Frauen, die den Ton angeben – zwischen Spitzenleistungen und Gender(pay)gaps

verfasst von
  • Anne-Marie Bernhard
  • Martina Bick
  • Susanne Wosnitzka
veröffentlicht 28. Mai 2020
In einem Orchester arbeiten heutzutage auch etliche Musikerinnen. Aber wann haben Sie eine Aufführung einer Oper von einer Komponistin gesehen? Wie viele Dirigentinnen haben Sie in der Berliner Philharmonie erlebt? Und gibt es in der Popmusik und im Jazz neben Sängerinnen auch Instrumentalistinnen?

Frauen und Berufstätigkeit

Obgleich die ab dem frühen 19. Jahrhundert gegründeten Musikkonservatorien in Wien, Leipzig, Berlin oder Frankfurt am Main von Anfang an auch Frauen zu Sängerinnen und Instrumentalistinnen ausbildeten, mussten für eine professionelle künstlerische Erwerbstätigkeit noch andere Hürden genommen werden. Töchter aus Musikerfamilien hatten es allerdings leichter, die Grenzen ihrer Geschlechterrolle zu überwinden.1

Musikerinnen wurden nur selten für ihre jeweiligen Instrumente an Theatern oder etwa in fürstlichen Privatorchestern verpflichtet. Ausnahmen sind Nanette von Schaden  (1763–1834) als Pianistin am Hof von Oettingen-Wallerstein oder Dorette Spohr  (1787–1834) als Harfenistin in Gotha und Wien. Sängerinnen hingegen erhielten oftmals reguläre Arbeitsverträge. Heirateten sie, wurden ihre Verträge jedoch meist beendet.2

Begabte Töchter aus dem Bürgertum wurden vor allem für die häusliche Musikausübung ausgebildet. Auch für Musikschriftstellerinnen war es oft unmöglich, ihre Texte unter ihrem Namen zu veröffentlichen. Sie wählten darum häufig Pseudonyme. Marie Lipsius (1837–1927), deren fünf Bände Musikalische Studienköpfe sich Anfang des 20. Jahrhunderts in vielen Bücherschränken des musikinteressierten Bürgertums befanden, nannte sich La Mara, um ihren Vater Adelbert Lipsius, ehemals Professor und Rektor der Leipziger Thomasschule, nicht zu brüskieren. Die Berliner Musikschriftstellerin Anna Morsch (1841–1916) schrieb anfangs unter dem männlichen Pseudonym Albert Moser.

Erst in der Weimarer Republik veränderten sich die Geschlechterbilder des Bürgertums und die Berufstätigkeit der Frau war kein Makel mehr. Der Nationalsozialismus machte diese Entwicklung zunichte, ehe nach 1945 die Gleichheit von Mann und Frau im Grundgesetz verankert wurde und auch im Bereich der Musik zu einem grundlegenden Wandel führte. 

Mit der sogenannten ‚Studenten‘-Bewegung der 1960er-Jahre ergriffen Studentinnen neue Chancen für die Realisierung der Gleichberechtigung. Die Frauen- und Lesbenbewegung ging einher mit einem Aufbruch der in der Musik tätigen Frauen. 1973 gründeten sich die Flying Lesbians, die erste Frauenrockband Deutschlands, die mit ihren feministischen Liedern aufrüttelte.

Siegrid Ernst, Elke Mascha Blankenburg, Barbara Heller bei einem Treffen in der Gründungszeit des IAK Frau und Musik e.V.

Beruf: Instrumentalistin

In Orchestern blieben Frauen lange Zeit auf bestimmte Instrumente begrenzt und ihr Verdienst war häufig geringer als der ihrer männlichen Kollegen. Freia Hoffmann schrieb dazu: „Eine Pianistin ist ein häufiger und vertrauter Anblick, während sich Frauen, die ein Orchesterinstrument spielen, in ihrer Berufslaufbahn auf besondere Hindernisse gefasst machen müssen. Spitzenorchester sperren sich immer noch gegen die Mitwirkung von Musikerinnen und tolerieren sie lediglich an der Harfe.“3  Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich darum professionelle Damenorchester sowie Streichquartette und Blaskapellen gegründet. Im Archiv Frau und Musik in Frankfurt am Main ist diese Entwicklung anhand von über 600 Postkarten vor allem aus der Kaiserzeit besonders gut nachvollziehbar. 

Blechblasinstrumente galten lange Zeit als für Frauen besonders ‚unschicklich‘. Auch als der Frauenanteil in den öffentlich finanzierten Orchestern stieg, waren Blechbläserinnen noch immer Diskriminierungen ausgesetzt, wie der Fall Abbie Conants zeigt: Die Posaunistin der Münchner Philharmoniker begann in den 1980er-Jahren einen 13 Jahre andauernden Rechtsstreit, weil sie ihre Leistungsfähigkeit als erste Soloposaunistin unter anderem durch Lungentests unter Beweis stellen musste. Als sie nach dem erfolgreichen Prozess jedoch ihre Position mit niedrigerem Gehalt als männliche Solobläser einnehmen sollte, klagte sie erneut, bis das arbeitsrechtliche Urteil 1993 zu ihren Gunsten entschied.4

Conan, Abbie: Der Status der Frauen in deutschen Orchestern : Ein Erfahrungsbericht und fünf konkrete Vorschläge zur Verbesserung des Status von Frauen in Orchestern, in: VivaVoce, 1998, H. 48, S. 8-13.

„If she can see it, she can be it” – Beruf: Komponistin

In der Musikgeschichtsschreibung und in Schulbüchern finden sich in der Regel kaum komponierende Frauen. Dabei ist die Sichtbarkeit von Künstlerinnen so wichtig – nicht nur für ihr Werk und Wirken, sondern auch für den Nachwuchs, wie Geena Davis es mit ihrem Slogan „If she can see it, she can be it™“5  auf den Punkt bringt. Mittlerweile gibt es jedoch immer mehr Publikationen zu Komponistinnen, Sammelbände und Lexika, Datenbanken im Internet und Wikipedia-Artikel . 

Doch obwohl Komponistinnen wie Erna Woll (1917–2005) oder Felicitas Kukuck (1914–2001) bedeutende Beiträge zur Kirchenmusik oder Musik für die Jugend veröffentlichten, Werke von Sofia Gubaidulina (geb. 1931), Adriana Hölszky (geb. 1953), Kaija Saariaho (geb. 1952) oder Olga Neuwirth (geb. 1968) erfolgreich aufgeführt werden, sind die Aufführungsmöglichkeiten von Komponistinnen bei Festivals der Neuen Musik noch immer eher gering. Dies konstatierten 2017 Fachfrauen in Donaueschingen bei einer Diskussionsveranstaltung des Südwestrundfunks (K)eine Männersache: Neue Musik ein „eklatantes Gendergap im deutschen Kulturbetrieb“6

2016 kam die Studie Frauen in Kultur und Medien7  des Deutschen Kulturrates zu dem Ergebnis, dass trotz hoher Frauenanteile bei den Kompositionsstudierenden der Anteil bei den freiberuflich tätigen Komponist*innen wie auch bei Hochschulprofessor*innen weit unter Parität liegt. Wenngleich es immer wieder Bestrebungen gibt, Werke von Komponistinnen auf großen Konzertbühnen zum Klingen zu bringen – in den Konzerten der Dirigentin Marin Alsop (ab Herbst 2019 Radiosinfonieorchester Wien) sind öfter Werke von Frauen enthalten –, fehlen sie in vielen Konzertprogrammen (beispielsweise beim ‚Berliner Klavierfestival‘ und beim ‚Lucerne Festival‘ in der Saison 2019/2020). Bei Rock-/Pop-Konzerten sind Werke von Frauen nur mit maximal sechs Prozent vertreten8 , auch im Jazz ist ihr Anteil sehr gering. In der Saison 2017/18 wurden auf deutschen Bühnen 444 Opern aufgeführt – bis auf vier wurden alle von Männern komponiert.9

Beruf: Dirigentin

Wie viele mit Führungsaufgaben verbundene Tätigkeiten sind Theater-Intendanz, Regie und Dirigieren noch immer Männerdomänen. Nur wenige dirigierende Frauen sind aus der Geschichte bekannt. Fanny Hensel (1805–1847), Johanna Kinkel (1810–1858), Ethel Smyth (1858–1944), Mary Wurm (1860–1938) und Nadia Boulanger (1887–1979) dirigierten ihre Werke selbst – es gab aber auch viele Frauen, die ihre eigenen Werke zwar einstudierten, das Konzertdirigat aber dann einem Kollegen überlassen mussten wie zum Beispiel die Komponistin und Chorleiterin Emilie Zumsteeg (1796–1857). 1938 dirigierte Nadia Boulanger als erste Frau eines der renommiertesten Orchester der USA, das Boston Symphony Orchestra. In Deutschland markierte die Ernennung von Sylvia Caduff (geb. 1937) zur ersten Generalmusikdirektorin in Solingen 1977 einen Wendepunkt. Einen Überblick über ganz unterschiedliche Biografien von Dirigentinnen liefern Elke Mascha Blankenburgs  Buch Dirigentinnen im 20. Jahrhundert (2003) sowie der Europäische Dirigentinnen Reader (2003). 

Derzeit existieren rund 130 professionelle Orchester in Deutschland, davon wurden 2019 fünf von einer Generalmusikdirektorin geleitet, nämlich von Julia Jones (Wuppertal), Joana Mallwitz (Nürnberg), Ariane Matiakh (Halle), Anna Skryleva (Magdeburg) und Ewa Strusińska (Görlitz). Dies ergibt einen Frauenanteil von 4,2 Prozent.

„Da geht noch was!“

Auf das Fehlen von Frauen im Musikbetrieb machen seit Jahrzehnten Musikwissenschaftlerinnen, Musikerinnen, Veranstalterinnen und Journalistinnen aufmerksam: durch ihre Arbeit in Genderforschungseinrichtungen (Forschungszentrum Musik und Gender , Hannover, Sophie Drinker Institut, Bremen, Musik und Gender im Internet, Hamburg) und im Archiv Frau und Musik  Frankfurt am Main, durch Publikationsreihen (zum Beispiel Europäische Komponistinnen, Böhlau Verlag), Konzertreihen (zum Beispiel Komponistinnen und ihre Werke in Kassel), durch Rundfunksendungen, Filmproduktionen und vieles andere mehr.

Frankreich hat schon 2011 per Gesetz eine Frauenquote für Führungspositionen in Verwaltung und Wirtschaft eingeführt – auch in der Kultur wird Betrieben ohne steigende paritätische Besetzung künftig mit finanziellen Kürzungen gedroht.10  In Schweden ist die gesetzliche Gleichstellungsarbeit im Theater- und Musikbereich fortgeschrittener; viele Theater arbeiten mit Plänen für Gleichstellung und Vielfalt, haben Richtlinien gegen sexuelle Belästigung erlassen oder thematisieren Genderaspekte in ihrem
Repertoire.11  In Deutschland riefen siebzehn Frauenverbände in der Berliner Erklärung zur Bundestagswahl von 2017 unter dem Slogan ‚Da geht noch was!‘ dazu auf, die „Gleichberechtigung von Frauen in der Arbeitswelt und Gesellschaft“12  entschiedener voranzutreiben. Sie fordern Quoten, Beteiligungen und Zielgrößen, deren Erfüllung überprüft werden kann. Frauen-Musikorganisationen fordern darum Richtlinien für den Musikbetrieb, damit eine paritätische Repräsentanz der Musik von und mit Frauen in Konzerten, den Medien, bei Festivals, in den Hochschulen, in Schulmusikbüchern, bei Wettbewerben und Preisvergaben endlich Standard wird.

Stand: 28. Mai 2020
Verfasst von
Anne-Marie Bernhard

wissenschaftliche Projektkoordinatorin (2018/2019), Archiv Frau und Musik

Martina Bick

Musikwissenschaftlerin, Mitarbeiterin Musik und Gender im Internet (MUGI) der HfMT Hamburg

Susanne Wosnitzka

freischaffende Musikwissenschaftlerin, freie Mitarbeiterin Archiv Frau und Musik

Empfohlene Zitierweise
Anne-Marie Bernhard/Martina Bick/Susanne Wosnitzka (2020): Frauen, die den Ton angeben – zwischen Spitzenleistungen und Gender(pay)gaps, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauen-die-den-ton-angeben-zwischen-spitzenleistungen-und-genderpaygaps
Zuletzt besucht am: 11.05.2024

Fußnoten

Ausgewählte Publikationen