Louise Dittmar Geboren am in Darmstadt Gestorben am in Bessungen

Über Louise Dittmar

Louise Dittmar erregte im Vormärz und in den Revolutionsjahren 1848/49 durch ihr Werk und ihre Person Aufsehen. Sie gehörte zur Minderheit unter den Demokrat/innen, die die Frauen in ihre Konzepte und Forderungen einbezogen. Ihre außergewöhnliche Radikalität lag in ihren Überlegungen zur Freiheit im Geschlechterverhältnis.

Johanna Friederike Louise Dittmar wurde am 7. September 1807 in Darmstadt geboren. Sie wuchs mit neun Geschwistern in einer wohlsituierten bürgerlichen Familie auf. Ihr Vater Heinrich Karl Dittmar stammte aus einer Pastorenfamilie. Er stieg in der großherzoglichen Beamtenschaft Hessen-Darmstadts zum Oberfinanzrat auf. Die Mutter Friederike Caroline, geb. Hegar, hatte hugenottische Vorfahren. Ihr jüngerer Bruder Hermann, ein Freund Georg Büchners, war 1833 am Frankfurter Wachesturm beteiligt. Nach dessen Scheitern floh er nach Frankreich. Drei ihrer Brüder sollten 1848/49 in die USA auswandern.
Louise Dittmar blieb unverheiratet und lebte bis zum Tod der Eltern (1839/1840) im gemeinsamen Haushalt. Danach teilte sie bis 1849 mit ihren unverheirateten Brüdern eine Wohnung. Sie wird ihnen, wie damals üblich, den Haushalt geführt haben. In dieser Lebenssituation begann sie ihre Karriere als politische Schriftstellerin. Im Vormärz und in den Revolutionsjahren 1848/49 publizierte sie philosophische und politische Abhandlungen und hielt Vorträge im demokratischen Milieu. Nach dem Scheitern der Revolution 1849 machte die staatliche Repression jegliche demokratische publizistische und politische Tätigkeit unmöglich. Louise Dittmar ging zunächst ins Exil in die Schweiz und nach Frankreich. Sie hatte mit finanziellen Problemen zu kämpfen. Wo und wie sie in den darauffolgenden Jahren lebte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Nach langer Krankheit starb sie unbemittelt am 11. Juli 1884 bei ihrer Verwandtschaft in Bessungen bei Darmstadt.

Vormärzliche Netzwerke

Louise Dittmar thematisierte für die Zeit ungewöhnlich offen ihre Lebensumstände als Frau. Ihre Selbstzeugnisse sprachen von Zurücksetzungen und Kränkungen. So kritisierte sie das „Oktroyren weiblicher Eigenthümlichkeit“ durch unzureichende Bildungsmöglichkeiten, durch die „Tretmühle“1 der Hausarbeit sowie durch eine einengende religiöse Erziehung. Nicht zuletzt benannte sie die zugunsten des männlichen Geschlechts eingerichteten Machtverhältnisse in Familie und Gesellschaft. Die bürgerliche Ehevorstellung schrieb eine Arbeitsteilung fest, bei der nach Ansicht Louise Dittmars den Frauen der entschieden schlechtere Teil zufiel. Sie sah in der sogenannten ‚Familiarisierung‘ der Frau ein Hemmnis für ihre Weiterentwicklung und damit für die gesellschaftliche Fortentwicklung insgesamt. Die Anklänge an den französischen utopischen Sozialisten Charles Fourier (1772–1837)2   waren deutlich. Als radikaler Kritiker der Ehe- und Familienverhältnisse seiner Zeit hatte Fourier die Verbesserung der Lage der Frauen für den gesamten gesellschaftlichen Reformprozess für notwendig erklärt.

Trotz der von Louise Dittmar beklagten Einschränkungen erwarb sie Kenntnisse und Fähigkeiten, die sie in ihren Publikationen und ihren Vorträgen unter Beweis stellte. Diese zeugen von ihrer hohen intellektuellen Kompetenz und einem vergleichsweise profunden Kenntnisstand. Sie bewegte sich lange im halböffentlichen Rahmen bildungsbürgerlicher Zirkel, die Mädchen und Frauen Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten boten3 , bevor sie mit ihren Publikationen an die Öffentlichkeit trat. Im Vormärz wurden bei diesen häuslichen geselligen Ereignissen auch politische Diskussionen geführt, an denen sich Frauen beteiligen konnten. Zu einer Zeit, als politische Versammlungen und Vereine verboten waren, ermöglichte diese Form bürgerlicher Geselligkeit die Bildung eines Nachrichten- und Kontaktnetzes, das die demokratische Bewegung von 1848 vorbereitete.4

Diese oppositionellen Zirkel und Netzwerke boten im Vormärz insbesondere unverheirateten Frauen wie Louise Dittmar den nötigen Rückhalt und Schutz für ihre politische Tätigkeit. In diesem Rahmen stellte sie vermutlich ihre ersten Texte vor. Für ihre Veröffentlichungen waren ihre verwandtschaftlichen Kontakte zu den Verlagshäusern Gustav André in Offenbach und Carl Wilhelm Leske in Darmstadt hilfreich. Zudem hatte sie in Darmstadt Zugang zum Salon der Verlegerfamilie Leske, wo bereits in den 30er-Jahren heftig politisiert wurde. Hier lernte sie vermutlich den Junghegelianer Ludwig Feuerbach (1804–72) kennen, dessen Hauptwerk Das Wesen des Christenthums (1841), eine anthropologische Theorie der Religion, sie beeinflussen sollte.

Die Publizistin und Rednerin – erfolgreich, unerschrocken und modern

Louise Dittmar veröffentlichte nur zwischen 1845 und 1849. Ihr Werk ist weniger wegen seiner Fülle als wegen seines Inhalts beachtlich. Ihre Publikationen, sowohl Prosatexte als auch Gedichte, spiegeln das soziale und politische Interesse der Verfasserin wider. Die vormärzliche Gesellschaftskritik entwickelte sich in Deutschland im Wesentlichen über die Religionskritik, was sich auch in Louise Dittmars Texten nachweisen lässt. Ihre ersten Publikationen erschienen 1845/46 anonym. Nach den ersten Erfolgen veröffentlichte sie unter ihrem Namen. Ihren ersten öffentlichen Vortrag, der große Beachtung fand, hielt sie 1847 in Mannheim.

1849 gab sie die Zeitschrift Soziale Reform. Eine Zeitschrift für Männer und Frauen heraus, die den wohl bedeutendsten Text aus ihrer Feder über Das Wesen der Ehe enthielt. Er sollte eine Grundlage für den demokratischen Diskurs über das Geschlechterverhältnis bieten und behandelte insbesondere eherechtliche Aspekte.

An dem Vortrag zu ‚Vier Zeitfragen‘ und aus dem Zeitschriftenartikel über Das Wesen der Ehe haben bereits ihre Zeitgenossinnen und Zeitgenossen die außergewöhnliche politische Tragweite ihrer Aussagen erkannt.

Der Vortrag zu ‚Vier Zeitfragen‘ in Mannheim (1847)

Louise Dittmar wurde zunächst im Südwesten Deutschlands im Städtedreieck Darmstadt/Mannheim/Heidelberg bekannt. Auf Einladung des Vorsitzenden Gustav Struve hielt sie 1847 einen Vortrag zu ‚Vier Zeitfragen‘ beim Mannheimer Montag-Verein. Dies war ein Zusammenschluss freisinniger Frauen und Männer, die im weitesten Sinne demokratisch orientiert waren. Mit diesem Vortrag begann Louise Dittmar ihre öffentliche politische Tätigkeit.
Sie erläuterte den versammelten Frauen und Männern ihre intellektuelle Biografie: von der Religionskritik zur Gesellschaftskritik. Und forderte die weibliche Teilhabe am vormärzlichen Demokratiediskurs ein. Die Frauen sollten in eigener Sache tätig werden und ihre Rechte einfordern. So ein Vortrag war selbst in fortschrittlich gesinnten bürgerlichen Kreisen keine Selbstverständlichkeit und bedeutete ein persönliches Wagnis.

Der Artikel Das Wesen der Ehe (1849)

Die von Louise Dittmar herausgegebene und redigierte Zeitschrift Soziale Reform enthielt 1849 in zwei Nummern den ehekritischen Artikel Das Wesen der Ehe. Sie fokussierte ihre Kritik auf die bürgerliche Ehepraxis ihrer Zeit, aber vor allem auf das bestehende Rechtsinstitut der Ehe. Für sie war die gesellschaftliche Lage der Ehefrau, die keine gleichberechtigte Entscheidungsmöglichkeiten hatte, der Gipfelpunkt der Unsittlichkeit. Sie führte dies unter anderem anhand der Vermögensbelange oder der Erziehung der Kinder aus. Im Vormärz wurde die angeblich zunehmende ‚Unsittlichkeit‘ in der Gesellschaft mit weiblichen Emanzipationsbestrebungen in Verbindung gebracht. Und das nicht nur von konservativ klerikalen und monarchistisch orientierten, sondern auch von liberal demokratischen Kreisen. Louise Dittmar ging hingegen von einer positiven Wechselwirkung zwischen der Freiheit des Menschen, gemeint sind Frauen und Männer, und den sittlichen Verhältnissen in einer Gesellschaft aus.

Diesen Grundgedanken teilte sie mit Julius Fröbel (1805–1893). In seinem System der socialen Politik (1847)5 fand sie Argumentationshilfen. Es handelte sich um eine staatswissenschaftliche Abhandlung im Gewand einer Ethik. Fröbel behandelte darin die Freiheit im Geschlechterverhältnis in ihrer Bedeutung für demokratische Strukturen. Wie im Staat so müssten auch in der Ehe neue gesetzliche Grundlagen geschaffen werden.

Louise Dittmar vergleicht in Das Wesen der Ehe die Position des Mannes in der Ehe mit der eines absoluten Monarchen. Die persönliche Freiheit der Frau muss ihrer Meinung nach in einem demokratischen Staat auch in der Ehe gegeben sein. Ihre Argumentation für die Durchsetzung des ‚demokratischen Prinzips‘ in der Ehe machte sie auch an den Grundrechten der Verfassung von 1848 fest, doch die gescheiterte Revolution zerstörte ihre Hoffnungen auf eine Verbesserung der Lage der Frauen.

Stand: 11. September 2018
Verfasst von
Dr. Christine Nagel

geb. 1947, studierte Geschichte, Politikwissenschaften und Amerikanistik. Sie war als Studienrätin an einem Gymnasium und in der Lehrerfortbildung tätig. Nach ihrer Promotion (2005) arbeitet sie als freiberufliche Historikerin in Kassel.

Empfohlene Zitierweise
Dr. Christine Nagel (2018): Louise Dittmar, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/louise-dittmar
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Zitate von Louise Dittmar

Biografie von Louise Dittmar

Geburt in Darmstadt

1807 - 1847

Louise Dittmar wuchs mit 10 Geschwistern in einer wohlsituierten Beamtenfamilie auf, blieb unverheiratet

1839/1840

Tod der Eltern

1845 - 1847

vormärzliche Publikationstätigkeit

1847/48

Vortragstätigkeit in Darmstadt und Heidelberg und Mannheim

Januar - Mai 1849

Herausgeberin der Zeitschrift Soziale Reform, Leipzig

Tod in Bessungen

Fußnoten

  • 1Vorwort zu Vier Zeitfragen, Offenbach 1847, S. I-VIII.
  • 2Fourier, Charles: Theorie des quatres mouvements, Paris 1808. Deutsche Ausgabe 1830.
  • 3Habermas, Rebekka: Frauen und Männer des Bürgertums. Eine Familiengeschichte (1750–1850), Göttingen 2000.
  • 4Paletschek, Sylvia: Frau und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841–1852, Göttingen 1990.
  • 5Fröbel, Julius: System der socialen Politik, Neudruck. 2 Bde, Aalen 1975.