindigkeit vorangetrieben wie die Reformierung des Bildungssystems. Die Losung ‚Gleicher Lohn für gleiche Arbeit‘ war von Beginn an in der Verfassung verbrieft4. 1972 wurde die Arbeitszeit berufstätiger Mütter auf 40 Stunden pro Woche reduziert5 und der Schwangerschaftsabbruch legalisiert. Im Familiengesetzbuch wurde 1974 festgehalten: „Die Ehegatten sind gleichberechtigt. […] Beide Ehegatten tragen ihren Anteil bei der Erziehung und Pflege der Kinder und der Führung des Haushaltes.“6 Es folgten Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. 1976 waren 86 Prozent der Frauen berufstätig.7 Bereits ab Mitte der 1970er-Jahre galten „alle klassischen Forderungen an die Lösung der Frauenfrage [als] erfüllt“8 – zu voreilig?
„Warum es in der DDR keinen Feminismus gibt“ – Die Rede von der vollzogenen Gleichberechtigung
Bereits in ihrem Gründungsjahr war die Für Dich überzeugt, dass „[der Frauen] Fleiß, ihr Ehrgeiz, ihre gute Arbeit als Ausdruck völliger Gleichberechtigung der Frau doch eine der sozialistischen Gesellschaft eigene Besonderheit ist“9, Erich Honecker fragte 1981: „Was ist bei uns geblieben […] von der gesellschaftlichen Unmündigkeit und Unselbständigkeit der Frau? Nichts!“10 Noch Anfang 1989 hieß es in der Für Dich: „Die Gleichberechtigung ist durch die Anstrengung aller Werktätigen kontinuierliche Wirklichkeit geworden.“11 Von dem neuen Mann war die Rede, der sich seiner Verantwortung in Haushalt und Familie stellt.
Aber auch andere Stimmen kamen in der Zeitschrift zu Wort, die feststellten, dass es mit Gesetzen und Verordnungen allein nicht getan sei und es darum gehe, die Bedingungen zu schaffen, damit Frauen ihre Rechte wahrnehmen können.12 Als größte Hürde auf dem Weg zur Gleichberechtigung erkannte die Zeitschrift die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf vor allem für berufstätige Mütter.13
Vom fortschrittlichen Geist der Gleichstellungspolitik überzeugt, suchten DDR-Medien und Politik die Ursache in einem Bereich, auf den die Staatspolitik vermeintlich kaum Einfluss hatte. Das im DDR-Sprech sogenannte Patriarchentum trieb demnach noch in den Familien sein Unwesen und wäre eine Sache von Bequemlichkeiten und Traditionen – hätte also nichts mit der DDR-Politik zu tun.14 Immer wieder wurde in der Für Dich auf die Diskrepanz zwischen der fortschrittlichen Gesellschaft und den überholten Geschlechterzuschreibungen in den Familien hingewiesen15.
Die sozialpolitischen Maßnahmen waren zwar darauf ausgerichtet, alle Hindernisse für die Vollbeschäftigung der Frau aus dem Weg zu räumen. „Aber der Staat kann eben nur die Bedingungen schaffen“16 und sitzt nicht mit am Küchentisch.
Gemessen wurde die Gleichberechtigung ohnehin an der weiblichen Erwerbsquote, und die bestätigte den Erfolg der staatlichen Sozialpolitik. „Warum es in der DDR keinen Feminismus gibt“17? Der sei nicht nötig, da Männer und Frauen ihr freundschaftliches Verhältnis täglich in den Betrieben bewiesen.18
„Lieber einen mittelmäßigen Mann als eine sehr gute Frau“
Ungeachtet aller Erfolgsmeldungen stießen die Frauen auch im beruflichen Sektor auf Hindernisse, die in der Für Dich zur Sprache kamen. Wurde bereits 1963 der Widerstand gegen Frauen in Leitungspositionen beklagt, gestaltete sich für sie auch noch in den 1980er-Jahren die Berufstätigkeit als problematisch.19
Angeprangert wurde beispielsweise ein Unternehmer, der einer schwangeren Frau die Vollbeschäftigung verwehrte. Dies sei eine „betriebsegoistische Fehlentscheidung“ und nicht im Sinne der DDR-Politik.20 Andererseits wurden die Betriebe an der Planerfüllung gemessen und so hieß die Devise wohl allzu oft: „Lieber einen mittelmäßigen Mann, als eine sehr gute Frau einstellen.“21
Was nicht in das staatliche Selbstverständnis der vollendeten Emanzipation passte und auch die Für Dich lange Zeit ignorierte: Frauen arbeiteten mehrheitlich in schlecht bezahlten Berufen und verdienten somit bis zu einem Drittel weniger als Männer. Sie waren kaum in Leitungsfunktionen zu finden und alleinstehende Mütter machten den größten Anteil der Ungelernten aus.
„Mein Bruder muß bloß Kohlen holen“
Mit diesen Worten leitete 1982 eine Dreizehnjährige einen Beschwerdebrief ein, der in der Für Dich für Entrüstung sorgte. Nahezu die gesamte Hausarbeit musste das Mädchen allein erledigen, während der Bruder mit der Haltung ‚Das ist keine Männerarbeit‘ seine Freizeit auskostete, ohne dass die Eltern intervenierten.22
Die Für Dich wies diesen Erziehungsstil als unzeitgemäß zurück . Die Statistiken allerdings zeigen die Aktualität geschlechtsspezifischer Diskriminierung. Ganze 6,5 Stunden mehr hatten Mädchen wöchentlich mit der Hausarbeit zu tun.23 Als die Vollbeschäftigung der Frauen in den 1960er-Jahren etabliert war, kam es zu einem schulischen Leistungsabfall bei den Mädchen. Warum? Sie mussten die fehlenden Kapazitäten ihrer berufstätigen Mütter für die Hausarbeit kompensieren.24
Der Staat versuchte zwar mit sozialpolitischen Maßnahmen die Frauen zu entlasten, rechnete aber nicht mit den scheinbar unverwüstlichen patriarchalen Familienstrukturen. So führte die 40-Stunden-Woche nicht zu mehr freier Zeit für die Frauen. Prompt vernachlässigten nämlich Mann und Söhne ihre ohnehin bescheidenen häuslichen Pflichten: Mutter hat ja jetzt mehr Zeit dafür. So trugen die frauenpolitischen Maßnahmen nicht ausschließlich zur Gleichberechtigung bei, sondern verfestigten andererseits die diskriminierende Arbeitsteilung.25 Solcherlei Missstände, bei denen einzelne Unternehmer oder Familien und nicht der Staat am Pranger standen, wurden auch in der Für Dich thematisiert. Ein Aspekt der DDR-Frauenpolitik jedoch, nach 1989 als ‚Mutti-Politik ‘ kritisiert, wurde zumindest andiskutiert. 1976 veröffentlichte die Frauenzeitschrift einen Leserinnenbrief, in dem die Autorin kritisierte, dass die 40-Stunden-Woche nur den Müttern zustünde und nicht allgemein einem Elternteil. Frauen würde so wieder der klassische Zuständigkeitsbereich zugeteilt.
Die Für Dich-Redaktion rechtfertigte diese Politik mit dem Zögern vieler Frauen, leitende Positionen oder Qualifikationen wahrzunehmen. Dies sei ein Indiz dafür, dass Frauen sich mehr für die familiären Belange zuständig fühlten. Die Maßnahme zur Reduzierung der Arbeitszeit berücksichtige dieses Verhalten und sorge so für Bedingungen, die es den Frauen ermöglichten, ihre Rechte auf Chancengleichheit im Beruf wahrzunehmen26.
Mit Charme und Arbeiterhose – Das Frauenbild in der DDR
Die Bewältigung der Mehrfachbelastung blieb demnach nicht nur bis 1963 Frauensache: „Teilt sich die berufstätige Frau ihre Zeit vernünftig ein […] sorgt sie für gemeinsame Erlebnisse im Familienkreis, wird sie trotz knapper Zeit gut erzogene Kinder haben.“27 1983 heißt es in der Für Dich: „Zur ‚idealen Frau‘ gehören neben aller Weiblichkeit, Tüchtigkeit im Beruf, weltanschauliche Klarheit, politische Aktivität, Selbstbewußtsein und Durchsetzungsvermögen.“28
Diese Zitate lassen vermuten, dass Frau-Sein in der DDR eine ganz schöne Zerreißprobe darstellte. Gut qualifiziert sollte sie sein, voll berufstätig, politisch engagiert und eine vorbildliche Erzieherin. Das Kinderkriegen (möglichst zwei bis drei) stellte ebenso eine gesellschaftliche Erwartung dar wie das berufliche Engagement.29 Dabei sollte sie jedoch nicht ihre vermeintlich weiblichen Vorzüge wie Charme, Weichheit und Schönheit aufgeben.30
Für die sozialistische Frau gab es also klare Vorstellungen. Leitbilder für den Mann hingegen blieben vage, wie auch die Für Dich kritisch anmerkte.
Vom helfenden Mann
„Ab und zu reparieren ersetzt keine regelmäßige Hilfe“31, tadelte die Für Dich 1973 ebenso die Männer wie noch 1982: „An verzogenen Männern scheitern viele Ehen.“32 1980 jedoch hieß es: „Es ist fast selbstverständlich, dass Väter sich von Beginn an einbringen und die Pflichten teilen.“33
Die Zitate zeigen, wie widersprüchlich die Männerrolle wahrgenommen wurde. Viele Autorinnen waren überzeugt, dass die meisten Männer sich ausreichend familiär engagierten.34 Über die Jahrzehnte hinweg ermahnte andererseits die Für Dich die Männer immer wieder zur stärkeren Beteiligung bei der Kindererziehung und im Haushalt.35 Kritisiert wurde der helfende Mann, der zwar die Berufstätigkeit seiner Frau begrüßt, aber nicht gewillt ist, diese durch ein stärkeres Engagement im Haushalt zu kompensieren.36 Die Verweigerung der Männer war wohl eine zentrale Ursache für die Stagnation der Gleichstellungsbemühungen in der DDR: „Es kann eben nicht nur ein Geschlecht zur Gleichberechtigung erzogen werden.“37
Fußnoten
- 1 Allendorf, Marlis: Einen Blick zurück und zwei voraus, in: Für Dich, 1988, Nr. 1, S. 14‒15, hier S. 14.
- 2 Ebenda, S. 15.
- 3 Vgl. Marx, Karl / Engels, Friedrich: Werke, Band 32, S. 583, Berlin 1974.
- 4 Vgl. o. A.: Die berufstätige Frau. Bilanz zum 25. Jahr der Republik, in: Für Dich, 1974, Nr. 10, S. 24‒25.
- 5 Vgl. Nitsch, Karla: Hier wird ein guter Faden gesponnen, in: Für Dich, 1973, Nr. 3, S. 38.
- 6 Großer, Ingeborg: Helfen sie ihrem Mann im Haushalt?, in: Für Dich, 1974, Nr. 10, S. 44.
- 7 Vgl. o. A.: Die Frauen unserer Republik: Aktiv, schöpferisch, erfolgreich. Aus dem Bericht über die Ergebnisse des Internationalen Jahres der Frau an die UNO, in: Für Dich, 1976, Nr. 20, S. 6‒7, hier S. 6.
- 8 Allendorf, Marlis: Tausend Hefte für Gleichberechtigung. Wir blicken in den Spiegel, in: Für Dich, 1982, Nr. 7, S. 2‒5, hier S. 5.
- 9 Hoffmann, Arnold: Die junge Frau von nebenan, in: Für Dich, 1963, Nr. 10, S. 14.
- 10 Honecker, Erich: Staatsbürgerin im echten Sinn, in: Für Dich, 1981, Nr. 9, S. 6‒8, hier S. 7.
- 11 Ulrich, H.-B.: Was die KPD forderte – Wirklichkeit in der DDR, in: Für Dich, 1989, Nr. 1, S. 16‒17, hier S. 16.
- 12 Vgl. u.a. Allendorf, Marlis / Kuhrig, Herta: Forschung zum Thema Frau, in: Für Dich, 1976, Nr. 23, S. 20‒21.
- 13 Vgl. u.a.: Bertram, Barbara / Hässler, Angelika: Wie lebt sich’s gleichberechtigt? In: Für Dich 1986, Nr. 38, S. 10‒11.
- 14 Vgl. u.a.: George, Edith: Mädchen, wie sie im Buche stehen. Eine Untersuchung über Mädchengestalten, in: Für Dich, 1981, Nr. 46, S. 20‒23, hier S. 22.
- 15 Vgl. u.a.: Bertram / Hässler: Wie lebt sich’s gleichberechtigt?, S. 10.
- 16 Bertram / Hässler: Wie lebt sich’s gleichberechtigt?, S. 10.
- 17 Lange, Inge: Frauen bauen mit an ihrer lebendigen Welt, in: Für Dich 1979, Nr. 10, S. 8‒9, hier S. 9.
- 18 Ebenda.
- 19 Vgl. O. A.: Abgeheftet unter F, in: Für Dich, 1963, Nr. 24, S. 11; Flemming, Ingrid: Nutzt du, was du kannst? …Und auf den Mann kommt’s an, in: Für Dich, 1982, Nr. 29, S. 10‒11.
- 20 Arnold, Jutta: Nicht im Sinne des Erfinders, in: Für Dich, 1977, Nr. 16, S. 38.
- 21 Meinhardt, Christina: Frauen an der Akademie – und wie weiter?, in: Für Dich, 1989, Nr. 46, S. 20‒22, hier S. 22.
- 22 Vgl.: L., Steffi: Mein Bruder muß bloß Kohlen holen…Leserbrief einer Dreizehnjährigen, in: Für Dich, 1982, Nr. 19, S. 41.
- 23 Vgl. Schwarz, Gislinde: Wie sind Männer heute? Fünf Irrtümer über ihn, in: Für Dich, 1989, Nr. 32, S. 24‒31, hier S. 25.
- 24 Vgl. Schröter, Ursula / Ullrich, Renate: Patriarchat im Sozialismus. Nachträgliche Entdeckungen in Forschungsergebnissen aus der DDR, Berlin 2005, S. 75.
- 25 Vgl. Allendorf, Marlis: Revolution in der Familie?, in: Für Dich, 1975, Nr. 30, S. 2‒9, hier S. 6; Flemming, Ingrid: Familie und Schicht – Ein verträgliches Paar?, in: Für Dich, 1983, Nr. 20, S. 12‒15, hier S. 14.
- 26 Säverin, Barbara / Für Dich: Gleichberechtigung weniger oder mehr? Ein aktueller Briefwechsel, in: Für Dich, 1976, Nr. 30, S. 30.
- 27 Rottschalk, G.: Keine Zeit zum Erziehen? Ein pädagogischer Ratschlag, in: Für Dich, 1963, Nr. 44, S. 34.
- 28 Allendorf: Revolution in der Familie?, hier S. 5.
- 29 Vgl. dies.: Modern mit Kompromiß?, in: Für Dich, 1978, Nr. 34, S. 8‒11, hier S. 9.
- 30 Vgl. Allendorf: Tausend Hefte für Gleichberechtigung, S. 5.
- 31 Nitsch: Hier wird ein guter Faden gesponnen, S. 38.
- 32 o. A.: Auch der Junge hat zwei Hände, in: Für Dich, 1982, Nr. 28, S. 41.
- 33 o. A.: Junge Männer heute: Vaterpflichten ein Problem? In: Für Dich, 1980, Nr. 18, S. 22‒23, hier S. 22.
- 34 Vgl. u.a. Mühling, Lilo / Winkler, Gunnar: Haben Väter keine Kinder? In: Für Dich, 1974, Nr. 13, S. 40; Russek, Helga (Redaktion): Sie und Er heute, in: Für Dich, 1989, Nr. 31, S. 6‒7.
- 35 Vgl. u.a. Schwarz: Wie sind Männer heute?, S. 28.
- 36 Großer: Helfen sie ihrem Mann im Haushalt?, S. 44.
- 37 Allendorf: „Sei brav, du bist ein Mädchen!“?, S. 10.
Ausgewählte Publikationen
-
Schwarz, Gislinde: Im Dienste der Frauen? Kühnheit und Anschmiegsamkeit der Frauenzeitschrift FÜR DICH, in: Spielhagen, Edith (Hg.): So durften wir glauben zu kämpfen… Erfahrungen mit DDR-Medien, Berlkin 1993, S. 200.
-
Schröter, Ursula / Ullrich, Renate: Patriarchat im Sozialismus. Nachträgliche Entdeckungen in Forschungsergebnisse aus der DDR, Berlin 2005.