
- Verein der in der DDR Geschiedenen Frauen e.V.
- CC BY-SA 4.0
Vergessen – Die in der DDR geschiedenen Frauen
Es ist ein ungewöhnlich milder Novembertag, dieser 12. November 2022. Während der Kaffee einen zarten Duft in der Küche verbreitet, laufen im Radio die Nachrichten: „Der Bund hat gestern einen Härtefallfonds für die in der DDR geschiedenen Frauen beschlossen.“ Ein Härtefallfonds? Was ist mit all den anderen Frauen? Was ist mit der Lebensleistung dieser Frauen?
Lebenslange Geldeinbußen für Frauen führen zur Altersarmut
Es ist das Jahr 1990. Beide deutsche Staaten wurden nach 40 Jahren Trennung wieder vereint. Das bedeutete auch, zwei völlig unterschiedliche Rechtssysteme in jedweder Hinsicht auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, so auch das Rentenrecht. Im Jahr 1991 wurde das Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) verabschiedet, gleichzeitig gab es eine Entschließung des Deutschen Bundestages, bis 1997 eine Rentenreform zu verabschieden, die die besonderen frauenspezifischen Elemente aus dem DDR-Rentensystem in Westrecht überführt.
Doch sehr schnell wurde klar, dass sich dieses Rentenüberleitungsgesetz besonders in Hinblick auf 17 Personen- und Berufsgruppen sehr nachteilig auswirkt. Ursprünglich sollten die Zusatz- und Sonderversorgungssysteme, in die die Betroffenen über mehrere Jahrzehnte eingezahlt haben, in der gesamtdeutschen gesetzlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden. Doch die Übergangsfrist ließ die damalige Bundesregierung unter Helmuth Kohl verstreichen. In der Konsequenz erhielten (frühere) Beschäftigte der Deutschen Reichsbahn, der Post sowie Krankenpfleger/innen, Bergleute und Balletttänzer/innen weniger Rente. Am stärksten betroffen jedoch waren die in der DDR geschiedenen Frauen.1 Sie werden monatlich lebenslang einige hundert Euro weniger in der Geldbörse haben. Viele von ihnen werden und sind von Altersarmut betroffen.
Geteiltes Rentenrecht
Während das Rentenrecht in der Bundesrepublik Deutschland 1977 dahingehend geändert wurde, „dass bei allen Ehescheidungen nach dem 30. Juni 1977 die von beiden Ehegatten während der Ehe erworbenen Versorgungsanwartschaften nach Auflösung der Ehe je zur Hälfte zwischen Mann und Frau geteilt werden“2, gilt dies für in der DDR geschiedene Frauen nicht.
Der Einigungsvertrag sah ein Rentenüberleitungsgesetz vor, das am 1. Januar 1992 in Kraft trat und bis 1996 das Recht des Versorgungsausgleichs in den neuen Bundesländern regelte. Vor diesem Zeitpunkt Geschiedene bleiben vom Versorgungsausgleich unberührt, das heißt, eine nachträgliche Teilung der Rentenanwartschaften wurde nicht vorgenommen. Damit glich sich die Ostrente an das Rentenrecht der Bundesrepublik an.3 Doch anders als im bundesdeutschen Rentenrecht wurden die Ausfallzeiten, bedingt zum Beispiel durch Kindererziehung, in der Erwerbsbiografie vor 1992 nicht berücksichtigt.
Eine solche Regelung wurde von den rund 597.000 in der DDR geschiedenen Frauen nicht widerspruchslos hingenommen. Für viele ist es eine Ungleichbehandlung und damit eine Verletzung des Grundgesetzes.
Bereits im Jahr 1991 begannen sich einige der betroffenen Frauen gegen diese Ungerechtigkeiten zu wehren. Sie wandten sich mit Petitionen und Briefen an verschiedene Landes- und Bundesministerien, bekamen aber nur abschlägige Antworten. Beispielsweise äußerte die Bundesregierung 1996 mit Blick auf ein rückwirkendes Inkrafttreten des Rechts des Versorgungsausgleiches verfassungsrechtliche Bedenken.4
Vereine werden gegründet
Die Bundesregierung beschloss 1997, dass das Westrentenrecht des Sozialgesetzbuches VI auch für die neuen Bundesländer gilt. Die offenen und nach wie vor ungeklärten berechtigten Rentenansprüche der in der DDR geschiedenen Frauen blieben jedoch weiterhin unberücksichtigt. Der am Einigungsvertrag beteiligte DDR-Verhandlungsführer Günther Krause (CDU) erklärte 1999: „Dieses Thema zählte zu den Streitpunkten der Einigungsverhandlungen. Westdeutschland hat es damals abgelehnt, von Gesetzes wegen den VA [Versorgungsausgleich, d. A.] für alle DDR-Fälle neu zu regeln. Das wäre einfach zu teuer gekommen.“5
Viele Frauen merken erst bei der Berechnung ihrer Rente, wie schlecht sie dastanden. Eine am Ende der 1990er-Jahre durchgeführte Umfrage in Leipzig kam zu folgendem Ergebnis: 70 Prozent aller geschiedenen Frauen mussten mit einem monatlichen Einkommen unter 1.300 DM auskommen. Die Armutsgrenze lag in dieser Zeit bei 1.425 DM.
Bittbriefe an den Bundestag wurden abgewiesen, die Frauen waren es leid. Die bis dato Einzelkämpferinnen begannen, sich zusammenzuschließen und gründeten am 13. März 1999 in Schwerin den Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e.V. Ziel war die Gleichstellung geschiedener Frauen in Ost und West sowie eine Musterklage für den Versorgungsausgleich der nach dem 1. Juli 1977 geschiedenen Frauen. Weitere Initiativgruppen entstanden unter anderem in Leipzig, Weimar, Rostock, Güstrow, Stralsund, Zwickau und weiteren Orten.
In Dresden gründete Gisela Schumanns am 29. September 1999 einen weiteren Verein der in der DDR geschiedenen Frauen e.V. mit 150 Mitgliedern. Dieser arbeitete bis zum 27. Oktober 2007 selbstständig. Die Frauen führten einen Musterprozess durch alle deutschen juristischen Instanzen bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – ohne Erfolg, sodass die Auflösung des Vereins beschlossen wurde.
Die Hartnäckigkeit der Frauen begann sich auszuzahlen. Im Jahr 2000 verabschiedete der Bundesrat eine Initiative für eine zeitnahe Lösung des Rentenproblems. So wurde von der Bundesregierung eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt. Drei Modelle wurden entworfen, die aber den Anforderungen an alle Beteiligten nicht gerecht werden und nur zu neuen Ungerechtigkeiten führen würden. Mit der Einführung des Grundsicherungsgesetzes 2003 fiel für die Arbeitsgruppe der Handlungsbedarf weg.
Bei so viel Aufmerksamkeit kommt der Bundesrat dennoch im Jahr 2010 nicht umhin, die Bundesregierung aufzufordern, eine befriedigende Lösung für die im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992 geschiedenen Frauen herbeizuführen.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nahm 2010 die Verfassungsbeschwerde des Vereins nicht an und auch der Gang an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg blieb erfolglos. Er lehnte 2013 die Annahme der Klage ab.6
UN-Frauenrechtskommission fordert ein Ende der Diskriminierung
Der CEDAW-Ausschuss, verantwortlich für die Umsetzung der UN-Frauenrechtskonvention (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination Against Women, CEDAW) – das Übereinkommen zur Beseitigung jedweder Form der Diskriminierung von Frauen – bereitete ein Untersuchungsverfahren vor und nahm Argumente und Dokumente entgegen. Im Jahr 2017 forderte der Ausschuss die Bundesregierung auf, die berechtigten Rentenansprüche anzuerkennen und mit Hilfe eines Entschädigungsmodells steuerfinanziert nachzuzahlen.7Diese Forderung wurde im Dezember 2019 noch einmal bekräftigt, nachdem die Bundesregierung einen Zwischenbericht dem Ausschuss zur Prüfung vorlegte.
Doch auch die anderen betroffenen Personen- und Berufsgruppen kamen nicht voran. So gründeten sie im März 2019 einen gemeinsamen Runden Tisch, um einen Gerechtigkeitsfonds für die insgesamt noch etwa 500.000 betroffenen Menschen anzustreben.8 Standen anfangs Summen von 25.000 Euro, später dann 15.000 Euro pro Person im Raum, wurde sich schließlich auf Einmalzahlungen von 10.000 Euro pro betroffene Person geeinigt.9
Hoffnung auf Gerechtigkeitsfonds
Die Einmalzahlungen würden niemals den Ausfall der entgangenen Renten decken. Aber sie wären eine kleine Anerkennung der Lebensleistung der Männer und Frauen. Die Hoffnung stieg 2021, einen Titel für einen Fonds im neuen Haushaltsplan aufzunehmen. Die Bundesregierung knüpfte aber gleichzeitig die Auszahlung an die Voraussetzung, dass sich alle Bundesländer mit einer Zahlung in gleicher Höhe an dem Fonds beteiligen. Die Diskussionen begannen erneut, die Länder lehnten teilweise ihren Beitrag ab, seien sie doch durch diverse Krisen ohnehin schon stark belastet.
Die neu gewählte Bundesregierung wollte 2021 von einem Gerechtigkeitsfonds nichts mehr wissen. Wieder kämpften Vereine und der Runde Tisch, doch jetzt ist nur noch von einem Härtefallfonds die Rede, der an die Grundsicherung gekoppelt werden soll. Die Betroffenen sollen einmalig 2.500 Euro erhalten, zahlen Bundesländer ein, könnte sich der Betrag verdoppeln. Wut, Verzweiflung und Enttäuschung breiten sich unter den Betroffenen aus. Sie fühlen sich massenhaft betrogen und enteignet. Sie haben den Glauben an einen Staat verloren, der sie seit Jahrzehnten hinhält und immer wieder wortbrüchig und sich selbst über UN-Recht hinwegsetzt.10
Was bleibt, sind Wut und Enttäuschung
Die Frauen des Vereines der in der DDR geschiedenen Frauen e.V. werden nicht klein beigeben. „Der Staat kommt seiner Verantwortung gegenüber den Frauen nicht nach“, sagt Vereinsmitglied Monika Knappe. Denn das jetzt durch die Bundesregierung angedachte Vorhaben eines Härtefallfonds vergrößere die Ungerechtigkeit und den Frust der noch geschätzt verbliebenen 300.000 Frauen. Schließlich würden nur etwa zwei bis fünf Prozent überhaupt Gelder aus dem Fonds erhalten. Man wolle jetzt schauen, wie sich die einzelnen Bundesländer verhalten, ob sie in den Fonds ebenfalls Einzahlungen vornehmen. Dazu haben sie bis Ende März Zeit, danach soll eine Stiftung gegründet werden. „Wir werden die Entscheidung des Stiftungsbeirates zum Prozedere abwarten, aufgeben werden wir nicht!“, sagt Monika Knappe und verweist zugleich darauf, dass der CEDAW-Ausschuss im September 2023 Rechenschaft von der Bundesregierung fordern wird, wie der Beschluss von 2017 umgesetzt wurde.
Auch der Sozialverband VdK fordert, „dass Zahlungen aus einem Fonds nicht an die Bedürftigkeit, also an den Bezug von Grundsicherung gekoppelt werden“ und die VdK-Präsidentin Verena Bentele fordert: „Die Lebensleistung aller Betroffenen muss auch finanziell angemessen anerkannt werden.“11
Die Betroffenen erleben und beschrieben es als Armutszeugnis, dass ein wohlhabendes und demokratisches Land wie Deutschland in dieser Weise neue Ungerechtigkeiten schafft. Solange sich auf politischer Ebene dem Thema verschlossen wird, haben insbesondere Rentnerinnen aus dem Gebiet der ehemaligen DDR kaum eine politische Lobby. Es ist die Geschichte einer ganzen Generation, die gearbeitet und unter schwierigen Bedingungen Kinder großgezogen haben, es ist die Geschichte der vergessenen, der unsichtbaren Frauen.
- Schneider, Bettina
- Digitales Deutsches Frauenarchiv
- CC BY-SA 4.0
Fußnoten
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1
Ciszewski, Jörg: „Ostrentner warten seit drei Jahrzehnten auf Entschädigung“, in: Sozialverband VdK Deutschland vom 21.9.2021, Zugriff am 04.05.2023 unter: https://www.vdk.de/deutschland/pages/themen/83132/ost-rentner_warten_seit_drei_jahrzehnten_auf_entschaedigung?dscc=essenc.
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2
Stadtarchiv Dresden – Frauenstadtarchiv Dresden, Ordner 13.94 561,
Protokoll 08/97 der Bundesarbeitsgemeinschaft kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen – Bundeskonferenz vom 28.09. bis 01.10.1997 in Rostock.
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3
Arnold, Kerstin / Salzmann, Susanne / Stender, Gerda: Buch der Briefe. DDR geschiedene Frauen, Dresden 2017, S. 3.
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4
Ciszewski: „Ostrentner warten seit drei Jahrzehnten auf Entschädigung“.
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5
Zitiert nach Verein DDR-geschiedener Frauen: Eine kurze Geschichte des Rentenrechts, Zugriff am 04.05.2023 unter: https://verein-ddr-geschiedener-frauen.org/geschichte/.
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6
Zitiert nach Verein DDR-geschiedener Frauen: Eine kurze Geschichte des Rentenrechts, Zugriff am 4.5.2023, unter: https://verein-ddr-geschiedener-frauen.org/geschichte/.
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7
Verein DDR-geschiedener Frauen e. V.: Alternativbericht Schriftliche Stellungnahme an den UN-Überprüfungsausschuss des Abkommens über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) betreffend des kombinierten siebten und achten periodischen Überprüfungsprozesses von Deutschland, 66. Sitzung: 13 Februar – 03 März 2017, Zugriff am 04.05.2023 unter: https://www.frauen-magdeburg.de/Archiv/pdf_2017/DDR_GESCHIEDENEN.pdf.
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8
https://www.rundertischrentengerechtigkeit.de/, abgerufen am 04.05.2023.
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9
Runder Tisch der Berufs- und Personengruppen der ehemaligen DDR, Schreiben vom 28.2.2022, abgerufen am 04.05.2023 unter https://jimdo-storage.global.ssl.fastly.net/file/7d0acb93-a00e-4f6d-aecd-dc2190d394de/Gerechtigkeitsfonds%20jetzt_2022-02-25_RT.pdf.
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10
Siehe hierzu die Berichte in Arnold / Salzmann / Stender: Buch der Briefe. DDR geschiedene Frauen.
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11
Ciszewski: „Ostrentner warten seit drei Jahrzehnten auf Entschädigung“.