
Über Marie Munk
Als Tochter der RestauratorIn Paula Joseph und des Landgerichtsdirektors Wilhelm Munk am 4. Juli 1885 in Berlin geboren,1 besuchte Marie Munk das Lyzeum, Mädchen war das Gymnasium noch verwehrt. Nach der Ausbildung zur KindergärtnerIn half sie in Alice Salomons Fürsorgegruppen in Berlin.
In Helene Langes Gymnasialkursen2 bereitete sie ihr Abitur vor,3 das sie 1907 bestand.4 An der Friedrich-Wilhelms-Universität war sie GasthörerIn,5 Frauen waren bis 1908/19096 an fast keiner Universität zugelassen. Sie immatrikulierte sich in Freiburg in Psychologie, Medizin und Philosophie, suchte ein geeignetes Fach7 und wurde die erste Studentin der Rechtswissenschaften in Bonn.8 Die Prüfungsämter verweigerten den StudentInnen den Abschluss. Sie meinten das Gerichtsverfassungsgesetz ließe nur Männer zu, obgleich es geschlechtsneutral gefasst war.9 Wenige Frauen beendeten ihr Studium als PromovendIn. Als eine der ersten Frauen promovierte Munk 1911 in den Rechtswissenschaften in Heidelberg10 und volontierte in Kanzleien.11 In der Münchner Rechtsschutzstelle für Frauen beriet sie im Familienrecht12, durfte aber ohne Staatsprüfungen Klienten gerichtlich nicht vertreten.
Der Deutsche JuristInnen-Verein (DJV)
Das Recht diskriminierte nicht nur Ehefrauen und ledige Mütter – sondern auch AkademikerInnen, wie Munk selbst erfuhr. Deshalb baute sie in Berlin mit Margarete Berent, Margarete Meseritz und Marie Raschke den DJV auf, der dem Deutschen AkademikerInnenbund (DAB) und dem Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) angehörte.13
Im Weltkrieg verzichtete der Staat auf Abschlüsse, als er Männer mit Frauen in Wirtschaft und Verwaltung ersetzte.14 Als ehrenamtliche Rechtshilfe, später mit geringem Entgelt, führte Munk Verfahren. Aber als der Volljurist aus dem Krieg zurückkehrte, wurde sie gekündigt.15
Gleichberechtigung der Geschlechter in der neuen Verfassung
Die Verfassung der Weimarer Republik enthielt erstmals die Gleichberechtigung der Geschlechter. Munk war mit Marianne Weber, Camilla Jellinek, Marie Stritt und Margarethe Bennewitz im BDF engagiert.16 Dieser besetzte17 seine Kommissionen mit DJV- und DAB Mitgliedern,18 doch wie sie arbeiteten ist bislang unerforscht.
Rechte für uneheliche Kinder
Munk arbeitete an Reformen zur Lage der unehelichen Kinder und prägte 1918 die Richtlinien des BDF zur Bevölkerungspolitik.19 Sie beseitigte die Mehrverkehrseinrede, mit der ein Mann behaupten konnte, es hätten mehrere Männer in der Empfängniszeit mit der ledigen Mutter geschlechtlich verkehrt. Munk forderte, dass alle Männer zum Unterhalt des Kindes ihren Anteil leisten, gemäß ihrem Gehalt und unabhängig vom geringen Einkommen der Mutter. Munk wollte dem Kind einen Anspruch auf Erziehung und Ausbildung durch beide Elternteile sichern und ein Verwandtschaftsverhältnis des Kindes zu seinem Vater, weshalb dem Kind auch ein Erbrecht in Aussicht gestellt war. Rechte, die das BGB von 1900 dem Kind versagte. Auch Artikel 121 der Reichsverfassung wollte den unehelichen Kindern und seinen Eltern nicht die gleichen Rechte wie verheirateten Eltern und ehelichen Kindern geben.20
Drei Reformversuche
Der erste Entwurf 1922 strich die Mehrverkehrseinrede, versagte aber den Unterhalt bei sogenanntem dirnenhaften Lebenswandel der Mutter. Der Reichsratsentwurf 1925 näherte sich den Richtlinien des BDF, weshalb die Berufsvormünder einen Gegenentwurf 1928 vorlegten. Der Reichstagsentwurf suchte 1929 den Ausgleich, doch die Reform blieb unerledigt.21
Gleiches Recht für Ehefrau und Ehemann
Der Preußische Justizminister ließ am 5. Mai 191922 Frauen zum ersten Examen zu. Vor ihrer Prüfung krönte Munk die Ziele des BDF mit ihren „Vorschlägen zur Änderung des Familienrechts.“ Gegen das Alleinentscheidungsrecht des Ehemannes setzte sie Rechte der Ehefrau für ihre Kinder. Dass mit der Heirat der Mann das Vermögen der Frau in Besitz nahm und frei verfügte, diskriminierte die geschäftsfähige Ehefrau. Munk forderte das Recht der Ehefrau auf Erwerb und freie Vermögensverfügung. Nach einer Scheidung sollte auch die nicht erwerbstätige Hausfrau und Mutter die Hälfte des erwirtschafteten Gewinns erhalten (Zugewinnausgleich). Leitbild war die Gleichberechtigung der Geschlechter in Artikel 119 der Verfassung. Erfolgreich warb Munk als erste Frau auf dem Deutschen Juristentag (DJT) 1924 für ihre Forderungen.23 Dazu holte die Reichsregierung zwar die Ländermeinung ein, aber initiierte die Ehe-, Ehegüter- und Familienrechtsreform nicht.24
Ein neues Scheidungsrecht
Nach ihrem ersten Staatsexamen 1922 verfasste Munk für den BDF 1923 „Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt“25. Sie wurden Reichstag und Reichsregierung übergeben. Damals konnte eine Ehe wegen Ehebruchs geschieden werden oder wenn ein Ehegatte dem anderen nach dem Leben trachtete oder er ihn böswillig verließ. Gab es diese zwingenden Gründe für eine Scheidung nicht, musste der Ehegatte die ehelichen Pflichten schuldhaft schwer verletzen und dadurch die Ehe so zerrütten, dass es dem auf Scheidung klagenden Ehegatten unzumutbar war die Ehe fortzusetzen. Doch die krasseste Zerrüttung reichte nicht, die Schuld nachzuweisen. Die Schuld kettete die Eheleute aneinander, weshalb sie den strafbaren Ehebruch vortäuschten - mit Folgen für schuldig geschiedene Frauen. Sie verloren die Sorge für ihre Kinder und den Unterhalt, der schuldige Mann hingegen die rechtliche Vertretung für seine Kinder nicht. Munk entkoppelte Unterhalt und Sorge von der Schuld. War die Ehe objektiv zerrüttet, sollte geschieden werden.26 Bedenken gegen leichtfertige Scheidungen bestimmten 1922 bis 1928 die Reichstagsdebatten. Die Beratung wurde ausgesetzt.27 Ob die Reform aufgrund parteipolitischer Zersplitterung scheiterte, blieb bis heute unklar.28
Erste Rechtsanwältin und erste Richterin Berlins
Zur Rechtspflege wurden Frauen 1922 zugelassen.29 Das zweite Staatsexamen legte Munk 1924 ab. Sie war die erste Rechtsanwältin Berlins, verdiente allerdings als Pflichtanwältin für Mittellose wenig.30 Ihre Artikel in Fachzeitschriften fanden in Anwalt- und Richterschaft viel Beachtung. Ihr Buch „Recht und Rechtsverfolgung im Familienrecht“ erschien 1929, bevor sie 1930 Richterin wurde31 und für übervorteilte Frauen eintrat: KäuferInnen sollten den Kaufpreis, die Gerichts- und Anwaltskosten zahlen, weil sich Verkäufer mit unklaren Verträgen ihren Pflichten entzogen. Munk informierte die Verbraucherberatung, bestellte derweil Pflichtanwalt und Prozesskostenhilfe, und der Verkäufer nahm seine Klage zurück.32
Ausreise in die USA
Den Business and Professional Womens Club (BPW) gründete sie 1931. Vor dem Entzug der Zulassung verbot die Gestapo am 1. April 1933 jüdischen Anwälten das Gericht zu betreten. Munk blieb dem Gericht fern, beantragte beim Reichsjustizministerium sie für eine USA Reise zu beurlauben33 und wurde am 22. Mai 1933 entlassen.34 In Amerika forschte sie zum Familien-und Scheidungsrecht35 Sie starb, 92-jährig am 17. Januar 1978 in Cambridge (Mass.).
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Zitate von Marie Munk
Biografie von Marie Munk
Fußnoten
- 1 Marie Munk Papers, Sophia Smith Collection, Sophia Smith College, Northampton, Mass., Box 1, Folder 3.
- 2 Bäumer, Gertrud: Geschichte der Gymnasialkurse für Frauen, in: Vorstand der Vereinigung zur Veranstaltung von Gymnasialkursen für Frauen (Hg.), Berlin 1906.
- 3 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, Nr. 1, Maschinenschriftliches Manuskript der Autobiographie Marie Munk’s in englischer Sprache „Reminiscences of a Pioneer Woman Judge in Pre-Hitler-Germany 1945“, Teil 1, MF-Nr. 3505-3509, S. 50-55.
- 4 Marie Munk Papers: Box 1 Folder 9.
- 5 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, Nr. 1, Maschinenschriftliches Manuskript der Autobiographie Marie Munk’s, Teil 1, MF-Nr. 3505-3509, S. 87.
- 6 Zentralblatt für die gesamte Unterrichtsverwaltung in Preußen, Nr. 8 vom 18. August 1908.
- 7 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, Nr. 1, Maschinenschriftliches Manuskript der Autobiographie Marie Munk’s, Teil 1, MF-Nr. 3505-3509, S. 87-89.
- 8 Marie Munk Papers: Box 1 Folder 9.
- 9 Cordes, Oda: Die Frau als Organ der Rechtspflege? Über die wichtigsten Stationen der Zulassung von Frauen in der deutschen Rechtspflege, in: Meder, Stephan et. al. (Hg.): Frauenrecht und Rechtsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2006, S. 279-301, S. 280.
- 10 Marie Munk Papers: Box 1 Folder 12.
- 11 Ebenda: Box 1 Folder 3.
- 12 Ebenda: Box 1 Folder 10
- 13 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, Nr. 1, Maschinenschriftliches Manuskript der Autobiographie Marie Munk’s, Teil 1, MF-Nr. 3505-3509, S. 172.
- 14 Meseritz, Margarete: Die Juristinnen im Kriege, in: Die Staatsbürgerin, 6. Jg., 1917, H. 6, S. 87.
- 15 Marie Munk Papers: Box 1 Folder 11.
- 16 Mitgliederverzeichnis der Bundeskommission zur Frage der unehelich Geborenen, zugleich Kommission zur Frage der familienrechtlichen Stellung der Frau: Auszug aus Altmann-Gottheiner, Elisabeth (Hg.): Jahrbuch des Bundes Deutscher Frauenvereine, Berlin 1918, Adressenteil S. 10.
- 17 Mitteilungen, in: Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine, 12 Jg., 1910, H. 1, S. 1-2 und H. 14, S. 105-107, S. 106.
- 18 LAB B Rep. 235-01 Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) MF-Nr. 2126, 2150, 2514.
- 19 Cordes, Oda: Marie Munk (1885-1978) Leben und Werk, Köln/Weimar/Wien, S. 139-156.
- 20 Klumker, Christian Jasper: Artikel 121. Stellung der unehelichen Kinder, in: Hans Carl Nipperdey (Hg.): Die Grundrechte und Grundpflichten der Reichsverfassung: Zweiter Band Artikel 118-142, Berlin 1930, S. 111-112.
- 21 Schubert, Werner: Die Projekte der Weimarer Republik zur Reform des Nichtehelichen-, des Adoptions- und des Ehescheidungsrechts, Paderborn/München/Wien/Zürich 1986, S. 29-81, S. 99-454.
- 22 Justizministerialblatt 1919, S. 288.
- 23 Schriftführeramt der Ständigen Deputation (Hg.), Verhandlungen des 33. Deutschen Juristentages (Heidelberg), Gutachten, S. 339-344; Cordes: Munk, S. 182-189.
- 24 Schubert: Projekte, S. 92-97; Cordes: Munk, S. 164-172.
- 25 Munk, Marie: Vorschläge zur Umgestaltung des Rechts der Ehescheidung und der elterlichen Gewalt nebst Gesetzentwurf, Denkschrift des Bundes deutscher Frauenvereine, Berlin 1923.
- 26 Ebenda: S. 9-10, 22-29, 41-47.
- 27 Schubert: Projekte, S. 82-92.
- 28 Cordes: Munk, S. 230-234.
- 29 Reichsgesetzblatt 1922, Teil I, Nr. 51, S. 573-574.
- 30 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, Nr. 1, Maschinenschriftliches Manuskript der Autobiographie Marie Munk’s, Teil 1, MF-Nr. 3505-3509, S. 204.
- 31 Marie Munk Papers: Box 1 Folder 12.
- 32 LAB B Rep. 235-12 NL Marie Munk, Nr. 1, Maschinenschriftliches Manuskript der Autobiographie Marie Munk’s, Teil 1, MF-Nr. 3505-3509, S. 216-217.
- 33 Bundesarchiv R 3001 Reichsjustizministerium, Personalakte Akten-Nr. 19257, Bl. 58-60.
- 34 Marie Munk Papers: Box 1 Folder 12.
- 35 .Cordes: Munk, S. 330-635, 671-701.