VivaVoce: Vom Vereinsrundbrief zur Fachzeitschrift

verfasst von
  • Anne-Marie Bernhard
  • Julian Fischer
  • Susanne Wosnitzka
  • Elisabeth Treydte
veröffentlicht
Zeitschriften, deren Fokus explizit auf Frauen im Musikbereich liegt, gibt es nur wenige. Ein konstant tönendes Beispiel ist die VivaVoce, die die Vielstimmigkeit von Musikerinnen, Komponistinnen und Dirigentinnen im sogenannten E-Musik-Bereich öffentlich machte – und zur Diskussion stellte.

Von der Info zu VivaVoce

Was in den ersten Jahren zunächst eine Art Vereinsrundbrief des Internationalen Arbeitskreises (IAK) Frau und Musik war und eher der Kommunikation unter den Mitgliedern diente, etablierte sich schnell zu einer eigenen Fachzeitschrift, die von 1983 bis 1993 unter dem schlichten Titel Info. Archivnachrichten herausgegeben wurde. Ab der 31. Ausgabe, im Jahr 1993, erschien die Zeitschrift dann unter dem Titel VivaVoce

Beispiel eines Vereinsrundbriefs aus der 3. Ausgabe der Info 1983
Titelseite der 1. Frau-und-Musik-Ausgabe 1983

Ein Blick in die ersten Ausgaben der Zeitschrift, die eher einer gehefteten Blättersammlung glich, macht besonders deutlich, wie wichtig diese gedruckten Ausgaben in Zeiten vor dem Internet waren, um Informationen möglichst schnell und breit zu verteilen. So heißt es dort in der ersten Ausgabe der Zeitschrift 1983: „Wir hoffen außerdem, daß die Informationen schneller an die ‚Frau‘ gebracht werden. Es geschieht nämlich viel: Liederabende, Konzerte, Kompositionen, Bücher, Artikel, Examensarbeiten u.a.m. werden von Mitgliedern bestritten bzw. geschrieben und oft wissen wir nichts davon.“1
Der Stil dieser ersten Ausgaben ist stark von dem Gedanken der Vernetzung und Informationsweitergabe geprägt.

„Ein wenig unbeholfen stakst sie dahin, die erste Nummer.“2

So waren diese frühen Ausgaben vergleichbar mit den (E-)Mail-Newslettern von heute. Oft finden sich detaillierte Information über Aktivitäten einzelner Vereinsmitglieder, Ankündigung von Neuheiten oder Veranstaltungen sowie Aufrufe, etwa bei der Suche nach Instrumentalistinnen für Konzerte. Die Info wurde im Umlaufverfahren von den Mitgliedern selbst zusammengestellt und verschickt. So entstand die Info pro Ausgabe jeweils im Wechsel von verschiedenen Personen: Eine ganze Gruppe von Frauen arbeitete ehrenamtlich daran, oft verteilt auf mehrere Städte, beispielsweise drei Frauen in Stuttgart, drei Frauen in München usw., um sich die Arbeit aufzuteilen. Damals alles noch in mühevoller Handarbeit, mit Schreibmaschine, Schere und Kopierer. 

Beispielseite aus der Info Nr. 5, 1985

Schrittweise Professionalisierung

Nach und nach professionalisierte sich die Herausgabe der Zeitschrift, sie erhielt einen neuen Titel (VivaVoce) sowie ein neues Layout und Anzeigenwerbungen. In den einzelnen Ausgaben erschienen Interviews mit Komponistinnen und Dirigentinnen, Artikel zu historischen und zeitgenössischen Komponistinnen, wissenschaftliche Fachbeiträge zu Forschungsthemen sowie Konzert-, Buch- und CD-Besprechungen. Außerdem bot die VivaVoce später ein Forum für alle, die sich aktiv am öffentlichen Musikleben beteiligten.

Mit dem Wandel von der Info zur VivaVoce wurde das Blatt immer mehr zu einer Fachzeitschrift, die weit über Vereinstätigkeiten hinaus wissenschaftlich fundiert über musikschaffende Frauen in Geschichte und Gegenwart berichtete: Ein fester Bestandteil waren Interviews etwa mit der Komponistin Ursula Görsch oder der Pianistin Esther Flückiger, außerdem Interviews mit Wissenschaftlerinnen, beispielsweise mit Prof. Dr. Beatrix Borchard. Thematische Beiträge in der VivaVoce widmeten sich beispielsweise dem Schaffen von Filmmusik-Komponistinnen in den 1930er-Jahren, der Biografie einzelner Komponistinnen oder sie boten eine Instrumentenkunde für Komponistinnen; darüber hinaus wurden regelmäßig Rezensionen von Neuerscheinungen aus dem Bereich Frau und Musik sowie Gender und Musik veröffentlicht. Auf diese Weise prägte die Zeitschrift den Diskurs um Frauen in der Musikgeschichte nachhaltig und trug zur erhöhten Sichtbarkeit von Frauen innerhalb der Musik bei. 

Hervorheben lassen sich außerdem besondere Ausgaben: darunter etwa 2004 die Ausgabe Nummer 69 zum 25-jährigen Jubiläum sowie 2009 die Ausgabe Nummer 85 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik e.V. (IAK), dem Träger des Archivs Frau und Musik und des gleichzeitigen Herausgebers der VivaVoce.

Ausgabe Nummer 69 zum 25-jährigen Jubiläum, 2004
Ausgabe Nummer 85 anlässlich des 30-jährigen Jubiläums des Internationalen Arbeitskreises Frau und Musik e.V. (IAK), 2009

Im Vorwort der 25-jährigen Jubiläumsausgabe blickt das Redaktionsteam zurück und schreibt: „Dass Frauen im Musikbetrieb heute ganz anders vertreten sind als noch vor 25 Jahren ist ein Vorzug aber noch längst kein Freibrief, dies muss vor allen Dingen künftigen Generationen ans Herz gelegt werden, die die Fackel weitertragen mögen.“3
Sowohl der Austausch zwischen den Generationen als auch die Weitergabe von Erfahrungen finden sich vielfach in Beiträgen der VivaVoce wieder. Beispielsweise in einem Beitrag von 2009, in dem sich Siegrid Ernst, eine der Gründerinnen des IAK, an die ersten Jahre erinnert: „In Köln traf ich zum ersten Mal auf in der Frauenbewegung erfahrene Frauen und sah betroffen im lebhaften Austausch von Berichten meine persönlichen Erfahrungen durch die anderer Musikerinnen ergänzt. Plötzlich war ich keine ‚Exotin‘ mehr, und es entstand eine mitreißende Atmosphäre des Aufbruchs. Das Zusammentragen und Hinterfragen historischer Zusammenhänge gab letztlich den Anstoß zum Vorsatz gemeinsamen Handelns. Und als der Vorschlag kam, einen Arbeitskreis ‚Frau und Musik‘ als Verein zu gründen, um über den Status einer Selbsthilfegruppe heraus zu kommen, war ich dabei. Dass daraus 15 Jahre Vorstandsarbeit werden sollten, ahnte ich allerdings nicht.“4

Andere Beiträge nahmen eher thematische Schwerpunkte des Archivs in den Blick, wie etwa im Heft 85 ein Schwerpunkt zu Opern. Im Vorwort heißt es: „Um zu verdeutlichen, dass Opern von Komponistinnen nicht nur hinter Archivtüren verschwinden, stellen wir zwei Produktionen vor, die Mut machen sollen für weitere Operninitiativen auf deutschen Bühnen.“5 In einer exemplarischen Auswahl von Opernkomponistinnen6 werden etwa Francesca Caccini (1587–1641), Lili Boulanger (1893–1918), Luise Adolpha Le Beau (1850–1927) oder Ruth Zechlin (1926-2007) kurz vorgestellt. Mit diesem Schwerpunkt berührt die VivaVoce ein wichtiges Thema, da lange Zeit nur wenigen bekannt war, dass auch Komponistinnen Werke dieser sogenannten ‚großen Gattung‘ geschrieben hatten. Die genannten Opern liegen zudem im Archiv vor, sodass zugleich einer breiten Öffentlichkeit neben dem wissenschaftlichen Desiderat auch bekannt wurde, wie man für die künstlerische Praxis Zugang zu derlei – bis dato – größtenteils unbekannten Werken erhalten kann. 

Weitere besondere Ausgaben der Zeitschrift waren die 100. Ausgabe sowie eine Sonderausgabe zum 70. Geburtstag der Komponistin Tsippi Fleischer (geb. 1946). 

Viel Ehrenamt – Wenig Geld

Die Geschichte der Zeitschrift VivaVoce ist vergleichbar mit anderen Zeitschriftenprojekten von Fraueninitiativen, -Vereinen und -Verbänden. Angefangen als kleines Informationsblatt durchlief die Zeitschrift viele Veränderungen, sowohl thematisch als auch optisch. Zudem fand ein Großteil der redaktionellen Arbeit an der Herausgabe ehrenamtlich und unter schwierigsten finanziellen Bedingungen statt. Das große Engagement für die Herausgabe der Zeitschrift zeigt sich beispielsweise an der Aktivität einzelner Autorinnen. So verfasste beispielsweise Renate Brosch über 70 thematische Artikel für die Zeitschrift und war jahrelang als engagierte Herausgeberin Mitglied in der Redaktion der Zeitschrift.

Ähnlich wie andere Zeitschriftenprojekte konnte die VivaVoce langfristig nicht ohne gesicherte Finanzierung aufrechterhalten werden und musste Ende 2015 wegen starker finanzieller Kürzungen vonseiten der Stadt Frankfurt – mit Herausgabe der 100. Ausgabe (rund 100 Seiten) – vorläufig eingestellt werden. Insgesamt erschienen von der 1. bis zur 100. Ausgabe rund 1.500 Einzelartikel.

Alte Ausgaben der VivaVoce lassen sich über das Archiv gegen einen Kostenbeitrag beziehen. Dank der Förderung des Archivs 2018 durch das Digitalisierungsprojekt Digitales Deutsches Frauenarchiv des i.d.a.-Dachverbands können nun sämtliche Ausgaben dieser, lange Zeit einzigen deutschsprachigen und europaweit einzigartigen, Fachzeitschrift zu Frauen in der Musik digitalisiert werden und je nach Rechtesituation online gestellt werden. Zudem ist in den Räumlichkeiten des Archivs für Recherchen der Vollzugriff auf alle Ausgaben digital möglich. 

Veröffentlicht: 20. August 2019
Lizenz (Text)
Verfasst von
Anne-Marie Bernhard

wissenschaftliche Projektkoordinatorin (2018/2019), Archiv Frau und Musik

Julian Fischer

Projektassistenz Archiv Frau und Musik

Susanne Wosnitzka

externe Mitarbeiterin Archiv Frau und Musik

Elisabeth Treydte

erweiterter Vorstand Archiv Frau und Musik

Empfohlene Zitierweise
Anne-Marie Bernhard/Julian Fischer/Susanne Wosnitzka/Elisabeth Treydte (2024): VivaVoce: Vom Vereinsrundbrief zur Fachzeitschrift, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/vivavoce-vom-vereinsrundbrief-zur-fachzeitschrift
Zuletzt besucht am: 05.11.2024
Lizenz: CC BY 4.0
Rechteangabe
  • Anne-Marie Bernhard
  • Julian Fischer
  • Susanne Wosnitzka
  • Elisabeth Treydte
  • Digitales Deutsches Frauenarchiv
  • CC BY 4.0

Fußnoten

  1. 1 Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik (Hg.): Frau und Musik, 1. Jg., 1983, H. 1, S. 3.
  2. 2 Internationaler Arbeitskreis Frau und Musik (Hg.): Frau und Musik, 1. Jg., 1983, H. 1, S. 3.
  3. 3 Redaktion VivaVoce, Vorwort, in: VivaVoce, Winter 2004, H. 69, S. 1.
  4. 4 Ernst, Siegrid: Aufbruch. PersönIiche Erinnerungen an die 80er Jahre, in: VivaVoce, Sonderheft, 2009, H. 85, S. 6.
  5. 5 Brosch, Renate / Matthei, Renate / Seegers, Angelika: Vorwort, in: VivaVoce, Sonderheft 2009, H. 85, S. 1.
  6. 6 Horstmann, Angelika: Opernkomponistinnen. Exemplarische Auswahl Opern komponierender Frauen der Vergangenheit und Gegenwart, in: VivaVoce, Sonderheft 2009, H. 85, S. 32–37.