Sundine revisited: Vom DFD-Beratungszentrum in der DDR zum Frauentreff im vereinten Deutschland

verfasst von
  • Dr. Heike Schimkat
veröffentlicht
Der Diskurs zur Gleichberechtigung in der DDR und BRD erfordert 30 Jahre nach der Vereinigung eine differenzierte DDR- und Umbruchsforschung. Das Stralsunder Frauenzentrum Sundine, gegründet 1972, ist ein Beispiel für die Transformation in den neuen Bundesländern.

Sundine als Forschungsobjekt

Seit Beginn des Aufbruchs in der DDR interessierte mich die ostdeutsche Frauenbewegung. Deshalb suchte ich für meine Dissertation1 ein Frauenzentrum in den neuen Bundesländern, um die Erfahrungen von Frauen zu erforschen. Bei meiner Recherche fand ich eine Notiz über einen Frauentreff in Stralsund im damals neuen Frauenmagazin Esprit.

Mecklenburg-Vorpommern war ein relativ unbekanntes Gebiet in der Transformations- und Frauenforschung, die sich besonders auf Berlin und andere große Städte sowie auf akademische Frauen, Aktivistinnen der ostdeutschen Frauenbewegung und auf den Unabhängigen Frauenverband (UFV) konzentrierte. Um diese empirische Lücke zu schließen, nahm ich 1994 Kontakt zur Sundine2 auf. Mein Vorhaben stieß dort auf sofortiges Interesse, dem sich ein achtmonatiger Forschungsaufenthalt anschloss. Zunächst war für mich nicht erkennbar, dass dieser Frauentreff eine DDR-Geschichte hatte. Erst als die Stralsunder Initiativgruppe Frauen für Frauen Stralsund e.V. den Frauentreff in freier Trägerschaft vom Amt für Frauen und Familie übernahm, wurde mir in Diskussionen deutlich, dass die Sundine ein Beratungszentrum des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) war. Daraus erwuchs die Chance, nicht nur die Jahre seit dem Umbruch 1989/90 zu rekonstruieren, sondern in einem Oral-History-Projekt aus Zeitzeuginnen-Interviews und lokalen Quellen auch ihre DDR-Geschichte zu erforschen. So konnten bei allen Brüchen innerhalb des Zentrums auch Kontinuitäten verstehbar werden.

Die Sundine im DFD-Kontext


Der Bundesvorstand des DFD hatte nach dem VIII. Parteitag der SED 1971 den Vorschlag entwickelt, Beratungszentren zu gründen, um die neu festgelegte Sozialpolitik umzusetzen. Ilse Thiele (1920–2010) stellte das Konzept im Funktionärorgan des DFD Lernen und Handeln im November 1971 vor. Die politisch-ideologische Arbeit3 war eine zentrale Aufgabe dieser Zeitschrift. Damit beabsichtigte der DFD, auch die nichtberufstätigen Frauen anzusprechen und für eine Mitarbeit zu gewinnen. Die Beratungszentren „sollten den berufstätigen Frauen auf ansprechende Weise Kenntnisse und Erfahrungen für die zeitsparende und rationelle Erledigung der Hausarbeit vermitteln und solche Einstellungen und Verhaltensweisen zur Meisterung der Aufgaben im Familienalltag fördern, die mehr Zeit für Erholung und Entspannung schaffen konnten“.4 Das Angebot der Zentren nahm Rücksicht darauf, dass die Frauen berufstätig waren. Das wöchentliche Programm beinhaltete nicht nur Themen wie Kindererziehung, gesunde Lebensweise und Hauswirtschaft, sondern auch Rechts-, Finanz- und Berufsberatung.

Einzelne Veranstaltungen richteten sich auch an Männer, wie etwa zum Thema Obstbaumschnitt. Gleichberechtigung war kein Programmthema, sie wurde von staatlicher Seite als verwirklicht vorausgesetzt. Die realen Geschlechterarrangements blieben davon meist unberührt beziehungsweise wurden privat verhandelt.
1972 hatte das Frauenzentrum in Stralsund als eines von republikweit 62 Beratungszentren seine Arbeit aufgenommen; 1973 gab es bereits 192 solcher Zentren.5 Häufig arbeiteten diese Zentren ohne feste Räume.6 Die Stralsunder Kreisvorsitzende berichtete in lernen und handeln, wie sie unter schwierigen räumlichen Bedingungen die DFD-Aufgaben lokal realisierten, zum Beispiel mit Unterstützung durch die Stadtverordnetenversammlung. Wichtig waren ihr feste Räume, um wirksamer arbeiten zu können. 

DFD-Beratungszentren 1989/90


Über die Anzahl der DFD-Beratungszentren gibt es keine genauen Angaben. Nachdem sich der DFD Ende Oktober 1990 in einen gemeinnützigen Verein umgewandelt hatte, konnte der dfb e.V. „100 Frauenzentren mit mehr als 1000 ABM“7 erhalten. Im Gegensatz zu diesen Zentren durchlebte der Frauentreff Sundine den Transformationsprozess mit neuen Trägern. Sie nutzten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) und waren Teil der Frauenprojektebewegung, die die Gesellschaft demokratisieren und eine Infrastruktur für Frauen aufbauen wollten. Der Frauentreff Sundine war Resultat von Umstrukturierungen, die lokal engagierte Frauen in Stralsund nach Kieler Vorbild mitgestalteten. Die Sundine war in der Umbruchszeit der 90er-Jahre, wie viele andere Beratungsstellen in den neuen Bundesländern, Anlaufpunkt für sich neu orientierende Frauen, die hier in ABM arbeiteten und teilweise weder mit dem DFD noch der ostdeutschen Frauenbewegung affiliiert waren, sondern schlicht arbeitssuchend. 

Sundine nicht nur ein Name


Der Eigenname Sundine war eine lokale Besonderheit. Denn die Namen anderer DFD-Zentren orientierten sich hauptsächlich an Titeln, wie „Guter Rat für alle“8, oder „Für sie und ihn“9. Offen bleibt, ob es andere DFD-Beratungszentren gab, die einen Eigennamen nutzten.
In der ersten Hälfte der 90er-Jahre wurde debattiert, ob dieser Name beibehalten werden könne. Einige Frauen assoziierten damit negative DDR-Erfahrungen, andere Frauen eher positive. Weitere Frauen argumentierten pragmatisch für eine Beibehaltung des Namens, weil er in der Stadt bekannt war. Diese vielfältigen Meinungen spiegelten die biografischen Erfahrungen der einzelnen Frauen in der Vergangenheit und ihre Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Frauengruppen (wie Initiativgruppe, dfb e.V., SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Deutscher Gewerkschaftsbund) wider. Der Name wurde schließlich im Konsens beibehalten, womit er bis heute seine Historie beinhaltet.

Der Blick zurück nach vorn: Komplexe Geschichtsdarstellung


Zum 35-jährigen Bestehen des Frauentreffs im Jahr 2008 diskutierten Frauen, die die Arbeit der Sundine zu DDR- und Umbruchszeiten gestaltet hatten, gemeinsam mit Vertreterinnen der regionalen Frauen- und Gleichstellungspolitik auf einem Podium. In der Laudatio zur Veranstaltung wurde an die DFD-Kreisvorsitzende von 1969 bis 1988 erinnert, die als Macherin und mitreißende Persönlichkeit den Beschluss des Bundesvorstandes des DFD, ein Informations- und Beratungszentrum in Stralsund aufzubauen, umgesetzt hatte. Ihr sei es zu verdanken, dass in der Sundine weniger Platz für ideologisierte Veranstaltungen war, sondern Raum für praktische Unterstützung in alltäglichen Lebensfragen. Das ist ein Beispiel dafür, dass Beschlüsse im DFD-Beratungszentrum oft anders umgesetzt wurden als von zentralen Gremien vorgegeben – eine Perspektive, die bis heute ein Forschungsdesiderat ist.

Im 30. Jahr der Maueröffnung wird die Darstellung der DDR-Geschichte in ihrer Komplexität ebenso diskutiert wie die Auswirkungen der Gleichberechtigung von Frauen in der DDR auf die heutige Gesellschaft. Die Vergangenheit des DFD-Beratungszentrums Sundine, das mit dem Aufbruch 1989/90 zum Frauentreff im vereinten Deutschland wurde, ist noch aktuell. Inzwischen sind im Frauentreff Sundine anlässlich mehrerer Jubiläen (1998, 2008, 2013, 2018) weitere Dokumente und Quellen sowohl aus der Zeit als DFD-Beratungszentrum als auch der jüngsten Geschichte gesammelt worden. Mit diesen neu erschlossenen Quellen zur DFD-Geschichte, wie digitalisiertes Archivmaterial und Publikationen, können Handlungsspielräume neu erforscht und ein historisch differenzierendes Geschichtsbild erschlossen werden.

Veröffentlicht: 13. Februar 2020
Verfasst von
Dr. Heike Schimkat

Sozial-/Kulturanthropologin (PhD University of Toronto), promovierte zu Transformationserfahrungen von Frauen in den neuen Bundesländern am Beispiel des (DFD-)Frauentreffs Sundine, Forschungsschwerpunkte: Ethnografie, Biografie, Diversity (Gender, Age)
Leitung des DDF-Projekts in der ZtG-Genderbibliothek/HU Berlin

Empfohlene Zitierweise
Dr. Heike Schimkat (2024): Sundine revisited: Vom DFD-Beratungszentrum in der DDR zum Frauentreff im vereinten Deutschland, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/sundine-revisited-vom-dfd-beratungszentrum-der-ddr-zum-frauentreff-im-vereinten-deutschland
Zuletzt besucht am: 14.10.2024

Fußnoten

  1. 1 Schimkat, Heike, 1998: The Experience of Collective Transformations: The Women's Centre "Sundine" in Eastern Germany during Unification (PHD). Toronto : University of Toronto, Dept. of Anthropology, Zugriff am 6.2.2020 unter www.collectionscanada.ca/obj/s4/f2/dsk1/tape10/PQDD_0011/NQ41504.pdf.
  2. 2 www.sundine.de/, Zugriff am 6.2.2020.
  3. 3 Windisch, Liesel: Die politisch-ideologische Arbeit des DFD im Wohngebiet, in: Lernen und Handeln, 19. Jg., 1968, H. 3, S.1 ff; Straub, Gisela: Die politisch-ideologische Arbeit des DFD bei der weiteren Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft, in: Lernen und Handeln, 21. Jg., 1970, H. 10, S.1‒9; Thiele, Ilse: Die politisch-ideologische Arbeit ist und bleibt unsere Hauptaufgabe, in: Lernen und Handeln, 22. Jg., 1971, H. 11, S. 2‒5.
  4. 4 Bundesvorstand des DFD (Hg.): Geschichte des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands, Leipzig 1989, S. 240.
  5. 5 Ebenda, S. 241.
  6. 6 Vgl. Leserinnen-Briefe: in: Lernen und Handeln, 23. Jg., 1972, H. 10, S.22–29; Leserinnen-Briefe: in: Lernen und Handeln 23. Jg., 1972, H. 11, S. 43‒47.
  7. 7 Rohmann, Eva: Wendezeiten-Zeitenwende, Berlin 1995, S. 173.
  8. 8 Vgl. Zentrum des DFD – Guter Rat Erfurt, in: Lernen und Handeln, 23. Jg., 1972, H. 7, S. 19.
  9. 9 Vgl. In Potsdam: Für sie und ihn, in: Lernen und Handeln, 23. Jg., 1972, H. 4, S. 22 f.

Ausgewählte Publikationen