Dorothee von Velsen Geboren am in Zabrze (Polen) Gestorben am in Kochel am See

Über Dorothee von Velsen

Dorothee von Velsen war eine vielseitige und international bekannte Frauenrechtlerin. Die Historikerin und Autorin engagierte sich in der bürgerlichen Frauenbewegung – von der Hochphase im Wilhelminischen Reich bis hin zu ihrem Wiederaufbau nach 1945.

Dr. Dorothee von Velsen – eine „äußerlich unscheinbare Gestalt“, „nicht groß“, doch „erlesen gekleidet“ und mit „dunkler, leiser Stimme“ – verkörperte „für uns die Idee der Frauenbewegung in abstrakter Reinheit“.1 Mit diesen Worten beschrieb eine langjährige Mitstreiterin rückblickend die einst international bekannte Frauenrechtlerin. Dorothee von Velsen war eine herausragende Figur der deutschen bürgerlichen Frauenbewegung. In selbsternannter dritter Generation gestaltete sie maßgeblich die organisierte Frauenbewegung von ihrer Hochphase im Wilhelminischen Kaiserreich über die Weimarer Republik und die Zeit des Nationalsozialismus bis zu ihrem Wiederaufbau nach 1945 mit.2

(K)eine typische höhere Tochter

Am 29. November 1883 erblickte Dorothee von Velsen im oberschlesischen Zabrze, von 1915 bis 1946 Hindenburg O.S., als zweite von drei Töchtern Anna Loerbroks‘ (1856–1910, verheiratet von Velsen) und Gustav Julius von Velsens (1847–1923) das Licht der Welt. Als Tochter eines königlich-preußischen Bergbaubeamten wurde sie gutbürgerlich mädchentypisch erzogen: Tanzen, Tennis spielen und reiten sollten sie in konventioneller Manier auf die spätere Ehe vorbereiten. Von Velsen kam in ihrer Kindheit in den Genuss, mithilfe französischer und englischer Kindermädchen die Kulturen und Sprachen Frankreichs und Englands näher kennenzulernen. In ihrer Jugend konnte sie diese Kenntnisse durch entsprechende Auslandsaufenthalte weiter vertiefen. Aufgrund der beruflichen Versetzung des Vaters zog die Familie nach Zwischenstationen in Halle (Saale) und Saarbrücken schließlich nach Berlin-Zehlendorf. Dort übernahm Velsen in der elterlichen Villa nach dem Tode ihrer Mutter als unverheiratete Tochter die Haushaltsführung für den Vater.
Schon früh erkannte sie, dass das alleinige Dasein als typische höhere Tochter sie nicht erfüllte. In England kam sie mit liberalem Gedankengut und entsprechender politischer Streitkultur in Berührung, an der sich – aus deutscher Sicht damals sehr ungewöhnlich – auch Frauen engagiert beteiligten. Aus dieser Erfahrung entwickelte sie erste demokratische Ideen, für die sie ihr Leben lang einstehen sollte.
Zurück in Berlin, besuchte sie 1909 und 1910 die Soziale Frauenschule Alice Salomons (1872–1948), über die sie mit der bürgerlichen Frauenbewegung in Kontakt kam: Dort traf sie neben Helene Lange (1848–1930), Gertrud Bäumer (1873–1954) und Anna Pappritz (1861–1939) auch Marianne Weber (1870–1954) und Marie-Elisabeth Lüders (1878–1966), um nur einige der einflussreichen Frauenrechtlerinnen zu nennen, mit denen Velsen ihr Leben lang zum Teil intensiven Austausch pflegte.

Vom Erhalt des Frauenwahlrechts zum Erhalt der Frauenbewegung
Zunächst war Dorothee von Velsen zwischen 1914 und 1918 mit Lüders in der Kriegsfürsorge des Ersten Weltkriegs unter anderem in Berlin, Breslau und Kiew in leitender Position tätig. So verantwortete sie beispielsweise bei Kriegsende 1918 die Überführung der militärischen Fürsorgerinnen von der einst besetzten Ukraine zurück nach Deutschland. Zurück im heimatlichen Berlin übernahm sie ab 1921 während der Weimarer Republik den Vorsitz des Allgemeinen Deutschen Frauenvereines (ADF), der sich unter ihrer Leitung 1928 endgültig in – den bis dato seit fünf Jahren im Untertitel geführten – Deutscher Staatsbürgerinnenverband umbenannte. Nach Einführung des Frauenwahlrechts 1918 wirkte sie engagiert dem befürchteten Versinken der Frauenbewegung in Bedeutungs- bzw. Orientierungslosigkeit entgegen. Die Gründung der ersten deutschen Republik in jenem Jahr mit einhergehender Einführung des Frauenwahlrechts erlebte sie als feierlichen Augenblick des Aufbruchs: „Schneller als die deutsche Frau es sich geträumt, ist sie in den Besitz der staatsbürgerlichen Rechte gelangt. Ihre Aufgabe ist es nunmehr, durch unablässige Arbeit und Schulung an sich und anderen in ihre neuen Pflichten hineinzuwachsen.“3

 Aus der Sicht der Führungsriege des Dachverbandes Bund deutscher Frauenvereine (BDF), des traditionsreichen ADF und damit auch von Velsens galt es nun, Frauen als Staatsbürgerinnen auszubilden. Die Frauenbewegung müsse die in politischem Denken ungeschulten deutschen Frauen an ihre neuen politischen Rechte und vor allem Pflichten gegenüber dem Staat heranführen, denn „ohne Verständnis für den Geist seiner Epoche und seines Volks wird kein Staatsbürger fruchtbare Arbeit leisten können“4 .
Zu Beginn der 1920er-Jahre war Velsen wie Bäumer aktives Mitglied der linksliberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) und leitete zeitweilig den Kulturausschuss der Partei – eine Lohnarbeit, die es der wohlhabenden und finanziell geschickt agierenden Erbin erlaubte, auch während der Inflation ihren gehobenen Lebensstil beizubehalten.

Inter-/nationale Schwesternschaft in der Zwischenkriegszeit

Velsens Hauptengagement galt jedoch dem Fortbestand der organisierten Frauenbewegung, die angesichts des Wahlrechtserfolgs sowie zunehmend nationalistischer Angriffe starke Mitgliedereinbußen zu verzeichnen hatte. Als Vorsitzende des ADF kämpfte sie national wie international für den Erhalt der Idee des einflussreichen Großteils der bürgerlichen Frauenbewegung, in deren Kreisen sie sich bewegte: die vollständige Gleichberechtigung und Anerkennung der differenzfeministisch gedachten, also eine dem männlichen Wesen komplett gegensätzlich konzipierten, weiblichen Gleichwertigkeit. Schließlich wären trotz des Weimarer Verfassungsparagraphen 109, der die grundsätzliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern festlegte, die „Frauen von einer wirklichen staatsbürgerlichen Gleichberechtigung […] noch weit entfernt“5 .

Es ist in weiten Teilen das Verdienst Dorothee von Velsens, dass die deutsche Frauenbewegung nach dem Ersten Weltkrieg wieder Anschluss an die internationale Frauenbewegung erlangte und das Konzept weltweiter schwesterlicher Solidarität in den 1920er-Jahren mit auf- und ausbaute. Unter ihrer Ägide wurde der ADF die deutsche Sektion der frauenrechtlerischen International Woman Suffrage Alliance (IWSA), die sich bis heute weltweit unter anderem für das Frauenwahlrecht engagiert. Zudem leistete Velsen in mannigfaltigen Publikationen in nationalen wie transnationalen Frauenbewegungszeitschriften ihren Beitrag zur sogenannten Völkerverständigung. Diese sei nicht nur eine unabdingbare Voraussetzung des anzustrebenden Weltfriedens, sondern müsse ihrer Meinung nach insbesondere von Frauen initiiert und gepflegt werden.


Dorothee von Velsens nationales wie internationales Engagement für Frauenrechte erfuhr jedoch mit Beginn des NS-Regimes 1933 eine abrupte Unterbrechung. So zeugen die in ihrem Nachlass aufbewahrten Dokumente des ADF von den Schwierigkeiten, denen sich die Frauenrechtlerinnen unter dem nationalsozialistischen Druck spätestens seit den ausgehenden 1920er-Jahren ausgesetzt sahen. Um der Gleichschaltung und dem damit einhergehenden Ausschluss seiner jüdischen Mitglieder zu entgehen, löste sich der ADF unter Velsens Leitung nach erfolglosen Verhandlungen mit der NS-Frauenschaft selbst auf.

Dieses formale Ende im Jahr 1933 bedeutete jedoch keinesfalls das Aufgeben der Ideen der Frauenbewegung, was Velsen sowohl in privater Korrespondenz als auch durch ihr Engagement beim Wiederaufbau der Frauenverbände nach 1945 eindrücklich unter Beweis stellen sollte. So hielt sie 1933 in gewohnt kämpferischer Manier in einem Abschiedsrundschreiben an die Mitglieder fest: „Wir möchten es bei diesen sachlichen Mitteilungen bewenden lassen, Ihnen aber noch mitteilen, dass wir gestern nach Schluss unserer Vorstandssitzung das Grab Helene Langes besucht haben. In jeder von uns hat sich, wie zweifellos auch Ihnen, während dieser letzten entscheidungsreichen Wochen aufs neue [sic] der Gedanke befestigt, dass die nationalen und sozialen Ideale der Frauenbewegung lebendig bleiben werden, auch wenn die Organisationen, die sie bisher getragen haben, sich auflösen müssen.
Für den Vorstand Dorothee von Velsen.“6

Vom ‚inneren Exil‘ zurück in die demokratische Frauenpolitik

Die promovierte Historikerin – 1931 hatte Velsen ihre Dissertation im Fach Geschichte an der Universität Heidelberg abgeschlossen – war nach dieser Zäsur vor allem als Schriftstellerin tätig. Noch 1933 zog sie sich von Berlin ins oberbayerische Ried in ihr neu gebautes Häuschen aufs Land zurück. Ihren Lebensunterhalt finanzierte sie zum einen über Mieteinnahmen aus einer Immobilie in Göttingen, zum andern über Einnahmen aus Publikationstätigkeiten. Zudem deckte sie ihren Lebensmittelbedarf teilweise mit Erzeugnissen aus ihrem selbst bewirtschafteten Garten.
In Ried erlebte sie die Jahre bis 1945 im selbsternannten inneren Exil. Das bedeutete, dass sie vor allem historische Erzählungen und Monographien verfasste, um sich von der von ihr vehement abgelehnten nationalsozialistischen Tagespolitik abzulenken. Dabei verarbeitete sie vornehmlich die Geschichte des französischen Fürstenhauses Burgund. Doch verlor sie nie die sehr bedenklichen frauenpolitischen Entwicklungen unter dem totalitären NS-Regime aus dem Blick. In diversen Artikeln im frauenbewegten Zentralorgan Die Frau, das Gertrud Bäumer nach Helene Langes Tod 1930 federführend herausgab, übte sie subtile Kritik am nationalsozialistischen Frauenbild. Entgegen ihres couragierten Auftretens vor 1933 trat sie während des ,Dritten Reichs‛ nicht in offenen Widerstand zur NS-Politik.

Nach 1945 engagierte sich Dorothee von Velsen leidenschaftlich für den traditionsbewussten Wiederaufbau der organisierten, bürgerlichen Frauenbewegung. Dazu mobilisierte sie sowohl alte als auch neue Mitglieder für Frauenverbände wie den bis heute existierenden Deutschen Frauenring oder auch den Deutschen Akademikerinnenbund. Bis zu ihrem Tod 1970 blieb sie der Frauenbewegung verbunden: zum einen, indem sie bis ins hohe Alter in frauenbewegten Organen Nachrufe auf einst sehr bekannte Frauenrechtlerinnen verfasste, für den Frauenfunk des Bayerischen Rundfunks literarische Hörspiele zu frauenrechtlerischen Themen produzierte und in ihren stark rezipierten historischen Romanen und Novellen eigenständig handelnde Protagonistinnen und ihre Entwicklungen in den Mittelpunkt stellte; zum anderen, indem sie selbst das Wiedererstehen der organisierten Frauenbewegung initiierte und darin langjährig aktiv tätig war.

Stand: 23. Oktober 2018
Verfasst von
Mirjam Höfner, M.A.

hat ihren Magister in Neuerer und Neuester Geschichte, Neuerer Deutscher Literaturgeschichte und Phonetik an der Freiburger Universität absolviert. Sie promoviert an der Universität der Bundeswehr (München) bei Frau Prof. Dr. Sylvia Schraut über eine Biographie zu Dorothee von Velsen. Zudem forscht sie als Mitarbeiterin in einem Teilprojekt des interdisziplinären bayerischen Forschungsverbunds ForGenderCare (LMU München) zum Zusammenhang von Geschlecht und Fürsorge am Beispiel des Münchner Verein für Fraueninteressen in diachron vergleichender Perspektive (1890–1918 und 1945–1960).

Empfohlene Zitierweise
Mirjam Höfner, M.A. (2018): Dorothee von Velsen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/dorothee-von-velsen
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Zitate von Dorothee von Velsen

Biografie von Dorothee von Velsen

Geburt in Zabrze (Polen)

1912

Mitarbeit bei Ausstellung Die Frau in Haus und Beruf des ADF in Berlin 1912

1923

Delegierte auf IWSA-Kongress in Rom

1931

Promotion im Fach Geschichte an der Universität Heidelberg zur Dr. phil.

1933

Umzug von Berlin nach Ried bei Benediktbeuern (Oberbayern)

Teilnahme am Deutschen Frauenkongress in Bad Pyrmont

1955

Erhalt des 1. Verdienstkreuzes 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Tod in Kochel am See

Fußnoten

  • 1Reicke, Ilse: Die großen Frauen der Weimarer Republik. Erlebnisse im „Berliner Frühling“, Freiburg 1984, S. 60.
  • 2Lion, Hilde et al. (Hg.): Dritte Generation. Für Gertrud Bäumer, Berlin 1923.
  • 3Velsen, Dorothee von: Die Frau und die Volksvertretung. Eine statistische Studie, in: Altmann-Gottheiner, Elisabeth (Hg.): Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine 1920, Leipzig/Berlin 1920, S. 23–28, hier S. 28.
  • 4Fleischmann, Elsa / Geyer-Raack, Ruth H. (Hg.): Die gestaltende Frau. Erste Ausstellung des Deutschen Staatsbürgerinnenverbandes e.V. (Allgemeiner Deutscher Frauenverein 1865), 18. Oktober–5. November 1930, Berlin 1930.
  • 5Velsen, Die Frau und die Volksvertretung, S. 26.
  • 615. Mai 1933, Dorothee von Velsen in einem vertraulichen Rundschreiben an die Vorsitzenden der Ortsgruppen, HLA B Rep. 235-15 (N-DvV) Nr. 12.