Mit Netz und ohne finanziellen Boden – die Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser in NRW

verfasst von
  • Katharina Hugo
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Die autonome Frauenhausbewegung seit Mitte der 1970er-Jahre ist eine der Antigewaltbewegungen der Zweiten Frauenbewegung. Um ihre politischen Forderungen – nicht zuletzt jene nach Finanzierung – durchzusetzen, arbeiteten die Aktivistinnen beständig an und in ihren Projekten und vernetzten sich.

Mitte der 1970er-Jahre schlossen sich Frauenhaus-Initiativen aus Klein- und Großstädten auf internationaler, nationaler und regionaler Ebene zusammen. Neben der Organisierung der Zweiten Frauenbewegung gegen Vergewaltigung, gegen Pornografie und andere Formen der Gewalt gegen Frauen gilt die autonome Frauenhausbewegung als eine der „Teilbewegungen gegen Gewalt gegen Frauen“1. Bereits 1976 schlossen sich auch die nordrhein-westfälischen Frauenhaus-Initiativen zusammen.2  

Aus diesen anfangs informellen regionalen und überregionalen Treffen ging im Juni 1978 die Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhaus-Initiativen in NW (Nordrhein-Westfalen, heute NRW) hervor.3 Bereits ein Jahr später benannte sich die AG in Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW um.4 Dem vorangegangen waren republikweite Treffen in West-Deutschland, auf denen die Mitwirkenden die Notwendigkeit regionaler Vernetzung betonten.5 Der regionale Zusammenschluss bedeutete aber keinen Rückzug aus den überregionalen Netzwerken. Das Gegenteil war der Fall – bereits im September 1978 reisten beispielsweise Frauen und Lesben aus den nordrhein-westfälischen Initiativen nach Schleswig-Holstein, um den dortigen Aufbau überregionaler Strukturen von Frauenhaus-Initiativen zu unterstützen.6

"Arbeitsgemeinschaft der autonomen Frauenhaus-Initiativen in NRW", 1978

„Wir wollen nicht gegeneinander ausgespielt werden“

In der ersten Zeit ihres Zusammenschlusses beschäftigten sich die Frauen in NRW mit der „Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie gegenüber Stadt und Land“7. In einem Grundsatzpapier hielten sie die Ziele ihres Zusammenschlusses fest:

  1. Wir wollen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
  2. Wir wollen die Informationen unter uns besser und schneller weiterleiten.
  3. Wir brauchen eine einheitliche Vertretung unserer Interessen nach außen.
  4. Wir wollen gemeinsame Aktionen effektiv durchführen können. (Mittelbeschaffungen, Gesetzesänderungen, Öffentlichkeitsarbeit, Fortbildung und Forschung)“8

Die Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW verfügte über verschiedene Arbeitsgruppen und eine sogenannte Koordinierungsstelle, die sich zuerst in Meerbusch, dann in Bielefeld befand und schließlich zwischen verschiedenen Städten rotierte. Die Stelle finanzierte sich vor allem über Mitgliedsbeiträge der einzelnen Initiativen und Referentinnengehälter. Die Frauen tauschten sich auf den vierteljährlich, in unterschiedlichen Städten stattfindenden Regionaltreffen aus, erarbeiteten dort Themen und planten ihre Aktionen.

Die Koordinationsstelle kümmerte sich sowohl um die interne Verbindung der einzelnen Frauenhäuser und Initiativen als auch um die Kommunikation der Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser mit Externen. Dazu zählten beispielsweise das Land NRW, insbesondere das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS), die Presse, der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband (DPWV) oder andere regionale und überregionale Zusammenschlüsse von Frauenhaus-Initiativen außerhalb NRWs. In den Arbeitsgruppen erarbeiteten die Frauen und Lesben verschiedene Themen, sei es die Positionierung der Arbeitsgemeinschaft zum § 72 des Bundessozialhilfegesetzes oder zu den sogenannten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, sei es die interne Zusammenarbeit der Arbeitsgemeinschaft oder die gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit.9

Die Frauenhausbewegung entstand aus der Zweiten Frauenbewegung heraus, weshalb ihr eine Abgrenzung von herkömmlicher Sozialarbeit besonders wichtig war – ihre Arbeit war eine politische.10 In ihrer Vernetzungsarbeit ging es also neben dem Erfahrungsaustausch insbesondere um die Durchsetzung politischer Ansprüche an die Frauenhausarbeit gegenüber den jeweiligen Kommunen, dem Land und dem DPWV. Da die Frauen eine staatliche Finanzierung als notwendig und gerechtfertigt ansahen – „schließlich ist es die Gesellschaft, die die Gewalt produziert und die die Frauenhäuser notwendig macht“11 – spielte die Verteidigung und Durchsetzung politischer Forderungen im Bereich der Finanzierung eine besonders große Rolle. Es ging darum, finanziert zu werden, aber Autonomie zu behalten, sich also weder von Staat, Bundesland oder Stadt kontrollieren noch entpolitisieren zu lassen. Diese Auseinandersetzung soll im Folgenden anhand eines Beispiels skizziert werden.

Die Stigmatisierung geschlagener Frauen durch den § 72 des Bundessozialhilfegesetzes

Im Rahmen der Debatten um die Finanzierung künftiger autonomer Frauenhäuser setzten sich sowohl die einzelnen Initiativen als auch die Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser mit dem § 72 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) auseinander.12 Dieses Gesetz regelt, grob skizziert, die temporäre finanzielle Unterstützung von Menschen, deren aktuelle Lebenslage eine Selbstversorgung aufgrund verschiedener Probleme nicht ermöglicht. Dazu zählen beispielsweise obdachlose und suchterkrankte Menschen.13

Das Land NRW und der Landschaftsverband14 wollten, dass die Frauenhäuser ihre Arbeit über diesen Paragrafen finanzierten. Daran hatten die Initiativen verschiedene Kritikpunkte: Der Paragraf definierte die gewaltbetroffenen Frauen, deren Frauenhausaufenthalt finanziert werden sollte, als „Randgruppe“15. Dadurch blieben nicht nur die Täter außen vor, sondern den Frauen wurde eine vermeintliche soziale Devianz aufgrund der Gewalt ihrer Männer unterstellt. Weiterhin benannte der § 72 die Lebensverhältnisse der finanziell zu unterstützenden Gruppe als „spürbar abweichende soziale Sonderlage“16. Auch dem widersprach die Arbeitsgemeinschaft mit dem Verweis auf die Strukturalität von Gewalt gegen Frauen. Jede Frau erfahre Gewalt, wobei die körperliche Gewalt durch Partner oder andere Männer eine extreme Form darstelle. Gewalt gegen Frauen sei – so die Arbeitsgemeinschaft – aber die Regel, nicht eine Ausnahme oder „Sonderlage“17. Das Gesetz leite – so die Kritik – aus der sozialen Sonderlage eine eingeschränkte gesellschaftliche Teilhabe und Stigmatisierung der zu Unterstützenden ab. Die Frauenhausbewohnerinnen würden so zunehmend ausgeschlossen.18  

Woran es mangelt, so die Arbeitsgemeinschaft, sei eine Verurteilung der Täter und ihrer Tat – eine Verurteilung der Frauen, wie sie im Rahmen des §72 vorgenommen würde, sei daher nicht förderlich. Auch die Auszahlungsweise war ein Kritikpunkt: Der § 72 BSHG besagte, dass das Geld vom Landschaftsverband nicht direkt an die Frauen, sondern den Frauenhäusern überwiesen wurde. Das entsprach erstens nicht den politischen Konzepten der autonomen Frauenhausbewegung, die nötige Selbstständigkeit von Frauen zu gewährleisten, und zweitens würden sich die Frauen durch ihren Aufenthalt in einem autonomen Frauenhaus angreifbar machen. Sollte einem autonomen Frauenhaus durch den Landschaftsverband das Geld entzogen werden, würden die Frauen kein Geld mehr bekommen und müssten das Haus verlassen. Ihre neu gewonnene Selbstständigkeit könnte so zum politischen Spielball werden befürchtete die Arbeitsgemeinschaft.19

Das Ergebnis der ausführlichen Diskussionen um den § 72 BSHG war schließlich die gemeinsame Position der Ablehnung der Finanzierungsmöglichkeit durch den § 72 BSHG.20 Sollte eine Finanzierung über den Landschaftsverband in Erwägung gezogen werden, so wollten die Frauenhäuser und Frauenhaus-Initiativen dies nicht über diesen Paragrafen umgesetzt wissen.

„§ 72 […] durch die Hintertür“

Die Debatten um die Art der Finanzierung liefen über Monate und Jahre. In den Verhandlungen, die die Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser führte, zeigte sich ein gewisses Handlungsmuster seitens des Landes NRW. Die Frauen betonten immer wieder, dass eine Finanzierung der Frauenhäuser nach dem § 72 des Bundessozialhilfegesetzes für sie nicht in Frage käme. Daraufhin luden Vertreter*innen21 der Landesregierungen, Landtagsfraktionen und der Landschaftsverband jeweils zu neuen Gesprächen ein, wobei sie erneut für den § 72 BSHG plädierten. Neue und alte Argumente tauchten auf. Mal aus dem Grund, dass einige der Frauenhausbewohnerinnen suchtkrank seien und daher unter den Paragrafen fielen, mal war es der Vorwand, dass die Auszahlung der Gelder nach § 72 BSHG einfacher zu leisten sei. So hatten beispielsweise die Frauen aus Leverkusen im Jahr 1979 eine Finanzierung des Frauenhauses nach ihrem Konzept durchsetzen können. Als es dann um die Auszahlung der Gelder ging, schlug die Stadt vor, dass eine Auszahlung nach § 72 BSHG doch leichter sei. Dies bedeutete aber auch, dass das Geld an das Frauenhaus, nicht aber an die dort lebenden Frauen ging22: „In der Diskussion um die Finanzierung wurde deutlich, dass uns der § 72 BSHG immer wieder durch die Hintertür ins Haus steht.“23

Kontrolliert autonom?

Position über den § 71 BSHG, 1978

Die Verhandlungen um den § 72 BSHG machen die Notwendigkeit der Vernetzung autonomer Frauenhaus-Initiativen deutlich. Trotz einer klaren Positionierung und Verhandlungsposition der Initiativen versuchte das Land NRW immer wieder sowohl sozial als auch politisch und organisatorisch Kontrolle über die Frauenhaus-Initiativen und Frauenhäuser zu erlangen. Soziale Kontrolle, indem die Frauen und ihre Lebenssituation zum Problem gemacht wurden, nicht aber die prügelnden Männer und ihre Taten. Die feministische Analyse damals lautete: Mit der Schaffung von Frauenhäusern und deren staatlichen Kontrolle sollte die Gewalt und das Berichten von Frauen über ihre Gewalterfahrung eine Art ,soziale Glättung‘ erfahren.

Die Vertreter*innen der Kommunen, des Landschaftsverbandes und der Landesregierung wirkten also politisch, da die Gewalt, die die Frauenbewegung als System und nicht als tragischen Einzelfall beschrieb, individualisiert wurde. Organisatorisch wollte man die Frauenhausarbeit über die Kontrolle ihres autonomen Konzepts beeinflussen. Das geschah beispielsweise, wenn auf Basis der Sozialgesetzgebung Akten über die Frauenhausbewohnerinnen geführt werden sollten oder ein Beitritt zum DPWV verlangt wurde, um städtische Gelder zu erhalten.24 In der klaren Ablehnung der Finanzierung nach § 72 BSHG lag also eine grundlegende Forderung der Frauenhausbewegung: Die Hilfe zur Selbsthilfe und die Autonomie der Frauenhäuser als Grundlage für eine nachhaltige Befreiung von Frauen.

 

Veröffentlicht: 12. Oktober 2023
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Verfasst von
Katharina Hugo

M. A., hat Geschichte und Gender Studies in Leipzig und Bochum studiert. Zurzeit leitet sie das DDF-Projekt „Wir machen draus ein Frauenhaus“ zur Geschichte der autonomen Frauenhausbewegung im feministischen Archiv ausZeiten in Bochum.

Empfohlene Zitierweise
Katharina Hugo (2024): Mit Netz und ohne finanziellen Boden – die Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser in NRW , in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/mit-netz-und-ohne-finanziellen-boden-die-arbeitsgemeinschaft-autonomer-frauenhaeuser-nrw
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Fußnoten

  1. 1 Lenz, Ilse (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Ausgewählte Quellen, Wiesbaden 2009, S. 209.
  2. 2 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,1, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.; Vgl. ausZeiten NL-FH AG,2, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  3. 3 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,8, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  4. 4 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,37, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 11r.
  5. 5 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG, 3, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  6. 6 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,28, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  7. 7 ausZeiten, NL-FH AG,8, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  8. 8 Vgl.: ausZeiten, NL-FH AG, 17, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  9. 9 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,17, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r. u. v.
  10. 10 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,13, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r.
  11. 11 Frauenhaus Köln (Hg.): Nachrichten aus dem Ghetto Liebe. Gewalt gegen Frauen. Ursachen – Auswirkungen – Bewältigungsstrategien, Frankfurt a.M. 1980, S. 146.
  12. 12 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“.
  13. 13 ausZeiten, NL-FH AG,15, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“.
  14. 14 Der Landschaftsverband ist eine kommunale Körperschaft. In NRW hat er unter anderem die Trägerschaft für soziale Einrichtungen.
  15. 15 ausZeiten, NL-FH AG,15, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 3r.
  16. 16 ausZeiten, NL-FH AG,15, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 5r.
  17. 17 ausZeiten, NL-FH AG,15, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 5r.
  18. 18 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,15, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 7r.
  19. 19 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,58, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 23r.‒26r.
  20. 20 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG 16, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 2r.; Vgl.: ausZeiten, NL-FH AG,24, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 9r.
  21. 21 In diesem Text wird zur Bezeichnung von Personen das Gendersternchen genutzt, da dieses, anders als das Binnen-I oder die Gendergap, alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einbeziehen soll.
  22. 22 Vgl. ausZeiten, NL-FH AG,37, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl. 1r. u. Bl. 2r.
  23. 23 Ebenda., Bl. 1r.
  24. 24 Vgl.: ausZeiten, NL-FH AG,51, „NL-Frauenhausinitiative: Arbeitsgemeinschaft autonomer Frauenhäuser NW“, Bl.6 r.

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