Über Mathilde Franziska Anneke
Kindheit und Ehehölle
Mathilde Franziska Anneke wurde am 3. April 1817 als Mathilde Franziska Giesler in der westfälischen Landgemeinde Hiddinghausen geboren, einem heutigen Ortsteil der Stadt Sprockhövel. Sie war das älteste von zwölf Kindern und wuchs in einem toleranten, aufgeklärten und sozial engagierten Elternhaus auf. Über ihren Bildungsweg ist kaum etwas bekannt. Offenbar besuchte sie die Elementarschule in Blankenstein und erhielt Privatunterricht von einem Hauslehrer. Zusätzlich ermutigten ihr Elternhaus und ihr Freundeskreis sie zum Lesen.
Als der Vater sein Vermögen bei Aktienspekulationen verlor, heiratete die 19-jährige Mathilde Franziska Anneke den reichen Weinhändler Alfred von Tabouillot. Ob es sich hierbei um eine Liebesheirat oder eine damals nicht unübliche Vernunftehe, welche die Familienfinanzen hätte sanieren sollen, handelte, darüber herrschen in der Forschung unterschiedliche Auffassungen. Einhelligkeit besteht jedoch in dem Punkt, dass die Verbindung nach nur einem Jahr in einem Fiasko endete. Tabouillot entpuppte sich als brutaler Alkoholiker. Nach der Geburt ihrer Tochter Johanne im November 1837 trennte sich Mathilde Franziska Anneke von ihrem Ehemann und reichte die Scheidung ein. Der Scheidungsprozess dauerte drei Jahre (1838–1841). Da sich Mathilde Franziska Anneke im ersten Verfahren geweigert hatte, der gerichtlichen Auflage nachzukommen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren, wurde sie im dritten Prozess rechtskräftig schuldig geschieden. Damit verlor sie jeglichen Anspruch auf Erziehungs- und Unterhaltszahlungen.
Der demütigende Gerichtsprozess war für Mathilde Franziska Anneke der Auslöser, sich erstmals mit der politischen und sozialen Situation von Frauen kritisch auseinanderzusetzen: „Nach dem Ausgang eines unglücklichen Scheidungsprozesses meiner ersten Scheidung, worin ich ein Opfer der preußischen Justiz wurde, war ich zum Bewusstsein gekommen und zur Erkenntnis, daß die Lage der Frauen eine absurde und der Entwürdigung der Menschheit gleich bedeutete sei, begann ich früh durch Wort und Schrift für die geistige und sittliche Erhebung des Weibes so viel ich vermochte zu wirken.“1
Um den Lebensunterhalt für sich und ihre kleine Tochter zu verdienen, begann die alleinerziehende Mutter mit dem Schreiben. Mathilde Franziska Anneke entwickelte sich rasch zu einer anerkannten Schriftstellerin und Publizistin. Sie veröffentlichte mehrere Gebetbücher für Frauen, Almanache, Gedichte und Erzählungen. Obwohl sie für ihre literarischen Erzeugnisse Anerkennung erfuhr, konnte sie von ihren schriftstellerischen Tätigkeiten zunehmend weniger ihren Unterhalt bestreiten. Die latente ökonomische Notsituation zwang Mathilde Franziska Anneke nicht nur zu einer beruflichen Neuorientierung; zugleich verstärkte diese ihren mit der Scheidung eingesetzten persönlichen Emanzipations- und Politisierungsprozess.
Journalistin und Revolutionärin
Ab Mitte der 1840er-Jahre begann Mathilde Franziska Anneke verstärkt als Journalistin zu arbeiten. Ab 1843 verfasste sie Artikel für die Kölnische Zeitung und seit 1845 für die Augsburger Allgemeine Zeitung – die wichtigsten liberalen Blätter des Vormärz. Mittlerweile in Münster lebend besuchte sie dort regelmäßig den Debattier- und Leseclub, wo politische und soziale Fragen diskutiert und der preußische Staat sowie die Kirchen scharf kritisiert wurden. Dort begegnete ihr auch Fritz Anneke, ein ehemaliger Offizier, der wegen seiner politischen Ideen aus der Armee entlassen worden war. Sie heirateten 1847 und zogen nach Köln.
Ihre aktive Teilnahme am politischen Leben und der damit einhergehende Bruch mit dem damaligen weiblichen Rollendiktat mündeten in einer politischen Radikalisierung, die sich auch in ihrem publizistischen Arbeiten niederschlug. Als Reaktion auf die 1846 erfolgte Verbannung von Louise Astons veröffentlichte Mathilde Franziska Anneke ein Jahr später ihre Streitschrift Das Weib in Conflict mit den socialen Verhältnissen, in der sie sich zu der Emanzipation und den Rechten von Frauen äußerte.2 Mit ihrer Kritik an den patriarchalen Geschlechterverhältnissen war Mathilde Franziska Anneke nicht allein. Der deutsche Vormärz ging insgesamt mit einem Aufbegehren der Frauen einher. Neben Mathilde Franziska Anneke prangerten unter anderem Louise Otto, Louise Dittmar, Louise Aston, Flora Tristan und Kathinka Zitz die politische wie wirtschaftliche Unmündigkeit der Frauen an und forderten ihre Gleichberechtigung.
Nach ihrem Umzug in die Stadt Köln avancierte das Haus Anneke zum Zentrum revolutionärer und (radikal-)demokratischer Kräfte. Als ihr Ehemann Fritz Anneke im Zuge der Märzunruhen 1848 verhaftet wurde, übernahm seine Frau Mathilde die Redaktion der im gleichen Jahr gegründeten Neuen Kölnischen Zeitung. Als diese kurz darauf verboten wurde, gab sie die Zeitung unter dem Decknamen Frauen-Zeitung heraus, die allerdings schon nach der zweiten Nummer beschlagnahmt wurde.
Im Frühjahr 1849 kämpfte die ausgezeichnete Reiterin Mathilde Franziska Anneke an der Seite ihres Mannes, der mittlerweile aus der Haft entlassen war, mit den letzten Aufständischen in der Pfalz. Karikaturen aus dieser Zeit zeigen sie als sogenanntes ‚Flintenweib’ hoch zu Ross. Nach der Niederschlagung der Aufstände floh das Paar zunächst nach Frankreich und in die Schweiz, wo Mathilde ihre Memoiren einer Frau aus dem badisch-pfälzischen Feldzuge zu Papier brachte. Schließlich emigrierten die Annekes in die USA.
Frauenstimmrecht und Mädchenbildung
In Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin setzte Mathilde Franziska Anneke ihr journalistisches wie politisches Engagement fort. In dieser Zeit rückte der Kampf um die weibliche Emanzipation ins Zentrum ihrer politischen Bestrebungen. Ab 1852 gab sie die Deutsche Frauen-Zeitung heraus, die erste von einer Frau veröffentlichte feministische Zeitung der USA. Mit einer Auflage von 2000 Stück erschien die Zeitung zweieinhalb Jahre lang. Darin erklärte sie die Befreiung der Frau als eine der wichtigsten gesellschaftlichen Aufgaben und widersprach damit den Sozialisten, die die Frauenfrage als Nebenwiderspruch betrachteten, der sich durch die Abschaffung der Klassen von selbst löse. Anneke vertrat die gegenteilige Auffassung: Erst wenn Frauen als gleichberechtigte Bürgerinnen an den Geschicken der Gesellschaft mitwirkten, könne auch die soziale Frage gelöst werden.
Zur gleichen Zeit knüpfte Mathilde Franziska Anneke Kontakte zu den amerikanischen Frauenrechtlerinnen Elisabeth Cady Stanton und Susan B. Anthony. Rasch avancierte sie zu einer der zentralen Protagonistinnen der US-Frauenstimmrechtsbewegung in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Ihre erste Rede hielt Anneke 1853 auf der Women’s Rights Convention in New York, wo sie das Frauenstimmrecht sowie die Abschaffung des entmündigenden Eherechts und der Doppelmoral forderte. Gleichzeitig stritt sie, wie viele US-Frauenrechtlerinnen dieser Zeit, auch für die Abschaffung der Sklaverei. In diesem Zusammenhang sind ihre Erzählungen Die Sclaven-Auction (1862) und Gebrochene Ketten (1864) zu nennen.
Nach einem fünfjährigen Aufenthalt in der Schweiz kehrte Mathilde Franziska Anneke in die USA zurück und gründete zusammen mit ihrer Freundin, der Pädagogin Cäcilie Kapp, 1865 in Milwaukee das Milwaukee Töchter-Institut. Die an der Pädagogik Fröbels orientierte Bildungsanstalt entwickelte sich zu einer renommierten Einrichtung, die von Mädchen aus den ganzen USA besucht wurde. Die beiden Schulleiterinnen Anneke und Kapp legten viel Wert darauf, dass die weiblichen Sprösslinge nicht nur in den musischen Fächern wie Literatur und Kunst ausgebildet wurden. Auch naturwissenschaftliche Fächer wie Geografie und Mathematik standen auf dem Stundenplan.
Bis ins hohe Alter engagierte sich Mathilde Franziska Anneke für das Frauenstimmrecht, hielt landesweit Vorträge und Reden und erwarb sich als Schulleiterin hohes Ansehen. Mathilde Franziska Anneke starb am 25. November 1884 in Milwaukee.
Während Mathilde Franziska Anneke in der amerikanischen Frauenbewegung als Pionierin verehrt wurde, wurde die Emigrantin von der deutschen Frauenbewegung vergessen. 1904 berichtete Susan B. Anthony auf einer Deutschlandreise erstmals von der in den USA berühmten deutschen Frauenrechtlerin. Auch die Neuen Frauenbewegungen musste Anneke erst wieder neu entdecken.
Netzwerk von Mathilde Franziska Anneke
Zitate von Mathilde Franziska Anneke
Biografie von Mathilde Franziska Anneke
Fußnoten
- 1 Henkel, Martin / Taubert, Rolf: Das Weib im Conflict mit den socialen Verhältnissen. Mathilde Franziska Anneke und die erste deutsche Frauenzeitung, Bochum 1976, S. 11.
- 2 Anneke, Franziska Mathilde: Das Weib in Conflict mit den socialen Verhältnissen, in: Mathilde Franziska Anneke Lesebuch. Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Enno Stahl, Bielefeld 2015, S. 34–54, hier S. 40.
Ausgewählte Publikationen
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Hochkamp, Karin: „Von vielem Geist und großer Herzensgüte“. Mathilde Franziska Anneke (1817–1884), Bochum 2012.
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Piepke, Susan L.: Mathilde Franziska Anneke (1817–1884). The works and life of a German-American activist, New York 2006.