Alice Herz Geboren am in Hamburg Gestorben am in Detroit, Michigan, USA

Über Alice Herz

Alice Herz-Strauß, eine deutsch-amerikanische Weltbürgerin und Christin mit jüdischen Wurzeln, trat für sogenannte freie Ehe und Frauenstimmrecht ein; sie engagierte sich für die Frauenfriedensbewegung sowie für einen religiös-sozialistischen Antifaschismus und Pazifismus, für den sie ihr Leben gab.

Alice Jeanette Herz wurde als erste Tochter von Rosalie Kramer (1858–1943) und dem jüdischen Kaufmann Moritz Strauß (1850–1920) am 25. Mai 1882 in Hamburg geboren. Sie hatte fünf Schwestern sowie einen jüngeren Bruder, der jedoch nur zwei Jahre alt wurde. Nach dem Besuch der Mittelschule absolvierte sie ein Lehrerinnenseminar, das sie aufgrund einer Augenerkrankung aber nicht abschließen konnte.1

‚Freie Ehe‘ und Kampf ums Frauenstimmrecht

Verwandte wie Margarete Herz (1872–1947) und Helene Wolff (1871–1917)2  waren als radikale Frauenrechtlerinnen der jungen Alice Strauß genauso ein Vorbild gewesen wie die frauenbewegte Juristin Anita Augspurg (1857–1943) und deren Lebens- und Kampfgefährtin Lida Gustava Heymann  (1868–1943).3  Unter dem Eindruck der frauenbewegten Kreise verfolgte Alice Strauß mit wachsendem Interesse deren Öffentlichkeitsarbeit. Sie selbst entwickelte zunächst nur zögerlich ein politisches Engagement. 1907 suchte sie in Rostock, wo sie eine Stelle als Bürovorsteherin in einer Anwaltskanzlei angenommen hatte, Kontakt zur dortigen Frauenbewegung. Sie hatte eine individualistisch-liberale Lebenseinstellung und interessierte sich sehr für die von Anita Augspurg und Helene Stöcker (1869–1943) propagierte sogenannte ‚freie Ehe‘, nach der Mann und Frau gleichberechtigt zueinander finden sollten und eines offiziellen Ehebundes nicht bedurften. Trotz dieser Vorbehalte entschied Strauß sich 1908 für die Ehe mit dem jüngsten Bruder der Frauenstimmrechtsaktivistin Margarete Herz, nämlich dem Chemiker Paul Herz (1882–1928). An ihrem neuen gemeinsamen Wohnort Güstrow in Mecklenburg-Schwerin gründete Alice, nun mit Nachnamen Herz, im Herbst 1908 eine Ortsgruppe4 des Mecklenburgischen Landesvereins für Frauenstimmrecht, den das Paar Käthe Schirmacher (1865–1930) und Klara Schleker (1852–1932) kurz zuvor ins Leben gerufen hatte. Ihr erstes Kind Helga (1912–2010)5  brachte Alice Herz 1912 zur Welt.

Während des Ersten Weltkrieges

Unmittelbar nach Beginn des Ersten Weltkrieges, im August 1914, wurde ihr Ehemann Paul als Soldat zum Dienst in einem Fernsprechzug eingezogen. Zunächst befürworteten beide diesen Krieg, den sie als notwendig zur Verteidigung Deutschlands einschätzten und von dem sie außerdem glaubten, er werde von sehr kurzer Dauer sein. 1915 wurde das zweite Kind, Konrad (1915–1929), geboren, der fast blind und Zeit seines Lebens körperlich wenig belastbar war. Der Krieg endete dann doch nicht so schnell und Alice Herz begann an den vorgeblich hehren Zielen der Kriegführenden zu zweifeln. 1918 hoffte sie auf eine baldige Waffenruhe und überlegte, welche Politik für einen fortdauernden Frieden sorgen könnte. Dabei wünschte sie sich eine Demokratisierung, mit der auch das Frauenstimmrecht eingeführt werden würde.6  Um dieses voranzubringen, nahm sie an einer vorbereitenden Frauenstimmrechtssitzung des Landesvereins in der Rostocker Wohnung der Schriftführerin Laura Witte (1869–1939) teil,7 unter anderem mit den Aktivistinnen Anna Nizze (1854–unbekannt) und Klara Schleker, die allerdings im November ihr Amt niederlegte, weil „sie als überzeugte Preussin und Anhängerin der konstitutionellen Monarchie“ die demokratischen Entwicklungen nicht mittragen wollte.8 Im Namen des Mecklenburgischen Landesvereins des Deutschen Reichsverbandes für Frauenstimmrecht forderte Herz Staatsminister Hans Sivkovich (1881–1968) auf, für „das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht“9 einzutreten. Im November 1918 stimmte der Rat der Volksbeauftragten für das aktive und passive Wahlrecht für alle Frauen und Männer.

Drei Schreiben von Laura Witte an Alice Herz, 1918
Offizielle Mitteilung von Klara Schlekers Rücktritt an Alice Herz, 1918

Persönliche Katastrophen und Rechtsruck in Deutschland

1919 zog die Familie von Güstrow nach Berlin-Mahlsdorf, wo Paul Herz eine leitende Stelle in einer Kunstgummifabrik gefunden hatte, deren giftige Dämpfe allerdings seine Gesundheit angriffen. Am 30. Dezember 1928 starb Paul Herz an Nierenversagen und Anämie; wenige Wochen später, am 2. Februar 1929, starb unerwartet auch der Sohn Konrad. In dieser für Alice Herz und ihre Tochter Helga schweren Zeit erstarkten zudem überall in Europa nationalsozialistische und andere antisemitische Gruppierungen. Weil Alice Herz frühzeitig die Gefahr erkannte, zogen sie und Helga Anfang der 1930er Jahre über die Schweiz nach Frankreich, wo Alice neben Französisch auch Esperanto lernte. Seit etwa 1932 engagierten sich beide in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Über die Friedensarbeit hatten sie in Zürich auch die frauenbewegte Friedensaktivistin Clara Ragaz-Nadig (1874–1957) und deren Ehemann, den religiös-sozialistischen Publizisten Leonhard Ragaz (1868–1945), kennengelernt, der Sozialismus als Verwirklichung von Gottes Willen auf Erden betrachtete.

Aktiv als Antifaschistin, Publizistin und Pazifistin

Ab 1933/34 betrieb Alice Herz Aufklärung über den Nationalsozialismus in kritischen Medien, zum Beispiel in Organen des sozialdemokratischen Publizisten Wilhelm Sollmann (1881–1951), die wenig später verboten wurden.10 Während ihrer Zeit in Südfrankreich besuchte sie diverse religiös-sozialistischen Workshops in der Schweiz und berichtete anschließend darüber in der Zeitschrift Neue Wege, die unter anderem von Leonhard Ragaz herausgegeben wurde. Zwischen 1935 und 1962 veröffentlichte Herz dort mehr als 20 politisch-religiöse Beiträge. 
Während sie im Exil für Frieden sowie gegen Faschismus publizierte und anderen Flüchtlingen Obdach gewährte, wurde sie von der deutschen NS-Diktatur enteignet und wegen fehlender Reichsfluchtsteuer angeklagt. Auch in Frankreich waren Mutter und Tochter nicht mehr sicher: Im Mai 1940 wurden sie als unerwünschte Ausländerinnen im Lager Gurs in den Pyrenäen interniert, kamen aber nach wenigen Wochen wieder frei und konnten in einem nahegelegenen Dorf unterkommen. Von dort aus organisierte Alice Herz ihre Flucht, die allerdings erst 1942 und nur mit Hilfe unter anderem der Quäker-Organisation American Friends Service Committee (AFSC) gelang.11

Friedensarbeit in den USA

Im Sommer 1942 flohen Alice und Helga Herz über Kuba in die USA und zogen schließlich nach Detroit in Michigan, wo Alice an der Wayne University als Deutschlektorin in Teilzeit tätig sein konnte. Der Friedensarbeit blieb sie weiter verbunden und behielt nach dem Krieg auch die westdeutsche Friedensbewegung im Blick. Sie schrieb unter anderem für die pazifistisch-demokratische Zeitung Das andere Deutschland,12 die von 1946 bis 1958 von Fritz Küster (1889–1963), danach bis 1969 von seiner Frau, der Frauenfriedensaktivistin Ingeborg Küster (1909–2004), herausgegeben wurde. Zugleich engagierte Herz sich für den US-amerikanischen Zweig der Frauenliga, der Women’s International League for Peace and Freedom, wie auch später für Women Strike for Peace. Seit den 1950er-Jahren stand Alice Herz unter anderem mit dem Philosophen John Somerville (1905–1994) in Kontakt sowie mit dem japanischen Marxisten und Friedensaktivisten Shingo Shibata (Lebensdaten unbekannt). Seine Informationen über die Folgen des Atombombenabwurfs und der Atombombentests verbreitete sie in Detroit und in der linken Presse. 

Religiöser Pazifismus und Bürgerrechte

Alice Herz war bereits 1907 aus der Jüdischen Gemeinde ausgetreten13 und hatte sich 1946 dem Quakers Silence Meeting angeschlossen. 1951 wurde sie zum Austritt aufgefordert – offenbar wegen des Vorwurfs, Kommunistin zu sein: Während der McCarthy-Ära und ihrer antikommunistischen Hetzjagd wurde Alice Herz viele Jahre durch das House Un-American Activities Committee (HUAC) überwacht.14 Die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, die sie 1947 beantragt hatte, gewährten die Behörden ihr nie, unter anderem weil Herz aus religiösen und philosophischen Gründen ablehnte, im Falle eines Angriffs das Land mit Waffen zu verteidigen.15 Erschwerend kam hinzu, dass sie in ihren Schriften nicht das im Rahmen des Ost-West-Konflikts übliche Negativbild auf Staaten wie Russland und China bediente, sondern sich für eine differenziertere Sicht stark machte. Außerdem nahm sie an Friedens- und Bürgerrechtsdemonstrationen teil: zum Beispiel gegen die Kuba-Blockade am 24. Oktober 1962, im selben Jahr gegen Nuklearwaffen und 1964 in New York gegen den Einsatz des neuen maritimen Zerstörers ‚USS Biddle‘. Ein Jahr später protestierte sie am 9. März 1965 in Detroit inmitten von Tausenden: Sie marschierten aus Solidarität mit den Schwarzen Amerikanerinnen und Amerikanern in Selma, Alabama, wo deren Eintragung ins Wahlregister abgelehnt worden war.16  Aus christlicher Überzeugung für ein soziales Miteinander war sie schließlich Mitglied der Unitarierkirche geworden.17

Bis zuletzt für den Frieden

Mit einer letzten politischen Aktion wollte die 82-jährige Alice Herz ein Zeichen setzen. Deshalb plante sie als öffentlichen Protest gegen Militarismus und Krieg den eigenen Flammentod. Kurz vor der Umsetzung dieses Plans sorgte sie gezielt für die Verbreitung ihres Appells an den birmanischen UNO-Generalsekretär Situ U-Thant (1909–1974). In ihrer Note plädierte sie für ein friedliches Handeln und klagte unter anderem den US-Präsidenten Lyndon B. Johnson (1908–1973) an, „ganze Völker seiner Wahl auszurotten“.18
Am 16. März 1965 abends übergoss sich Alice Herz an einer abgelegenen Straßenkreuzung mit Benzin und zündete sich an. Passanten löschten das Feuer und brachten sie ins Krankenhaus, wo sie am 26. März 1965 ihren Verletzungen erlag.

Die Weltbürgerin: Nachwirkungen und Ehrungen

Über die Selbstverbrennung einer Frau als öffentlicher Protest wurde in etlichen Zeitungen berichtet.  In Gedenken an sie rief ihr langjähriger Freund Shingo Shibata 1966 den Alice Herz Memorial Peace Fund ins Leben und veröffentlichte in zwei Bänden Briefe und Texte von ihr sowie persönliche Nachrufe und Beileidsbekundungen. Eine Fotografie von ihr hängt im Vietnam Museum of Revolution in Hanoi, wo auch eine Straße nach ihr benannt ist. In Deutschland wurden Leben und Wirken von Alice Herz erst sehr spät gewürdigt: 
2003 weihte die sozialdemokratische Bürgermeisterin Karin Schubert (geb. 1944) in Berlin-Mahlsdorf ihr zu Ehren den Alice-Herz-Platz ein. 
 

Stand: 11. September 2018
Verfasst von
Ingeborg Boxhammer

Jahrgang 1962, freiberufliche IT-Trainerin, Publizistin und Historikerin in Bonn und Ko-Redakteurin des mehrsprachigen Online-Portals www.lesbengeschichte.org

Empfohlene Zitierweise
Ingeborg Boxhammer (2018): Alice Herz, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/alice-herz
Zuletzt besucht am: 11.05.2024

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Zitate von Alice Herz

Biografie von Alice Herz

Geburt in Hamburg

1906 - 1908

Bürovorsteherin bei Rechtsanwalt Dr. Hermann Tobias (1878-1913) in Rostock

1907

Austritt aus der Jüdischen Gemeinde

1908 - 1928

Ehe mit Paul Herz (1882-1928)

1912

Geburt der Tochter Helga (1912-2010)

1915

Geburt des Sohnes Konrad (1915-1929)

1928

Tod des Ehemanns

1929

Tod des Sohnes

1933 - 1942

Exil in Südfrankreich

1940

Internierung im französischen Lager Camp de Gurs in den Pyrenäen

öffentliche Selbstentzündung aus Protest gegen den Vietnamkrieg mit Todesfolge

Tod in Detroit, Michigan, USA

Fußnoten

  • 1Alice Strauß an Paul Herz, 17.10.1905. Die private Korrespondenz von Alice Herz befindet sich unveröffentlicht im Privatarchiv von Diane Herz in den USA.
  • 2Siehe ausführlich zu Margarete Herz, Helene Wolff und Alice Herz-Strauß auch Boxhammer, Ingeborg: „Herrin ihrer selbst“: Zahnkunst, Wahlrecht und Vegetarismus – Margarete Herz (1872–1947) und ihr Freundinnen-Netzwerk (Arbeitstitel, i. E.).
  • 3Alice Strauß an Paul Herz, 17.10.1905.
  • 4Alice Strauß an Paul Herz, 2.6.1907.
  • 5Zu Helga Herz siehe z. B. Nachruf Helga Herz, Zugriff am 15.12.2017 unter http://www.wilpf.de/nachruf-helga-herz/. 
  • 6Alice Herz an Paul Herz, 30.9.1918; 4.10.1918; 6.10.1918; 23.10.1918.
  • 7Beese, Marianne: Familie, Frauenbewegung und Gesellschaft in Mecklenburg 1870–1920. Situation der Frauen und weibliche Lebensläufe; Laura Witte (1869-1939), Anna von Maltzahn (1856–1895), Rostock 1999, S. 265; Laura Witte an Alice Herz, 6.11.1918; 9.11.1918; 14.11.1918a.
  • 8Laura Witte an Alice Herz-Strauß, 14.11.1918b.
  • 9Briefentwurf Alice Herz an Hans Sivkovich, 11.11.1918.
  • 10Nyassi, Ulrike: Der Nachlaß Wilhelm Sollmann (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, 68), Köln 1985, S. 190.
  • 11Seiler, Mark: Alice Herz, in: Feilchenfeldt, Konrad / Hawrylchak, Sandra H. (Hg.): Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933: USA (Studien zur deutschen Exilliteratur, 3, Teil 2), Bern/München 2001, S. 140–159, hier S. 145.
  • 12Nödinger, Ingeborg: Alice Herz, in: Hervé, Florence / Nödinger, Ingeborg: Lexikon der Rebellinnen: Von A bis Z, Dortmund 1996, S. 115 f.
  • 13Alice Strauß an Paul Herz, 4.4.1907.
  • 14Seiler: Alice Herz, S. 147 und 153.
  • 15Alice Herz an Shingo Shibata, 16.11.1952, in: Shibata, Shingo (Hg.): Phoenix: Letters and Documents of Alice Herz. The Thought and Practice of a Modern-day Martyr (Philosophical Currents, 11), Amsterdam 1976, S. 51 f.
  • 16Jacobs, Hayes B.: Das Martyrium von Alice Herz, in: Shibata, Shingo (Hg.): Alice Herz als Denkerin und Friedenskämpferin. Dialog und gemeinsames Handeln von Christen und Sozialisten, Amsterdam 1977, S. 18–30, hier S. 21 und 26.
  • 17Jacobs: Martyrium, S. 23.
  • 18Herz, Alice: An die Völker der Welt! An U Thant, Generalsekretär der UNO! An das amerikanische Volk! Erwacht und handelt, bevor es zu spät ist!, in: Neue Wege, Bd. 49, Nr. 4, S. 97.

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