War alles nur Schönfärberei? DDR-Frauenzeitschriften und ihr Rückblick auf die DDR-Frauenpolitik nach 1989

verfasst von
  • Sabrina Zachanassian
  • Ariane Lösch
veröffentlicht 11. November 2021
Mit dem Umbruch 1989/90 eröffneten sich für Journalist*innen zensurfreie Publikationsmöglichkeiten, die einen kritischen Rückblick auf die DDR und ihre Frauenpolitik begünstigten. Wie beurteilten die Zeitschriften Lernen und Handeln, Für dich, Sibylle und Zaunreiterin diese Themen?

Der gesellschaftliche Umbruch von 1989/90 war sicher für viele Medienschaffende in der DDR ein harter Schlag. Die Pressevertreter*innen hatten jahrzehntelang die Staatspolitik weitestgehend unkritisch begleitet. Nun sahen sie sich plötzlich mit einer Kritik an ihrer Arbeit und neuen Perspektiven auf die DDR-Politik konfrontiert, mit der die DDR-Frauenzeitschriften Lernen und Handeln, Für Dich, Sibylle und die Zaunreiterin unterschiedlich umgingen. Änderte sich mit dem Ende staatlicher Zensur ihre wohlwollende Sicht auf die DDR-Frauenpolitik und den DDR-Staat?

„Wir bekennen uns zu unseren Fehlern.“ – Die Auseinandersetzung der Für Dich mit ihrer Vergangenheit

Bemerkenswert an der politischen Wochenzeitschrift Für Dich der Jahre 1989/90 ist die radikale Kehrtwende innerhalb kürzester Zeit in Bezug auf die Einschätzung der DDR-Frauenpolitik und ihre eigene ideologische Funktion. Schnell bekannte sich die Redaktion zu ihren Fehlern.1 Sie räumte ein, dass die Tabus der Politik auch ihre eigenen waren. Sogar von „Falschinformationen“ und bewusster „Schönfärberei“ ist die Rede.2

Eine Wende hat begonnen, Für Dich 1989.
Wie weiter mit der Für Dich?

Werden Anfang 1989 noch die gesellschaftlichen Verhältnisse als gleichberechtigt verklärt, nimmt im Verlauf des Jahres die Kritik an der Diskriminierung von Frauen in Gesellschaft und Beruf stetig zu , bis Anfang November 1989 sogar das eigene Titelbild einer Ausgabe wenige Wochen zuvor als „Klischee“ bezeichnet wird. Darauf zu sehen sind Frauen, die Bikinimode präsentieren: „Frauen sind [jedoch] weder Dekoration noch die ‚Stütze der Gesellschaft‘“3 , hieß es nun selbstkritisch.

Leser*innendiskussion: Sie und Er heute, Für Dich 40 (1989)
Eie Wende hat begonnen, Für Dich 1989.

Im Herbst 1989 wird in der Für Dich die DDR-Frauenpolitik erstmals als ‚Mutti-Politik‘ kritisiert, die Frausein mit Muttersein gleichsetze und die Väter aus der Zuständigkeit entließe. Das bis zuletzt ungelöste Problem der Vereinbarkeit von Familie und Beruf bliebe damit ein Frauenproblem.J4  

Ein verhängnisvoller Fehler sei die Behauptung der gelösten Frauenfrage Mitte der 1970er- gewesen: „Damit wurde beendet, was damals richtig in Gang kam, es wurde der Prozess des Streitens um die Entwicklung der Frauen eingeschläfert.“5

Die DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley hingegen schilderte in der Für Dich ganz andere Erfahrungen: „Keine von uns hat sich diskriminiert gefühlt, wenn sie alleinerziehende Mutter war. […] Wir konnten studieren […] und haben unsere Kinder großgezogen. Es war nicht immer leicht. Aber wir selbst trafen die Entscheidung, ob wir ein Kind wollten.“6
Aber auch die übrigen Autorinnen waren sich darüber im Klaren, dass, gemessen am globalen Maßstab, die DDR mit dem Gesetz zum legalen Schwangerschaftsabbruch und einer 91-prozentigen weiblichen Erwerbsquote eine der fortschrittlichsten Gesellschaften war und es mit dem Systemwandel viel zu verlieren gab.7

Eine politische Modezeitschrift? Die Sibylle und das DDR-Frauenbild

Die Sibylle berichtet über die Einführung on "Frauensonderklassen" 1967

Texte zur DDR-Frauenpolitik erschienen selten in der Sibylle. Berichte über frauenpolitische Reformen wurden, wenn überhaupt, wohlwollend formuliert.8 So überrascht es kaum, dass sich im Wendejahr 1989 kein inhaltlicher Beitrag zum gesellschaftspolitischen Geschehen in der Zeitschrift findet. Zensur und langer Produktionsvorlauf verhinderten aktuelle Artikel über das Zeitgeschehen.

Selbst als sich die Option für eine ‚Wiedervereinigung‘ andeutete, richtete die Sibylle dankende Worte an die SED hinsichtlich ihrer Gleichstellungspolitik. Nur den einen kritischen Hinweis, dass „viel mehr Frauen als bisher die Chance erhalten [müssten], in wirklich (!) führende Positionen – bis in das Politbüro – aufzusteigen“9 , nahm sie sich im letzten Heft des Jahres 1989 heraus. Damit erschöpfte sich die Kritik der Sibylle an der DDR-Frauenpolitik der letzten Jahrzehnte – in einer Zeit, in der die staatliche Zensur zu bröckeln begann und andere Zeitschriften sich bereits viel schonungsloser zur DDR-Frauenpolitik positionierten.

In der ersten Ausgabe des Jahres 1990 verkündete die Redaktion: „Es ist eine Zeit des Umbruchs und des Aufbruchs. Werte sind neu zu bestimmen, auf ihre Ehrlichkeit und Glaubhaftigkeit für die Zukunft zu untersuchen. […] Unsere Erwartungen sind groß.“10 Recht vage blieb also auch die einzige Wortmeldung der Redaktion zum gesellschaftlichen Umbruch und der Zukunft des Landes.

Im selben Heft wird immerhin die Zensur der Kunstfreiheit in der DDR in einem Interview mit Charlotte Janka11 thematisiert, die über die politische Verfolgung ihres Mannes und die Repressionen für sie und ihre Familie in der DDR sprach.

Die zurückhaltende Positionierung zum Wendegeschehen und der DDR-Politik stimmt mit dem Selbstbild der Zeitschrift überein. Die Sibylle als Zeitschrift für Mode und Kultur vermittelte ihre Vorstellungen vom Frausein in der Fotografie. Sie verstand sich als kreativer Freiraum für FotografInnen und ModeschöpferInnen, die Individualismus, Selbstbewusstsein und Mode für ihre LeserInnen kreierten – etwas, was dem DDR-Staat als zu bürgerlich missfiel. In späteren Erscheinungsjahren ließ die Redaktion durch Leser*innenbriefe noch Wünsche und Kritik rückmelden. Sibylle erschien bis 1995.

„Für eine Erneuerung des DFD“ – Reflektiert der Frauenbund seine Politik?

„Für eine Erneuerung des DFD “12 prangt auf der Titelseite der ersten Ausgabe der Lernen und Handeln im Jahr 1990, die seit 1950 als Funktionärsorgan des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) seine Mitglieder monatlich informierte.

Gab sich die Lernen und Handeln 1989 noch unbeeindruckt vom gesellschaftlichen Umbruch, zeigten die Umgestaltung von und die Beiträge in ihrer Verbandszeitschrift 1990, dass die DDR-Frauenorganisation sich erneuerte. In der ersten Ausgabe des Jahres 1990 verspricht die DFD-Vorsitzende Eva Rohmann, die Frauen seien entschlossen, „unser Land aus der Krise herauszuholen“13 . Dass die Unzufriedenheit unter den DFD-Mitgliedern über die Zustände in der DDR schon lange brodelte, offenbaren die Leser*innenbriefe in dieser Ausgabe. So werden die SED-Nähe des DFD und die mangelnde Umsetzung von Frauenbelangen kritisiert.

Cover der Zeitschrift Lernen und Handeln, 01 (1990)
Leserinnenbrief Helga A., Lernen und Handeln 01 (1990)
Leserinnenbrief Monika L., Lernen und Handeln 01 (1990)

Im März 1990 erschien dann die erste Ausgabe der FI - Fraueninitiative ´90 die Zeitung des DFD mit der Überschrift „Frauenfeuer statt Frauenfeier “14 . Im Format einer schmalen Tageszeitung blickte die Frauenorganisation nur noch in Gegenwart und Zukunft. Von nun an wurde über die eigene Beteiligung an den gesellschaftlichen Protesten berichtet. Im Fokus stand der rechtliche Rückschritt in der Gleichstellung für die Frauen durch das bundesdeutsche Recht.15 Die Ereignisse der Wendejahre und der drohende Einschnitt in Frauenautonomie schienen dringlicher als die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit.

Cover der ersten Ausgabe der FI - Fraueninitiative ´90 die Zeitung des DFD, 1990

‚Mutti-Politik‘ und Mehrfachbelastung – Die Kritik der Zaunreiterin an der DDR-Frauenpolitik

Der gesellschaftliche Umbruch ermöglichte es auch Aktivistinnen der nichtstaatlichen Frauenbewegung unzensiert ihre Kritik am DDR-Staat zu äußern und für Frauenrechte einzutreten. In Leipzig fanden sich Ende 1989 Regina Bankert, Gabi Böhm, Jutta Sarstedt, Gesa Pankonin, Uta Grundmann und Christine Rietzke zusammen und wählten das Zeitschriftenformat als Plattform ihrer frauenpolitischen Forderungen. Im April 1990 erschien mit der Leipziger Zaunreiterin die erste unabhängige Frauenzeitschrift in der DDR.
Zuvor jedoch veröffentlichten die sechs Redakteurinnen ein Manifest, in dem sie mit der Frauenpolitik in der DDR abrechneten. Von der staatlicherseits postulierten Gleichberechtigung sei wenig zu spüren gewesen, heißt es darin. Gleichstellung bedeute in der DDR nichts anderes als die Angleichung der Frauen an den Mann. Die ‚Mutti-Politik‘ hätte zur Folge, dass die Frauen im Berufssektor ‚ihren Mann‘ stehen mussten, ohne von den Pflichten im privaten Bereich entlastet zu werden. Beklagt wurde im Manifest, dass sich die Frauen darüber hinaus mit dem propagierten Ideal der sozialistischen Persönlichkeit konfrontiert sahen und sich neben den familiären und beruflichen Pflichten auch noch gesellschaftlich zu betätigen hatten.16  

Für eine ganzheitliche Politik. Politik von und für Frauen und Männer, 13.12.1989

Letzten Endes kann wohl auch Überlastung einem patriarchalen Gesellschaftssystem in die Hände spielen. Denn wer überlastet ist, hat keine Ressourcen, die eigene Lebenssituation zu durchdenken, sich zu organisieren und den Herren des DDR-Politbüros entgegenzuhalten: „dass die tatsächliche Entfaltung der Frau nicht allein durch ihre finanzielle Selbständigkeit vollzogen wird, sondern durch ein anderes Verhältnis von Frau und Mann in privater Partnerschaft und gesellschaftlichem Umgang“17 .

Neue Freiheit und der unliebsame Blick zurück

Ganz unterschiedlich nutzten die etablierten und neuen Zeitschriftenredaktionen die gewonnene Pressefreiheit. Mehr oder weniger couragiert begleiteten alle den gesellschaftlichen Umbruch 1989. Während sich die Sibylle bedeckt hielt, engagierten sich die anderen Blätter im Kampf um Schwangerschaftsabbruch, Recht auf Arbeit und Kinderbetreuung.

Den Mut, sich selbstkritisch mit dem eigenen Verhältnis zum DDR-Staat und seiner Frauenpolitik auseinanderzusetzen, bewies von den etablierten Blättern nur die Für Dich. Die Sibylle nutzte die Möglichkeiten zu freien Meinungsäußerungen hingegen kaum, um etwa ihre Ausrichtung als Mode- und Kulturzeitschrift zu verteidigen. Lernen und Handeln richtete ihren Blick ausschließlich nach vorn und vermied die Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit. Die radikalste Kritik an der DDR-Frauenpolitik hingegen bekundeten die Redakteurinnen der Zaunreiterin in ihrem Manifest.

 

Stand: 11. November 2021
Verfasst von
Sabrina Zachanassian

studierte Erziehungswissenschaften und Gender Studies und ist langjährige Projektmitarbeiterin in der Feministischen Bibliothek MONAliesA in Leipzig. Ihre Forschungsthemen umfassen unter anderem die Funktionsweise des Patriarchats sowie die Entstehung von Geschlechtsidentitäten.

Ariane Lösch

studierte Soziologie, Lehramt und Bibliotheks- und Informationswissenschaft. Projektmitarbeiterin in der Feministischen Bibliothek MONAliesA in Leipzig und an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Ihre Forschungsthemen sind die gesellschaftlichen Ursachen von Femiziden und Leseangebote und Chancengleichheit für Menschen mit kognitiven Behinderungen.

Empfohlene Zitierweise
Sabrina Zachanassian/Ariane Lösch (2021): War alles nur Schönfärberei? DDR-Frauenzeitschriften und ihr Rückblick auf die DDR-Frauenpolitik nach 1989, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/war-alles-nur-schoenfaerberei-ddr-frauenzeitschriften
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Fußnoten

  • 1Jetzschmann, Frieda: Wie weiter mit der Für Dich?, in: Für Dich 1989, Nr. 46, S. 18.
  • 2Ebenda; Dietzel, Gudrun / Voland, Käthe: Jetzt müssen wir´s anpacken, in: Für Dich, 1989, Nr. 45, S. 2 f.
  • 3Jetzschmann, Frieda / Schwarz, Gislinde: Frauen sind keine Dekoration, in: Für Dich, 1989, Nr. 48, S. 4‒7, hier S. 4 f.
  • 4etzschmann, Frieda: Wir machen Ernst, in: Für Dich, 1989, Nr. 48, S. 2.; Arnold, Jutta / Modrow, Hans: Frauen im Kommen?, in: Für Dich, 1989, Nr. 48, S. 2 f.
  • 5Grandtke, Aniata: Frauen sind keine Dekoration, in: Für Dich, 1989, Nr. 48, S. 4‒7, hier S. 6.
  • 6Bohley, Bärbel: Wir haben viel zu verlieren, in: Für Dich, 1990, Nr. 11, S. 3.
  • 7Redaktion / Zenner, Christine: Jetzt – oder nie!, in: Für Dich, 1990, Nr. 1, S. 2‒3.
  • 8Steineckert, Gisela: Chancen mit Gesetzeskraft, in: Sibylle - Zeitschrift für Mode und Kultur, 1968, H. 2, S. 025‒027.
  • 9Vorwort der Chefredakteurin, in: Sibylle - Zeitschrift für Mode und Kultur, 1989, H. 6, S. 0‒1.
  • 10Sibylle 1’90, in: Sibylle - Zeitschrift für Mode und Kultur, 1990, H. 1, S. 1.
  • 11Wedel, Adelheid: Charlotte Janka schildert: Das ist Teil meines Lebens, in: Sibylle - Zeitschrift für Mode und Kultur, 1990, H. 1, S. 50‒53.
  • 12Titelblatt, in: Lernen und Handeln, 1990, 1, S. 0.
  • 13Ebenda.
  • 14Frauenfeuer statt Frauenfeier, in: Fraueninitiative ´90, 1990, 3, S. 1.
  • 15Vgl. Fraueninitiative ´90, 1990, 3.
  • 16Vgl.: Bankert, Regina / Böhm, Gabi / Sarstedt, Jutta / Pankonin, Gesa / Grundmann, Uta/ Rietzke, Christine: Für eine ganzheitliche Politik – Politik von und für Frauen und Männer, in: Kenawi, Samirah: Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre. Eine Dokumentation, Berlin 1996, S. 241 ff.
  • 17Sell, Katrin: Frauenbilder im DEFA – Gegenwartskino. Exemplarische Untersuchungen zur filmischen Darstellung der Figur der Frau im DEFA – Film der Jahre 1949 – 1970, Marburg 2009, S. 229.

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