- Annette Keinhorst, Walpurgisnacht 1977
- CC BY-SA 4.0
„Das war alles sehr, sehr aufregend …“ – Autonome Frauenbewegung in Saarbrücken
Anfänge
„Wir sind Frauen, wir sind viele, wir haben die Schnauze voll!“, skandierten Feministinnen nicht nur in Frankfurt und Berlin, sondern auch auf den Straßen Saarbrückens bei den legendären „Walpurgisnacht“-Umzügen ab 1977 und weit in die 80er-Jahre hinein. Frauen, die auf der Straße voll Wut und Leidenschaft tanzten und sangen; Frauen, die schwarz gekleidet und mit weiß geschminkten Gesichtern gegen Gewalt und Unterdrückung durch die nächtliche Stadt zogen; Frauen, die eng umschlungen mit der besten Freundin oder der Geliebten der weit verbreiteten Homophobie der Straße trotzten; Frauen, die an öffentlichen Orten erstmals die Stimme erhoben … das sind Bilder, die sich allen ZeitzeugInnen tief ins Gedächtnis eingegraben haben.
Die Frauenbewegung hatte viele Anlässe, in ihrem Namen wurde an vielen Fronten gekämpft. Die Frauenbewegung war aber auch für alle, die dabei waren, eine unglaublich aufrüttelnde Lebenserfahrung. Das gilt nicht zuletzt für zahllose Frauen jenseits der Metropolen. Ob mit lilafarbener Latzhose oder im Minikleid, die scheinbar aus dem Nichts überall auf die Straßen strömenden Frauen trafen mit ihren Themen ins Schwarze. Selbstbestimmung, Sexualität, Gewalt, subtiler und struktureller Ausschluss aus fast allen wichtigen gesellschaftlichen Zusammenhängen, das beschäftigte viele nach den spießig-restaurativen 50er- und 60er-Jahren.
In Saarbrücken fanden Feministinnen zum Beispiel bei den Demonstrationen der Neuen Linken gegen Fahrpreiserhöhungen und für mehr Mitbestimmung in Gesellschaft und Universität zueinander. Im Jahr 1973 erfolgte per Zeitungsanzeige der Aufruf zur Gründung der ersten Saarbrücker Frauengruppe, und Studentinnen und junge Berufstätige begannen, über das Selbstbestimmungsrecht der Frau hinsichtlich Sexualität und Reproduktion, über die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen sowie das konservative Familienbild zu diskutieren. Zwei Jahre später wurde in der Cecilienstraße 29 der Frauenladen mitten im studentischen Nauwieserviertel angemietet.
Gemeinsam kämpften die Feministinnen sich nun durch Ernest Bornemanns Das Patriarchat und die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie.
Frau war jung, antiautoritär und links. Und sie sah sich als Patriarchatskritikerin der ersten Stunde. Dass es schon im 19. Jahrhundert Feministinnen und Frauenbewegungen gegeben hatte, Sexualreformerinnen und Radikalfeministinnen, in Nordamerika und Großbritannien, in Russland, Frankreich, Deutschland, und auch internationale Frauen(friedens)kongresse stattgefunden hatten, wussten damals die wenigsten. Aber dass es mittlerweile in der gesamten westlichen Welt einen feministischen Aufruhr gab, war auch in die Provinz vorgedrungen. Die Saarbrückerinnen setzten sich intensiv mit den Vordenkerinnen Simone de Beauvoir und Kate Millett, Shulamith Firestone und Jill Johnston auseinander. Sie gründeten sogenannte Selbsterfahrungsgruppen (Consciousness-Raising) nach amerikanischem Vorbild und fühlten sich den jungen Frauen in den USA und Großbritannien sowie in West- und Nordeuropa schwesterlich verbunden.
Arbeitsgruppen diskutierten offene Beziehungsmodelle und forschten nach literarischen Zeugnissen von Schriftstellerinnen, Saarbrücker ÄrztInnen wurden zu ihrer Haltung bezüglich Abtreibung und Verhütung befragt. Laien-Beraterinnen aus den Arbeitsgruppen spezialisierten sich auf alternative Verhütungsmethoden. Wenn nötig, verwiesen sie auch auf die sogenannten Holland-Adressen, also jene Kliniken jenseits der Grenze, die Frauen einen sicheren Schwangerschaftsabbruch in akzeptierender Umgebung ermöglichten.
Gleichzeitig entwickelten sich an der Universität des Saarlandes erste feministische Bestrebungen. Hier stand naturgemäß die Frage nach der Gleichberechtigung von Studentinnen und Wissenschaftlerinnen im Mittelpunkt. Die Studentinnen und Mitarbeiterinnen forderten gleiche Berufschancen und die Förderung von sogenannter Frauenforschung (später Geschlechterforschung) und bewirkten im Jahr 1976 ein autonomes Frauenreferat.
Aufbrüche
Aus ihrer geografischen Randlage heraus suchten die Saarbrückerinnen von Anfang an den Austausch und die Vernetzung mit anderen Gleichgesinnten. Diese Möglichkeit boten Frauenkongresse wie etwa in Heidelberg (1974) und in München der Nationale Frauenkongress (1977), die internationalen Treffen in Paris/Vincennes (Rencontre Internationale des Femmes 1976) und Brüssel (Internationales Tribunal über Gewalt gegen Frauen, 1976), die die Aktivistinnen gemeinsam besuchten.
Daneben waren auch die feministischen Sommeruniversitäten in Berlin, quirlige Think Tanks der Autonomen Frauenbewegung in den Jahren 1976 bis 1983, von zentraler Bedeutung. So reisten engagierte Saarbrückerinnen gern nach Westberlin, wo sie mitdiskutieren, gemeinsam Visionen entwickeln und neue Kraft tanken konnten.
Und die Saarbrückerinnen ihrerseits luden auch ein: Vom 13. bis zum 15 Juni 1975 fand das Nationale Koordinierungstreffen für die Abschaffung des § 218 in Saarbrücken statt. Auch das regionale Beratungsgruppen-Treffen und schließlich der große Militarismus-Kongress an der Universität 1981 wurde von den Saarbrückerinnen organisiert.
Da die Diskriminierung von Frauen in Familie und Gesellschaft augenfällig und allgegenwärtig war und das politische Coming Out viele beflügelt hatte („Ich hab dann zum ersten Mal in meinem Leben Flugblätter […] ausgearbeitet […] Diese Überwindung, sich in die Bahnhofstraße zu stellen und jemand ein Flugblatt in die Hand zu drücken, der einen vielleicht auch noch kennt. Das war alles sehr, sehr aufregend“) , waren die Aktionen, Demonstrationen und Diskussionen von Optimismus und Tatendrang erfüllt.
Infostände und Straßentheater, die das Thema häusliche Gewalt behandelten, Protestaktionen gegen Miss-Wahlen und sexistische Stern-Titelbilder gehörten bald zum regelmäßigen öffentlichen Auftritt. Und während ihrer gemeinsam geplanten und durchgeführten Aktionen entdeckten die Feministinnen noch etwas: die weibliche Solidarität. Sie hofften darauf und erlebten es nun selbst: „Frauen gemeinsam sind stark!“ (Slogan der Frauenbewegung, auch als Song der Band Flying Lesbians verbreitet.) Aus dieser Stärke resultierte die Erkenntnis, dass Unterdrückung kein Einzelschicksal ist, dass die Einzelne immer wieder an Grenzen stößt, solange die gesellschaftlichen Strukturen nicht verändert werden: „Diese ständigen Kämpfe, die ich erlebt habe, speziell in meiner Ehe, um Kindererziehung, um Beteiligung am Haushalt, […] das hat mir einfach gestunken. […] Und dann habe ich mich eben einfach wohlgefühlt in einer Gruppe von Frauen, die das auch so gesehen haben.“
Schon 1975 organisierte dieselbe Frauengruppe die erste Demonstration in Saarbrücken gegen den § 218. 1977 gründete sich eine Frauenhaus-Gruppe, die sich gegen häusliche Gewalt einsetzte und in der sich viele lesbische Frauen engagierten. 1978 traten die Lesben dann als Gruppe öffentlichkeits-wirksam mit Flugblättern und einem Straßenfest ins Offene und sprachen von nun an von Zwangsheterosexualität und Heteronormativität als wesentlichen Merkmalen, die der Gesellschaft und des Frauenlebens. 1979 bildete sich ein Redaktionskollektiv zur allmonatlichen Produktion der ersten Saarbrücker Frauenzeitschrift Lila Distel, die fortan mit Witz und Verve die frauenpolitischen Entwicklungen in Saarbrücken und im Rest der Welt kommentierte.
Autonomie
Das Prinzip der Autonomie definierte das Selbstverständnis der Frauengruppe und klärte die Beziehung zu anderen linken Gruppierungen, die das Emanzipationsthema gern als Unterthema in ihre Arbeit integrieren wollten. Autonomie beinhaltete in erster Linie ein klares Nein der beinahe alle Frauen betreffenden nicht nur ökonomischen Abhängigkeit von Männern. So wurde auch in Saarbrücken nach „harter und schwieriger Auseinandersetzung“ der Ausschluss von Männern beschlossen: „Wir haben dann entschieden: Es ist an der Zeit, dass die Frauen für sich etwas tun. Frauen, wenn sie unter sich sind, tun eben auch andere Dinge (als in gemischten Gruppen), andere Dinge werden möglich. So war es ja dann auch.“
Autonomie stand aber eben auch als klares Abgrenzungssignal gegenüber anderen politischen Gruppierungen, die die Frauenunterdrückung gern als Nebenwiderspruch an ihren untergeordneten Platz einzureihen gedachten. Es wurde sogar von Unterwanderungsversuchen linker Splittergruppen gemunkelt, die aber nach Einschätzung vieler ins Leere liefen bzw. neue Aktivistinnen für die autonome Frauengruppe zur Folge hatten.
Autonomie äußerte sich auch in reinen Frauenräumen, Frauenfesten oder den zahlreichen männerfreien Wohngemeinschaften: Sie waren zentral für den feministischen Aufbruch und ermöglichten sowohl sichere Orte für Frauen als auch ideologiefreies – womöglich utopisches – Denken. Parallel entstanden zunehmend Frauengruppen in gemischten Organisationen oder im Rahmen von Institutionen wie Universitäten oder Gewerkschaften und Parteien, deren Eigenständigkeit innerhalb der Organisationen immer mal wieder infrage gestellt wurde.
Die heute Gemeingut gewordene Erkenntnis, dass das Private politisch sei, bestimmte grundsätzlich das Denken und Handeln fast aller autonomen Feministinnen. Dies zeigte sich im Kampf für sexuelle Selbstbestimmung und ökonomische Eigenständigkeit genauso wie in einer ausgeprägten gemeinschaftsfördernden Feier- und Freizeitkultur. Frauen- /Lesbenfeste im Frauenladen und an der Universität wurden regelmäßig organisiert. Gemeinsame Reisen zu Frauenkongressen, aber auch zu Kulturfestivals (zum Beispiel dem Vrouwenfestival in Amsterdam 1978) oder zu den dänischen Frauenferien-Sommerlagern (Femö, Sejerö) bestärkten auch in Saarbrücken den feministischen Zusammenhalt.
Dass sich die Frauenbewegung der 70er-Jahre zwar am radikalsten, aber nicht als einzige Frauenorganisation um Gleichberechtigung bemühte, wurde den Aktivistinnen spätestens durch die Kontaktaufnahme vonseiten der etablierten Frauenverbände bewusst, die teilweise seit der Nachkriegszeit, teilweise auch schon viel früher für Frauenrechte einstanden (Frauenrat, Deutscher Frauenring, konfessionelle und berufsständische Frauenorganisationen). Die Arbeitsgemeinschaft saarländischer Frauenverbände, Vorläufer des Frauenrats Saarland, bot der Autonomen Frauengruppe 1982 die Mitgliedschaft in ihrem Dachverband an. Im kleinen Saarland gab es anscheinend deutlich weniger Berührungsängste zwischen den alten und den jungen Frauenbewegten als anderswo. Ein vorsichtiger Brückenschlag, der bis heute wirkt und zahlreiche neue Bündnisse und Solidarisierungen ermöglichte.
Professionalisierung
Mit der Lila Distel hatte es angefangen, nun folgten Professionalisierungs-bestrebungen und Projektgründungen Schlag auf Schlag. Mithilfe von Arbeitsförderungsmaßnahmen konnten viele der Aktivistinnen zumindest vorübergehend zu bezahlten Fachkräften werden. Die Notrufgruppe für vergewaltigte Frauen entstand 1985 aus einer Telefonhotline für Vergewaltigungsopfer, später ging auch die Beratungsstelle gegen sexuelle Ausbeutung NELE aus dem Notruf hervor. Professionelle Frauenhäuser gab es inzwischen nicht nur in der Landeshauptstadt.
Aus der Distel wurde 1984 die gestalterisch modernere Donna Wetter, die bis 1997 Bestand hatte. Sie ist heute, wie ihre Vorgängerin, eine wichtige Quelle der damaligen Ereignisse und Denkbewegungen. Aus lockeren Lesben-Zusammenhängen entstand das LeNe (Lesbennest Saar) und das schwullesbische Emanzipationszentrum Saar (EZS).
Die Autonome Frauengruppe musste ihren Frauenladen 1985 wegen eines Wasserschadens aufgeben und erfand sich im Verein für Frauenbildung und Frauenkultur FF neu. Dieser initiierte mit anderen das erste Frauenkultur- und -beratungszentrum („die Dellengartenstraße“ – Hausnummer 14) und entwickelte in der Folge eine rege, auch überregionale Bildungs- und Veranstaltungstätigkeit. An der Universität organisierte das Frauenreferat ab 1983 Frauenringvorlesungen (FrauenForum), ein Frauenstudien- und Weiterbildungsprojekt und ein Frauenbeirat etablierten sich.
Und 1990 wurde mit Gründung der frauenbibliothek & dokumentationszentrum frauenforschung, heute FrauenGenderBibliothek Saar, der Grundstein für professionelle feministische Wissensvermittlung gelegt und ein Bewusstsein für die eigene Geschichte und Überlieferung etabliert. Hier finden sich heute zahlreiche Quellen, Flugblätter, Plakate, Fotos, Zeitzeuginnen-Interviews und Vor- und Nachlässe von Aktivistinnen aus den bewegten Zeiten.