Frauenwiderstand im Hunsrück – das kleine unbeugsame Protestcamp
Anfang der 1980er Jahre bezog das Wettrüsten zwischen den USA und der UdSSR auch die Bundesrepublik ein. Hier wurden Mittelstreckenraketen und Soldaten aus den USA stationiert, Radarstationen und Kasernen errichtet. Neben der Friedensbewegung gab es Frauengruppen, die die Aufrüstung klar als Kriegsvorbereitungen benannten und dagegen protestierten, zum Beispiel Aktion Gegenwind, Organisiertes Chaos, Widerspinst, Bella Blitz, Radicarla, Die Militanz.
Vom Gegenwind zum Frauenwiderstandscamp
Auf der Westberliner Sommeruni 1982 entstand die Idee zu einem antimilitaristischen Frauencamp an einem Stationierungsort für Atomwaffen: „Wir laden alle bewegten Frauen, die Lesben und Heteroinnen, die Gegen-Militaristinnen und Friedensfrauen, die Autonomen und Antiimperialistischen, die Ökofreakinnen und Startbahnwestmädels, die Haus- und Garten-, Kinder- und Kirchenfrauen und nicht zuletzt die Hexen und Astrofrauen sowieso ein, gemeinsam an einem Frauenverweigerungsnetz zu knüpfen.“1 Die folgenden bundesweiten Vorbereitungstreffen wurden in Form einer Broschüre dokumentiert. Die Frauen entschieden sich für den Hunsrück, wo Ende 1986 im Dorf Hasselbach Marschflugkörper (Cruise Missiles) stationiert werden sollten. Im nahen Dorf Reckershausen konnten die Frauen für ihr Protestcamp die Wiese der Bäuerin und pensionierten Landwirtschaftslehrerin Adele mieten.2
Politisches Camping auf Adeles Wiese
Dort kamen im Juli 1983 Frauen aus der ganzen Bundesrepublik und aus West-Berlin zum Frauenwiderstandscamp zusammen: die meisten aus der autonomen Frauen- und Lesbenbewegung, aus linken, christlichen und spirituellen Kreisen. In der Friedensbewegung hatten etliche Frauen erfahren, dass es mit vielen Männern unmöglich war, Zusammenhänge zwischen Militarismus und Patriarchat zu analysieren. Daher trafen sie sich ohne Männer und entwickelten ihre eigenen Widerstandsstrategien. Frauen lebten mit Frauen in Zelten und unter freiem Himmel mehrere Wochen gemeinsam – ein Gegenentwurf zur patriarchalen Normalität.
Das Hunsrückcamp war inspiriert von Frauenwiderstandscamps in Greenham Common (Großbritannien), vom Haus La Ragnatella (dt. das Spinnennetz) in Comiso (Sizilien) und nicht zuletzt in Seneca Falls (NY), wo die Mittelstreckenraketen produziert wurden, die dann in der westlichen Welt stationiert wurden.
Beim ersten Camp fanden sich über vier Wochen hunderte von Frauen ein, zum Aktionstag in der Mitte der Campwochen sogar circa 2000. Küchenzelte waren Bezugs- und Orientierungsorte für kleine Gruppen, regelmäßig wurde ein Campplenum abgehalten. Es gab keine Leitung und keine organisierten Hierarchien. Jede Frau konnte Aktionen durchführen und war andererseits nicht zum Mitmachen verpflichtet.
Arbeiten wurden aufgeteilt, Wasserversorgung und Nahrungsmittel organisiert. In der praktischen Zusammenarbeit, zum Beispiel beim Kochen, fanden sehr unterschiedliche Frauen oft eine gemeinsame Ebene. Diskutiert wurde von morgens bis abends. Musik, Tanz, Kreativität, auch als Teil von Protestaktionen, spielten eine wichtige Rolle.
Widerstand als Wohnsitz
Die Frauen führten spektakuläre und nicht immer ganz legale Protestaktionen gegen das US-Militär durch: „Es geht darum, uns gegen die Gewalt der HERRschenden zu wehren, wie sie uns in Form von Militär, Hochrüstung und alltäglicher Gewalt entgegentritt. Das seit Jahrtausenden herrschende männliche Prinzip von Macht und Gewalt basiert ursprünglich und grundsätzlich auf der weltweiten Unterdrückung von Frauen und drückt sich in immer eskalierenderer Form von Ausbeutung, Machtstreben und Zerstörung aus. Unser Anliegen ist es, gegen Militarismus als direktem Auswuchs des Patriarchats Widerstand zu leisten und uns nicht einfach der Friedensbewegung mit ihren allgemein humanitären Zielen zuzuordnen, da diese nicht bereit ist die für uns elementare Analyse der patriarchalischen Strukturen zu leisten.“3 Ob diese Gegenwehr immer gewaltfrei sein musste, wurde innerhalb und außerhalb der Camps heftig diskutiert und das Bild der ‚friedfertigen Frau‘ hinterfragt.
Die Widerstandsaktionen konzentrierten sich von 1983 bis 1985 auf das ehemalige Manövergelände der Bundeswehr bei Hasselbach, auf dem 96 US-Mittelstreckenraketen stationiert werden sollten: Der Bau der Mauer um das Terrain wurde gestört – durch eine Baukranbesetzung und durch einige Frauen, die komplett aus dem Camp in Reckershausen in den Wald neben dem Militärgelände zogen. Diese Widerstandsbasis der Frauen vor dem Haupttor der Anlage wurde 1986 sogar zeitweilig als Wohnsitz angemeldet. Die Mutigsten zelteten nach ihrer Räumung eine Nacht lang auf einem Bunkerdeckel – also auf den Cruise Missiles – innerhalb der Raketenbasis.
Die (Dauer-)Mahnwachen und Fließblockaden, Demonstrations- und Aktionstage, auch gegen die von US-Soldaten genutzten Bordelle, waren stets aufsehenerregend, störten die Arbeitsprozesse der US-Armee und verbreiteten die feministischen Botschaften der Campfrauen in der Öffentlichkeit: Das Wettrüsten war keine Schutzmaßnahme, sondern lebensfeindlich; Militarisierung und Imperialismus waren ebenso Ausdruck des Patriarchats wie persönliche Gewalterfahrungen. Die Campfrauen stellten fest: „Zwischen der Vergewaltigung einer Frau und der Eroberung eines Landes und der Zerstörung der Erde besteht kein wesentlicher Unterschied.“
Hunsrück, einig Frauenland?
Mit dem Frauenwiderstandscamp im beschaulichen Reckershausen trafen Welten aufeinander. Es gab Übergriffe auf das Camp sowie Gewalt gegen einheimische Frauen durch ihre Partner, die sich durch das Frauenwiderstandscamp provoziert fühlten. Hinzu kamen Ruhestörungen und Verstöße gegen die Auflage, im Camp nicht nackt herumzulaufen. Zwischen Hunsrückerinnen und Campfrauen schien eine Zusammenarbeit anfangs vielversprechend. Aber bald gab es Kritik seitens einiger Hunsrückerinnen, die sich bei ihrer Vermittlung zwischen Camp und Einheimischen von Campfrauen nicht unterstützt fühlten:
„(…) es scheint, daß wir für manche von Euch nichts anderes sind als für die amerikanische Army: der Stationierungsort. (…) Wir können und wollen uns nicht an einem Camp beteiligen, was einen unauflösbaren Widerspruch zu unserem Leben hier um Hunsrück darstellt und zu unserer politischen Arbeit vorher und hinterher.“4
Während einige Hunsrückerinnen dem Camp verbunden blieben, wurden Kooperationen ab 1984 seltener. Ein ‚Frauenland‘ als Alternative zum Patriarchat war nicht so leicht umzusetzen, weder innerhalb des Camps noch darüber hinaus.
Widerstand im Wandel
Die Frauenwiderstandscamps zeigten mit elf Camps zwischen 1983 und 1993 zwar eine große Kontinuität. Gleichzeitig gab es im Camp eine Fluktuation: Frauen nahmen unterschiedlich lange und regelmäßig teil oder blieben ganz fern. Die Gründe waren Veränderungen der eigenen Lebenssituation, gerichtliche Prozesse nach illegalen Protestaktionen oder neue Themensetzungen.
Nach Gerichtsprozessen gegen mehrere Campfrauen 1986/87 verlagerte sich ein Teil des Widerstands auf den Goßberg. Hier existierte seit 1956 eine US-Radaranlage. Von 1984 bis 1989 wurde ein 30 Meter tiefer Bunker gebaut, der der NATO-Leitzentrale als Frühwarnsystem dienen sollte. Flora und Fauna des Berges hatten durch die Bauarbeiten schweren Schaden genommen. Wegen der 1987 beginnenden Abrüstung wurde die Anlage nie in Betrieb genommen. Diese Abrüstung war es auch, die dazu führte, dass die Teilnehmerinnenzahlen der Camps sanken.
In vieler Hinsicht hatten die Campfrauen manches gemeinsam: Größtenteils waren sie weiße Frauen mit deutschem Pass, lebten ihren Alltag ohne Behinderungen, waren Studentinnen, Aussteigerinnen. Die eigenen Privilegien führten zu Überlegungen: Wie konnten Frauen mit Behinderungen besser im Camp zurechtkommen? Warum gab es kaum Schwarze Frauen im Camp und wie ging es denen, die teilnahmen? Und nach 1989 entstand die Frage: Wie konnten Frauen aus der ehemaligen DDR angesprochen werden?
Der anfängliche Enthusiasmus kollidierte mit Alltagsroutinen wie der Reinigung der Toiletten, der Organisation des nächsten Camps. Und wie sah die gemeinsame politische Ebene aus – bei allen Freiräumen? Es gab Spannungen zwischen Lesben und Heteras oder Probleme für Mütter, die ihre kleinen Söhne mit zum Camp brachten. Das Camp wurde 1990 in LesbenFrauenWiderstandscamp umbenannt, 1991 in LesbenFrauenMädchenWiderstandscamp.
Zudem veränderten sich die Vorstellungen von Widerstand. War es in den ersten Jahren um öffentlichkeitswirksame Protestaktionen gegen Militarisierung im Kontext einer Patriarchatskritik gegangen, rückten ab 1990 eigene Gewalterfahrungen und die allgemeinen Themen der Frauen- und Lesbenbewegung ins Blickfeld: Gewalt gegen Frauen, Rassismus, Klassismus, Naturschutz, lesbische Identität, Antisemitismus, die Situation von Frauen mit Behinderungen. War ein jährliches Camp noch die richtige Widerstandsform? Das letzte Frauenwiderstandscamp im Hunsrück fand 1993 statt, die Pläne für ein Camp im folgenden Jahr wurden nicht mehr umgesetzt.
Die Unbeugsamen
So befremdlich viele Einheimische die Aktivitäten der Campfrauen auch fanden: Für die Region Hunsrück waren die Camps ein prägendes Phänomen. Sie machten die Region durch den Zuzug von (ehemaligen) Campfrauen zur Anlaufstelle für weitere Frauenprojekte wie das jährliche Frauenmusikfestival von 1994 bis 2015. Die zugezogenen Frauen gründeten den ersten Frauennotruf der Region, starteten Initiativen zur Aufarbeitung der NS-Geschichte in Hunsrücker Dörfern, arbeiteten in der Lagergemeinschaft Ravensbrück oder vermittelten regionale Frauengeschichte in Theateraufführungen und sind bis heute auf vielerlei Weise politisch aktiv.
- Linda Unger
- Digitales Deutsches Frauenarchiv
- CC BY 4.0
Fußnoten
- 1 Schecke, Brigit: Frauenlager gegen Atomwaffen, in: (Über)lebensstrategien – 6. Sommeruni für Frauen des AStA FU-Lesbenreferats, Berlin 1982, S. 80.
- 2 Zur Chronologie und Einschätzung des „politischen Camping“ siehe die Texte von Prof. Dr. Christiane Leidinger in der Literaturliste.
- 3 Infoblatt Presse NRW Zeitungen zum 1. Camp Köln, Maria Finnemann und Gesine Erdmann NL-FWH CI,23.
- 4 Brief der Hunsrückerinnen, in: Frauenwiderstandscamp (Hg.): Frauenwiderstand im Hunsrück vom 2.7.-31.8.84, Staffhorst/Reckershausen 1984, S. 20.
Ausgewählte Publikationen
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Selbstverlag Frauenwiderstand (Hg.): Frauenwiderstand im Hunsrück. Frauengeschichte(n) 1983-1985, o. O. 1985.
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Scheidle, Ilona: Das Frauenwiderstandscamp im Hunsrück (1983-1993). Lesbische Frauen für Frieden, gegen Krieg und Männergewalt, in: Dunkel, Franziska / Schneider, Corinna (Hg.): Frauen und Frieden. Zuschreibung - Kämpfe - Verhinderungen, Opladen/Berlin/Toronto, 2015 , S. 117‒141.
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Leidinger, Christiane: Feministischer Widerstand par excellence - Politisches Zelten im Hunsrück, in: Bargetz, Birgit et al. (Hg.): Kritik und Widerstand. Feministische Praktiken in androzentrischen Zeiten, Opladen 2015, S. 79‒95.
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Bald, Christiane: Die Neue Frauenbewegung in der katholischen Provinz. Feministische Aufbrüche in Trier, der Eifel und im Hunsrück, in: Paulus, Julia (Hg.): Bewegte Dörfer, Paderborn 2018, S. 147‒176.