Hexenschuß. Berufsschulzeitung für Mädchen

verfasst von
  • Berit Schallner
veröffentlicht 15. Juli 2022
Es gibt nur eine Ausgabe der Zeitschrift Hexenschuß. Berufsschulzeitung für Mädchen. Sie ist wohl die einzige Schülerzeitung um 1971. Ihr Entstehungskontext bleibt jedoch im Dunklen.

„Wir sind die neuen Hexen“1 steht mit dickem Filzstift geschrieben auf der Titelseite – und zu sehen ist die Zeichnung eines Mädchens, das in Haltertop, Minirock und mit baumelnder Schultasche auf ihrem Besen unterwegs ist – zur Schule oder Arbeit vermutlich. Ihr Besen sei jedenfalls nicht dazu da, um damit dem Mann die Stube sauber zu machen. Stattdessen kehre sie mit ihm die ganzen Vorurteile über Frauen zur Tür hinaus.2

Die einzige Ausgabe der Zeitschrift Hexenschuß, 1971

Weiter geht es im vertraulichen ‚wir‘ und in Jugendsprache: Auf acht zusammengehefteten DIN A4-Seiten thematisieren die HeftmacherInnen die Benachteiligung von Mädchen in Lehre, Beruf und bei der Entlohnung. Sie schreiben über die Doppelbelastung von Lohn- und Hausarbeit und prangern gängige Klischees über Mädchen an: „Bei den Jungen sagt man meistens, sie sollen eine Lehre machen und etwas Ordentliches werden. Bei den Mädchen heißt es eher, es lohne sich ja doch nicht, die heiraten ja bald.“3 Sie sollten lieber für die Aussteuer sparen und Geld verdienen, damit sie Kostgeld zahlen können und den Eltern bis zur Heirat nicht auf der Tasche liegen.

Die AutorInnen verweisen auch darauf, dass die Hoffnung vieler Mädchen verfehlt sei, die Ungerechtigkeiten der Arbeitswelt mit der Heirat oder spätestens, wenn „alles Wichtige für den Haushalt und die Wohnung angeschafft ist“, hinter sich lassen zu können. Denn spätestens, wenn die Kinder größer seien, ginge es ja doch zurück in den Betrieb.4 Deshalb sei es wichtig, sich für bessere Arbeitsbedingungen einzusetzen. Denn Frauen würden auch deshalb besonders schlecht behandelt, weil die Gesellschaft darauf zählen würde, dass sie sich nicht zur Wehr setzten.

SDS-Basisgruppe Spandau

Deshalb auch diese Zeitung, so die MacherInnen: „Weil wir wissen, daß die Situation der Ungelernten, vor allen Dingen der ungelernten Mädchen [sic!] die mieseste innerhalb unserer Gesellschaft ist, daß sie mit allen Mitteln darauf vorbereitet werden, später die doppelte Last von Arbeit und Haushalt willig zu ertragen.“5 Die AutorInnen schreiben von sich, sie seien „Schüler dieser Schule, Lehrlinge, Arbeiter und Studenten der Basisgruppe Spandau“6 . Durch die Nutzung des generischen Maskulinums kann nicht geklärt werden, ob an der Zeitschrift überhaupt Frauen oder Mädchen mitgearbeitet haben. Die Basisgruppe Spandau wurde 1968 von Inga Buhmann gegründet, einer SDS-Aktivistin in West-Berlin, die im Rahmen der SDS-Arbeiterprojektgruppen mit Jugendlichen aus dem ArbeiterInnen-Milieu arbeitete.7 Sie beschreibt in ihren Erinnerungen, dass mit der Zeit mehr und mehr Mädchen zur Gruppe gestoßen seien und berichtet von Experimenten mit Betriebszeitungen sowie der Anschaffung einer Druckmaschine.8 Inwieweit in diesem Rahmen auch der Hexenschuß produziert wurde, bleibt ungeklärt, ebenso, an welcher Schule er erschien.

Wir sind keine "Mädchen für alles", aus Hexenschuß März 1971

In der Gestaltung denkbar einfach, funktioniert die Zeitschrift als Wandzeitung wie als Heft. Schreibmaschine und Schreibschrift wechseln sich ab, dazwischen sind Cartoons und Flugblätter eingefügt. Es gibt Karikaturen zum Thema Fabrikarbeit – eine zeigt einen Aufseher, der am Fließband sitzende Arbeiterinnen an einer Schraube, die aus ihren gekrümmten Rücken ragt, wieder aufzieht. Hineinkopiert in die Zeitung ist auch ein Flugblatt des Aktionsrates zur Befreiung der Frauen: der Comic „Der Kapitalismus schlägt Männer und Frauen, aber die Frauen mehr!“9 Ursprünglich vom Aktionsrat zum 1. Mai 1969 und im Vorfeld des geplanten Kindergärtnerinnen-Streiks konzipiert, zirkulierte der Comic nun, zwei Jahre später, in einem neuen Kontext. Ein Hinweis auf den früheren Zusammenhang fehlt.10

Comic: Der Kapitalismus schlägt Männer und Frauen aus Hexenschuß März 1971

Interessant ist die Zeitschrift, weil ihr Erscheinen in die Auflösungsphase der sogenannten Studenten- und in die Frühphase der entstehenden Frauenbewegung fällt. Die Texte der Ausgabe orientieren sich eng an sozialistischen Analysen und Denkweisen. Viele Themen der entstehenden Neuen Frauenbewegung spielen noch keine Rolle, so zum Beispiel das Abtreibungsverbot. Auch fehlt es vorerst an neuen Konzepten. Denn: Die HeftemacherInnen fordern zwar bessere Arbeits- und Ausbildungsbedingungen für Frauen und Mädchen, die Bringschuld liegt allerdings bei den jungen Frauen: Sie sollen nicht mehr „nur an Heirat und später an den Haushalt“11 denken, sondern ihren eigenen Arbeitskampf führen. Darüber, wie die Hausarbeit organisiert werden soll, wenn die Frauen sie nicht mehr machen, verlieren die AutorInnen kein Wort.

 

Stand: 15. Juli 2022
Verfasst von
Berit Schallner

M.A., ist Historikerin und arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im FrauenMediaTurm – feministisches Archiv und Bibliothek. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Empfohlene Zitierweise
Berit Schallner (2024): Hexenschuß. Berufsschulzeitung für Mädchen, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/hexenschuss-berufsschulzeitung-fuer-maedchen
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Fußnoten

  • 1O.vA. u. T., in: Hexenschuß. Berufsschulzeitung für Mädchen, S. 1.
  • 2Ebenda.
  • 3O. A.: Wir sind keine ‚Mädchen für alles‘, in: Hexenschuß. Berufsschulzeitung für Mädchen, S. 2–4, hier: S. 2.
  • 4Ebenda, S. 3.
  • 5Basisgruppe Spandau: Warum diese Zeitung?, in: Hexenschuß, 1970, H. 1, S. 8.
  • 6Ebenda.
  • 7Buhmann, Inga: Erinnerungen an die Basisgruppe Spandau, Auszug aus: Dies.: Ich habe mir eine Geschichte geschrieben, München 1977, 1969 - ergänzungen zur trend - Serie 2. Juni 1967, zuletzt abgerufen am 15.07.2022 unter http://www.trend.infopartisan.net/1969/inhalt.html. Zu Inga Buhmann abgerufen am 15.07.2022 unter http://www.weidener-literaturtage.de/autoren/seiten/buhmann.htm.
  • 8Buhmann, Inga: Erinnerungen an die Basisgruppe Spandau, Auszug aus: dies.: Ich habe mir eine Geschichte geschrieben.
  • 9Der Kapitalismus schlägt Männer und Frauen…, in: Hexenschuß, 1974, H. 1, S. 4–5.
  • 10Die Zuordnung findet sich bei Sander, Helke: Mütter sind politische Personen, in: Courage, Jg. 2, 1978, H. 9., S. 38–42, hier: S. 39 f.
  • 11O.A: Wir sind doch nicht doof, in: Hexenschuß, 1974, H. 1, S. 3.

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