Feministisch Radiomachen in den 90er-Jahren am Beispiel des FrauenLesbenRadio Funk’n Flug aus Bochum (1992–1998)
FrauenLesbenRadios in NRW
Anfang der 1990er-Jahre sendeten in Nordrhein-Westfalen und im Ruhrgebiet zahlreiche FrauenLesbenRadios im Rahmen des sogenannten Bürgerfunks1. So zum Beispiel das Frauen-Radio-Magazin Dauerwelle aus Duisburg, das FrauenLesbenRadio Funk’n Flug aus Bochum, das Frauenradio Sirena aus Bielefeld oder das Frauen- und Lesbenradio Lästerher(t)z aus Köln. Das erste Duisburger Frauen-Radio-Magazin Dauerwelle sendete von Januar 1991 regelmäßig einmal im Monat im Bürger*innenfunk bei Radio Duisburg.
Darüber hinaus wurden, unter anderen organisiert von Bürgerfunkerinnen, Radioseminare für Frauen angeboten, in denen Sprech- und Rundfunktechnik sowie journalistische Arbeitsweisen erlernt werden konnten. 1992 fand beispielsweise eine Seminarreihe „radio attraktiv“2 zum Thema ‚Frauen machen Radio‘ in Kooperation mit der Dortmunder Frauenzeitung IGITTE e.V. in Dortmund statt.
Am 28. März 1992 lud die Landesanstalt für Rundfunk in NRW in Kooperation mit der Gleichstellungsstelle für Frauen und der Beratungsstelle Frau und Beruf in Duisburg zum ersten FrauenRadioTag in Nordrhein-Westfalen3 ein.4 Der FrauenRadioTag war eine Fachtagung zum Thema ‚Frauen im Bürgerfunk‘5 mit dem Ziel, eine breite Basis für die Beteiligung von Frauen am lokalen Rundfunk und insbesondere am Bürgerfunk zu schaffen.6 Zum FrauenRadioTag kamen mehr als 250 Teilnehmerinnen nach Duisburg.
Ein Beispiel für die aktive Mitgestaltung des Bürgerinnenfunks von FrauenLesben war das FrauenLesbenRadio Funk’n Flug aus Bochum.
1992/1993: Die Vorgeschichte von Funk’n Flug – FrauenLesben gegen Sexismus und Rassismus
Anfang der 1990er-Jahre entstand in einer FrauenLesbenGruppe gegen Sexismus und Rassismus in Bochum die Idee, Radio zu machen. Aufgrund des Anstiegs rassistischer Gewalt in Ost- und Westdeutschland im Zuge der deutschen Einheit traten die FrauenLesben mit dem Anspruch an, der einseitigen Berichterstattung zu den Vorfällen etwas entgegenzusetzen und in Form einer Gegenöffentlichkeit die Bochumer Medienlandschaft aktiv mitzugestalten. Bereits zwei Jahre bevor das FrauenLesbenRadio Funk’n Flug7 offiziell im Bürgerfunk on air ging, wurden 1992 und 1993 zwei Sendungen von der FrauenLesbenGruppe gegen Sexismus und Rassismus im Rahmen des 25. November, dem Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, gesendet. Die Themen der beiden Sendungen waren Frauenhandel und das Frauenbild der neuen Rechten.
1994: Funk’n Flug geht on air
Am 7. März 1994, an einem Montagabend um 18.04 Uhr, war die erste Sendung von Funk’n Flug mit dem Titel Selbstdarstellung und Bericht zum 8. März auf der Ruhrwelle Bochum zu hören. Ein Jingle leitete die Sendung ein. Hierfür wurden Beats aus den Songs Prams von der Band Vital Disorders und Open Sesame von Leila K. mit einer eingesprochenen Sequenz collagiert. In der ersten Sendung stellten die Radiofrauen sich und das Konzept des FrauenLesbenRadios vor, das sich jedoch innerhalb der vierjährigen Sendezeit immer wieder ändern sollte.
Die Redakteurinnen produzierten für jede Sendung Beiträge zu einem Schwerpunktthema – in Kombination mit Gastbeiträgen anderer FrauenLesbenRadios und FrauenLesben-Gruppen. So wurde beispielsweise die Sendung vom 6. Januar 1997 von der Gruppe ELISA – Im Exil lebende Frauen, Immigrantinnen und Schwarze Frauen in Aktion – aus Köln gestaltet. Es gab außerdem Liveschalten zu Aktionen und Demonstrationen zu hören, so zum Beispiel in der Sendung vom 6. Oktober 1997, die von der FrauenLesben-Demo gegen den Abschiebeknast8 in Neuss berichtete.
Weitere Bestandteile aus den ersten Sendungen sind beispielsweise eine Rubrik mit dem Titel „Nachrichten aus dem patriarchalen und Tipps für den feministischen Alltag“9, Buchvorstellungen, Filmtipps und regionale Veranstaltungshinweise, in denen zu Demos aufgerufen, die nächste FrauenLesben-Party im Bahnhof Langendreer angekündigt, eine Lesung im Frauenbuchladen Amazonas in Bochum oder die Coming Out Gruppe an der Ruhr-Universität Bochum beworben wird.
Getroffen hat sich die Funk’n Flug-Redaktion einmal in der Woche reihum bei den Redakteurinnen zu Hause. Die Redaktionsarbeit wurde stets mit einem gemeinsamen Abendessen10 begonnen. Einmal im Monat ging es dann zur Aufnahme ins Studio von URBO (Unabhängiges Radio Bochum) in Bochum Gerthe. Produziert und gesendet wurde über Tonband, erst danach wurde die Sendung auf Kassette überspielt.
Funk’n Flug durfte nicht live senden, sondern die Bürgerfunker*innen mussten sich auf bestimmte Restriktionen einstellen, da sie keinen eigenen Sendeplatz hatten. So mussten beispielsweise die fertig produzierten Sendungen vor der Veröffentlichung der Ruhrwelle übergeben werden. Dort wurde entschieden, ob die eingereichten Bänder gesendet werden dürfen. Unter Umständen behielt sich die Ruhrwelle jedoch auch vor, die Sendung im Rahmen der Sendezeit direkt abzubrechen, wenn Inhalt und Form der Sendung nicht ihrem Sendeprogramm entsprachen. Die Übertragung der Sendung Hören, Realität und BSE vom 3. Februar 1997 wurde zum Beispiel von der Ruhrwelle abgebrochen, da in der Sendung provokative Hörcollagen enthalten waren, die mit Erwartungen an Kürze und Verständlichkeit brachen, die in öffentlich-rechtlichen Radiosendern bedient wurden. Die bearbeitete Sendung konnte ein Jahr später im Februar 1998 gesendet werden, wurde aber leider nicht archiviert.
Themen und Sendungsinhalte bei Funk’n Flug
Die Sendungsinhalte, über die die Funk’n Flug-Redakteurinnen berichteten, waren vielfältig und machen deutlich, wie Themen der autonomen FrauenLesbenbewegung(en) in den 90er-Jahren immer stärker in öffentliche Räume hineingetragen werden konnten, die in den 80er-Jahren erkämpft worden waren. Die Redakteurinnen stellten sich gegen eine sexistische und rassistische Gesellschaft in der Transformationszeit Anfang der 1990er-Jahre. Birgitt Gottwald, eine ehemalige Funk’n Flug-Redakteurin, erinnert sich: „[D]as war in der Zeit, als es die rassistischen Übergriffe gab. (…) Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, und das war der Auslöser für mich gewesen, noch mal – was anderes auszuprobieren. Weil ich fand das sehr erschreckend! Mich hat das wirklich fassungslos gemacht.“11
Das Bedürfnis, Themen zu setzen und FrauenLesben hörbar zu machen, spiegelt sich in der Gestaltung der Sendungsinhalte wider. Diese reichen von kritischen Analysen zu Themen wie Antisemitismus, NS-Aufarbeitung, der Berichterstattung zu rassistischen Brandanschlägen oder zur Situation autonomer Frauenhäuser bis zu Satiresendungen, zum Beispiel vom 3. Juli 1995 über den Sender tm3, einen Privatsender, der ab 1995 sendete und sich klischeehaft an Frauen richtete. Funk’n Flug reagierte parodistisch auf die darin gesetzten (Körper-)Normierungen. „Wir haben sehr viel Spaß gehabt, wir haben sehr sehr viel gelacht! Trotz der doch ernsten Themen, die wir hatten“, erinnert sich Birgitt Gottwald rückblickend.12
In der Abschiedssendung vom 2. März 1998 wurden alle Sendungen noch einmal kurz angespielt.
Hans-A-Plast, Rainbirds und Co. – Musik beim FrauenLesbenradio
Musik spielte bei Funk’n Flug eine große Rolle. Selbstverständlich wurde fast ausschließlich Musik von FrauenLesben-Bands gespielt – manche wurden mehrfach gespielt, wie zum Beispiel die Rainbirds, Les Reines Prochaines, die Beate-Böse-Band aus Bochum oder Hans-A-Plast. Die Sendung vom 5. Januar 1998 ist sogar komplett den Rainbirds gewidmet. Heidi Kulls Kultsong „Ich und Frau Berger“ war am 4. Juli 1994 in der Sendung „Ihrsinn, Spaß und mehr“ zu hören.13
Die Auswahl der Musik wurde meist thematisch an das jeweilige Sendungsthema angepasst. Beispielsweise wurde in der Sendung vom 2. Mai 1994 zum Thema Gewalt gegen Frauen der Titel Hau ab Du stinkst von Hans-A-Plast gespielt. In der Gastsendung vom 6. Mai 1996, die von bosnischen Frauen aus Bochum gestaltet wurde und in der sie über ihre Erfahrungen im ehemaligen Jugoslawien und in Deutschland berichteten, wurde hingegen ausschließlich bosnische Musik gespielt.
Aktions- und Medienform Radio
Die Redakteurinnen von Funk’n Flug haben den Möglichkeitsraum Radio innerhalb der Grenzen des Büger*innenfunks als physischen und medialen Sprachraum für feministische und rassismuskritische Perspektiven genutzt. Sie haben Themen gesetzt und feministische Perspektiven unter anderem auf Antisemitismus, NS-Vergangenheit, die Weltfrauenkonferenz 1996 in Beijing, rassistische Brandanschläge in der BRD, aber auch auf Bochumer Projekte wie die radikalfeministische Lesbenzeitschrift IHRSINN, den Frauenbuchladen Amazonas oder Madonna e.V. (Verein zur Förderung der beruflichen und kulturellen Bildung von Sexarbeiterinnen) eröffnet und sind damit in eine mediale Öffentlichkeit eingetreten. Radiomachen wurde so zu einer Möglichkeit, inmitten einer patriarchalen und rassistischen Normalität, Räume für feministische und rassismuskritische Themen zu schaffen.
Die Bestände des FrauenLesbenRadios Funk’n Flug aus Bochum sind in der Frauenbibliothek LIESELLE der Ruhr-Universität Bochum einseh- und abhörbar. Dank des Digitalisierungsprojekts sind einige der ursprünglich nur auf Audiokassetten vorhandenen Sendungen nun auch online im DDF zugänglich. Die Vielfalt der Themen und intersektionalen Zugänge machen sie zu wertvollen Quellen der Frauenbewegungsforschung und der feministischen Medienwissenschaften.
Fußnoten
- 1 Der Bürgerfunk (im Folgenden Bürger*innenfunk) in NRW ist ein nicht-kommerzielles Hörfunk-Angebot im Programm der privaten Lokalradios, das es seit dem 1. April 1990 gibt. Für unabhängige Gruppen bedeutete dies, dass ihnen 15% der Sendezeit eines kommerziellen Radiosenders zur Verfügung standen. In NRW gab es keine zusätzlichen Frequenzen für Freies Radio, wie das zum Beispiel in anderen Bundesländern der Fall war.
- 2 Feministisches Archiv ausZeiten (im Folgenden: ausZeiten), „Zeitungsausschnittarchiv. Medien. Radio bis 2000“.
- 3 Vgl. hierzu „Literaturdokumentation zum Thema Frauen und Rundfunk: Anläßlich des FrauenRadioTags NRW "Frauen im Bürgerfunk" am 28. März 1992 in Duisburg“ herausgegeben von der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen: https://www.meta-katalog.eu/Search/Results?lookfor=%E2%80%9ELiteraturdokumentation+zum+Thema+Frauen+und+Rundfunk%3A+Anl%C3%A4%C3%9Flich+des+FrauenRadioTags+NRW+%22Frauen+im+B%C3%BCrgerfunk%22&limit=20&sort=relevance (zuletzt abgerufen am 21.7.2021).
- 4 Vgl. ausZeiten, NL-dw-02, Bl. 154 vr.
- 5 Ebenda, Bl. 2 r.
- 6 Ebenda, Bl. 154 r.
- 7 Der Name Funk’n Flug bezieht sich laut Aussagen der Redakteurinnen auf ein marxistisches Sprichwort von Mao Tse-Tung: „Aus einem Funken kann ein Steppenbrand entstehen“.
- 8 Abschiebeknast ist eine von den Funk’n Flug-Redakteurinnen verwendete Bezeichnung für ein Abschiebgefängnis für sogenannte Ausreisepflichtige.
- 9 Vgl. Frauenbibliothek LIESELLE (im Folgenden: LIESELLE), „Nachlass des FrauenLesbenRadio Funk’n Flug“, NL-FF-Aud01.
- 10 Vgl. NL-FF-ZZ03, Interview mit N.N., Transkript, S. 13.
- 11 Vgl. NL-FF-ZZ02, Interview mit Birgitt Gottwald, Transkript, S. 3.
- 12 Vgl. Ebenda, S. 4.
- 13 https://www.youtube.com/watch?v=U6W2OMGZX4M (zuletzt eingesehen am 21.7.2021).