
Über Christiane Erlemann
Christiane Erlemann wurde 1953 in Lünen geboren. Ihre Mutter war in einer zweijährigen Ausbildung Pharmazeutin geworden und wollte nach Kriegsende noch ein Studium der Pharmazie anschließen, wurde jedoch abgewiesen, weil bei der Vergabe der wenigen vorhandenen Studienplätze die männlichen Kriegsheimkehrer bevorzugt wurden. Stattdessen stieg sie nach ihrer Heirat mit in das Lebensmittelgeschäft ihres Mannes ein. Deshalb war es „eigentlich von Anfang an selbstverständlich, dass ich studieren würde, schon seit dem Kindergarten. Und da musste sie gar nichts sagen. Also, das wurde mir von ihr vermittelt, das war klar. Sie hatte Abitur und durfte nie studieren, das war so präsent.“1
„Die Männer wollen nach Feierabend ihre Ruhe“
Christiane besuchte ein Mädchengymnasium und entwickelte schon bald den Wunsch, Stadtplanung zu studieren. Ein Grund dafür war die familiäre Wohnsituation: Der Vater wollte bauen, bezahlbar war aber nur ein Grundstück mehrere Kilometer außerhalb der Stadt. „Und das hätte aber bedeutet, wir hätten aus der Stadt rausziehen müssen. Und da waren sowohl meine Mutter als auch ich recht skeptisch. Meine Mutter kam aus der Großstadt. Sie hat das auch genossen, mitten in der Stadt zu sein mit dem Geschäft, und sie wollte jetzt nicht als Hausfrau dann da in einem Neubau-Wohngebiet außerhalb der Stadt sein. Sie sagte: ‚Ja, die Männer wollen gerne ihre Ruhe nach Feierabend, aber uns Frauen ist es doch langweilig!‘“2
Auch Tochter Christiane war gegen den Umzug in den Außenbezirk, denn als Teenagerin wollte sie nach ihren Disco-Besuchen sicher nach Hause kommen. Sich wie andere Mädchen einen Freund über 18 Jahre zuzulegen, der sie nach Hause führe, lehnte sie als „kampfloses Aufgeben weiblicher Selbstständigkeit“3 ab. Diese Erfahrung prägte Christianes geschlechtersensiblen Blick auf die gebaute Umwelt.
Das Aachener Frauenzentrum wird gegründet
Nach dem Abitur absolvierte sie ein dreimonatiges Praktikum in einem Zimmereibetrieb und zog 1971 nach Aachen, um an der dortigen Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Architektur mit Schwerpunkt Städtebau zu studieren. Ein Jahr später wurde Christiane Erlemann Mitglied einer Frauengruppe, die sich reihum in verschiedenen Wohngemeinschaften traf. Die Gruppe reflektierte einerseits in Diskussionen das Geschlechterverhältnis und erkundete feministische Theorie, andererseits trug sie mit Flugblatt-Aktionen auf der Straße ihre Erkenntnisse nach draußen: Die Frauen wollten über das, „was wir uns alles an Wissen erarbeitet hatten, zu Lohndiskriminierung (…), der Abtreibungsfrage und den verschiedenen Aspekten der Frauenunterdrückung, (…) natürlich die Bevölkerung, vor allem die Frauen in Aachen, auch aufklären“4.
1974 war Christiane Erlemann dann eine der Gründerinnen des Aachener Frauenzentrums, von dem aus zahlreiche Events initiiert wurden, vom §218-Tribunal bis zur Walpurgisnacht-Demonstration mit über tausend Teilnehmerinnen.
Die Idee: ein bundesweites Treffen
Gemeinsam mit der Maschinenbau-Studentin Margarete Pauls lud Christiane Erlemann 1975 weitere Frauen aus den naturwissenschaftlichen und technischen Studiengängen der RWTH – von Architektur bis Physik, von Elektrotechnik bis Bauingenieurwesen – ins Frauenzentrum. Ein Semester lang traf sich die Gesprächsgruppe. Schließlich entwickelten Erlemann und Pauls die Idee für ein bundesweites Treffen.
Vom 16. bis 19. Juni 1977 kamen in Aachen zum ersten Mal Frauen aus technischen und naturwissenschaftlichen Studiengängen und Berufen aus der gesamten BRD zusammen und tauschten sich über ihre Erfahrungen aus. „Wir haben damit einen Nerv getroffen, denn es war klar: Es muss sofort ein zweites Treffen geben – das muss weitergeführt werden! Und dann haben die Hamburgerinnen sich bereit erklärt, und haben das sofort in die Hand genommen. (…) Im Januar ’78 war das nächste Treffen, und zwar in Hamburg. Da bin ich auch wieder hingefahren und da waren es schon mehr – vielleicht 150. Es waren wirklich mindestens doppelt so viele. Ja, und diese Treffen wuchsen.“5 Bald benannten die Organisatorinnen die Treffen um in ‚Kongress‘. Der Kongress Frauen in Naturwissenschaft und Technik (FiNuT) hatte auf seinem Höhepunkt 1992 über 700 Teilnehmerinnen und existiert bis heute.
FOPA
Über das FiNuT-Netzwerk lernte Christiane Erlemann Frauen kennen, die in Stuttgart ein Frauenkulturzentrum eröffnen wollten. Die Studentin beschloss, ihre Diplomarbeit über das Zentrum und seine Funktion bei der Schaffung städtischer Öffentlichkeit zu schreiben. Parallel arbeitete sie in dem Frauenkulturzentrum mit, das die Gründerinnen Sarah nannten und das bis heute existiert.
Erlemann hatte schon vor einiger Zeit begonnen, das Thema ‚Frauen und Stadtplanung‘ auch in ihr Studium zu tragen, so zum Beispiel mit einem Forschungsprojekt zur Wohn- und Lebenssituation der Hausfrauen in einem Kölner Vorort. 1980 ging sie nach Berlin und gründete 1981, gemeinsam mit Gleichgesinnten, die Feministische Organisation von Planerinnen und Architektinnen (FOPA). Auslöser für die Gründung war die Unterrepräsentanz von Architektinnen und Planerinnen bei der Internationalen Bauausstellung (IBA).
Was ist feministische Stadtplanung?
Bald gründeten sich in weiteren Städten FOPA-Gruppen, ab 1983 brachte FOPA die Publikation FreiRäume heraus. Die Themen, mit denen sich die feministischen Planerinnen und Architektinnen beschäftigten, reichten von der Vermeidung sogenannter ‚Angsträume‘ – wie unbeleuchtete oder nicht einsehbare Wege und Plätze – in der Stadtplanung über die stärkere Berücksichtigung der Mobilitätsbedürfnisse von Frauen, vor allem bei öffentlichen Verkehrsmitteln – die vor allem Frauen benutzen – bis hin zu einer Stadt- und Wohnungsplanung, die Frauen aus der Isolation befreit.
Christiane Erlemann arbeitete in Berlin zunächst in einem Frauen-Bauplanungsbüro, wo sie unter anderem als Bauleiterin bei ökologischen Maßnahmen im Frauen-Stadteilzentrum Schokofabrik tätig war, und ging schließlich an die Technische Fachhochschule Berlin, wo sie sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Chancengleichheit von Frauen in den Ingenieurswissenschaften einsetzte. Für ihre Promotion untersuchte sie die Gründe, die Ingenieurinnen dazu bringen, wieder aus dem Beruf auszusteigen.6
Im Jahr 2017 feierte der Kongress Frauen in Naturwissenschaft und Technik sein 40-jähriges Bestehen im Deutschen Technikmuseum in Berlin.
Netzwerk von Christiane Erlemann
Biografie von Christiane Erlemann
Fußnoten
- 1 FMT, P02-Erle-02, Christiane Erlemann, Transkript, S. 4.
- 2 Ebenda, S. 5.
- 3 Erlemann, Christiane: Stationen – Die Geschichte eines Weges zur Dipl-Ing., in: Frauen Räume Architektur Umwelt, beiträge zur feministischen theorie und praxis, 1980, H. 4, S. 8–14, hier S. 9.
- 4 FMT, P02-Erle-02, Erlemann, Transkript, S. 10.
- 5 Ebenda, S. 17.
- 6 Erlemann, Christiane: Ich trauer meinem Ingenieur-Dasein nicht mehr nach. Warum Ingenieurinnen den Beruf wechseln. Eine qualitative empirische Studie, Bielefeld 2002.
Ausgewählte Publikationen
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Erlemann, Christiane: Studentinnen mit Migrationshintergrund in Chancengleichheitsprojekten, Berlin 2013.
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Erlemann, Christiane: Ich trauer meinem Ingenieurdasein nicht mehr nach, Bielefeld 2002.
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Christiane Erlemann: Stationen – Die Geschichte eines Weges zur Dipl-Ing., in: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, 3. Jg., 1980, H. 4, S. 8‒14.