Cornelia Matzke Geboren am in Leuna

Über Cornelia Matzke

Unterwanderte die Parteienpolitik die Anliegen der Frauenbewegung in der Zeit der Friedlichen Revolution? Der politische Werdegang der feministischen Aktivistin Cornelia Matzke dokumentiert den Einfluss der parlamentarischen Strukturen auf die Durchsetzung frauenpolitischer Interessen.

Feministische Parteienpolitik oder autonome Bewegung? Der politische Werdegang der Leipziger Frauenrechtlerin Cornelia Matzke während und nach der Friedlichen Revolution

„Und wenn sie schießen, es ist mir egal, so kann es schließlich nicht weitergehen.“1
Eine zentrale Persönlichkeit der Leipziger Frauenbewegung während und nach der Friedlichen Revolution 1989/90 ist die Ärztin, Frauenrechtlerin und Politikerin Cornelia Matzke. Mitbegründerin der Fraueninitiative Leipzig im Herbst 1989 sowie des Unabhängigen Frauenverbandes Sachsen und Mitglied bei Bündnis ´90/Die Grünen vertrat sie bis 1994 die Interessen von Frauen im Sächsischen Landtag.

Die Sozialpolitik war für sie bereits zu DDR-Zeiten der Stein des Anstoßes ihres Engagements. Die DDR, so Matzke, gab lediglich vor, ein Sozialstaat zu sein, produzierte jedoch viele Ungerechtigkeiten. Sie beschreibt die DDR als patriarchalen Staat mit einer „Parteiendiktatur“2 . Trotz der Unzufriedenheit kam eine Ausreise in den Westen für Cornelia Matzke jedoch nie infrage. Stattdessen beteiligte sie sich am Widerstand gegen das Regime in Form von kritischen Theaterstücken und Gesprächskreisen. Daneben brachte sie ihre Unzufriedenheit mit ihrem Austritt aus dem Freien Deutschen Gewerkschaftsbund zum Ausdruck.

Deshalb stand für sie außer Frage, an den Protesten in der Umbruchzeit von 1989/90 und an der so richtungsweisenden wie gefährlichen Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 teilzunehmen. An diesem Tag verbreitete sich die Information, dass die Sicherheitskräfte vonseiten des Staates die Order bekamen, die Massenkundgebung zur Not auch mit Gewalt zu unterbinden. Auf einer Kundgebung des Neuen Forums trat sie am 18. November 1989 als Rednerin auf.3  Bereits Jahre zuvor war Cornelia Matzke mit feministischen Themen in Berührung gekommen, wodurch sie zu dem Schluss kam, dass sich an der gesellschaftlichen Stellung der Frau der Zustand der Demokratie bemessen lasse.4  Im Jahr 1989 veranlasste die Aufbruchstimmung in der Gesellschaft sowie ihr eigenes frauenpolitisches Engagement sie zur Gründung einer Fraueninitiative in Leipzig als „partei- und organisationsübergreifende Basisbewegung von Frauen zur Veränderung der Gesellschaft“5 . Als Abgeordnete im Sächsischen Landtag für den Unabhängigen Frauenverband setzte sie sich ab 1990 für die Belange von Frauen ein, welche sie maßgeblich mit der sozialen Frage verknüpft sah.

Die Vor- und Nachteile einer autonomen Fraueninitiative

Um seine öffentliche Präsenz zu erhöhen, entschloss sich der Unabhängige Frauenverband, für die Volkskammerwahlen 1990 ein Bündnis unter anderem mit dem Neuen Forum und den Grünen einzugehen.

Zu dieser Zeit nahm die Debatte um die Eingliederung der Frauengruppen in das Parteiengefüge in der ostdeutschen Frauenbewegung einen großen Raum ein. Befürchtet wurde die Vereinnahmung durch andere, stets männerdominierte Parteien und die Marginalisierung frauenpolitischer Themen.6

Im Gegensatz zu einigen ihrer Mitstreiterinnen in der Fraueninitiative Leipzig und später denen des Unabhängigen Frauenverbandes betrachtete Matzke die Eingliederung feministischer Gruppierungen in die politische Landschaft als eine Chance für die Durchsetzung frauenpolitischer Themen. Dennoch erkannte auch sie die Gefahren hierarchischer Parteistrukturen. In der Zeitschrift Frauenblätter, dem Organ der Fraueninitiative Leipzig, stellte sie die Frage, inwiefern man sich als Mitglied in parlamentarischen Gremien am Sozialabbau mitschuldig mache. „Könnten wir uns wirklich schuldfrei sprechen“, so erwidert Matzke, „wenn wir uns eine Frauennische einrichten, aber nicht gleichzeitig versuchen, am Ganzen der Gesellschaft mitzutun?“7  Bliebe die Integration in die politische Landschaft aus, würde man auf relevante Partizipationsmöglichkeiten verzichten. Die ersten, die vom Sozialabbau betroffen wären, seien die Frauen.

Um den Männern die machtvollen Positionen nicht zu überlassen und somit die Marginalisierung von Frauenbelangen in Kauf zu nehmen, sei die Partizipation von Frauen an der Macht zwingend notwendig. Sonst würden „Frauen immer als Gastarbeiterinnen im Patriarchat behandelt werden, mal werden sie gebraucht, mal nicht“8 . Die Einsetzung einer Gleichstellungsbeauftragten, die Realisierung einer paritätischen Aufteilung der Reproduktionsarbeit oder die Verhinderung restriktiverer Regelungen im Abtreibungsgesetz bedürften eines lautstarken feministischen Kampfes – und zwar dort, wo politische Entscheidungen getroffen werden.9  

„Was wir jetzt vergeben, vergeben wir für Jahre. Revolutionen finden nicht alle Tage statt.“10   Schließlich wurde Cornelia Matzke für den Listenplatz des Unabhängigen Frauenvereins im Bündnis 90 ernannt und vertrat dessen Interessen ab 1990 im Landtag.

Interview mit Cornelia Matzke in der Zaunreiterin

Sticht Parteipolitik Frauenpolitik?

Leider wurden die Aktivistinnen nach der Landtagswahl 1990 enttäuscht und ihre Vorbehalte gegenüber männerdominierten Politikstrukturen bewahrheiteten sich. Im Wahlbündnis kriselte es. Der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde vorgeworfen, mehr auf Regierungsbeteiligung als auf oppositionelle Arbeit zu setzen, was im Frühjahr 1992 immer offensichtlicher wurde.11   Wegen einer Änderung des Wahlgesetzes waren Listenvereinigungen für die kommende Landtagswahl nicht mehr zulässig, weshalb der Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen Druck auf die anderen Organisationen des Listenbündnisses aufbaute. Er forderte, dass sich die einzelnen Gruppen des Wahlbündnisses zu einer Landesorganisation zusammenschließen und als eine Partei Bündnis 90/Die Grünen zur Landtagswahl 1994 antreten sollten. Auf der Klausurtagung vom 21. bis 23. September 1992 wurde diesem Vorschlag schließlich – ohne eine vorausgehende Diskussion über die verschiedenen politischen Positionen innerhalb des Wahlbündnisses – mit 6 zu 4 Stimmen zugestimmt.

Darüber war der Unmut groß. Der UFV Landesverband Sachsen kritisierte die fehlende inhaltliche Auseinandersetzung und den Druck seitens der Landesorganisation der Grünen auf eine schnelle Parteienbildung. In einem Brief an Cornelia Matzke vom 24. September 1991 drückte Renate Reitz, damalige Landessprecherin des UFV in Sachsen, ihr Unverständnis aus:

„Dein Mandat ist ein Mandat des UFV und wir möchten Dich darauf hinweisen, daß du kein Mandat hast, in einer Fraktion mitzuarbeiten, die nur noch dem Willen der Landesorganisation Bündnis 90/Grüne folgt.“12

Aus Protest bildete die UFV-Abgeordnete Cornelia Matzke daraufhin mit Abgeordneten des Neuen Forums innerhalb der Fraktion eine Gruppe und stellte sich somit gegen die Einheitsbestrebungen der Grünen.

Auch um die Person Cornelia Matzke entbrannten heftige Kontroversen innerhalb der Fraktion. Sie galt einigen als Spalterin und Populistin. Stein des Anstoßes waren ihre radikalfeministischen Positionen zur Abtreibungsdebatte, die die Fraktion polarisierte. Auch beim Thema Kinderbetreuung waren einige Fraktionsmänner überzeugt davon, dass Kinder besser bei der Mutter aufgehoben seien. Matzkes Motivation, unter diesen Bedingungen weiterhin ihr politisches Amt unter dem Dach des Bündnisses 90/Die Grünen zu bestreiten, schwand. Sie stellte sich 1994 nicht mehr zur Wiederwahl und bescheinigte der Fraktion eine Alibi-Frauenpolitik.13

Chance vertan

Was Aktivistinnen wie Cornelia Matzke im Zuge der marktwirtschaftlichen Öffnung der DDR befürchteten und mit ihrer Politik verhindern wollten, wurde Realität. So konstatierte sie bereits nach der enttäuschenden Volkskammerwahl 1990, dass die Chance zum Aufbau einer eigenständigen Demokratie vertan sei. Denn die mit der Wiedervereinigung einhergehenden Massenentlassungen betrafen zuallererst Frauen. Konfrontiert mit dem Vorwurf der „Arbeitsplatzdiebin und Rabenmutter“14  erinnerte man sie an ihre vermeintliche Zuständigkeit für den Reproduktionsbereich.

Cornelia Matzke hält die soziale Frage für nicht abschließend gelöst und schließt daraus auf bestehende Ungerechtigkeiten insbesondere im Geschlechterverhältnis. Bis heute engagiert sich Matzke als Gewerkschafterin in der Politik und setzt sich insbesondere für umwelt- und sozialpolitische Themen ein.

Stand: 05. Februar 2021
Verfasst von
Sabrina Weidner

geb. 1980, Sie studierte Erziehungswissenschaften und Gender Studies in Berlin und ist Mitarbeiterin der MONAliesA für das DDF-Projekt. Sie vertritt in Publikationen und Vorträgen einen materialistischen Feminismus und setzt sich kritisch mit queerfeministischen Ansätzen auseinander. Ihre Forschungsthemen umfassen u.a. die Funktionsweise des Patriarchats sowie die Entstehung von Geschlechtsidentitäten.

Empfohlene Zitierweise
Sabrina Weidner (2021): Cornelia Matzke, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/cornelia-matzke
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Zitate von Cornelia Matzke

Biografie von Cornelia Matzke

Geburt in Leuna

1987

Abschluss des Medizinstudiums in Leipzig

1989

Gründung (Fraueninitiative Leipzig)

Mitbegründerin der Fraueninitiative Leipzig

1989

Rede auf einer Kundgebung des Neuen Forums in Leipzig

1989

aktive Teilnahme an den Montagsdemonstrationen in Leipzig

1990 - 1994

Abgeordnete im Sächsischen Landtag für den Unabhängigen Frauenverband

1990

Gründung (Unabhängiger Frauenverband (UFV))

Mitbegründerin des Unabhängigen Frauenverbandes Sachsen

1992

Verhaftung und Ausweisung bei einer Demonstration für Demokratie in Peking

ab 1994

Tätigkeit als Psychiaterin, Psychotherapeutin, Neurologin

Fußnoten

  • 1Resümee, 20.4.2009: „Wir sind das Volk“ – Montagsgespräch im Museum in der „Runden Ecke“ mit Cornelia Matzke am 4.5.2009, Zugriff am 9.9.2017 unter www.runde-ecke-leipzig.de/fileadmin/upload/Resuemees/resuemee_matzke.pdf.
  • 2Männel, Annette: Ich hasse Mittelmäßigkeit. Ein Porträt und Gespräch mit Cornelia Matzke, Landtagsabgeordnete Sachsen, Bü ´90/Die Grünen/UFV, in: Weibblick. Informationsblatt von Frauen für Frauen, 1993, H. 10, S. 31–34, hier: S. 32.
  • 3Resümee, 20.4.2009: „Wir sind das Volk“.
  • 4Männel: Ich hasse Mittelmäßigkeit, S. 32.
  • 5MONAliesA (im Folgenden ML), GL FIL 01-018 „Burkhardt/Gohritsch/Matzke/Starke. Frauenfrage – keine Frage?“, in: Frauenblätter. Informationen der Fraueninitiative im NF Leipzig, Nr. 1 6.12.1989, S. 1.
  • 6ML, GL FIL 01-020, „Gries, Bettina“, in: Frauenblätter Nr. 2, 22.12.1989, S. 2.
  • 7ML, GL FIL 01-022, „Matzke, Cornelia. In die Pflicht genommen: Gedanken zur Wahlbeteiligung“, in: Frauenblätter. Informationen der Fraueninitiative Leipzig. Nr. 3, 31.1.1990, S. 2.
  • 8Pankonin, Gesa / Jahnke, Bettina: Politik kann auch Spaß machen. Interview mit Cornelia Matzke, in: Zaunreiterin. Eine Zeitschrift von Frauen für Frauen, 1991, H. 5, S. 24–26, hier S. 26.
  • 9Matzke, Cornelia: Auftakt zur Wahl im UFV – die Gründung eines Landesverbands Sachsen, in: Frauenblätter. Informationen der Fraueninitiative Leipzig, 1990, H. 9, S. 1.
  • 10ML, GL FIL 01-022, „Matzke, Cornelia. In die Pflicht genommen, S. 2. 
  • 11Hampele Ulrich, Anne: Der Unabhängige Frauenverband. Ein frauenpolitisches Experiment im deutschen Vereinigungsprozess, Berlin 2000, S. 207.
  • 12ML, GL UFV 01-048 „Brief an Cornelia Matzke / Renate Reitz (amtierende Landessprecherin des UFV Landesverband Sachsen)“, Bl. 1.
  • 13Männel, Annette: Ich hasse Mittelmäßigkeit, S. 33 f.
  • 14Matzke, Cornelia: Das Letzte an den Anfang, in: Frauenblätter 1990, H. 5, S. 3.