WENDigE Frauen*. Selbstbestimmte Frauen*Lesbenprojekte in Dresden in der „Wende“- und Transformationszeit

verfasst von
  • Neko (Natalia) Panteleeva
veröffentlicht 08. Juni 2020
(Ehemalige) Akteurinnen der Dresdner Frauen*Lesbenszene der ‚Wende‘- und Transformationszeit sprechen im Interview über ihre Projekte, die gesellschaftlichen Bedingungen, denen lesbische Frauen in der DDR gegenüberstanden, und ihre persönlichen Gründe für politisches Engagement.

Das Projekt WENDigE Frauen*

Im Frühjahr 2019 hat das Frauenstadtarchiv Dresden (FSA) fünf Audio- und Videointerviews mit (ehemaligen) Dresdner Aktivistinnen aus der Frauen*Lesbenszene der späten 1980er- bis 1990er-Jahre durchgeführt. Das Erkenntnisinteresse galt den politischen Aktivitäten der beteiligten Frauen, den Projekten, die sie aufgebaut hatten oder an denen sie beteiligt waren, und der Frage, wie sie als lesbische Aktivistinnen mit den Strukturen der zerfallenden DDR umgingen, mit welchen Herausforderungen sie konfrontiert waren und wie sie die Chancen der aufkeimenden zivilgesellschaftlichen Bewegungen der Transformationszeit für sich nutzen konnten. Angefragt wurden Frauen, die sich in diesem Zeitraum in (lesbischen) Frauen*-Netzwerken und -Strukturen engagierten.

Lesbisch in der DDR

Homosexuelle waren in der DDR – ebenso wie im westdeutschen Staat – gesellschaftlicher Stigmatisierung und staatlicher Verfolgung ausgesetzt, zudem existierte eine Vielzahl negativer Vorurteile gegenüber vermeintlich ‚nicht traditionellen‘ Lebensformen. Bis in die 1980er- gab es kaum wissenschaftliche Literatur oder Forschung und eine Kultur des Schweigens in der Öffentlichkeit.1   Zwar war Homosexualität in der DDR seit 1968 nicht mehr strafbar, gleichzeitig sahen sich Schwule und Lesben aber zu einem Leben ‚im Verborgenen‘ gezwungen, da nicht-heterosexuelle Lebensentwürfe gesellschaftlich nicht  erwünscht waren. 

Die Unsichtbarkeit lesbischen Lebens und dessen Nicht-Existenz im öffentlichen Raum – diskursiv und infrastrukturell – stellte Lesben vor große Herausforderungen. Die beschränkte Informationslage erschwerte die individuelle Auseinandersetzung mit der sexuellen Identität. Gleichzeitig verunmöglichten die staatlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen auch den Austausch mit Gleichgesinnten sowie die gegenseitige Unterstützung und ein positives stärkendes Erleben des ‚Andersseins‘ (im Verhältnis zur heteronormativen Mehrheitsgesellschaft).

Auf der individuellen Ebene musste dies nicht zwangsläufig mit Problemen verbunden sein. Unsere Interviewpartnerinnen erzählen von unterschiedlichen Erfahrungen. So konnte Karin F. trotz erschwerter Voraussetzungen eine eigene Identität finden und leben: „Ich habe es eigentlich auch schon mit 16, 17 Jahren - so gelebt (...). Habe aber NIE drüber nachgedacht, dass das was Falsches sein könnte oder nicht. (…) Und - komischerweise hat die Umwelt, also - ÜBERHAUPT nicht negativ reagiert.“2

Schwieriger war es da, wo es nicht um ein individuelles Leben ‚im Privaten‘ ging, sondern um den Wunsch lesbischer Frauen, sich gemeinsam zu organisieren, auszutauschen und für mehr Sichtbarkeit einzutreten. Hier konnten Engagierte schnell an die eng gesteckten Grenzen der Versammlungs-, Vereinigungs- und Veröffentlichungsfreiheit, die in der DDR außerhalb von (staatlichen) Großorganisationen faktisch nicht gegeben war, stoßen.
So erzählt Martina K., die persönlich auch keine negativen Reaktionen auf ihre sexuelle Identität erhielt, dass es in ihrer Jugendzeit in den 1980ern den großen Wunsch nach Vernetzung, Information und Bezugspunkten unter jungen Homosexuellen gegeben hatte. Sowohl ihr Bedürfnis nach Gleichgesinnten als auch nach notwendigen eigenen Strukturen motivierte sie, sich im Arbeitskreis (AK) Homosexualität3  zu engagieren: „Also - dadurch, dass eben die VERNETZUNG - untereinander oder so wie das heute ist, dass es ZIG Vereine gibt, an die man sich dann wenden kann und dann mal Beratung kriegt, das war ja alles nicht und man musste ja irgendwie alles selber stemmen. (...) Und von daher war das für viele also die ABSOLUTE Offenbarung, (…) dass es IRGENDEINE Anlaufstelle gab.“4

Die AKs waren Vorbild für weitere selbstorganisierte Strukturen, sie bildeten eine wichtige – und häufig erste – Anlaufstelle für Homosexuelle, die ihre Isolation durchbrechen und gleichzeitig für mehr gesellschaftliche Akzeptanz kämpfen wollten.

‚Subversive‘ Gemeinschaft

Martina K. berichtet, dass das staatliche Misstrauen das Gemeinschaftsgefühl und die Wandlung der sexuellen in eine politische Identität förderte. Gleichzeitig waren die gemeinsamen Aktionen stets begleitet von Angst vor Repression und Überwachung: „Zum Teil hat uns natürlich auch so zusammengehalten, dass wir ja auch GEWISSERmaßen gefährliche Sachen gemacht haben, also - für UNS jetzt gefährliche Sachen, es ist ja an sich nichts Besonderes, (…) nach Buchenwald zu fahren um dort einen KRANZ niederzulegen für die homosexuellen Opfer, aber damals war das eben - etwas, wofür man auch in den Knast gehen konnte“ (lacht).5

In der Überwachungslogik des Staates hingegen mischte sich generelles Misstrauen gegenüber unabhängiger Organisierung mit einer auf tradierten Vorurteilen fußenden Ablehnung ‚nicht-konformer‘ Lebensformen: „Weil es eben -- NICHT im Sinne des Staates, (…) also alles, was nicht staatsgelenkt war, war eben dann schon wieder konspirativ und - möglicherweise gegen den Staat gerichtet. Und insofern war auch Lesbischsein in der DDR irgendwie was-- zumindest Beobachtenswertes (…). Weil bei solchen Menschen, die nicht so leben, wie es vorgesehen ist, - kann ALLES Mögliche passieren. Also“ (lacht) „die sind jedenfalls erstmal nicht so - wie der Staat das gedacht hat. Und von daher ist das KOMISCH und deswegen (…) muss man ein bisschen ein Auge draufhalten.“6

Hauptanliegen: Selbstbestimmung

Lesbisch sein, dies öffentlich leben ohne Ausgrenzung und Benachteiligung zu befürchten und Engagement für Gleichgesinnte waren die Wünsche der Interviewten. Dies brachte sie nicht nur in zwangsläufige Opposition zum Staat, unsere Interview-Partnerinnen konnten und wollten sich auch nicht auf dessen Angebote  zur politisch-gesellschaftlichen ‚Mitbestimmung‘ verlassen. In ihnen wuchs das Bewusstsein der Verknüpfung von sexueller Identität und politischem Engagement. Dieses stärkte ihre Überzeugung von der Wichtigkeit eigener unabhängiger Strukturen und motivierte sie, sich gegenseitig zu unterstützen.

Es war allerdings nicht ‚nur‘ das Lesbischsein, welches hierbei den Impuls gab. Alle Interviewten verstanden sich als Teil einer vielfältigen Frauen*bewegung, die in der DDR in den 1980ern an Fahrt aufnahm. Andrea S. beschreibt ihr Anliegen und das ihrer Mitstreiterinnen*: „Ein ORT für Frauen als Insel. Wo wir miteinander was machen und uns nicht reinquatschen lassen von Männern. Unseren Stil entwickeln, für Frauen kämpfen, Frauen unterstützen. (…) [Es] spielte das Engagement eine Rolle, was für Frauen tun zu wollen, was gegen Ungerechtigkeit gegen Frauen tun zu wollen, das war die Hauptsache.“7

Es waren ihre Erfahrungen als Frauen* in einem Staat, der die Gleichberechtigung auf dem Papier als hohen Wert inszenierte, in dem Frauen* jedoch gleichzeitig von strukturellem Sexismus betroffen waren und auf einschränkende Rollenmuster festgelegt wurden, welche auch die lesbischen Aktivistinnen als zentrales politisches Handlungsfeld begriffen. In den gemischten Homosexuellen-Gruppen waren sie als Lesben zudem häufig mit männlicher Dominanz und Marginalisierung ihrer Positionen und Schwerpunkte konfrontiert. Selbstbestimmte Frauen*strukturen boten hingegen die Möglichkeit vielfältiger Arbeit – für viele verschiedene Frauen.

Eine Mitgliedschaft im Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD), der offiziellen Frauen*organisation der DDR, kam für die jungen Aktivistinnen zudem nicht infrage. In ihren Augen herrschte auch hier Gleichschaltung anstatt Selbstbestimmung. Den DFD belächelten sie als ‚Hausfrauenverein‘, in dem ein ebenso rigides traditionalistisches wie konformistisches Frauenbild verbreitet wurde.8

Selbstbestimmt auf Dauer

Ihre ‚im Verborgenen aufgebauten‘ Netzwerke halfen den Aktivistinnen in den späten 1980er-Jahren, an Kontakte und Informationen zu kommen, um eigene Projekte voranzubringen. Ihr beharrlicher Kampf um Räume für Frauen* und die dysfunktionale staatliche Struktur der zerfallenden DDR begünstigten das Vorhaben. 1990 wurden die Vereine FBZ und *sowieso* - Frauen für Frauen gegründet – zwei von vielen unterschiedlichen und thematisch breit gefächerten Frauen*-Projekten in Dresden zu dieser Zeit.

Alle unsere Interviewpartnerinnen waren an einem oder beiden dieser Orte aktiv und sind es zum Teil bis heute.

Die heutige gesellschaftliche Situation von Frauen* und die Akzeptanz und Relevanz feministischer Angebote bewerten sie positiv bis kritisch. Ihr Engagement hat lange überfällige und wertvolle Strukturen entstehen lassen, die heute vielerorts selbstverständlich sind. Gleichzeitig verweist die anhaltende Notwendigkeit von Frauen*-Lesben-Projekten auf den Fortbestand gesellschaftlicher Ungleichheit und sexistischer Prinzipien: „Die Akzeptanz, die die Frauenprojekte heute haben, wo es ja auch eine ganze Landschaft ist, mit einer sehr guten Vernetzung. Das haben wir damals begonnen, 1990. Und diese Akzeptanz haben wir uns erarbeitet im gemeinsamen Tun.“9

„Also ich finde es erstmal TOLL, dass es die beiden Projekte immer noch gibt. Das ist (...) ja nicht bloß ein Zeichen, - dass die beiden Projekte wirklich stark sind in ihrer Ausstrahlung nach außen, sondern auch (...), dass sie immer noch gebraucht werden. Und dass, -- wenn man die heutige Situation (...) anguckt, (...) ich meine die Situation der Frauen hat sich ja jetzt nicht großartig verändert (...). Aber ich glaube nicht mal, dass die sich DANN erledigt hätten, weil - ich denke schon, (...) dass es gut ist, dass Frauen auch eigene Räume haben“.10

Stand: 08. Juni 2020
Verfasst von
Neko (Natalia) Panteleeva

Studium: Geschichte des 19./20.Jahrhunderts (MA) / Germanistik (BA). Schwerpunkte: (Geschlechter-)Geschichte der frühen Sowjetunion, Diskurs- und Alltagsgeschichte Geschlecht und Gewalt, Erinnerungskultur(en). Seit 2019 Projektkoordinatorin* für DDF-Projekte im FSA Dresden.

Empfohlene Zitierweise
Neko (Natalia) Panteleeva (2020): WENDigE Frauen*. Selbstbestimmte Frauen*Lesbenprojekte in Dresden in der „Wende“- und Transformationszeit, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/wendige-frauen-selbstbestimmte-frauenlesbenprojekte-dresden
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Fußnoten

  • 1Vgl. Könne, Christian: Schwule und Lesben in der DDR und der Umgang des SED-Staates mit Homosexualität, Zugriff am 4.6.2020 unter http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschichte/deutschlandarchiv/265466/schwule-und-lesben-in-der-ddr; Sillge, Ursula: Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender in der DDR, Zugriff am 4.6.2020 unter http://www.hirschfeld-kongress.de/publikationen.html.
  • 2Zit. nach FSA Dresden: Interview F., Karin, Transkript S. 3 f.
  • 3Zu den AKs Homosexualität, die ab 1982 DDR-weit entstanden, vgl. u.a. Bock, Jessica: Die Revolution war eine Frau, in: Ariadne, o. Jg., 2015, H. 67/68, S. 154‒162.
  • 4Zit. nach FSA Dresden: Interview K., Martina, Transkript S. 3.
  • 5Zit. nach FSA Dresden: Interview K., Martina, Transkript S. 3.
  • 6Zit. nach FSA Dresden: Interview K., Martina, Transkript S. 3.
  • 7Zit. nach FSA Dresden: Interview S., Andrea, Transkript S. 8 ff.
  • 8Alle Interviewten berichten von mangelnden Berührungspunkten bis hin zur Ablehnung des DFD aus politischen Gründen.
  • 9Zit. nach FSA Dresden: Interview S., Andrea, Transkript S. 13.
  • 10Zit. nach FSA Dresden: Interview F., Karin, Transkript S. 12 f.