Mutige Ärztin: Dr. Anne-Marie Durand-Wever

Dr. Anne-Marie Durand-Wever engagierte sich als Ärztin während der Weimarer Republik in der Sexualreformbewegung und forderte die Streichung des § 218. Sie war Mitbegründerin von pro familia und veröffentlichte zahlreiche Artikel zu Sexualitäts- und Ehefragen.

Anne-Marie Durand-Wever wurde am 30. Oktober 1889 in Paris als Tochter des Generalkonsuls Walther Wever und dessen Frau Anne-Marie geboren. Ihre Kindheit verbrachte sie – bedingt durch die Arbeit des Vaters als Diplomat – in Bulgarien, Rumänien, Brasilien und in den USA. Bis zu ihrem 10. Lebensjahr erhielt Anne-Marie Durand-Wever Privatunterricht und besuchte anschließend eine deutsch-amerikanische Schule in Chicago (USA/Illinois). Nach ihrem Schulabschluss 1907 begann sie an der Universität von Chicago ein Chemie- und Physik-Studium, das sie nach acht Semestern mit den Bachelor of Science beendete. Von 1910 bis 1915 studierte sie in Marburg, Straßburg und München Medizin. Zwei Jahre nach ihrem Staatsexamen erfolgte 1917 die Promotion. Nach einer mehrjährigen medizinischen Assistenz im Bereich der Gynäkologie an diversen Münchener Kliniken arbeitete Anne-Marie Durand-Wever ab 1926/27 als niedergelassene Ärztin München.

Bereits während ihrer Studienzeit engagierte sie sich in mehreren Frauenvereinen. Anne-Marie Durand-Wever ist Mitbegründerin der bayrischen Landesgruppe des Bundes Deutscher Ärztinnen, deren Vorsitz sie während des Ersten Weltkrieges innehatte. Ihr Engagement in der Frauenbewegung setzte sie in den 1920er Jahren fort.

§ 218 und Empfängnisverhütung

Im Jahr 1927 zog sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Wilhelm Durand, den sie 1916 heiratete, und ihren gemeinsamen Kindern Ernst-August und Anne-Marie nach Berlin-Schöneberg und eröffnete dort ihre eigene Praxis. Ein Jahr später, 1928, übernahm sie gemeinsam mit Annie Friedländer die Leitung der vom Stadtverband Berliner Frauenvereine ins Leben gerufene ‚Vertrauensstelle für Verlobte und Eheleute‘.1  Die Vertrauensstelle war die erste Eheberatungsstelle in Berlin und bot Beratungen zu Sex, Ehe und Eheschließungen an. Bei Fragen zur Geburtenkontrolle verwiesen Durand-Wever und Friedländer die Frauen allerdings an private Ärzt*innen.2

Ende der 1920er Jahre intensivierte sich erneut die Debatte um die Geburtenregelung und den § 218, der den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellte. Die Gynäkologin Anne-Marie Durand-Wever beteiligte sich an diesen Diskussionen. Als Vorsitzende des Ausschusses für Eheberatung im Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) argumentierte sie, dass der BDF beim Thema § 218 „nicht beiseite stehen“ dürfe, sondern „zu dieser aktuellsten Tagesfrage Stellung beziehen“ muss.3 Zugleich warnte sie davor, das Thema Schwangerschaftsabbruch allein den radikalen Kräften wie der KPD zu überlassen.4

Neben ihrem Engagement im BDF initiierte sie den überparteilichen ‚Frauenbund gegen den §218‘ und war 1931 Mitunterzeichnerin einer an den Reichstag adressierten Eingabe von 365 Berliner Ärztinnen zur Änderung des § 218. Zugleich setzte sich Anne-Marie Durand-Wever für eine bessere Empfängnisverhütung und in diesem Zusammenhang für eine ‚bewusste Elternschaft‘ ein.5  Allerdings ging es ihr nicht um das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Frauen über ihren eigenen Körper. Die Historikerin Atina Grossmann weist darauf hin, dass der Großteil der in der Sexualreform engagierten Frauen und ÄrztInnen Mutterschaft und die von Eugenik und ‚Rassenhygiene‘ geprägte Bevölkerungspolitik nicht in Frage stellten.6  Diese Argumente und Gedanken findet sich auch bei Anne-Marie Durand-Wever, wenn sie zum Beispiel dafür plädiert, nicht nur auf die Anzahl der Kinder, sondern auch auf die ‚Qualität‘ des Nachwuchses zu achten.7 Auch wenn solche Äußerungen heute befremdlich wirken, so sind die Aussagen von Anne-Marie Durand-Wever im Kontext der Weimarer Sexualreformbewegung zu sehen, in der in allen politischen Lagern auch bevölkerungspolitische Argumente vertreten wurden. Abzugrenzen ist dies nochmals deutlich von der späteren nationalsozialistischen Rassenhygiene.

Ärztin im Nationalsozialismus

Über die Arbeits- und Lebensumstände von Anne-Marie Durand-Wever zwischen 1933 und 1945 gibt es kaum gesicherte Informationen. Die nationalsozialistische Machtübernahme 1933 bedeutete für die Sexualreformbewegung eine Zäsur. Ihre Verbände und Vereine wurden von den Nazis zu „staatsfeindlichen Organisationen“ erklärt.8 Während ihre jüdischen KollegInnen ins Ausland flohen, zog sich Anne-Marie Durand-Wever aus der Politik zurück und konzentrierte sich auf ihre Praxis.9

Aufgrund ihrer Überzeugungen zu Schwangerschaftsabbruch und Sozialhygiene wurde sie von der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, ihre Schriften wurden nach eigenen Angaben eingestampft und verbrannt.10 Allerdings wurde ihre Broschüre Verhütung der Schwangerschaft unverändert unter dem Titel Rassenhygiene, Sterilisation und Nachkommensbeschränkung neuaufgelegt.11  Atina Grossmann begründete die Wiederauflage damit, dass „Nazis responsible for ‚hygienic education‘ were not fooled by semantic similarities and had no trouble distinguishing Durand-Wever´s message from their own understanding of racial hygiene”.12 In der zweiten Hälfte der 1930er Jahre veröffentlichte Durand-Wever einige Zeitschriftenartikel und die Einzelschrift Die reife Frau.13 Während der Bombenangriffe auf Berlin arbeite sie in Luftschutzrettungsstellen und soll Frauen und Mädchen vor Gewaltakten seitens der Sowjetarmee geschützt haben.14

Durand-Wever, Anne-Marie, Die Verhütung der Schwangerschaft, 1931

DFD und pro familia

Unmittelbar nach Kriegsende setzte Anne-Marie Durand-Wever ihre Arbeit als Gynäkologin fort. Die Umsetzung ihrer frauen- und sexualpolitischen Vorstellungen sah sie zunächst in der Sowjetischen Besatzungszone gegeben.15 In diesem Sinne knüpfte sie an ihr frauenbewegtes Engagement vor 1933 an und übernahm erneut politische Funktionen: 1945 wurde sie Vorsitzende des Zentralen Frauenausschusses beim Magistrat von Groß-Berlin und Vorsitzende des vorbereitenden Komitees zur Gründung des Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD). Von 1947 bis 1948 war Anne-Marie Durand-Wever Vorsitzende des DFD. Doch die zunehmenden ideologischen wie politischen Differenzen zu der von der SED auf Bevölkerungswachstum ausgerichtete betriebenen Geburtenpolitik trugen dazu bei, dass Anne-Marie Durand-Wever ihr Amt als DFD-Vorsitzende aufgab und ihre Lebens- und Wirkungsstätte nach West-Berlin verlegte.16

Zusammen mit weiteren MitstreiterInnen gründete sie 1952 in Kassel die pro familia – Deutsche Gesellschaft für Ehe und Familie und wurde deren Geschäftsführerin. Bereits zu dieser Zeit hatte Anne-Marie Durand-Wever ihre sexualreformerischen Ansichten geändert und vertrat nun mehr eine konservativere Haltung zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Während sie in der Weimarer Republik für eine Abschaffung des § 218 beziehungsweise für eine Einführung der sozialen Indikation kämpfte, plädierte sie nun für seine Begrenzung: „Ich stehe heute auf dem Standpunkt, daß eine gesetzliche Eindämmung notwendig ist, um den Menschen überhaupt die Schwere des Eingriffs zum Bewußtsein zu bringen.“17  Ihre veränderte Einstellung begründete sie mit ihrer 30-jährigen Praxistätigkeit und ihren Erfahrungen mit Abtreibungen kurz nach dem Zweiten Weltkrieg.18 Ihre Arbeit bei pro familia und ihre rege publizistische Tätigkeit in Fachzeitschriften sowie in Illustrierten wie dem Stern trugen dazu bei, dass Anne-Marie Durand-Wever zu einer öffentlich bekannten Expertin für Fragen der Empfängnisverhütung und Familienplanung wurde.19

Nach der Schließung ihrer Praxis zog Anne-Marie Durand-Wever ins Rheinland, wo sie am 14. September 1970 in Overath-Heiligenhaus in der Nähe von Köln starb.

Stand: 17. Mai 2021
Lizenz (Text)
Verfasst von
Dr. Jessica Bock

wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Digitalen Deutschen Frauenarchiv.

Empfohlene Zitierweise
Dr. Jessica Bock (2021): Mutige Ärztin: Dr. Anne-Marie Durand-Wever, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/angebote/dossiers/218-und-die-frauenbewegung/dr-anne-marie-durand-wever
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Rechteangabe
  • Dr. Jessica Bock
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
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Fußnoten

  • 1Grossmann, Atina: Reforming Sex. The German Movement for Birth Control and Abortion Reform 1920-1950, Oxford University Press 1995, S. 57.
  • 2Ebenda.
  • 3Helene-Lange-Archiv, Sign.: B Rep. 235-01 MF-Nr. 2122-2132, Korrespondenzen, Sitzungsprotokolle, Anschreiben der Arbeitsgemeinschaften, Ausschüsse und Kommissionen, Anne-Marie Durand-Wever: An die Mitglieder des Ausschusses für Eheberatung im Bunde Deutscher Frauenvereine, 18. April 1931, Berlin, 2 Bl., hier Bl. 1.
  • 4Ebenda.
  • 5Silies, Eva-Maria: Empfängnisverhütung und >bewusste Elternschaft<. Sexualmoral und Geburtenkontrolle im Leben der Ärztin Anne-Marie Durand-Wever, in: Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechterforschung, 2009, H. 55, S. 66‒72, hier S. 67 f.
  • 6Grossmann, Atina: Berliner Ärztinnen und Volksgesundheit in der Weimarer Republik: Zwischen Sexualreform und Eugenik, in: Eifert, Christiane: Unter allen Umständen. Frauengeschichte(n) in Berlin, Berlin 1986, S. 183‒217, hier S. 208 f.
  • 7Silies: Empfängnisverhütung und >bewusste Elternschaft<, S. 69.
  • 8Soden, Kristine v.: Die Sexualberatungsstellen der Weimarer Republik 1919-1933, Berlin 1988, S. 148.
  • 9Grossmann: Reforming Sex, S. 159.
  • 10Annemarie Durand-Wever, geb. Wever: Ärztinnen im Kaiserreich, abgerufen am 17.5.2021 unter https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00333.
  • 11Ebenda.
  • 12Grossmann: Reforming Sex, S. 159. Übersetzung des Zitates: „dass die für die ,hygienische Erziehung‘ verantwortlichen Nazis sich von semantischen Ähnlichkeiten nicht täuschen ließen und keine Mühe hatten, Durand-Wever's Botschaft von ihrem eigenen Verständnis von Rassenhygiene zu unterscheiden“. (DDF-Redaktion)
  • 13Annemarie Durand-Wever, geb. Wever: Ärztinnen im Kaiserreich, abgerufen am 17.5.2021 unter https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00333.
  • 14Grossmann: Reforming Sex, S. 159; Annemarie Durand-Wever, geb. Wever: Ärztinnen im Kaiserreich, abgerufen am 17.5.2021 unter https://geschichte.charite.de/aeik/biografie.php?ID=AEIK00333.
  • 15Grossmann: Reforming Sex, S. 199.
  • 16Grossmann: Reforming Sex, S. 200.
  • 17Durand-Wever, Anne-Marie: Ein Baby zur rechten Zeit. Bewusste Elternschaft, Schmieden bei Stuttgart 1962, S. 28, zitiert nach Silies: Empfängnisverhütung und >bewusste Elternschaft<, S. 70.
  • 18Silies: Empfängnisverhütung und >bewusste Elternschaft<, S. 70.
  • 19Ebenda, S. 69.