Christian Schenk Geboren am in Ilmenau

Über Christian Schenk

Christian Schenk kämpfte als Vertreter des Unabhängigen Frauenverbandes am Zentralen Runden Tisch in der DDR und als Abgeordneter des Deutschen Bundestages (1990–2002) für eine Lesben- und Schwulenpolitik oder die Streichung von § 218.

Von der Physik zur Frauenpolitik

Geboren 1952 als Christina Schenk im thüringischen Ilmenau, zog Christian Schenk nach der Scheidung seiner Eltern 1954 mit seiner Mutter zu den Großeltern nach Berlin. Während seiner Schulzeit war er Mitglied bei der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und den Jungen Pionieren. Nachdem er 1971 sein Abitur an einer Schule für Hörgeschädigte abgelegt hatte, begann er ein Physik-Studium an der Humboldt-Universität zu Berlin und trat 1974 in die SED ein.

Im Anschluss an sein Diplom nahm Schenk 1976 eine Anstellung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR an. „Aufgrund der Erkenntnis, daß denkbare Grundlagen demokratischer Verhältnisse in der Gesellschaft und in der Partei nicht gegeben sind und auch nicht zugelassen werden sollen“1 , trat er 1981 aus der SED aus.

Eine neue politische Heimat fand er in einer Lesbengruppe in der Gethsemanegemeinde Berlin. Die evangelische Kirche bot einen Schutzraum für politische Aktivitäten jenseits der Staatsdoktrin der DDR. Da sich seine Interessen verschoben hatten, begann Schenk nun ein postgraduales Studium der Soziologie an der HU Berlin und eine Aspirantur mit Fokus auf die Situation lesbischer Frauen in der DDR.

Ankündigungsplakat zum Vortrag „Lesbischer Alltag in der DDR“, Berlin 1990

Der Unabhängige Frauenverband – „das zwangsläufige Resultat des zugespitzten Widerspruchs“

Im Herbst 1989 trafen die Perspektive auf politische Partizipation und „das Gefühl, dass sich festgefügte Strukturen auflösen und sich tatsächlich Wege zu weit reichenden Veränderungen eröffnen“2 aufeinander und mobilisierten auch die frauenbewegten Frauen. Im Oktober 1989 entstand in Berlin die Lila Offensive, kurz darauf wurde der Unabhängige Frauenverband (UFV) gegründet. Mitbegründer war in beiden Fällen Christian Schenk.

Christian Schenk (links) auf dem Gründungskongress des UFV, Berlin 1990

„Mit der Konstituierung des Unabhängigen Frauenverbandes am 3. Dezember 1989 in der Berliner Volksbühne wurde die Frauenbewegung in der DDR das erste Mal öffentlich. Dieses Ereignis war […] das zwangsläufige Resultat des zugespitzten Widerspruchs zwischen den Lebensvorstellungen und Verwirklichungsansprüchen von Frauen und der DDR-Realität sowie der durch den gesellschaftlichen Umbruch eröffneten Möglichkeiten, sich zu artikulieren und organisieren.“3

Schenk vertrat den UFV sowohl am Zentralen Runden Tisch der DDR – hier leitete er die Arbeitsgruppe Gleichstellung von Männern und Frauen – als auch am Berliner Runden Tisch. Nun konnte der UFV endlich an institutionalisierter Politik teilhaben. Frauenpolitik war für den UFV nicht ein Ressort unter vielen, sondern eine Querschnittsaufgabe. So bestand die Vorgehensweise darin, sich in jegliche Themen, die in diesen Gremien diskutiert wurden, entsprechend den programmatischen Vorstellungen einzubringen.4 Zu den Hauptforderungen gehörten die Einführung einer vom UFV erarbeiteten Sozialcharta5 , einer neuen diskriminierungsfreien Verfassung und die Einrichtung eines Gleichstellungsministeriums.

Schenk sah den Feminismus-Begriff nicht begrenzt auf die Frauenfrage, sondern als „Patriarchatskritik und Gesellschaftskonzept in einem“6 . In einem Interview erklärte er 2020: „[...] überspitzt gesagt, dass es nicht nur um Frauen gehen sollte, sondern auch um Männer, um deren Rollenverständnis, um deren Blick auf die Welt, um deren Positionen in der Gesellschaft. Es ging uns darum, alle Geschlechter im Blick zu behalten und auf die Strukturen zu schauen.“7

Volkskammerwahl und Bundestag

Um an der ersten demokratischen Wahl der DDR – der Volkskammerwahl im März 1990 – teilnehmen zu können, ging der UFV ein Bündnis mit der Grünen Partei der DDR ein. Obgleich das Bündnis in die Volkskammer gewählt wurde, erhielt der UFV keines der acht Mandate, da die Grünen sich diese für die eigenen Fraktionsmitglieder vorbehielten.

Entschlossen, aus diesem Rückschlag zu lernen, traten die UFV-Frauen auch zu den Bundestagswahlen im Dezember 1990 an. Christian Schenk wurde über die Listenverbindung Bündnis 90/ Die Grünen als erster Vertreter einer feministischen Organisation in den Deutschen Bundestag gewählt. Als frauenbewegte, lesbische Frau aus der ehemaligen DDR hatte er hier keinen leichten Stand und musste sich immer wieder gegen Kritik von außen und auch aus den eigenen Reihen behaupten.

Gründungskongreß UFV Christina Schenk am Mikro, Berlin 1990

Die Wiedervereinigung und die Rechte von Frauen, Schwulen und Lesben

Nach der Wiedervereinigung kam es dem UFV darauf an, „der rücksichtslosen Übertragung bundesdeutscher Verhältnisse möglichst wirksamen Widerstand entgegenzusetzen. Der UFV fand sich in der Rolle der Opposition wieder.“8
Auf dem 2. Kongress des UFV im März 1991 erklärte Schenk zu seiner Arbeit im Bundestag: „Ich sehe meine Aufgabe dort darin klarzumachen, daß es eben auch andere Standpunkte gibt, daß es eine feministische Position im Bundestag gibt. [...] auch transparent zu machen, wie Arbeit im Bundestag läuft, wie dort Politik gemacht wird, indem ich Informationen […] an den UFV weitergebe, so daß dort auch damit weitergearbeitet werden kann.“9 Transparenz bedeutete für ihn auch, seine Einnahmen und Ausgaben als MdB gänzlich offenzulegen und den Alltag seiner politischen Arbeit bis ins Detail zu erklären.

Bereits bei seinen Besuchen West-Berlins 1987/88 war ihm klargeworden, dass er nicht in den Westen wollte. „Ich wollte, dass die DDR sich reformiert. Ich wollte reisen, aber nicht raus.“10 Mit der Wiedervereinigung sah er nicht nur den vergleichsweisen hohen Status der Frauen, der von ökonomischer Unabhängigkeit geprägt war und in einer langen sozialdemokratischen Tradition wurzelte, zur Disposition gestellt. „Ich wusste, dass alles, was in der DDR für Frauen und Lesben und Schwule erreicht worden war, bei einer Vereinigung größtenteils den Bach runtergehen würde.“11

 

Presseerklärung vom UFV zur Wahl 1994

Für diese Rechte, die er nun gefährdet sah, kämpfte er von 1990 bis 2002 als Bundestagsabgeordneter. Durch sein parlamentarisches Wirken konnte Schenk eine Art feministisches Gegengewicht bilden und zu einer Diskursverschiebung beitragen. Unermüdlich stellte er Anfragen und reichte Anträge zu Themen wie dem Antidiskriminierungsgesetz, lesbischer und schwuler Elternschaft, Gewalt gegen Schwule und Lesben, Kindergeld für Migrant:innen oder die Reform des Transsexuellengesetzes ein und beeinflusste so die politische Debatte im Bundestag.

Bis 1994 vertrat Schenk den UFV innerhalb von Bündnis 90/ Die Grünen, auch war er frauenpolitischer Sprecher der Gruppe. Als er 1994 in die Bundestagsfraktion der PDS wechselte, musste er sich heftiger Kritik seitens des UFV stellen.

Innerhalb der PDS leitete Schenk den Arbeitskreis Feministische Politik und war familien- sowie lesben- und schwulenpolitischer Sprecher. Als erster Abgeordneter in der Geschichte des Deutschen Bundestages trug er im Abgeordnetenhandbuch den Beisatz „in lesbischer Partnerinnenschaft lebend“12 .

Besonders wichtig war ihm, patriarchale Strukturen aufzudecken und zu durchbrechen. Dies war seiner Meinung nach „am effektivsten bei Themen möglich, die mit der Selbstbestimmung von Frauen in einem direkten Zusammenhang stehen – von der Arbeitsmarktpolitik bis zum Sexualstrafrecht und zum Schwangerschaftsabbruch“13 .

§ 218, §§ 177 – 179

Pressemitteilung zu §218, Bonn 1991

Innerhalb des politischen Diskurses über den Umgang mit ungewollten Schwangerschaften vertrat Schenk eine klare Position: eine ersatzlose Streichung von § 218 StGB. Dieser diene „[...] einzig der Transportation des patriarchalen Frauenbildes der westdeutschen Gesellschaft, wonach Frauen unwissend, ahnungslos und im Grunde unmündig sind“14 .

Sowohl die Fristenregelung, als auch das Indikationsmodell und die Beratungspflicht empfand er als Einschränkung der Selbstbestimmung der Frau. „Solange Frauen nicht das uneingeschränkte Entscheidungsrecht über die Austragung oder nicht Austragung einer Schwangerschaft haben, so lange sind Frauen nicht wirklich frei.“15

Ähnlich klare Worte fand Schenk gegen den Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe, der bis 1997 lediglich einer sexuellen Nötigung entsprach. „Es ist […] ein himmelschreiender Skandal, dass das Parlament dieses Landes es noch immer nicht geschafft hat, diesen unzumutbaren Zustand zu beenden.“16

Nach jahrelanger Diskussion wurden §§ 177 bis 179 des Strafgesetzbuches endlich verschärft und so „die im Patriachat konstruierten Besitzrechte von Männern an ihren Frauen“17 zumindest auf dem Papier aufgehoben.

Diversity-Politik

Als 1991 den Anträgen von Bündnis 90/ Die Grünen auf die Einrichtung eines Lesben- und eines Schwulenreferates stattgegeben wurde, waren damit auch die Diskussionen um die Verwendung der Begriffe ‚lesbisch‘ und ‚schwul‘ beendet. Nun gehörten sie zum offiziellen Sprachgebrauch der Bundesregierung.

Pressemitteilung „Das Parlament erweitert seinen Sprachschatz", Bonn 1991

Auch die Themen Transidentität und Intersexualität brachte Schenk im Bundestag ein; er kämpfte für die Rechte und Belange von Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihres gesellschaftlichen Status diskriminiert wurden.

2001 wurde er vom Gay in May e.V. für sein unermüdliches und herausragendes Engagement für LGBTIQ* mit dem Preis ‚Rosa-Courage‘ ausgezeichnet. Im November desselben Jahres wählte ihn der WDR zur ‚Frau des Monats‘.

Sein Outing als Transmann begann 2002, die gerichtliche Namens- und Personenstandsänderung folgte 2006.

Heute lebt Christian Schenk in Berlin und arbeitet als Berater und Coach in den Bereichen Diversity und Queer Politics und gestaltet so weiterhin den Umgang unserer Gesellschaft mit sogenannten Minderheiten mit.

Stand: 19. Oktober 2021
Lizenz (Text)
Verfasst von
Filiz Gisa Çakır

geb. 1984, Studium der Romanistik, Geschichte und Europäischen Kulturgeschichte. Arbeitet seit 2018 als Historikerin/ Archivarin zu frauenbewegten Themen.

Empfohlene Zitierweise
Filiz Gisa Çakır (2021): Christian Schenk, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/christian-schenk
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Rechteangabe
  • Filiz Gisa Çakır
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY 4.0

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Zitate von Christian Schenk

Biografie von Christian Schenk

Geburt in Ilmenau

1971 - 1976

Studium der Physik an der Humboldt-Universität Berlin

1974 - 1981

Mitgliedschaft in der SED

1976 - 1989

Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Akademie der Wissenschaften der DDR

1982 - 1989

In der Oppositionsbewegung in der DDR unter dem Dach der evangelischen Kirche aktiv (Lesbengruppe Berlin)

1989 - 1990

postgraduales Studium der Soziologie

November 1989

Mitbegründung der Lila Offensive

Herbst 1989

Vertreter des UFV am Zentralen Runden Tisch der DDR, Vorsitz in der Arbeitsgruppe des Runden Tisches "Gleichstellung von Frau und Mann"

Mitorganisator des Frauentreffens in der Volksbühne Berlin, bei welchem der UFV gegründet wurde

1990 - 1994

Mitglied des Deutschen Bundestages für den UFV (in der GruppeBündnis90/ Die Grünen), Frauenpolitischer Sprecher der Gruppe Bündnis 90/ Die Grünen

1994

Als erster Abgeordneter überhaupt, führt er im Abgeordnetenbuch den Vermerk “in lesbischer Partnerschaft lebend”

Mai 1994

Austritt aus Bündnis 90/Grüne-BürgerInnenbewegung

1994 - 2002

als Parteiloser über die PDS-Landesliste Sachsen im Bundestag

1994 - 1998

Leiter des Arbeitskreises Feministische Politik der PDS-Bundestagsfraktion, Frauenpolitischer Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion, Mitglied und Obmensch im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

1998 - 2002

Familien-, schwulen-, lesbenpolitischer Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion, Mitglied und Obmensch im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Stellvertretendes Mitglied im Rechtsausschuss und Verteidigungsausschuss

2001

Preis “Rosa Courage” von Gay in May e.V.

November 2001

Auszeichnung “Frau des Monats” des WDR

2002

Beginn des Outings als Transmann

seit 2003

Mitglied bei attac

2006

Personenstands-und Namensänderung in Christian Schenk

seit 2006

Forschungs-und Vortragstätigkeit im Bereich Geschlechterforschung und Diversity

Fußnoten

  • 1Schenk, Christina: Kurzbiographie, o.D.; RHG/GZ-UFV 161.
  • 2Schenk, Christina: Der Politikbegriff von ostdeutschen Frauen am Beispiel des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV), in: EigenArtige Ostfrauen. Frauenemanzipation in der DDR und den neuen Bundesländern, Bielefeld 1994, S. 285.
  • 3Schenk, Christina: Experiment UFV, in: Eine Zeitmontage, Berlin 1991, S. 124; Archiv der DDR-Opposition der Robert-Havemann-Gesellschaft, Berlin; RHG/GZ-UFV 33.
  • 4Vgl. Schenk: Der Politikbegriff von ostdeutschen Frauen am Beispiel des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV), S. 288.
  • 5Vgl. Sozialcharta des UFV, Berlin 1990; RHG/GZ-UFV 02.
  • 6Schenk, Christina: Selbstverständnis des UFV, o.O. 1991; RHG/GZ-UFV 161.
  • 7Urgast, Steff, 7.5.2020: „Unser politischer Ansatz war ein anderer“, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, Zugriff am 13.10.2021 unter: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/30-jahre-geteilter-feminismus/unser-politischer-ansatz-war-ein-anderer.
  • 8Schenk: Der Politikbegriff von ostdeutschen Frauen am Beispiel des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV), S. 289.
  • 9Erklärung von Christian Schenk auf dem 2. Kongress des UFV, 08.-10.03.1991 in Leipzig; RHG/GZ-UFV 03.
  • 10Urgast, 7.5.2020: „Unser politischer Ansatz war ein anderer“.
  • 11Ebenda.
  • 12Deutscher Bundestag: Webarchiv, 13. Wahlperiode, Biographie Christina Schenk, Zugriff am 13.10.2021 unter http://webarchiv.bundestag.de/archive/2007/0206/mdb/mdb13/bio/S/schench0.html; Schmollack, Simone, 3.3.2007: Der Frauenversteher, taz magazin (8216).
  • 13Schenk: Der Politikbegriff von ostdeutschen Frauen am Beispiel des Unabhängigen Frauenverbandes (UFV), S. 290.
  • 14Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht 99. Sitzung, Bonn, 25.06.1992, Plenarprotokoll 12/99; RHG/GZ-UFV 162.
  • 15Pressedienst von Bündnis 90/ Die Grünen, Pressemitteilung von Christian Schenk: Mangel an Durchblick oder Krokodilstränen?, 1991; RHG/GZ-UFV 161.
  • 16Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht 132. Sitzung, Bonn, 15.01.1993, Plenarprotokoll 12/132; RHG/GZ-UFV 16.
  • 17Ebenda.

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