Hausarbeit = Frauenarbeit? Wie die Neue Frauenbewegung die Reproduktionsarbeit zum Thema machte

verfasst von
  • Julia Hitz
  • Berit Schallner
veröffentlicht 12. April 2022
Die geschlechtliche Arbeitsteilung in Industriegesellschaften war das Thema mehrerer Generationen von Feministinnen. Der Neuen Frauenbewegung ist es zu verdanken, dass die Rolle der unbezahlten Reproduktionsarbeit und ihrer Mystifizierung als ‚Arbeit aus Liebe‘ wieder stärker in den Fokus rückte.

Bis zur Familienrechtsreform 1977 galt in der BRD: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung. […] Sie ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“1  De facto sollte für Frauen also die Familie Vorrang haben. Die Realität war widersprüchlicher: Frauen gingen in wachsender Anzahl schlecht bezahlter Lohnarbeit nach und waren mit verschiedenen Formen der Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert.2  Die Neue Frauenbewegung machte die Frauenarbeit deshalb früh zu einem zentralen Thema, wie sich bereits im Protokoll zum Plenum des 1. Bundesfrauenkongresses   zeigte, der am 11. und 12. März 1972 in Frankfurt am Main stattfand.3 Laut Protokoll thematisierte der Sozialistische Frauenbund Berlin den Zusammenhang von Rollenerwartungen, Familienfokus, Diskriminierung, spezifisch weiblicher Erwerbsbiografie und schlechter Entlohnung.4  Das Protokoll hält außerdem Diskussionen über Streitpunkte fest, die wenige Jahre später in heftige Auseinandersetzungen um die ‚Lohn für Hausarbeit‘-Kampagne münden sollten: Lag der Weg zur Frauenbefreiung in der Vergesellschaftung von Hausarbeit und der gleichberechtigten Teilnahme der Frauen an Lohnarbeit und Arbeitskampf, wie es klassische marxistische Analysen nahelegten, oder musste die spezifische Situation der Frauen als Ausgangspunkt genommen werden?5  Zum einen ging es um den Primat bei der Gewichtung von Klassen- und Frauenfrage.6  Zum anderen – und quer dazu – um die Frage, welche Schlussfolgerungen zu ziehen seien, wenn man von der spezifischen Situation der Frauen ausging.

Programm des Bundesfrauenkongress in Frankfurt am Main am 11. und 12. März 1972 im Haus der Jugend

Frauenarbeit in Westdeutschland

Schwarzer, Alice: Frauenarbeit - Frauenbefreiung : Praxis-Beispiele und Analysen, 1973

In ihrem 1973 erschienenen Buch Frauenarbeit – Frauenbefreiung (1985 neu aufgelegt unter dem Titel Lohn: Liebe) benannte die Journalistin Alice Schwarzer als Erste in der Bundesrepublik das enorme Ausmaß der Gratisarbeit, die Frauen mit der Haus- und Familienarbeit leisteten. 

Sie zitierte eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, der zufolge Frauen 45 bis 50 Milliarden Stunden jährlich an Hausarbeit erbrachten. Das entsprach in etwa der Anzahl der gesamtgesellschaftlich geleisteten Lohnarbeitsstunden.7  In ihrem Vorwort analysierte auch sie den Zusammenhang zwischen Lohndiskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt, ihrer Rolle als billige Verlademasse des Kapitalismus, der von ihnen gratis geleisteten Sorgearbeit und dem zeitgenössischen Familienmodell inklusive seiner Geschlechterideologie.8

Gesprächsprotokolle mit 16 berufstätigen Frauen – von der Fließbandarbeiterin bis zur Filmemacherin, von der Friseurin bis zur Stripteasetänzerin – zeigen die Zerrissenheit der Frauen zwischen Familie und Beruf im Anschluss ganz konkret. Das Buch schließt mit einem Essay von Susan Sontag zum Frauenbefreiungskampf sowie einem Aufsatz von Claudia Pinl und Ursula Frohn zum neuen Frauenleitbild in der BRD. Die beiden Kölner Journalistinnen vertreten darin die These, dass dieses Leitbild die Verbindung von schlecht bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Hausarbeit neuerdings selbst bei der CDU mit einschloss.9

Das bisschen Haushalt …

In den Gesprächen zeichneten sich trotz der Unterschiedlichkeit der Frauen Gemeinsamkeiten ab: Sie wurden für gleiche Arbeit schlechter entlohnt als ihre männlichen Kollegen, Hausarbeit und Kindererziehung blieben meist ausschließlich an den Frauen hängen und kollidierten mit ihren beruflichen Ambitionen und Möglichkeiten. Über all diesen Gemeinsamkeiten waberte das Stereotyp der idealen Ehefrau und Mutter, die still und züchtig ihren Dienst verrichten und dem hart arbeitenden Mann das Abendbrot servieren sollte. Diese Rollenerwartungen abzuschütteln und Hausarbeit als Arbeit wahrzunehmen, fiel auch den emanzipierteren unter den befragten Frauen spürbar schwer. Schwarzer schrieb dazu im Vorwort: „‚Ich arbeite nicht‘, sagen bezeichnenderweise die ‚Nur‘-Hausfrauen, die ohne Kind mindestens 16 Stunden, mit Kind bis zu 100 Stunden in der Woche arbeiten. Sie bekunden damit ungewollt, wie sehr sie selbst die Missachtung der Hausarbeit durch die Gesellschaft verinnerlicht haben.“10

Debatte um Hausfrauenlohn

Die   Benachteiligung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt auf der einen sowie die geschlechtliche Arbeitsteilung in bezahlte (männliche) Lohnarbeit und unbezahlte (weibliche) Haus- und Familienarbeit auf der anderen Seite bildeten fortan den Rahmen, in dem Frauenarbeit und ihre Bedingungen verhandelt wurden. Als ab 1974 das Thema der unbezahlten Reproduktionsarbeit von der Politik aufgegriffen und über ein taschengeldartiges ‚Hausfrauengehalt‘ diskutiert wurde, fanden sich VertreterInnen der CDU und Teile der Frauenbewegung plötzlich im selben Lager wieder, allerdings mit unterschiedlichen Zielsetzungen.11  Die feministische Forderung nach ‚Lohn für Hausarbeit‘ zielte auf die Abschaffung kapitalistisch organisierter Arbeitsverhältnisse, die unbezahlte Reproduktionsarbeit galt als zentrales Element kapitalistischer Ausbeutung und notwendige Funktion der geschlechtlichen Arbeitsteilung.12 Die Hausfrau der Arbeiterklasse avancierte in dieser Analyse zum revolutionären Subjekt, dessen Widerstand gegen die Gratis-Arbeit das ganze System zu Fall bringen sollte.13

„Die Frau wird überall verkauft“, Plakat 1973

In mehreren Ländern, darunter Italien, England und die USA, hatten Frauen bereits eine internationale ‚Lohn für Hausarbeit‘-Kampagne aufgebaut, als ab 1975 schließlich auch in der BRD die erste Gruppe gegründet wurde.14 Ihre Vertreterinnen bezogen sich vor allem auf Mariarosa Dalla Costa, die italienische Initiatorin der ‚Lotta Femminista‘, der ersten außerparlamentarischen feministischen Organisation Italiens. Ihre einflussreiche Schrift Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft erschien 1972 in Italien und wurde bereits 1973 von „Genossinnen aus dem Frauenzentrum Berlin“15  ins Deutsche übersetzt. In ihr wies Dalla Costa auf die Geschichte der Mystifizierung von Sorgearbeit als Liebesdienst im Zuge der Industrialisierung und den Machtverlust hin, den dieser Prozess für Frauen bedeutet hatte.16  In dem mittlerweile zum Klassiker gewordenen Aufsatz Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit: Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus arbeiteten die Historikerinnen Gisela Bock und Barbara Duden 1977 diesen Wandlungsprozess detailliert heraus.17 Bock gehörte mit Pieke Biermann zu den Initiatorinnen der ‚Lohn für Hausarbeit‘-Kampagne in der BRD.18 Sie löste Ende der 1970er-Jahre innerhalb der Frauenbewegung eine höchst kontroverse Debatte aus und führte zu tiefgreifenden Spaltungen.19 Kritikerinnen bemängelten, dass mit dem Hausfrauenlohn nur traditionelle Rollenzuschreibungen und Abhängigkeiten zementiert würden. Alice Schwarzer etwa gehörte zu den entschiedenen Gegnerinnen eines ‚Lohns für Hausarbeit‘. Sie plädierte bereits in ihrem Buch von 1973 für die Vergesellschaftung eines Teils der Haus- und Erziehungsarbeit; der Rest solle gerecht zwischen Frauen und Männern aufgeteilt werden.20

Ausblick: Gemeinsame Haushaltsführung – von der Theorie zur Praxis

Die Debatten um Lohn- und Hausarbeit zeigen: Die Neue Frauenbewegung rüttelte an stillschweigend vorausgesetzten Grundfesten gesellschaftlicher Arbeitsteilung. Es ist ihren Akteurinnen zu verdanken, dass die ins Private ausgelagerte Reproduktionsarbeit und ihr gesellschaftlicher Wert überhaupt in der Öffentlichkeit verhandelt wurden. In Sachen Haushaltsführung ist bis heute ein grundlegendes Ungleichgewicht geblieben.21  Auf viele der damals aufgeworfenen Fragen gibt es bis heute keine befriedigenden Antworten – eher sind mit dem Ende des Fordismus neue Fragen hinzugekommen. 

Stand: 12. April 2022
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Verfasst von
Julia Hitz

studierte Geschichte, Völkerrecht und Politikwissenschaften. Seit 2010 ist sie als freie Journalistin, Redakteurin und Filmemacherin tätig. Im FrauenMediaTurm arbeitet sie seit 2018 als Kulturmanagerin und verantwortet Veranstaltungen, Texte und Öffentlichkeitsarbeit.

Berit Schallner

ist Historikerin und arbeitet seit 2020 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im FrauenMediaTurm – feministisches Archiv und Bibliothek. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf der Frauen- und Geschlechtergeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts.

Empfohlene Zitierweise
Julia Hitz/Berit Schallner (2022): Hausarbeit = Frauenarbeit? Wie die Neue Frauenbewegung die Reproduktionsarbeit zum Thema machte, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/hausarbeit-frauenarbeit-wie-die-neue-frauenbewegung-die-reproduktionsarbeit-zum-thema-machte
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Fußnoten

  • 1§ 1356 BGB. Haushaltsführung, Erwerbstätigkeit Gesetz, Fassung vom 1. Juli 1958–1. Juli 1977, Zugriff am 12.4.2022 unter https://lexetius.com/BGB/1356,3.
  • 2Zum historischen Kontext von Arbeitsmarktentwicklung und Frauendiskriminierung in BRD und DDR vgl. Helwig, Gisela: Frau und Familie: Bundesrepublik Deutschland – DDR, Köln 1987; Bode, Silke / Lenz, Ilse: Die Neue Frauenbewegung macht sich an die Arbeit, in: Lenz, Ilse (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied, Wiesbaden 2008, S. 147–152, hier: S. 147–148.
  • 3FrauenMediaTurm – Feministisches Archiv und Bibliothek, im Folgenden: FMT, FB.07.051 „Protokoll zum Plenum des Bundesfrauenkongresses am 12. März 1972 in Frankfurt a.M.“.
  • 4Ebenda, S. 2–7, bes. S. 3.
  • 5Ebenda, S. 12.
  • 6Ebenda, S. 4–5.; Arbeitskollektiv der Sozialistischen Frauen Frankfurt a.M.: Vorwort, in: dies.: Frauen gemeinsam sind stark, Frankfurt a.M. 1972, S. 7–23, hier bes. S. 8–13.
  • 7Ebenda, S. 11.
  • 8Schwarzer, Alice (Hg.): Frauenarbeit – Frauenbefreiung. Praxis-Beispiele und Analysen, Frankfurt a.M. 1973, S. 10‒11.
  • 9Sonntag, Susan: Reflexionen über die Befreiung der Frauen, in: Schwarzer: Frauenarbeit, S. 139–174; Pinl, Claudia / Frohn, Ursula: Das neue Frauenleitbild in der BRD, in: Schwarzer: Frauenarbeit, S. 175–184.
  • 10Schwarzer: Frauenarbeit, S.10.
  • 11Erler, Gisela: Vorbemerkung, in: o. Hg.: Frauen in der Offensive. Lohn für Hausarbeit oder: Auch Berufstätigkeit macht nicht frei, Erlangen 1974, S. 5–12, hier: S. 5–6; Schwarzer, Alice: Hausfrauenlohn – ja oder nein?, in: Nationalzeitung-Panorama, 7.12.1974, S. 11.
  • 12Dalla Costa, Mariarosa: Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, in: Dalla Costa, Mariarosa / James, Selma:Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin 1973, S. 27–66.
  • 13Ebenda, S. 47–50; Frederici, Silvia: Lohn gegen Hausarbeit, [= Lohn für Hausarbeit: Materialien für eine internationale feministische Strategie Bd.2], Übers. von Pieke Biermann, Berlin 1977.
  • 14Toupin, Louise: Wages for Housework: A History of an International Feminist Movement, London 2018; Wolff, Kerstin, 30.10.2020: Hausarbeit als Nebenwiderspruch? Die internationale „Lohn für Hausarbeit“-Debatte der 1970er Jahre in der Bundesrepublik, Zugriff am 12.4.2022 unter https://www.bpb.de/apuz/care-arbeit-2020/317859/die-internationale-lohn-fuer-hausarbeit-debatte-der-1970er-jahre-in-der-bundesrepublik.
  • 15Dalla Costa, Mariarosa / James, Selma: Die Macht der Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, Berlin 1973, S. 4.
  • 16Dalla Costa: Die Frauen und der Umsturz der Gesellschaft, S. 29.
  • 17Bock, Gisela / Duden, Barbara: Arbeit aus Liebe – Liebe als Arbeit: Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus, in: Gruppe Berliner Dozentinnen (Hg.): Frauen und Wissenschaft. Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, Juli 1976, Berlin 1977, S. 118–199.
  • 18Biermann, Pieke / Bock, Gisela: Auch in Deutschland gibt es jetzt eine Kampagne um Lohn für Hausarbeit, in: Courage: Berliner Frauenzeitung, Jg. 2, 1977, H. 3, S. 16–21.
  • 19FMT, PD-AR.07.02 „Unbezahlte Arbeit: Lohn für Hausarbeit“, Pressedokumentation 1975 – 1986.
  • 20Schwarzer: Frauenarbeit, S. 26–27.
  • 21Karsch, Margret: Feminismus: Geschichte – Positionen, Bonn 2016; Klünder, Nina: Differenzierte Ermittlung des Gender Care Gap auf Basis der repräsentativen Zeitverwendungsdaten 2012/2013, Berlin 2017, digital zugänglich unter http://dx.doi.org/10.25595/1368.

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