Netzwerken in der naturwissenschaftlich-technischen Frauenbewegung

verfasst von
  • Celina Imm
veröffentlicht 18. Juli 2022
Der Arbeitskreis der „MINT-Mütter“ dokumentiert sein Wirken seit den 1980er Jahren. Dazu zählt ein dichtes Geflecht von Frauen-Netzwerken. Ein Blick zurück auf die Vernetzungsstrategien der damaligen Vereine, Arbeitskreise, Ortsgruppen.

Die Karikatur von Marie Marcks zeigt drei Frauen, die auf den Ästen eines Baumes klettern und nach seinen Früchten greifen. Der Stamm des Baumes bildet das Wort ‚Mathe‘. Die Krone setzt sich aus den Buchstaben des Wortes ‚Technik‘ zusammen. Unten am Boden steht ein Mann, der mit ausgestreckten Armen eine Frucht der Erkenntnis empfangen will, die ihm eine der Frauen in gönnerhafter Manier herunterwirft. Einen eigenen Zugang zu wissenschaftlichen, ökonomischen und beruflichen Ressourcen zu finden und auf diese Weise nicht mehr von männlichen Distributions- und Definitionsstrukturen abhängig zu sein, ging den meisten Frauen in naturwissenschaftlichen Berufen lange Zeit nicht ganz so spielerisch von der Hand wie den drei Frauen in Marie Marcks’ Karikatur. 

Austritt aus der Vereinzelung und die Notwendigkeit der Vernetzung

In den männerdominierten MINT-Berufen galten Frauen lange als „Ausnahmefrauen“, denen man gerne den Platz der „Assistentin“ zuweisen wollte.1  Aber auch in Frauenkreisen sahen sich Technikerinnen, Ingenieurinnen, Informatikerinnen etc. nicht selten in eine Sonderposition gedrängt aufgrund ihrer als männlich wahrgenommenen Berufe. Um dieser doppelten Isolierung zu entkommen und strukturelle, dem patriarchalischen Gesellschaftssystem entwachsene Probleme nicht länger als persönliche Schwäche zu verkennen, schlossen sich in den 1980er Jahren immer mehr Frauen zu Verbänden zusammen.2  Ein nicht zu unterschätzender Katalysator für diese Entwicklung waren die ab 1977 stattfindenden autonomen Treffen von Frauen in Naturwissenschaft und Technik (FiNuT), die von den Studentinnen Christiane Erlemann und Margarete Pauls initiiert wurden.3  Die Strategien der Vernetzung waren dabei für die meisten Frauen existenziell notwendig für ihre wissenschaftliche und berufliche Selbstbehauptung und Emanzipation, wie Heidi Schelhowe hervorhebt: „Heute sehen wir Frauen im Zusammenschluß [sic.] und in der Bildung von Netzwerken die Chance, uns unserer eigenen Bedürfnisse und Forderungen bewußt [sic.] zu werden. Damit entgehen wir dem Zwang unsere beruflichen Zielvorstellungen aufzugeben oder uns in die männlichen Karrieremuster, die für uns oft weder gangbar noch erstrebenswert sind, einzupassen.“4

Im persönlichen und fachlichen Erfahrungsaustausch sollte der Rücken gestärkt werden, sich nicht an männliche Normen anzupassen, sondern eigene Wege gangbar zu machen: Familienfreundlichere Arbeitsverhältnisse zu konzipieren spielte dabei ebenso eine Rolle, wie Kritik an patriarchalischen Technikkonzepten zu üben.

Vorstellung des Arbeitskreises "Frauen in Naturwissenschaften und Technik" im DAB, 1992

Vereine, Arbeitskreise und Ortsgruppen – eigene Strukturen aufbauen

Bei der Vernetzung konnten persönlicher Erfahrungsaustausch und individuelle Hilfestellung nur der erste Schritt sein. Darüber hinaus ging es auch darum, Allianzen zu schmieden und sich mit anderen zu handlungsfähigen Akteurinnen zu verbinden, um auf struktureller Ebene Veränderungen herbeizuführen. Elizabeth Finnimore, Mitglied des Arbeitskreises berufstätiger Frauen in Naturwissenschaft und Technik, formuliert dieses Unterfangen wie folgt: „Männerbünde wollen die bestehenden Strukturen erhalten, Frauen-Netzwerke wollen etwas verändern.“5 Um dies mit einer größeren Wirkungsmacht zu realisieren, gründeten sich eigenständige Vereine wie etwa 1986 der Deutsche Ingenieurinnenbund (dib) oder 1988 der Verein Frauen in Naturwissenschaft und Technik (NUT). Es fanden auch Gründungen spezifischer Arbeitsausschüsse, Arbeits- und Fachgruppen in bereits bestehenden Organisationen statt, wie etwa der Ausschuss Frauen im Ingenieursberuf (fib), der sich innerhalb des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) bildete, oder der Arbeitskreis Frauen in Naturwissenschaft und Technik innerhalb des Deutschen Akademikerinnenbunds e. V. (DAB), um auf diese Weise der Sonderposition von Frauen in MINT-Berufen gerechter zu werden und sie effektiver zu vertreten.

Die Grafik zeigt, wie produktiv für die Netzwerkbildung allein die FiNuT-Kongresse waren. Das Symbol des Baumes verdeutlicht dabei nicht nur den beständig wachsenden und sich wandelnden Charakter des Netzwerkinventars, sondern weist bereits darauf hin, dass die verschiedenen Akteurinnen im Astwerk des Baumes auch untereinander vernetzt sind. Die Zusammenarbeit war geleitet vom Geist der Kooperation, der einem Konkurrenzdenken keinen Platz ließ. Innerhalb der Vereine und Gruppen organisierten sich die Mitglieder in regional agierende Ortsgruppen und zum Teil überregionale Arbeitsgruppen (AGs), die bestimmte gesellschaftspolitische Themen bearbeiteten (zum Beispiel die AG Umwelt, die innerhalb des dib 1989 ins Leben gerufen wurde) oder die zur Planung und Durchführung von Veranstaltungen, wie etwa Tagungen oder Workshops, gegründet wurden.6

Vernetzungsstruktur "Früchte der Kongresse" : 25 Jahre FiNuT-Kongresse

Zusammenarbeiten: Vernetzung zwischen den Akteurinnen

Die Vernetzungspraktiken fanden nicht nur intern in den Gruppierungen statt, sondern natürlich auch zwischen den verschiedenen Organisationen. Um gemeinsam größere Projekte durchzuführen, kam es immer wieder zu Kooperationen, wie dies zum Beispiel für den Messestand in Hannover in den Jahren 1988, 1989 und 1990 der Fall war. Für dieses Vorhaben verbanden sich Frauen aus dem Deutschen Akademikerinnenbund, dem deutschen ingenieurinnenbund, dem Ausschuss Frauen im Ingenieurberuf und dem Arbeitskreis Elektroingenieurinnen.7 Auf dem Nährboden dieser erfolgreichen Kooperation wuchsen in den Folgejahren weitere Vernetzungen und Projekte, wie etwa die Verbindung aus verschiedenen Vereinen und Gruppen zum Ingenieurinnennetzwerk8 und die Vernetzung zwischen DAB, dib und fib, die zusammen mit Vertreter*innen aus der Wirtschaft und aus Bildungsinstitutionen die Mädchen-Technik-Tage (als Vorläuferin des Girls´Days) organisierten und durchführten.9

Schwierigkeiten und Herausforderungen: Vernetzung zwischen heterogenen Akteurinnen

Die Spezialisierung der Gruppierungen im Laufe der 80er Jahre führte einerseits zwar zu einer Effizienzsteigerung und folgte dem Wunsch, die Frauen in ihren spezifischen beruflichen Situationen bestmöglich zu vertreten und zu unterstützen, andererseits hatte diese Ausdifferenzierung auch eine Homogenisierungstendenz zur Folge. Die Vereine, die sich an Naturwissenschaftlerinnen, Ingenieurinnen oder Informatikerinnen wendeten und auch von diesen gegründet worden waren, bedienten zwar verschiedene Fachrichtungen, waren jedoch alle rein akademische Zusammenschlüsse. Waren bei den ersten FiNuT-Treffen auch Handwerkerinnen mit ihren spezifischen Perspektiven vertreten, die unter anderem Berufsverbote für Frauen im Baugewerbe anprangerten oder Kritik an den damaligen Arbeitsschutzregelungen übten, spalteten diese sich später ab und organisierten sich in eigenen Verbänden.10

Schwierigkeiten zeigten sich auch nach der Maueröffnung, als man versuchte, sich mit den ostdeutschen Frauen zu verbinden. Die unterschiedlichen Biographien der Frauen legten offen, dass die Probleme von Frauen in naturwissenschaftlichen und technischen Berufen – selbst, wenn sie einen akademischen Hintergrund teilten – keinesfalls universell oder homogen waren und in der Folge somit auch die benötigte Unterstützungsarbeit angepasst werden musste. So waren die ostdeutschen Naturwissenschaftlerinnen und Ingenieurinnen mit einem größeren Selbstverständnis berufstätig und hatten in der DDR auch auf eine Infrastruktur zurückgreifen können, die ihnen die Vereinbarung von Familie und Beruf ermöglichte.11 Die Probleme in der Nachwendezeit bestanden für sie zum Großteil in der Bedrohung durch Arbeitslosigkeit.

Auch wenn sich seit den 1980er Jahren viel getan hat: Allianzen zwischen Frauen sind immer noch nicht obsolet geworden. Das verstärkte Bewusstsein um die Diversität der Frauenkämpfe stellt dabei neue Ansprüche an Netzwerke: Wie lassen sich Vernetzungen knüpfen, deren Gewebe flexibel genug ist, um unterschiedliche Unterstützungsbedürfnisse und heterogene Lebensrealitäten anzuerkennen und ihnen gerecht zu werden? Das Knüpfen solcher Allianzen, in die nicht Vormundschaft und Hierarchie, sondern Reißfestigkeit und Stärke eingewebt werden, stellt bis heute eine virulente Herausforderung für feministische Akteur*innen dar.

Ein Blick zurück auf die Erfahrungen, die Erfolge und die Schwierigkeiten der MINT-Mütter kann auch bei den heutigen Vernetzungspraktiken helfen. Ihre Geschichten zu archivieren, heißt nicht, sie ad acta zu legen, sondern sie zum Gebrauch zugänglich zu machen.

Stand: 18. Juli 2022
Lizenz (Text)
Verfasst von
Celina Imm

Studentin des Masterprogramms Transnationale Literaturwissenschaften an der Universität Bremen, Forschungsschwerpunkte: Feministische Theorie, Macht- und Sichtbarkeitsverhältnisse, Literatur der Romantik.

Empfohlene Zitierweise
Celina Imm (2022): Netzwerken in der naturwissenschaftlich-technischen Frauenbewegung, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/netzwerken-in-der-naturwissenschaftlich-technischen-frauenbewegung
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Lizenz: CC BY-SA 4.0
Rechteangabe

Fußnoten

  • 1Vgl. Schelhowe, Heidi: Frauen in Naturwissenschaft und Technik. Geschichte und Überblick, in: Rundbrief: Frauenarbeit und Informatik, 1991, H. 4, S. 20‒21, hier S. 21.
  • 2Vgl. Stein, Kira / Pauls, Margarete: Das Treffen ‚Frauen in Naturwissenschaft und Technik (FiNuT)‘ – der Anfang der naturwissenschaftlich-technischen Frauenbewegung in (West-)Deutschland, in: Die Ingenieurin. Magazin für Frauen in technischen Berufen, 32. Jg., 2019, H. 129, S. 5‒9, hier S. 5.
  • 3Ebenda.
  • 4Schelhowe: Frauen in Naturwissenschaft und Technik, S. 21.
  • 5Ebenda, S. 20.
  • 6Vgl. hierzu u. a. Saurenhaus, Christiane / Diegelmann, Karin: DIB – Arbeitsgruppen im Überblick, in: Rundbrief. 10 Jahre dib 1986-1996, 10. Jg., 1996, H. 37, S. 22‒26, hier S. 22.
  • 7Vgl. Leyendecker, Barbara: Frau und Technik – Die Alternative der Zukunft. Stand auf der Hannover Messe Industrie 1988,1989 und 1990, in: Die Ingenieurin. Magazin für Frauen in technischen Berufen, 32. Jg., 2019, H. 129, S. 10‒12, hier S. 10.
  • 8Vgl. Stein, Kira: Ingenieurinnennetzwerk und gemeinsame Aktionen der Verbände, in: Die Ingenieurin. Magazin für Frauen in technischen Berufen, 32. Jg., 2019, H. 129, S. 14‒15, hier S. 14.
  • 9Vgl. Heinzerling, Maren: Mädchen-Technik-Tage seit 1990, in: Die Ingenieurin. Magazin für Frauen in technischen Berufen, 32. Jg., 2019, H. 129, S. 12‒13, hier S. 12.
  • 10Vgl. Stein / Pauls: Das Treffen ‚Frauen in Naturwissenschaft und Technik (FiNuT)‘, S. 6.
  • 11Vgl. Stein, Monika / Neum, Regina: Ost- und Westfrauen: Was hat uns getrennt? Was müßte uns als Frauen einen?, in: Neue Impulse. Mitteilungen der Gesellschaft deutscher Akademikerinnen e. V., 1993, H. 6, S. 4‒6, hier S. 6.

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