Malwida von Meysenbug Geboren 28. Oktober 1816 in Kassel Gestorben 26. April 1903 in Rom

Über Malwida von Meysenbug

Die Autorin der Memoiren einer Idealistin war geprägt von den bürgerlich-demokratischen Einheits- und Unabhängigkeitsbestrebungen der Revolution von 1848. Ihr Wirken galt der Freiheit und Selbstbestimmung des Individuums; sie setzte sich für Bildung und ökonomische Unabhängigkeit von Frauen ein.

Familiärer Hintergrund

Malwida von Meysenbug wurde am 28. Oktober 1816 als Amalie Malwida Wilhelmina Tamina Rivalier geboren, als Zweitjüngste von zehn Kindern. Ihr Vater, Carl Philipp Rivalier, war Minister am Kurfürstlichen Hof in Kassel. 1825 wurde er mit dem Namen von Meysenbug in den Adelsstand erhoben. Die Mutter Ernestine, geborene Hansel, stammte aus gutbürgerlichen Verhältnissen, war kulturell gebildet und betrieb einen Salon. Die Kinder wurden von Hauslehrer*innen unterrichtet, vor allem in Literatur und Sprachen. Malwida lernte früh Französisch, Italienisch, Englisch, Latein und Griechisch, hier liegen die Grundlagen für ihre spätere kosmopolitische Ausrichtung und ihre Tätigkeit als Übersetzerin. 

Nach der Juli-Revolution 1830 musste im Gefolge des Kurfürsten auch dessen engster Vertrauter Carl Philipp von Meysenbug mit seiner Familie fliehen, zunächst nach Frankfurt. 1832, nach dem Tod des Vaters, ließ Ernestine von Meysenbug sich mit ihren beiden jüngsten Töchtern in Detmold nieder. Hier bekam Malwida Zugang zu Kreisen des Vormärz und entwickelte die demokratische Gesinnung, die ihr weiteres Leben prägte.

Die Demokratin

Im Haushalt des Pfarrers Althaus wurden Malwida und ihre Schwester Laura auf die Konfirmation vorbereitet, hier lernte sie den Sohn des Hauses, Theodor Althaus, kennen. Der Theologiestudent setzte sich mit dem rheinischen Liberalismus und dem französischen Frühsozialismus als Gegensätze zum orthodoxen Christentum auseinander. Mit ihm verband Malwida bald eine geistige Gemeinschaft, in der sie philosophische, religiöse und gesellschaftspolitische Fragen diskutieren konnte, die sie schon länger beschäftigt hatten. Fast schien es, als ob Liebe und Ehe daraus entstehen könnten. Dazu kam es nicht, aber Malwida war nachhaltig demokratisch infiziert. Als vom 31. März bis 4. April 1848 in Frankfurt das Vorparlament zur Vorbereitung der Nationalversammlung tagte, gelang es ihr, diese Versammlung, zu der keine Frauen zugelassen waren, mit einer Freundin hinter einem Vorhang versteckt zu beobachten.1

Brief an Dr. Hassenstein, der Theodor Althaus in Gotha behandelt hat, 1851
ST-36 ; 1-3/17
Brief an Pauline Hassenstein, 1852
ST-36 ; 1-3/1

Der Begriff Idealismus, unter den Malwida von Meysenbug und ihr Umfeld ihre demokratischen Überzeugungen fassten, stand damals für den Wandel der absolutistischen Monarchie in eine demokratische Staatsform, für die Abkehr von Kleinstaaterei und gesellschaftspolitischer Engstirnigkeit und den Einsatz für eine gemeinsame deutsche Nation, die von Pazifismus, Internationalität, Emanzipationsideen, Erziehungsidealen und Freiheitsansprüchen geprägt sein sollte.2  Malwida hatte dabei zunächst auch praktische soziale Arbeit im Sinn, „die Teilnahme durch den Gedanken und die Tat am Fortschritt der Menschheit“.3  So gründete sie mit Freundinnen zusammen den Verein der Arbeit für Arme4 , später in London ging sie in Armenviertel, „um die sozialen Verhältnisse […] näher in Augenschein zu nehmen“.5  Doch spätestens 1860 erfolgte die „Abwendung von politischen Kreisen, die Hinwendung zur Kunst“6 , sie baute nun auf die „humanisierende Wirkung der Kunst“.7

In den Detmolder Jahren führte ihre Suche nach einem unabhängigen Lebensweg zunehmend zu Konflikten mit der Mutter, die sie gern als Stiftsfräulein gesehen hätte. Der Besuch der Hochschule für das weibliche Geschlecht, 1850 in Hamburg eröffnet, wurde zum Kompromiss zwischen den Freiheitsbestrebungen der Tochter und dem Sicherheitsdenken der Mutter.

Die Hamburger Hochschule für das weibliche Geschlecht

Die Hamburger Frauenhochschule hatte ihre Wurzeln in einer „Trias aus Frauenemanzipation, religiöser Reform und demokratisch-oppositioneller Bewegung“.8  Sie war ein früher privater Versuch, Frauenbildung über die Höhere Töchterschule hinaus zu realisieren, eine Art Vorläufermodell der späteren Lehrerinnenseminare beziehungsweise Sozialen Frauenschulen. Unterrichtsfächer waren „Deutsch, Englisch, Französisch, Geschichte und Geographie, Zeichnen, Botanik, Raumlehre, Physik und nicht zuletzt Erziehungslehre“9 ; für die praktische Ausbildung war der Schule ein Fröbelscher Kindergarten angeschlossen. Bei den ‚Pensionärinnen‘ genannten Schülerinnen handelte es sich um erwachsene Frauen, Malwida von Meysenbug war 32 Jahre alt, als sie im Mai 1850 dort ihre Ausbildung begann. Doch der Schule war in den reaktionären Zeiten nach der 1848er-Revolution kein langes Leben beschieden. Bereits im April 1852 wurde sie von den Behörden aufgelöst, ihre Aktivist*innen hatten politische Verfolgung zu gewärtigen. Malwida von Meysenbug flüchtete nach England.

Doch die Lern- und Lebensgemeinschaft der Schule hatte sie nachhaltig beeindruckt. Die Suche nach geistigen Gemeinschaften begleitete sie ihr Leben lang, viele Jahre später entwickelte sie gemeinsam mit den Philosophen Friedrich Nietzsche und Paul Ree die Idee eines „Klosters für freie Geister“10 , die sich jedoch nicht realisieren ließ.

Im Exil 

Als Malwida von Meysenbug in London eintraf, waren Johanna und Gottfried Kinkel, die am badisch-pfälzischen Aufstand beteiligt gewesen waren und mit denen sie seit Längerem korrespondierte, ihre erste Anlaufstelle. London war Fluchtpunkt vieler Deutscher, alle mussten sich irgendwie durchschlagen. Malwida von Meysenbug gelang das mit Deutschunterricht, der in höheren Kreisen gerade en vogue war, weil Queen Viktoria den Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha geheiratet hatte. Sie fand Unterstützung durch mehrmonatige Landaufenthalte bei vermögenden Freundinnen – Möglichkeiten, die sich durch die Kontakte ihrer gutbürgerlichen Herkunft ergaben. Doch zweifellos war ihr die ökonomische Unabhängigkeit ein existenzielles Anliegen. Ihren Lebensunterhalt verdiente sie mit Unterrichten, journalistischem und literarischem Schreiben und pädagogischen Tätigkeiten. 

Die Wahlfamilie

In London lernte Malwida von Meysenbug Alexander Herzen, einen wohlhabenden russischen Schriftsteller und Revolutionär, kennen. Nachdem sie zuvor abgelehnt hatte, als Gouvernante zu arbeiten, übernahm sie die Erziehung von Herzens Töchtern Olga und Natalie. Ausschlaggebend für diese Entscheidung war wohl, dass sie sich hier weniger als Gouvernante, sondern als Gestalterin einer Wahlfamilie sah. Das Experiment ging etwa drei Jahre lang gut, dann wurde es mit größerer Distanz weitergeführt, man verbrachte nicht mehr den Alltag, wohl aber etwa noch lange Sommerferien miteinander. Olga blieb Malwidas Wahltochter. Die Beziehung währte ein Leben lang; Olga und ihre Töchter begleiteten Malwida von Meysenbug auch in ihren letzten Lebensjahren in Rom. 
 

Die Kosmopolitin

Mit dem Ende des Lebens in der Wahlfamilie 1856 begannen Malwidas Wanderjahre. Sie lebte in London, Paris und Bayreuth, ab 1866 in Italien, zunächst in Florenz, schließlich in Rom. 

Malwida von Meysenbug hatte eine große Begabung für Sprachen, viele hatte sie schon als junges Mädchen gelernt, einige in der Hamburger Frauenhochschule vertieft. In London lernte sie, angeregt durch Alexander Herzen, Russisch, und als sie sich für Rom als Lebensort entschied, auch Italienisch. Sie pflegte Freundschaften, Kontakt und Austausch mit vielen Größen ihrer Zeit, dazu gehörten neben Kinkels und Herzen der italienische Freiheitskämpfer Guiseppe Mazzini, Richard und Cosima Wagner, Friedrich Nietzsche, Lou Andreas-Salomé, die Schweizer Frauenrechtlerin Meta von Salis und der Pazifist Romain Rolland.

Brief von Malwida von Meysenbug an eine Freundin, 15.8.1876
SP-69 ; 1
Briefkarte von Malwida von Meysenbug an Amalie Wertheim, 2.1.1891
ST-36 ; 1-3/13
Briefkarte von Malwida von Meysenbug an Signora Wertheim, 20.4.1889
ST-36 ; 1-3/5

Die Schreibende: Briefe, Bücher, Übersetzungen

Im Herbst 1850 war im Mainzer Tageblatt Malwida von Meysenbugs erster Artikel erschienen.11  Da es immer auch ums Geldverdienen ging, nutzte sie ihre Sprachkenntnisse für Übersetzungen: aus dem Russischen ins Englische und Deutsche, aus dem Französischen ins Englische, aus dem Italienischen ins Deutsche.12

So überrascht es kaum, dass sie das Werk, mit dem sie berühmt werden sollte, die Mémoires d’une idealiste (entre deux révolutions, 1830-1848) zuerst 1867 in Genf auf Französisch veröffentlichte. Erst neun Jahre später, 1876, erschien es in deutscher Sprache, um zwei Bände mit der Autobiografie nach 1848 erweitert. 

Die Memoiren einer Idealistin wurden ein Bestseller und erlebten zahlreiche Neuauflagen, die bisher letzte 1994. Malwida von Meysenbug veröffentlichte weitere biografische Bücher, Portraits von Persönlichkeiten ihrer Zeit, aber auch Romane und immer wieder Artikel in Zeitschriften. 1901 wurde sie als erste Frau für den Literaturnobelpreis nominiert.

Sie war zudem eine exzessive Briefeschreiberin. In den Briefregesten des Nordrhein-Westfälischen Staatsarchiv Detmold13  wurden im Jahr 2000 bereits 4000 Briefe aufgeführt14 , inzwischen sind weitere aufgetaucht, darunter 27 Briefe im Archiv der deutschen Frauenbewegung.

Vorbild für nachfolgende Generationen?

Als die Frauenbewegung in Deutschland zum Ende des 19. Jahrhunderts Fahrt aufnahm, war Malwida von Meysenbug eine alte Frau. Sie war an deren Kämpfen und Forderungen nicht aktiv beteiligt, wurde aber gewürdigt als eine, die früh für demokratische Rechte, Mädchen- und Frauenbildung und ökonomische Unabhängigkeit eingetreten war.15  In der politischen Bewertung ist Malwida von Meysenbug bis heute umstritten, sie wird sowohl als Kämpferin und Rebellin gesehen als auch als letztlich doch unpolitische bürgerliche Tochter. Wahrgenommen wurde sie allerdings in Deutschland immer: In der bürgerlichen Frauenbewegung vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die 1930er-Jahre zustimmend, im Nationalsozialismus wurde sie als zu demokratisch abgelehnt, in der DDR als Demokratin gewürdigt16 , in der Neuen Frauenbewegung als Vorkämpferin wiederentdeckt.17

Stand: 20. Februar 2023
Verfasst von
Cornelia Wenzel

Wissenschaftliche Dokumentarin, freie Mitarbeiterin des Archivs der deutschen Frauenbewegung in Kassel; Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der Frauenbewegung, Überlieferung sozialer und politischer Bewegungen in Freien Archiven.

Empfohlene Zitierweise
Cornelia Wenzel (2023): Malwida von Meysenbug, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/malwida-von-meysenbug
Zuletzt besucht am: 06.05.2024

Netzwerk von Malwida von Meysenbug

Zitate von Malwida von Meysenbug

Biografie von Malwida von Meysenbug

28. Oktober 1816

Geburt in Kassel

März 1848

Heimliche Teilnahme am Frankfurter Vorparlament

Mai 1850 - April 1852

Besuch der Hochschule für das weibliche Geschlecht in Hamburg

Mai 1852

Polizeiliche Verfolgung, Hausdurchsuchung, Emigration nach England

ab Anfang der 1860er Jahre

Immer wieder längere Aufenthalte in Italien, Mitte der 1870er Jahre endgültige Übersiedelung

1869

Anonyme Publikation der ‚Mémoires d’une idéaliste‘ in Genf

1876

Anonyme Publikation der ‚Memoiren einer Idealistin‘ in Deutschland

26. April 1903

Tod in Rom

Fußnoten

  • 1Vgl. Meysenbug, Malwida von: Memoiren einer Idealistin, Band 1, Berlin/Leipzig 1905, S. 229‒232.
  • 2Vgl. dazu Hering, Sabine: Malwida von Meysenbug. Welch ein Leben! – Welch ein Werk?, in: Jahrbuch der Malwida von Meysenbug-Gesellschaft 1994, Kassel 1994, S. 127‒131.
  • 3Meysenbug, Malwida von: Memoiren einer Idealistin, Band 1, Stuttgart et al. 1922, S. 103, hier zitiert nach Möhrmann, Renate (Hg.): Frauenemanzipation im deutschen Vormärz, Stuttgart 1980, S. 244.
  • 4Tegtmeier-Breit, Annegret: Lebensweg und Lebenswelt Malwida von Meysenbugs, in: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold (Hg.): Die Korrespondenzen der Malwida von Meysenbug – Briefregesten, Band 1, 1827‒1873, Detmold 2000, S. 21.
  • 5Ebenda, S. 55.
  • 6Ebenda, S. 66.
  • 7Möhrmann, Renate: Frauenemanzipation, S. 247.
  • 8Paletschek, Sylvia: Frauen und Dissens. Frauen im Deutschkatholizismus und in den freien Gemeinden 1841-1852, Göttingen 1990, S. 222 f; vgl. zur Hamburger Frauenhochschule außerdem: Kirsch, Regina: Malwida von Meysenbug und die Hochschule für das weibliche Geschlecht in Hamburg, in: Wilde-Stockmeyer, Marlis / Röver, Alfred (Hg.): Malwida von Meysenbug – Den eigenen Weg gehen, Kassel 2019, S. 83–116.
  • 9Tegtmeier-Breit: Lebensweg, Band 1, S. 33.
  • 10Zit. nach: Dies.: Lebensweg und Lebenswelt Malwida von Meysenbugs, in: Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold (Hg.): Die Korrespondenzen der Malwida von Meysenbug – Briefregesten, Band 2, 1874-1893, Detmold 2000, S. 11.
  • 11Malwida von Meysenbug: Ein Frauenschwur, in: Mainzer Tageblatt vom 22. September 1850.
  • 12Vgl. dazu die Aufstellung von Karl-Heinz Nickel in: Malwida von Meysenbug-Gesellschaft (Hg.): Malwida von Meysenbug. Ein Wegweiser zu ihrem Leben und Werk, Kassel o.J. [1995], S. 66 f.
  • 13Nordrhein-Westfälisches Staatsarchiv Detmold (Hg.): Die Korrespondenzen der Malwida von Meysenbug, Band 1: Briefregesten 1827-1873, Band 2: Briefregesten 1874-1893, Band 3: Briefregesten 1894-1903, Detmold 2000/2001.
  • 14500 aus dem Nachlass-Teil in Detmold, 2000 aus dem Nachlass-Teil im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar, letzter Zugriff am 30.10.20, und 1500 aus anderen Archiven.
  • 15Vgl. dazu: Würdigungen Malwida von Meysenbugs aus den Jahren 1903 und 1916, in: Jahrbuch der Malwida von Meysenbug-Gesellschaft 1988, Kassel o.J., S. 8‒13.
  • 16Kleine Enzyklopädie Die Frau, Leipzig 1969, S. 756.
  • 17Weiland, Daniela: Geschichte der Frauenemanzipation in Deutschland und Österreich, Düsseldorf 1983, S. 172 f; Hervé, Florence / Nödinger, Ingeborg: Lexikon der Rebellinnen, Dortmund 1996, S. 173 f.

Ausgewählte Publikationen