mamas pfirsiche – frauen und literatur

verfasst von
  • Berit Schallner
veröffentlicht 18. Mai 2022
mamas pfirsiche war die erste feministische Literaturzeitschrift der BRD. In Kleinschrift diskutierten Redaktionskollektiv und Autorinnen über Literatur, Literaturbetrieb und Geschlecht. Der Titel spielte an auf ein Album der US-Folkmusikerin Janet Smith.

Die Gründung der ersten feministischen Literaturzeitschrift der BRD mamas pfirsiche fiel in eine Phase der intensiven Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur in der Frauenbewegung und des Gründungsbooms autonomer Kulturbetriebe für Frauen.1 Im Mai 1976 fand das erste Treffen schreibender Frauen in München statt, ausgerichtet vom im Jahr zuvor gegründeten Verlag Frauenoffensive.2 Die Frage danach, was Frauenliteratur oder gar feministische Literatur sein solle oder könne, wurde bereits seit einiger Zeit breit diskutiert.3 „die auseinandersetzung mit der situation und geschichte der schreibenden frau“, so auch das Redaktionskollektiv der pfirsiche in der ersten Ausgabe, „und mit der materialistischen literaturtheorie sowie diskussionen in der frauenbewegung über feministische kunst und kultur gaben den letzten anstoß [sic!] mit der organisatorischen arbeit für ‚mamas pfirsiche‘ anzufangen.“4

Mamas Pfirsiche Heft 1: fem. literaturkritik, eine ballade und ihre entstehung, tagebuchauszüge, frauenbild in "eltern", maulkorbgesetze..., 1976

„jede erhoffte und befürchtete korrekturen“5

Auch der ersten Ausgabe der pfirsiche ging eine Verlagsgründung voraus: Die Herausgeberin und Autorin J. Monika Walther hatte in Münster den verlag frauenpolitik gegründet, in dem sie feministische Literatur und Zeitschriften publizieren wollte. „weil wir wußten, daß wir sehr viel lernen müssen in kurzer zeit, hatten wir lange zeit angst [sic!] mit dem machen der zeitung anzufangen. die entwicklung von frauen und film (berlin) gab uns mut, der verlag frauenpolitik münster war gegründet und die einarbeitung in handwerkliches (buchhaltung, gespräche mit drucker, kalkulieren usw.) ging schneller als wir gehofft hatten.“6 Geplant war außerdem eine Zusammenarbeit mit der Frauenoffensive, die aber schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der zweiten Ausgabe einem „ausgeprägten nichts-miteinander-zu-tun haben-wollen“ gewichen war.7

Der Titel mamas pfirsiche entstammte dem feministischen Folksong „mama’s peaches“ der Folkmusikerin und Gitarristin Janet Smith auf dem 1973 veröffentlichten Album Virgo Rising: The Once and Future Woman, „a private consciousness-raising session: songs to diaper babies by, […] to mow the lawn or fix the door by, songs of sisterhood.“8 Walther hatte den Songtext ins Deutsche übersetzt und sich von ihm für den Titel inspirieren lassen.9

Anfangs fehlte es vor allem an Geld: Sie hätten die Druckseiten teilweise eigenhändig gelegt, gefalzt, geheftet und versendet, schrieb die Redaktion in der sechsten Ausgabe.10 Darüber hinaus habe man erst eine eigene Arbeitsweise entwickeln müssen. Dies war nicht ohne Debatten darum vonstattengegangen, wie eine feministische, autonome Arbeitsweise aussehen sollte. Wie viele feministische Zeitschriftenprojekte erlebte auch die Redaktion der pfirsiche die utopischen Ansprüche an Inhalt und Produktionsweise als eine Reihe häufig nicht aufzulösender Dilemmata: Wenn alle Frauen zu Wort kommen sollten, wie konnten dann redaktionelle Entscheidungen getroffen werden, ohne dieses Anliegen zu unterlaufen? Wo verlief die Grenze zwischen Lektorat und Zensur? Sollte die Redaktion eine eigene Linie vertreten oder lediglich den Raum für Diskussionen schaffen? Und wie dann damit umgehen, dass das Kollektiv für kontroverse Texte zur Rechenschaft gezogen wurde? Wie konnten redaktionelle Konflikte in einem Kollektiv gelöst werden? Nach welchen Kriterien sollten die einzelnen Hefte zusammengestellt und gestaltet werden? Die Zeitschrift solle nicht „die funktion einer erweiterten privaten schublade für die autorinnen“11 einnehmen, hieß es sechs Ausgaben später. Stattdessen müsse die Redaktion politische Bezüge stärker herausarbeiten, gegen die Beliebigkeit, aber auch, um den Leserinnen feministische Anliegen besser zu vermitteln.12 Ab Ausgabe 7 gab es eine feste Redaktion mit wechselnden hauptverantwortlichen Redakteurinnen und eine längerfristige Themenplanung.13 Zum harten Kern gehörten neben Walther Mitherausgeberin Christine Steininger, Claudine Acinde, Barbara Kröll, Barbara Lange-Hagedorn, Susanne Henke, Angelika Müller und weitere Frauen. Hinzu kamen wechselnde Mitarbeiterinnen für einzelne Ausgaben.

Polemik und Kritik: Frauenkitsch und die Grenzen zum Banausentum14

Die Redaktion hatte sich viel vorgenommen: Neben Texten und Grafiken von Frauen sollten Werkstatt-Gespräche, Geschichte und Theorie der Frauenliteratur und Sprachkritik veröffentlicht werden. Untersuchen wollte man auch die Wirkungsweisen des patriarchalen Literaturbetriebs: „texte, verlage, kritik, macht, gepflogenheit“.15 Dafür mussten Kriterien für eine feministische Literaturkritik erarbeitet und herausgefunden werden, was Frauen lesen wollen. Zu Beginn, so die Redaktion im Text „mamas programm“, werde man vielleicht „vor allem die angst und unsicherheit abdrucken,“ sie gehörten schließlich zur eigenen Geschichte.16 Da schreibende Frauen sich zu wenig handwerklich austauschten, sollte auch für Werkstatt-Gespräche Platz sein.

„diese adornoaura ist mir aus den 60er jahren noch vertraut“17

Ein weiteres wichtiges Vorhaben war die Auseinandersetzung mit innerfeministischen Diskussionen. Wie in vielen feministischen Publikationen dieser Jahre spiegelte sich auch in den pfirsichen die Auseinandersetzung um das Verhältnis der autonomen Frauenbewegung zur Neuen Linken und anderen linken Organisationen, die ihrerseits Frauengruppen aufgebaut hatten. Die Redaktion wollte mit der Zeitschrift auch dazu beitragen, den propagierten Widerspruch zwischen Feminismus und Sozialismus zu klären und der Aufsplitterung der Bewegung sowie dem entstehenden Dogmatismus entgegenzuwirken.18

Eine weitere Frage beschäftigte die Redaktion von der ersten Ausgabe an: Wo waren die schreibenden Frauen der Literaturgeschichte? Es entstanden Texte zur Trivial- und Arbeiterinnenliteratur19 , über schreibende Frauen in der spanischen Revolution20 und in der europäischen Kulturgeschichte.21 Darüber hinaus publizierten die pfirsiche Texte von und Gespräche mit zeitgenössischen Schriftstellerinnen wie Jutta Heinrich, Elfriede Jelinek, Helga Novak, Susanne Röckel, Sigrid Weigel, Tobe Levin sowie Karin Struck. Großgeschrieben wurde auch die „solidarische Kritik“: Verschiedene Beiträge setzten sich mit der entstehenden neuen Frauenliteratur auseinander.22 Außerdem trugen die pfirsiche Informationen zusammen: Neuerscheinungen, Konferenzen und Lesekreise, auf dem internationalen Buchmarkt23 und in der entstehenden feministischen Literaturszene mit ihren Frauenverlagen und -vertrieben, Zeitschriften und Druckereien.24  

Mamas Pfirsiche Heft 3: Louise Michel: Lebensgeschichte und die 'Memoires' / Stilproblematik und Frauenliteratur / Angelika Müller: angesichts der Erfahrungen unter Menschen, 1976

(K)ein Ende: die letzte Ausgabe

In der letzten Ausgabe von 1979 schrieb J. Monika Walther: „wir sind traurig darüber, daß wir die zeitschrift einstellen müssen, denn alle frauen, die im verlag verbindlich arbeiten, sind über ‚die pfirsiche‘ in den verlag herein gekommen. […]“25

Die Mitgründerin und letzte feste Redakteurin zog eine ernüchternde Bilanz: „kurzum: die zeitschrift ‚mamas pfirsiche – frauen und literatur‘ ist überflüssig.“26 Weder interessant für Autorinnen, die das Schreiben als Profession verstünden – diese würden lieber in bekannteren oder besser gemachten Zeitschriften publizieren –, noch für Wissenschaftlerinnen oder andere Frauen, die jenseits universitärer Wissenschaft über die patriarchalen Strukturen des Literaturbetriebs nachdenken wollten. Es sei wenig sinnvoll, eine Zeitschrift weiterzuführen, die sich nicht selbst trage, keine festen Mitarbeiterinnen mehr habe und von der man nicht wisse, wer sie lese und wozu. Es hatte außerdem schon eine Weile Probleme beim Einwerben von Beiträgen gegeben und es fehlten regelmäßige Mitarbeiterinnen – dieses Problem teilten die pfirsische mit zahlreichen weiteren feministischen Publikationen und Projekten, in denen sich Frauen zwischen Lohnarbeit, Haushalt und unbezahlter Projektarbeit aufrieben.

Auch Walther hörte damit nach dem Ende der pfirsiche keineswegs auf: Sie gab weiterhin die Lesbenzeitschrift protokolle: informationsdienst für frauen und, gemeinsam mit Heide Heinz, die schon an den pfirsichen mitgearbeitet hatte, die Zeitschrift Die Eule – Diskussionsforum für feministische Theorie heraus.27 Im verlag frauenpolitik und der zweiten Verlagsgründung tende mit Annette V. Uhlending veröffentlichte sie auch künftig feministische Schriften. Sie verfasste außerdem zahlreiche preisgekrönte Hörspiele, Lyrik und Prosa. Ab den 1990er Jahren beschäftigte sie sich mit ihrer jüdischen Herkunft und der Schoa.

Die Auseinandersetzung mit den Grenzen und Möglichkeiten von Frauenliteratur zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, Rolle und Individualität, Öffentlichkeit und Privatheit, Produktion und Reproduktion, Rationalität und Emotion, Theorie und Praxis, Sexualität und Sensibilität, wie es Ute Tempel in ihrem Aufsatz zur weiblichen Menschwerdung durch Literatur formulierte, hatte in den 1970er Jahren gerade erst begonnen.28

Stand: 18. Mai 2022
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Verfasst von
Berit Schallner

ist Historikerin (M.A.) und arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im FrauenMediaTurm – feministisches Archiv und Bibliothek. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Empfohlene Zitierweise
Berit Schallner (2022): mamas pfirsiche – frauen und literatur , in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/mamas-pfirsiche-frauen-und-literatur
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Rechteangabe
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Fußnoten

  • 1FMT, PD-ME.03.04: Frauenverlage, Frauenbuchprojekte und Initiativen im Literaturbereich, 1974–1988.
  • 2O. A.: Papier zum Treffen schreibender Frauen am 8. u. 9. Mai in München, in: Frauenoffensive – Journal 4, 1976, S. 56–57.
  • 3Weigel, Sigrid: Die Stimme der Medusa. Schreibweisen in der Gegenwartsliteratur von Frauen, Dülmen 1987, S. 47–52; Bovenschen, Silvia: Über die Frage: Gibt es eine weibliche Ästhetik?, welche seit kurzem im Umlauf die feministischen Gemüter bewegt - gelegentlich auch umgewandelt in die Frage nach den Ursprüngen und Möglichkeiten weiblicher Kreativität, in: Ästhetik und Kommunikation, 1976, H. 7, S. 60–75.
  • 4das redaktionskollektiv: wie üblich: vorwort der redaktion, in: mamas pfirsiche, 1976, H. 1, S. 3–4, hier: S. 3.
  • 5Ebenda, S. 4.
  • 6Ebenda, S. 3.
  • 7die redaktion: in eigener sache, in: mamas pfirsiche 1976, H. 2, S. 4–5, hier: S. 4.
  • 8Aus dem Begleitheft des Albums, abgedruckt in: Anderson, Jamie: An Army of Lovers. Women’s Music of the 70s and 80s, Tallahassee, 2019, zit. nach Ebook, ohne Seitenangaben. Zum Album und zu Janet Smith s. a. Rodnitzky, Jerry L.: Feminist Phoenix. The Rise and Fall of a Feminist Counterculture, Westport 1999, S. 63.
  • 9mamas pfirsiche, H. 11, Rückumschlag.
  • 10die redaktion: in eigener sache, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 6, S. 2.
  • 11Ebenda, S. 3.
  • 12Ebenda.
  • 13die redaktion, in eigener sache, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 7, S. 2.
  • 14O.A., mamas programm, in: mamas pfirsiche, 1976, H. 1, S. 5–8.
  • 15Ebenda, S. 5.
  • 16Ebenda, S. 5–6.
  • 17Heide Heinz, „Das Gesetz sind wir“. Offener Brief an Brigitte Classen und Gabriele Goettle, in: mamas pfirsiche – Frauen und Literatur, 1977, H. 7, S. 126–146, hier: S. 128.
  • 18die redaktion: in eigener sache, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 6, S. 3–4, hier: S. 4.
  • 19mamas pfirsiche,1976, H. 2: arbeiterinnen und literatur; Schmidt, Bärbel / Brunken, Ulrike: Das Bild der Frau in Heftromanen und Frauenzeitschriften, in: mamas pfirsiche, 1978, H. 8, S. 69–114; o. A.: Stichworte: Von Malitt bis Courths-Mahler: Der Frauenroman, in: dies., S. 115–118.
  • 20Buselmeier, Karin: frauen in der spanischen revolution, in: mamas pfirsiche, 1979, H. 9/10, S. 5–132.
  • 21Acinde, Claude: die revolutionärin louise michel, in: mamas pfirsiche, 1976, H. 3, S. 7–28; metz, sandie: leseerfahrung 1: grete meisel-hess, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 6, S. 112–119; dies.: leseerfahrung 3: alltagserfahrung und/mit grete meisel-hess. roman ‚die stimme‘, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 6, S. 130–135; langer-hagedorn, barbara: leseerfahrung 2. grete meisel-heiss und ihre lösung der sexuellen probleme der frau, in: mamas pfisiche, 1977, H. 6, S. 120–129; dies.: hedwig dohm, in: mamas pfisiche, 1977, H. 6, S. 142–143; dies.: eine schriftstellernde patrizierin: die geschichte der johanna schopenhauer nach briefen, kritiken und tagebüchern, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 7, S. 92–125; henke, susanne: dorothea mendelsohn, spätere schlegel, in: mamas pfisiche, 1977, H. 6, S. 136–141.
  • 22Tempel, Ute: wie können frauen als ‚menschen‘ schreiben?, in: mamas pfirsiche, H. 4/5, S. 31–43; weigel, sigrid: über den gebrauchswert von frauenliteratur, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 6, S. 148–150.
  • 23O. A. [Claudia Alemann], bücher kataloge zeitschriften archive buchläden, in: mamas pfirsiche, 1979, H. 2, S. 66.
  • 24U.a.: Heide Heinz, „Das Gesetz sind wir“. Offener Brief an Brigitte Classen und Gabriele Goettle, in: mamas pfirsiche – Frauen und Literatur, 1977, H. 7, S. 126–146; müller, angelika: ein frauenprojekt ist ein frauenprojekt ist ein frauenprojekt, in: mamas pfirsiche, 1977, H. 4/5, S. 67–78.
  • 25Walther, J. Monika: in eigener sache, in: mamas pfirsiche. frauen und literatur, 1979, H. 11, S. 2‒3, hier: S. 2.
  • 26Ebenda.
  • 27FMT, Z149: protokolle: informationen für frauen, vorher: Lesbeninfo, protokolle: informationsdienst für frauen (1975–1979 nachgew.); FMT, Z-F005: Die Eule – Diskussionsforum für feministische Theorie, 1978–1984.
  • 28Tempel, Ute: wie können frauen als ‚menschen‘ schreiben?, in: mamas pfirsiche, H. 4/5, S. 31–43, hier: S. 32.

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