Über Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband
Die Keimzelle des DSB ist der 1865 gegründete Allgemeine Deutsche Frauenverein, dieser hatte sich 1928 in Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband umbenannt. 1933 löste er sich auf, um als Frauenorganisation der Gleichschaltung unter dem Dach des Deutschen Frauenwerks zu entgehen. Die Wiedergründung am 27. Januar 1948 in der Mensa der Technischen Universität Berlin ging von Frauen aus, die bereits während der Weimarer Republik in der Frauenbewegung aktiv gewesen waren, darunter Agnes von Zahn-Harnack (1884–1950), Marie Elisabeth Lüders (1878–1966) und Else Ulich-Beil (1886–1965). Die Verwendung des Namens Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband wurde von der Alliierten Kommandantur allerdings nicht genehmigt, weshalb der Verband bis Juli 1949 den Namen Notgemeinschaft 1947 trug. Seitdem heißt er wieder Staatsbürgerinnen-Verband, dehnte aber erst ab Ende der 1950er-Jahre seine Tätigkeit über Berlin hinaus nach Westdeutschland aus.1 Am 3. Juli 1959 fand der Eintrag ins Vereinsregister als Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband statt.
Die Gründungsphase
„Die Notgemeinschaft erstrebt die Heranbildung zum staatsbürgerlichen Denken und zu staatsbürgerlicher Verantwortung im Geiste der Demokratie. Praktisch verwirklicht wird diese Verantwortung in der Leistung sozialer Hilfsarbeit.“2
Die Wiedergründung des DSB kann auch als Reaktion auf die Gründung des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1947 gesehen werden, um diesem ein bürgerliches Pendant entgegenzusetzen. So hatte es Else Ulich-Beil im März 1947 abgelehnt, den Vorsitz des DFD zu übernehmen, weil sie dessen überparteiliche Ausrichtung bezweifelte. Ihrer Ansicht nach war der DFD eine kommunistische Organisation, die von Russland geleitet wurde. Nora Melle (1899-1959), ab 1952 Vorsitzende des DSB, hatte sich hingegen anfangs noch am Aufbau des DFD beteiligt, weil sie mit dessen Gründung zum ersten Mal in der Geschichte der Frauenbewegung die Chance gegeben sah, die Spaltung der Frauenbewegung in bürgerlich-liberal und sozialistisch zu überwinden.3
Um sich auch thematisch deutlich vom DFD zu distanzieren, rückte die Notgemeinschaft 1947 bereits im ersten Jahr nach ihrer Gründung von einer unbedingten und pazifistischen Friedenspolitik ab, wie sie noch im Eröffnungsreferat der Physikerin und Patentanwältin Freda Wuesthoff (1896-1956) zum Thema Atomenergie und Frieden beim Gründungskongress zum Ausdruck gekommen war. Statt dem Frieden, der zunehmend zum Leitbegriff kommunistischer Rhetorik avancierte, wandte man sich dem Konzept der Freiheit zu, womit immer auch die Freiheit von kommunistischer Unterdrückung gemeint war.4
Aktivitäten
Seit Anfang der 1950er-Jahre organisierte der Verband Bildungsabende. Es gab ‚Staatsbürgerliche Kurse‘ zu gesellschaftspolitischen Themen, unter anderem zum Verteidigungsbeitrag, zum Familienrecht, zur Wehrgesetzgebung, zu Atomfragen oder zur Reform der Sozialversicherung. Daneben fanden ‚Offene Abende‘ statt, die eher dem geselligen Beisammensein dienten.
Während der Berlin-Blockade durch die Sowjetunion vom 24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949 dehnte die Notgemeinschaft ihre Hilfs- und Unterstützungsaktionen von Heimkehrern und Flüchtlingen auf bedürftige Bewohnerinnen und Bewohner Berlins aus. Eine dieser Hilfsmaßnahmen war die Aktion ‚Friendly Hands‘. Mit Unterstützung der Frauenreferentin der britischen Besatzungsmacht in Berlin, Rita Ostermann, konnten während der Blockade viele Kinder aus Berlin ausgeflogen und bei in Westdeutschland stationierten amerikanischen und britischen Familien untergebracht werden.5
In der Zeit des Kalten Krieges engagierte sich der DSB bei der Betreuung und Beratung von Ost-Flüchtlingen und ihren Angehörigen. Die Aktion ‚Pakethilfe‘ wurde mit Mitteln aus dem Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMG) finanziert. Die Pakete gingen vor allem an Familienangehörige von Inhaftierten und Verfolgten des DDR-Regimes.6
Die Tätigkeitsfelder des DSB spiegeln sich in seinen Ausschüssen, es gab sie unter anderem zu: Jugend, Bau- und Wohnungswesen, Sozialpolitik, Internationales, Gesamtdeutsche Fragen, Erziehung, Verbraucherfragen und Recht.7 Vor allem der Rechtsausschuss war sehr aktiv. Der DSB setzte sich mit juristischen Fragen wie der Änderung des Scheidungsrechts und der Neufassung des Familienrechts auseinander und arbeitete eng mit Frauen in verantwortlichen Positionen der Bundesministerien zusammen. Auch rief er immer wieder dazu auf, Frauen bei der Besetzung politischer Ämter angemessen zu beteiligen: „Vor den Bundestagswahlen am 15. September 1957 wurden von den Verbänden – so auch vom Staatsbürgerinnen-Verband – Appelle an Bundeskanzler Adenauer gerichtet, eine Frau in das Kabinett zu berufen; im Geschäftsbericht heißt es: ‚Leider ohne Erfolg!‘ Eine weitere Eingabe, eine Frau als Bundestagspräsidentin zu wählen, führte ebenfalls nicht zum Erfolg. Enttäuschung und Empörung teilten die Frauenverbände dem Bundeskanzler mit, der einen Bevölkerungsanteil von 55 % völlig unberücksichtigt gelassen hatte.“8
Nach der Gründung des Deutschen Frauenrings (DFR) als Dachverband der westlichen Frauenorganisationen im Jahr 1949 übernahm der DSB, gefördert vom BMG, zusammen mit dem Berliner Frauenbund im DFR den Ausschuss für Gesamtdeutsche Fragen. Er organisierte unter dem Vorsitz von Nora Melle in den folgenden Jahren regelmäßig Tagungen zu Themen wie: Völkerwanderung in unserer Zeit, 1953; Wiedervereinigung Deutschlands, 1956; Die Wandlung Deutschlands in den letzten 10 Jahren, 1957. Außerdem wurden Berlinbesuche westdeutscher Frauengruppen, Begegnungen mit ostdeutschen Frauen sowie Tagungen system- und ideologiekritischen Inhalts gegenüber der Sowjetzone bzw. der DDR und der Sowjetunion organisiert.
1975 war der DSB an den Aktivitäten der deutschen Frauenverbände zum von den Vereinten Nationen ausgerufenen Internationalen Jahr der Frau beteiligt. Von 1982 bis 2009 ehrte der DSB jährlich eine Frau des Jahres, darunter zum Beispiel die Politikerinnen Rita Süßmuth und Regine Hildebrandt, die Gründerin von Medica mondiale Monika Hauser, die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş und Tina Theune-Meyer, ehemalige Trainerin der Frauen-Fußball-Nationalmannschaft.
Nach der Wiedervereinigung musste sich der Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband aufgrund der wegfallenden Mittel für die Ostförderung sowohl inhaltlich als auch finanziell neu aufstellen. Der Versuch, auch in den östlichen Bundesländern Fuß zu fassen, schlug fehl.9 Heute besteht der DSB aus zwei Landesverbänden – Berlin und Schleswig-Holstein – und setzt sich dafür ein, „Frauen gleichen Zugang zu Bildung, dem Arbeitsmarkt und dem öffentlichen Leben zu verschaffen“.10
Organisation und Vernetzung
In den Anfangsjahren war die Finanzierung der Aktivitäten schwierig. Die Arbeit wurde während dieser Zeit überwiegend mit Hilfe von Spenden befreundeter Frauen aus dem Ausland durchgeführt. In späteren Jahren finanzierte sich der Verband über Mitgliedsbeiträge, Spenden und die Unterstützung durch das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen.
Ab August 1949 gab der DSB die Zeitschrift Die Staatsbürgerin heraus. Sie erschien monatlich und berichtete über die eigene Arbeit und die anderer Frauenverbände, enthielt einen ‚Leitartikel zu Tagesfragen‘, einen Pressespiegel zu Frauenthemen sowie Buch-, Film- und Theaterkritiken.11
Der DSB war von Beginn an darauf ausgerichtet, internationale Kontakte neu aufzubauen, er organisierte Austausch und gegenseitige Besuche mit Frauenorganisationen anderer Länder. 1949 war er Gründungsmitglied des Deutschen Frauenrings (DFR), 1958 wurde er Mitglied in der International Alliance of Women (IAW)12 und richtete 1970 zusammen mit dem DFR den 22. Dreijahres-Kongress der IAW in Königstein aus. Heute ist er noch immer in der IAW und zudem im Deutschen Frauenrat vertreten13, außerdem seit 1966 Mitglied von amnesty international14.
Das Archiv des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes
Der Archivbestand des DSB befindet sich im Archiv der deutschen Frauenbewegung. Er umfasst Materialien von der Wiedergründung des Verbandes 1947 bis in die Gegenwart und wird fortlaufend ergänzt. Er enthält auch Teilnachlässe von Louise Otto-Peters (1819–1895) und dem Allgemeinen Deutschen Frauenverein, einen Nachlasssplitter von Dorothee von Velsen (1883–1870) sowie kleinere Sammlungen zu Auguste Schmidt (1833–1902), Gertrud Bäumer (1873–1954) und Nora Melle.
Zum Bestand gehören auch die Bibliothek mit ca. 2.000 Titeln, einige Objekte und Plakate sowie ein Fotoarchiv mit über 1.000 Bildern. Drei Fotoalben geben Einblick in die Aufbaujahre des Verbandes um 1950. Darin sind unter anderem zahlreiche bekannte Protagonistinnen der Frauenbewegung in Aktion zu sehen, wie Nora Melle, Else Ulich-Beil, Dorothee von Velsen, Marie Elisabeth Lüders, Theanolte Bähnisch (1899-1973) oder Annelise Glaser. Im Archiv der deutschen Frauenbewegung befinden sich außerdem die Nachlässe der DSB-Landesverbände Hessen (aufgelöst 2001) und Nordrhein-Westfalen15 sowie des Ortsverbandes Oldenburg.
Netzwerk von Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband
Biografie von Deutscher Staatsbürgerinnen-Verband
Fußnoten
- 1 Zur Geschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes vgl. Lemke, Johanna: Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes 1947-1980, o.O., o.J., hier vor allem S. 6, 56 und 65.
- 2 Satzung Notgemeinschaft 1947, § 1, AddF, Kassel, NL-K-08; 44-2.
- 3 Vgl. Stoehr, Irene / Schmidt-Harzbach, Ingrid: Friedenspolitik und Kalter Krieg. Frauenverbände im Ost-West-Konflikt, in: Genth, Renate et al. (Hg.): Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945 - 1949, Berlin 1996, S. 235.
- 4 Vgl. ebenda, S. 247.
- 5 Vgl. Lemke: Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes 1947-1980, S. 9 f.
- 6 Vgl. Knodel, Esther: 40 Jahre Landesverband Baden-Württemberg. Landesfrauenpolitik im zeitgeschichtlichen Kontext, in: Hundt, Irina / Kischlat, Ilse (Hg.): Zwischen Tradition und Moderne. Frauenverbände in der geschichtlichen Kontinuität und im europäischen Diskurs heute, Berlin 2002, S. 101‒104.
- 7 Vgl. Lemke: Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes 1947-1980, hier vor allem S. 62, 67, 72, 110.
- 8 Ebenda, S. 48.
- 9 Vgl. Kischlat, Ilse: Der Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband auf der Schwelle des 21. Jahrhunderts. Erfolge und Probleme, Ergebnisse und Zukunftsvisionen, in: Hundt / Kischlat: Zwischen Tradition und Moderne, S. 97 f.
- 10 www.staatsbuergerinnen.org/philosophie/ziele.html (Zugriff am 24.01.2022).
- 11 Die Staatsbürgerin, 1. Jg., August 1949, Nr. 1, S. 1 f. 2004 wurde sie eingestellt.
- 12 Vgl. Lemke: Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes 1947-1980, S. 53, 62.
- 13 http://www.staatsbuergerinnen.org/ueber-uns/mitgliedschaften.html (Zugriff am 24.01.2022).
- 14 Zu den Mitgliedschaften des Verbandes vgl. Lemke: Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes 1947-1980, S. 53, 63, 87, 105.
- 15 AddF, Kassel; NL-K-08.3 (noch nicht erschlossen).
Ausgewählte Publikationen
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Lemke, Johanna: Dokumentation der Nachkriegsgeschichte des Deutschen Staatsbürgerinnen-Verbandes 1947-1980, o.O., o.J.
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Stoehr, Irene: Traditionsbewußter Neuanfang. Zur Organisation der alten Frauenbewegung in Berlin 1945-1950, in: Genth, Renate et al. (Hg.): Frauenpolitik und politisches Wirken von Frauen im Berlin der Nachkriegszeit 1945 - 1949, Berlin 1996, S. 193‒227.
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Kischlat, Ilse: Der Deutsche Staatsbürgerinnen-Verband auf der Schwelle des 21. Jahrhunderts. Erfolge und Probleme, Ergebnisse und Zukunftsvisionen, in: Hundt, Irena / Kischlat, Ilse: Zwischen Tradition und Moderne, Frauenverbände in der geschichtlichen Kontinuität und im europäischen Diskurs heute, Berlin 2002, S. 97‒98.
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Stoehr, Irene: Emanzipation zum Staat? Der Allgemeine Deutsche Frauenverein – Deutscher Staatsbürgerinnenverband (1893–1933), Pfaffenweiler 1990.