… weil „wir etwas tun müssen“ – Das Lila Band als Beispiel für frauenspezifische Presseerzeugnisse aus dem Selbstverlag in der DDR

verfasst von
  • Lisa Städtler
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In den zwischen 1987 und 1989 erschienenen sechs Ausgaben des Lila Band, einer Textsammlung aus dem Selbstverlag, entfalten sich in einer bemerkenswerten inhaltlichen und formalen Vielfalt Beiträge, in denen die gesellschaftliche Situation von Frauen in der DDR – insbesondere im Raum der evangelischen Kirche – mutig thematisiert und kritisch bewertet wird.

„Wir können unmöglich alle Erwartungen befriedigen. Deshalb an dieser Stelle noch einmal für alle Kritiker/innen und Interessenten/innen der Versuch einer Definition: ‚Lila Band‘ ist von und für Frauen an der berühmten Basis geschrieben. Wir erheben nicht den Anspruch auf Perfektion. Wir wollen Betroffenheit mitteilen, sowie Kontakte zwischen Frauen und Frauengruppen bewahren helfen oder herstellen. Wir wollen allen Leserinnen und Lesern Lust machen, selbst etwas zu schreiben und es dann, wenn möglich, auch hier veröffentlichen.“1

So definierte der Redaktionskreis in der vierten Ausgabe das Anliegen, das mit der Herausgabe des Lila Band verfolgt wurde. Das Lila Band war eine Textsammlung mit frauenspezifischer Ausrichtung, die im Selbstverlag in Dresden gedruckt wurde. Zwischen 1987 und 1989 erschienen halbjährlich insgesamt sechs Ausgaben der im DIN-A5-Format hektografierten Blattsammlung.2 Das Lila Band wurde mit dem Zusatz nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch publiziert, was jedoch nicht bedeutete, dass die Zeitschrift nur im innerkirchlichen Raum zirkulierte. Vielmehr barg dieser Zusatz die Möglichkeit, die staatliche Genehmigungspflicht für Druckerzeugnisse in der DDR und somit die Zensur zu umgehen.3

Der Wunsch, Gedanken festzuhalten

Die Idee zum Lila Band entstand im Spätsommer 1986 während eines Seminars zum Thema ‚Frauenbilder in Bibel und Kirche‘, das von der Landesstelle der Jungen Gemeinde, dem Jugendarbeitszweig der evangelischen Kirchen in der DDR, in Dresden veranstaltet wurde.4  Friederike von Kirchbach (ehemals: Woldt), die zwischen 1986 und 1992 Landesjugendwartin der sächsischen Landesstelle Junge Gemeinde war, schrieb in der Einleitung zum ersten Lila Band: „Am Ende unseres Seminars ‚Frauenbilder in Bibel und Kirche‘ warn [sic!] wir uns sicher, daß wir etwas tun müssen. Diesmal wollten wir nicht auseinanderlaufen, mit ein paar neuen Gedanken, die unweigerlich versanden, wenn wir wieder zu Hause und alleine sind. Die Idee dieser Textsammlung lag nahe.“5 Das Lila Band wurde folglich von Beginn an als offenes und vernetzendes Medium konzipiert. Von Kirchbach schrieb: „Daß wir Vielfalt nicht scheuen, zeigt schon diese erste Nummer. Das nächste Mal wollen wir ‚lila Band‘ nach Anfragen und Bedürfnissen verteilen! Also meldet euch bei der Landesstelle, wenn es euch interessiert.“6

Formal vielfältig und leicht verständlich

Ab der ersten Ausgabe finden sich im Lila Band unterschiedliche Textsorten. Gedichte waren ebenso Teil der Zeitschrift wie Berichte von feministischen Seminaren, Werkstätten und Ausstellungen sowie Artikel zum Umgang mit gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen, zu Projekten von Frauen (in dezentralen Kirchengemeinden) und zu frauengerechter Sprache. Später kam die Beschäftigung mit weiblicher Homosexualität hinzu.7 Außerdem wurden in persönlichen und teilweise sehr intimen Berichten unter anderem Themen wie das Verhältnis zur eigenen Mutter (in der dritten Ausgabe) oder die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (im zweiten Heft) behandelt. Eine Rubrik für Termine, Veranstaltungstipps, Leseempfehlungen und andere Informationen, die sich auf (kirchliche) Frauenarbeit bezogen, war durchgängig Bestandteil des Lila Band, meistens auf den letzten Seiten der Textsammlung platziert. Oft wurden einzelne Texte durch Zeichnungen ergänzt. Die Sprache war klar und für jede*n verständlich. Das Lila Band lässt sich diesbezüglich abgrenzen von feministischen Veröffentlichungen aus dem Selbstverlag mit eher wissenschaftlich-theologischem Anspruch wie beispielsweise Das Netz, das vom Arbeitskreis Feministische Theologie herausgegeben wurde.8

Das Lila Band wurde in einer Auflage von etwa 600 Exemplaren pro Ausgabe auf Wachsmatrizen hergestellt.9 Die Textsammlung wurde mehrheitlich von den Angehörigen des Redaktionskreises verteilt und verschickt. Es kann jedoch von einer wesentlich höheren Leser*innenschaft ausgegangen werden, als die Auflagenhöhe vermuten lässt, da die Textsammlung unter den Empfänger*innen (wie Druckerzeugnisse in der DDR überhaupt) weitergegeben wurde.10 Die Seitenzahl steigerte sich von Ausgabe zu Ausgabe kontinuierlich. Während die erste Auflage des Lila Band auf elf Seiten Platz fand, zählte das sechste und letzte Lila Band mit 23 mehr als doppelt so viele Seiten.

Verbindungen – zu Frauenseminaren und zwischen Freundinnen

Inhaltlich lässt sich eine Verbindung zwischen den Themen der Frauenseminare in Wilkau-Haßlau, die von der Landesstelle Junge Gemeinde in Dresden organisiert wurden, und den Schwerpunktsetzungen im Lila Band herstellen. Die Themen der Frauenseminare der Jahre 1987, 1988 und 1989 – Frauensprache, Mütter (Frauenbilder in Bibel und Kirche) und Frauenversuch(ung)en – finden sich auch im Lila Band wieder.11 Im sechsten Heft erschien ein vierseitiger Bericht über das Frauenseminar mit dem Motto Versuchungen, der – gemessen an der Gesamtseitenzahl – in der letzten Textsammlung den meisten Raum einnahm.12

Auch eine Kontinuität der Autor*innenschaft lässt sich feststellen, da durch die Zeichnung der meisten Artikel mit Klarnamen oder Kürzeln nachvollziehbar ist, welche Person welchen Text, welches Gedicht oder Ähnliches verfasst hat. Friederike von Kirchbach schrieb sämtliche Einleitungsartikel, teilweise mit einer Ko-Autorin. Susi F. trug in vier von sechs Ausgaben jeweils einen Artikel bei, was bei einer durchschnittlichen Gesamtseitenzahl von 17 Seiten und acht Autoren und Autorinnen pro Heft durchaus erwähnenswert ist. Gerlinde M. ist in mindestens drei von sechs Ausgaben als Autorin eines Artikels verzeichnet. Es kann davon ausgegangen werden, dass eine relativ feste Arbeitsgruppe um das Lila Band herum existierte, die die Textsammlung auch inhaltlich maßgeblich prägte. Dieses Phänomen ist typisch für die Struktur von nichtstaatlichen Frauengruppen in der DDR, die oftmals bereits lange vor dem konkreten Sichtbar- oder auch publizistischen Aktivwerden als private Freund*innen-Kreise bestanden und aus denen heraus sich schließlich ein gemeinsames Engagement entwickelte.13

Frauen in der kirchlichen Opposition

Das Lila Band ist – im Unterschied zu selbstverlegten Publikationen, die mit dem Zusatz nur für den innerkirchlichen Dienstgebrauch lediglich die staatliche Zensur zu umgehen versuchten – nicht nur pro forma im Rahmen der evangelischen Kirche zu verorten. Zum einen entstand die Idee zum Lila Band während eines Frauenseminars der Landesstelle Junge Gemeinde und wurde darüber hinaus von der Theologin Friederike von Kirchbach maßgeblich verantwortet und geprägt. Zum anderen gewährte das Lila Band stetig konkrete Einblicke in die Schwierigkeiten, frauenspezifische Angebote im Raum der evangelischen Kirche zu etablieren. Bereits in der zweiten Ausgabe waren die Erfahrungen einer Zwickauer Frauengruppe Thema, die den Versuch unternommen hatte, eine Ausstellung über Frauen vorzubereiten und zu eröffnen. Neben verbalen Widerständen habe man sich auch mit gewalttätigen Eingriffen konfrontiert gesehen, die sich offensichtlich auf die Ausstellungsinhalte bezogen: „Am Tage nach der Eröffnung der Ausstellung drang jemand gewaltsam in den verschlossenen Auss[t]ellungsraum ein und zerstörte auf primitive Art und Weise drei Tafeln.“14 Ähnliche Berichte sind im vierten Lila Band nachzulesen. Sie bezogen sich auf die konflikthafte Eröffnung eines Frauencafés im Rahmen der Gemeindearbeit sowie auf die schwierige Vorbereitung eines Frauenkirchentagstreffens während des Sächsischen Kirchentages im Juni 1989. Es kann mit Samirah Kenawi davon gesprochen werden, dass die evangelische Kirche in der DDR nicht als von patriarchalen Verhältnissen und geschlechterspezifischen Hierarchien freier Raum gedacht werden kann.15 Eine genaue Betrachtung des Lila Band lässt somit eine differenzierte Wahrnehmung des sozialen Raumes der evangelischen Kirchen in der DDR zu, der zwar offenere Formen von Kommunikationen, Interaktion und Publikation möglich gemacht habe, aber immer auch abhängig von den konkret handelnden Personen gewesen sei.16 Kenawis These folgend kann das Lila Band formal und inhaltlich als eine Reaktion auf die Kirche bzw. das kirchliche Umfeld als einen Raum eingeschränkter Kommunikation verstanden werden. Mit der Textsammlung wurde ein Ort für (frauenspezifische) Themen geschaffen, die in dieser Form weder im öffentlichen noch im teil-öffentlichen Raum der evangelischen Kirche angesprochen werden konnten.

Veröffentlicht: 18. Juli 2018
Verfasst von
Lisa Städtler

steht kurz vor dem Abschluss ihres Masterstudiums der Kultur(en)geschichte an der Universität Bremen. Das Lila Band hält sie für einen spannenden Ansatzpunkt, die Interdependenzen, gegenseitigen Beeinflussungen und Bezugnahmen der unterschiedlichen staatlich unabhängigen Frauengruppen in der DDR zu untersuchen.

Empfohlene Zitierweise
Lisa Städtler (2024): … weil „wir etwas tun müssen“ – Das Lila Band als Beispiel für frauenspezifische Presseerzeugnisse aus dem Selbstverlag in der DDR, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/weil-wir-etwas-tun-muessen-das-lila-band-als-beispiel-fuer-frauenspezifische
Zuletzt besucht am: 10.10.2024

Fußnoten

  1. 1 Robert-Havemann-Gesellschaft e.V. (im Folgenden: RHG), RHG-GZ-ZE-5-304, Bl.1, S. 2.
  2. 2 Röckemann, Antje: ‚Lila Band‘ in der DDR (1987-1989), in: Matthiae, Gisela et al. (Hg.): Feministische Theologie. Initiativen, Kirchen, Universitäten –  eine Erfolgsgeschichte, Gütersloh 2008, S. 88–90, hier S. 89.
  3. 3 Knabe, Hubertus: ‚Samisdat‘. Gegenöffentlichkeit in den 80er Jahren, in: Kuhrt, Eberhard et al. (Hg.): Opposition in der DDR von den 70er Jahren bis zum Zusammenbruch der SED-Herrschaft, Opladen 1999, S. 299–330, hier S. 302.
  4. 4 Röckemann: ‚Lila Band‘ in der DDR, S. 88.
  5. 5 RHG, RHG-ZE-5-302, Bl. 2, S. 3.
  6. 6 Ebenda.
  7. 7 Röckemann: ‚Lila Band‘ in der DDR, S. 89.
  8. 8 Pampel, Christine: Über die Schwierigkeiten, Gleichgesinnte zu finden. Feministisch-liturgische Texte in der Öffentlichkeit der ehemaligen DDR, in: Jost, Renate / Schweiger, Ulrike (Hg.): Feministische Impulse für den Gottesdienst, Stuttgart u.a. 1996, S. 75–80, hier S. 78 f.
  9. 9 Röckemann, Antje: Das ‚Lila Band‘ in der DDR, S. 32, in: Schlangenbrut, Jg. 27, 2009, S. 32.
  10. 10 Woldt, Friederike: Ich steige auf die Kanzel. Anmerkungen zur Spiritualität von Frauen aus der ehemaligen DDR, in: Jost, Renate / Schweiger, Ulrike (Hg.): Feministische Impulse für den Gottesdienst, Stuttgart u.a. 1996, S. 81–85, hier S. 82.
  11. 11 Kenawi, Samirah: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine Dokumentation, Berlin 1995, S. 45
  12. 12 RHG, RHG-GZ-ZE-5-306, S. 16–19.
  13. 13 Miethe, Ingrid: Frauen in der DDR-Opposition. Lebens- und kollektivgeschichtliche Verläufe in einer Frauenfriedensgruppe, Opladen 1999, S. 85; Kenawi: Frauengruppen in der DDR, S. 22.
  14. 14 RHG, RHG-GZ-ZE-5-303, S. 11.
  15. 15 Kenawi: Frauengruppen in der DDR, S. 16 ff.
  16. 16 Ebenda.

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