Lesben jenseits der Metropolen: Frauenbewegung, Diskriminierung, Vernetzung

verfasst von
  • Dr. Annette Keinhorst
veröffentlicht 20. August 2020
Lesben machten Geschichte(n) in den Metropolen: rauschende Ballnächte im Berlin der 1920er-Jahre, kämpferische Dykes on Bikes auf Demonstrationen in Frankfurt, die Beats der Flying Lesbians unterm Kreuzberger Sternenhimmel. Und in der Provinz? Zwölf Zeitzeuginnen aus dem Saarland geben Auskunft.

Frauenbewegte Lesben

Seit der Neugründung der Universität des Saarlandes 1947 belebten Studierende und Lehrkräfte aus der ganzen Republik und aus dem europäischen Ausland das Kultur- und Nachtleben in der Provinz. Die intellektuellen Debatten und StudentInnen-Proteste, die seit den 1960ern in Frankfurt, Berlin und Paris stattfanden, erreichten so auch das Saarland, wenn auch mit gewisser Verspätung. Die autonome Frauenbewegung in Saarbrücken organisierte ihre ersten Demonstrationen gegen den § 218 in 1975 und schuf sich mit dem Frauenladen in der Cecilienstraße eine Art Basisstation. Die Lesben waren von Anfang an dabei, Lesben(bewegungs-)geschichte spielte eine zentrale Rolle bei der Entwicklung der Neuen Frauenbewegung. Aktive Feministinnen wie Gisela P. erlebten ihr lesbisches Coming-out im Rahmen und im Schutz der Bewegung. Zusammenhalt und Solidarität der neuen Frauencommunities vertieften sich durch erotische Bindungen. Gleichzeitig nahm frau den eigenständigen Beitrag der Lesben zur Frauenbewegung oft nicht wahr. Vielleicht wurde er auch (un)bewusst verschwiegen: „Wir haben als Lesben gelebt, ohne uns dessen bewusst zu sein. Wir haben sogar abgestritten, dass es Lesben in der Gruppe gab.“1

Auszug aus dem Gespräch mit Gisela P., 2019
Frauenfest in Saarbrücker WG, 1980

Spätestens ab 1976 gab es im feministischen Frauenladen dann eine eigenständige Lesbengruppe, angeregt von den US-amerikanischen Selbsterfahrungsgruppen (Consciousness Raising Groups) und in Abgrenzung zu den neugierigen Hetera-Schwestern. Hier kam es zu teils dramatischen Coming-outs. Im geschützten Raum der Gruppe fühlten sich Frauen ermutigt, das vermeintlich Private als politisch-strukturell zu erkennen und sich aus den Fesseln von Frauenrolle und Lesbenstigmatisierung zu befreien.

Auszug aus dem Gespräch mit Gisela P., 2019
Auszug aus dem Gespräch mit Gisela P., 2019

Gleichzeitig war es in diesen Räumen möglich, eine eigene, selbstbewusste, nicht defizitäre, lesbische Identität zu entwickeln. Diese wurde bei Demonstrationen der Gruppe in die Öffentlichkeit getragen, mittels Flugblättern zum Thema ‚Zwangsheterosexualität‘ (heute: Heteronormativität), kabarettistischen Theateraufführungen und musikalischen Darbietungen. Frau diskutierte über avantgardistische Lebensmodelle und positionierte sich gegen die als bürgerlich empfundene Zweierbeziehung, wie Monika L. berichtet. Frau grenzte sich aber auch gegen die angeblich spießige lesbische Subkultur ab, die ja pikanterweise gleich neben dem Frauenladen im Moby Dick lockte.

Selbstverständlich engagierten die Frauen sich auch in anderen feministischen Themenfeldern. Genannt wurden von den Interviewten zum Beispiel die Frauenzeitungs-Redaktion der Lila Distel (Gisela P.), die Beratungsgruppe zum § 218 (Monika L.) oder die Frauenhausgruppe (Monika L., Milly S.). Gemeinsam organisierten und genossen Heteras und Lesben eine lebendige Frauen(fest)kultur. WG-Frauenfeste, Tanzkurse, alternative Frauenkneipen (Frauenladen, Café Jonas, Café Ultra) entstanden in Privatinitiative und erfreuten die frauenbewegten Ladies über viele Jahrzehnte. Konzerte mit angesagten Frauenbands und lesbischen Künstlerinnen vertieften den Zusammenhalt und schufen Solidarität auch mit Frauen aus anderen politischen Bewegungen. Fraktionierungen und Lagerbildung, wie in den feministisch geprägten Metropolen häufig zu beobachten, waren unter den saarländischen Frauen eher untypisch, vermutlich aufgrund der Überschaubarkeit der Szene.

Konzertplakat Carolina Brauckmann : Lesben wie Du und Sie, 1999

Diskriminierung

Lesben waren und sind schon früh damit konfrontiert, sich eine eigenständige berufliche Perspektive aufzubauen – ein männlicher Versorger ist keine Option. Einerseits folgte hieraus eine Souveränität der Lebensgestaltung, andererseits lauerten im beruflichen Umfeld mehr oder weniger deutliche Diskriminierungserfahrungen für fast jede meiner Gesprächspartnerinnen. Ob Infragestellung der therapeutischen oder pädagogischen Kompetenz (Milly S., Rebecca S.), ob Selbstbeschränkung aufgrund vermuteter kultureller Vorbehalte (Gisela P.), ob klassische Aufstiegs-Karrierebremse (Margit B.): Die Heteronormativität im Berufsleben schuf in fast jedem lesbischen Lebenslauf Einschränkungen und Verhinderungen. Aber auch das Gegenteil konnte passieren, manchmal in einer Person: Gerade Lehrerinnen erleben ja nicht nur Mobbing, sie waren/sind, wenn lesbisch offen lebend, Vorbilder und Mutmacherinnen für ihre SchülerInnen.

Auszug aus dem Gespräch mit Rebecca S., 2019

Bis in die 1990er-Jahre hinein mussten lesbische Frauen auch im Saarland fürchten, dass ihnen im Falle einer Scheidung ihre Kinder entzogen wurden: Dies trug zur Verheimlichung der lesbischen Lebensweise bei, wie Beate R. bei einer frühen Geliebten erleben musste. Und bis heute erfahren meine Gesprächspartnerinnen noch Herabsetzung und mangelnden Respekt, sie werden von ihren Familien zum Verschweigen genötigt, werden auf der Straße belästigt (Heike N.), werden in der Politik erneut zum Spielball konservativer Polemisierung, wie Milly S. beklagt.

 

Auszug aus dem Gespräch mit Heike N., 2019
Auszug aus dem Gespräch mit Milly S., 2019

Die 90er: Sichtbarkeit und Vernetzung

Anfang der 90er hatte sich die Frauenbewegung vielfach professionalisiert und institutionalisiert. Lesbische Sichtbarkeit war damit aber immer noch nicht verbunden. 1991 gründete Silke K. deshalb mit Mitstreiterinnen die Gruppe LeNe (LesbenNest Saar e.V.), um für Gleichberechtigung und öffentliche Anerkennung zu kämpfen. Die Gruppe organisierte jahrelang Freizeitangebote, veranstaltete Lesungen und Konzerte mit lesbischen Künstlerinnen, kurz: Sie schuf ein lesbisches Gemeinschaftsgefühl, eine Community.

Später nahmen Nachfolgerinnen wie die Gruppen Cinédames und Medusa den Ball auf und entwickelten mit regelmäßigen Kinoabenden, Tanzkursen, Stammtischen und als Höhepunkt einem Frauenball ein kulturelles Angebot für frauenliebende Frauen. Margit R. ist hier eine der wesentlichen Akteurinnen, die sowohl den Zusammenhalt der lesbischen Frauen untereinander als auch deren Integration in frauenpolitische Aktivitäten wie den Internationalen Frauentag oder den Saarbrücker FrauenThemenMonat seit 14 Jahren unermüdlich befördert. Mit Aktionen wie einer öffentlichen lesbischen Gemeinschafts-Hochzeit oder der Unterstützung einer sexuell belästigten Kellnerin vor Gericht zeigen sich die Lesben heute politisch-frauensolidarisch auf ganzer Linie (Margit R .). Gleichzeitig ist immer noch das Gefühl der Beheimatung im lesbischen Kontext zu beobachten: Stammtische oder der gemeinsame Kinobesuch werden sogar von Außenstehenden so empfunden, „als kämen alle so zu der anderen nach Hause“.2

Plakat mit Ankündigung des ersten Saarbrücker Damenballs, 1993

Etliche weitere wichtige Themen kamen in den Interviews zur Sprache, die an dieser Stelle leider nicht vertieft werden können: lesbische Mutterschaft (Adelheid H., Milly S., Monika L.), Lesben im Leistungssport (Heike N.), Lesben in der schwul-lesbischen Bewegung (Irene P., Silke K.), Rollenklischees (Milly S., Heike N., Beate R.). Eine Auswertung dieser Themen durch vertiefte Forschung wäre wünschenswert.

Die Interviews schufen ein dichtes Erinnerungsgewebe zwischen mir und den Zeitzeuginnen. Schmerzliche Erfahrungen kamen an die Oberfläche, aber auch Stolz und Erleichterung, die schwierigen Jahre gemeistert und in der Community der Provinz zu tragfähigen lesbisch-feministischen Beziehungsnetzen beigetragen zu haben. Ohne Solidarität, ohne lesbisches Engagement auch für allgemein feministische Anliegen hätte die Saarbrücker Frauenbewegung nicht so erfolgreich für Gesellschaftsveränderung streiten können. Dass diese Erfahrungen, diese in früheren Zeiten oft stummen oder überhörten Stimmen nun auch Teil des kulturellen Gedächtnisses werden, erfüllt meine Gesprächspartnerinnen und mich mit tiefer Genugtuung.

Mehr zu diesem Thema im Essay Lesben jenseits der Metropolen: Vom Coming-out zur Subkultur.

Stand: 20. August 2020
Verfasst von
Dr. Annette Keinhorst

geb. 1955, Gründerin und langjährige Leiterin der FrauenGenderBibliothek Saar, literarische Übersetzungen, Publikationen, Aktivistin und Chronistin der regionalen Frauenbewegungsgeschichte.

Empfohlene Zitierweise
Dr. Annette Keinhorst (2020): Lesben jenseits der Metropolen: Frauenbewegung, Diskriminierung, Vernetzung, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/lesben-jenseits-der-metropolen-frauenbewegung-diskriminierung-vernetzung
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Fußnoten

  • 1Monika L., in: Keinhorst, Annette, „‘Das war alles sehr, sehr aufregend…`´. 25 Jahre autonome Frauenbewegung in Saarbrücken“, Saarbrücken 1999, S. 44
  • 2Margit R., Transkription des Interviews, S. 4.