Frauentechnikzentren
Die Ölkrisen der 1970er Jahre und der Strukturwandel von einer Industrie- hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft führte zu einer Veränderung der Arbeitswelt, und die Einführung von Computern in Betrieben in den 1980er-Jahren veränderte die Berufswelt vieler Frauen massiv. Die Technisierung brachte einen Anstieg von Frauenarbeitslosigkeit mit sich: Aus Angst vor der neuen Computertechnik gaben viele Frauen ihren Arbeitsplatz auf und entfernten sich damit selbst vom Arbeitsmarkt.1 Hier sahen die engagierten Frauen in den Frauentechnikzentren Handlungsbedarf, denn sie waren überzeugt davon, dass das Interesse an Computerwissen gesteigert werden könne: durch mehr Kurse und gezielte Förderung. So sollten Frauen in die Lage versetzt werden, über ihre Arbeits- und Lebensbedingungen selbst zu entscheiden.2
Hamburg: das erste Frauentechnikzentrum entsteht
Zwei Frauen, die den eigenen Computer auseinanderbauten und Teile löteten – die Technik und deren gesellschaftliche Bedeutung verstehen und vermitteln wollten – das waren Ellen Seßar-Karpp und Ingrid Ellebrecht. Die beiden gründeten 1985 in Hamburg das erste Frauentechnikzentrum (FTZ). Mit diesem Projekt reagierten sie auf die „Veränderungen der Arbeitsmarktstrukturen“ und die damit verbundenen „negativen Auswirkungen auf die Frauenerwerbstätigkeit“ sowie den auffälligen Ausschluss von Frauen von Technik.3 Sie wollten die Distanz von Frauen „zu naturwissenschaftlichen und technischen Fachbereichen“4 reduzieren, ihre berufliche Chancengleichheit erhöhen und alte Rollenmuster aufbrechen. Um besonders effizient vorzugehen, teilten die Initiatorinnen die Arbeitsbereiche auf: Seßar-Karp, Mitglied im Deutschen Frauenring, übernahm die kaufmännische Geschäftsführung und Ellebrecht war für die technische Leitung mitsamt der Entwicklung des Curriculums verantwortlich.
Im Oktober 1985 fand der erste Kurs des Hamburger Frauentechnikzentrums statt.5 Die Geräte stellte der Computerhersteller Philipps.6 Jeweils 30 Frauen nahmen an dem Kurs teil, was vor allem der „Maschinenkapazität“7 geschuldet war, denn die Nachfrage war höher.
Der ganzheitliche Ansatz
Das Kursmodell war eingeteilt in Grund- und Aufbaukurse mit unterschiedlichen Schwerpunkten wie Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, relationales Datenbanksystem und Grafik, in denen verschiedene Software angewendet wurden8. Ziel war es, Frauen zu befähigen, Computer- und Technikwissen aufzubauen. Gleichzeitig sollten sie eine eigene Position zur Technisierung ihrer Lebens- und Arbeitswelten entwickeln. Dies ging über EDV-Kenntnisse und reines Wissen über die der Funktionsweise eines Computers, von den Frauen oft als „nur Knöpfchenbedienen“9 bezeichnet, hinaus.
Der Kursplan umfasste die haptische Annäherung an den Computer – ihn anzufassen, also ihn zu „be-greifen“ –, und ihn auseinanderzubauen, um ihn „als Maschine kenen[zu]lernen“10. Auch die Termini und verschiedene Programme wurden im anwendungsorientierten Teil gelehrt und ausprobiert, darüber hinaus wurde die gesellschaftliche Bedeutung der Einführung von Computern diskutiert. Neben der Wissensvermittlung standen kritisches Bewerten technischer Entwicklungen, ein mündiger Umgang mit Technik sowie Selbstvertrauen und Selbstbehauptung im Fokus. Theoretisches Wissen wurde durch sinnliche Erfahrung, Freinet-Pädagogik, Teamarbeit sowie Lernen im Gespräch vertieft.
Computer: Chance statt Angst
Die Teilnehmerinnen berichteten von ihrer Scheu vor der neuen Technik.11 Schließlich hatten viele am eigenen Leib erfahren, dass sie wegen der Einführung von Computern teilweise ihren Arbeitsplatz verloren hatten.12 Teilnehmerinnen erklärten, dass sie sich von der Technik abgehängt fühlten und im alltäglichen Leben, wo Computer eine immer größere Rolle einnahmen, nicht mehr mitreden konnten.13
Durch die Weiterbildung in den FTZ-Kursen erreichten die Frauen nicht nur Grundkenntnisse in der praktischen Computer-Anwendung, sondern erlangten Wissen über die gesellschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Vor- und Nachteile. Durch die Aneignung praktischer und theoretischer Kenntnisse konnten sie Ängste abbauen, aber auch fundierte Kritik und Skepsis an der gesellschaftlichen Veränderung, die mit der Einführung von Computern einherging, äußern.14 Zwar lehnten manche die Einführung eines Computers an ihrem Arbeitsplatz ab – aber die Mehrheit sah den PC als Chance.15 Dieses Computerwissen vergrößerte zudem die Jobmöglichkeiten für Frauen16, schließlich waren sie dank ihrer neuen Qualifikationen auch in anderen Bereichen kompetent, wie etwa der Wartung der neu eingeführten Geräte in kleinen und mittelgroßen Betrieben.17 Die computer-versierten Frauen machten sich damit ,unersetzbarʻ.
Von Frauen für Frauen
Das Programm richtete sich an erwerbslose und von Erwerbslosigkeit bedrohte Frauen sowie an technikinteressierte Frauen, die sich weiterbilden wollten. Außerdem diente es auch als Hilfe für den Wiedereinstieg in den Beruf nach der Familienphase. (Seßar-Karpp engagierte sich auch bei dem Programm des Deutschen Frauenrings ‚Neuer Start ab 35‘.) Die geringe Teilnahmegebühr sowie die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt ermöglichten vielen Frauen die Teilnahme.18
Dass die Kurse des FTZ ausschließlich von Frauen für Frauen waren, wurde von den Teilnehmerinnen wertgeschätzt. „Nicht, weil wir einen Schonraum gegenüber fähigeren Männern brauchen, sondern weil wir anders auf das Thema zugehen und anders miteinander umgehen unter uns, ist ein Frauenkurs sinnvoll.“19
Auch inhaltlich waren die Kurse auf Frauen ausgerichtet, da die Gründerinnen meinten, Frauen hätten durch ihre Sozialisation vor allem ein breites Interesse an Technik, zum Beispiel an seinen „ethischen Ausrichtungen“20. Aus diesem Grund wurde der Ansatz einer „geschlechtsdifferenzierte[n] Bildung“21 verfolgt, bei den erziehungsbedingten Kompetenzen von Frauen wie „Kommunikations- und Kritikfähigkeit, Kreativität, Flexibilität [...] ausgeprägter Realitätsbezug“ und „Verantwortungsgefühl“22 berücksichtigt wurden. Diese Fähigkeiten wurden als positiv für die Technikbildung angesehen.23
Die Teilnehmerinnen unterschieden sich in Alter (von 20 bis 54 Jahre), Herkunft, Lebenssituation und Familienstand. So konnten die Frauen sich über verschiedene Lebensperspektiven austauschen und auch über Probleme, etwa in Bezug auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bzw. Weiterbildung, miteinander diskutieren.24 Eine der Teilnehmerinnen verwies auf den langen „Frauenarbeitstag“25, den Frauen auch ohne Computerkurs bereits hätten – und machte damit auf die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Care- und Betreuungsarbeit, Lohnarbeit und der Weiterbildung aufmerksam. Dies sei eine „typische Folge des weiblichen Lebenszusammenhangs, der an so viele Verpflichtungen gebunden ist“26. Auch über die Reaktion ihrer Familien darauf, dass sich der Familienalltag durch ihre Weiterbildung veränderte, tauschten sie sich aus. Als es im Haushalt nicht mehr so „bequem“27 wie vorher lief, erzählte eine Frau, musste sie ihren Ehemann, und auch ihre Kinder, von der Notwendigkeit ihrer Weiterbildung überzeugen.
Finanzierung
Im Jahr 1991 besuchten ca. 400 Frauen die Angebote des FTZ in Hamburg. Die Kurse konnten in Vollzeit, Teilzeit oder als Abendkurs belegt werden.28 Außerdem wurden sie als Bildungsurlaubsseminare angeboten.
Das FTZ finanzierte sich aus Lehrgangsgebühren der Teilnehmerinnen, durch die Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt, Zuschüssen des Landes Hamburg und des Europäischen Sozialfonds.29 Im Jahr 1991 konnten dank der Förderung des Modellprojekts durch das Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit 13 feste Mitarbeiterinnen und zeitweise zusätzliche Honorardozentinnen eingestellt werden.30
Weiterentwicklung: Multiplikatorinnenprogramm in den neuen Bundesländern
Ab den 1990er-Jahren wurde das Wissen rund um Computer, Geschlecht und Gesellschaft samt Kursmodell in Multiplikatorinnenkursen weitergegeben. Diese Weiterbildung ermöglichte die Neugründung von Technikzentren in ganz Deutschland – also auch in den neuen Bundesländern. Hervorzuheben ist hierbei die Bedeutung des Programms in den neuen Bundesländern. Leipzig war im Jahr 1990, nach Hamburg und Freiburg (1988), der dritte Standort, an dem ein Frauentechnikzentrum entstand. 1991 kamen 19 neue Frauentechnikzentren hinzu, von denen sich über die Hälfte in Ostdeutschland gründeten.31
Die Förderung von Multiplikatorinnen in der früheren DDR wurde als notwendig erachtet, da Frauen wegen unzureichender Berücksichtigung im deutschen Vereinigungsprozess die „Hauptlast“32 trugen und häufig Kündigungen ausgesetzt waren. Frauen, die durch die Doppelbelastung der Care-Arbeit häufiger in Teilzeit arbeiteten, waren leichter kündbar und in der Berufswelt weniger sichtbar. Durch die Wiedervereinigung waren Sie außerdem einer automatischen Eingliederung in das westdeutsche Rollenbild unterworfen. In der BRD gab es sieben Weiterbildungseinrichtungen für Multiplikatorinnen aus den neuen Bundesländern.33 Zu Beginn des ersten Multiplikatorinnenprogramms im Jahr 1990 nahmen 14 ostdeutsche Frauen an dem sechsmonatigen Kompaktkurs in Hamburg teil. Sie wurden in grundlegenden Informationstechniken und in deren gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Einbettung unterrichtet.34 Die Frauen kamen aus Berlin, Dresden, Erfurt, Potsdam, Rostock, Schwerin und Straupnitz. Sie waren zwischen 21 und 51 Jahre alt und besaßen oft Erfahrungen im EDV-Bereich. Einige hatten eine abgeschlossene Berufsausbildung, andere waren arbeitslos, in Kurzarbeit oder von Kündigungen bedroht.35 Nach der Fortbildung gründeten die Frauen selbst Vereine oder suchten Trägervereine. Neben der inhaltlichen Weiterbildung half das FTZ Hamburg auch bei organisatorischen Problemen bei der „Gründung und dem Aufbau ihrer Zentren“36.
Der zweite Teil des Multiplikatorinnenprogramms bestand aus der kontinuierlichen Weiterbildung aller Mitarbeiterinnen der FTZ in den Bereichen „Informationstechnik, Volkswirtschaft, Betriebswirtschaft, sowie anderen Methoden der Erwachsenenbildung und Projektmanagement“37. Das Ziel war eine „bundesweite Vernetzung der informationstechnischen Weiterbildungszentren für Frauen“38 und eine gemeinsame inhaltliche Weiterentwicklung in einem Weiterbildungsverbund.
Ausblick
Nicht nur die Weitergabe von Wissen im Multiplikatorinnenprogramm zur Gründung von neuen Zentren machte das Konzept der FTZs so besonders. Durch den Ansatz, computer-technische Weiterbildung in ihren gesellschafts- und frauenpolitischen Zusammenhang zu stellen, leisteten die Frauentechnikzentren auf diesem Gebiet Pionierinnenarbeit. Sie ermöglichten Frauen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt und wirkten einer Wegrationalisierung der von Frauen besetzten Arbeitsplätze durch Technik entgegen. Außerdem förderten sie, dass Frauen mündig und selbstbestimmt neue Computertechnik anwenden und beurteilen konnten.
In der Podiumsdiskussion des Frauenstadtarchivs Hamburg und dem Digitalen Deutschen Frauenarchiv (DDF) mit Ingrid Ellebrecht und weiteren Akteurinnen des Hamburger Frauenrings wurde deutlich: An diese wichtige Idee der feministischen Technik- und Bildungsgeschichte ließe sich auch heute noch anknüpfen.39
- Rehders, Levke
- Digitales Deutsches Frauenarchiv
- CC BY-SA 4.0
Fußnoten
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1
Vgl. Ellebrecht, Das Baukastenmodell, S. 18.
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2
Ebenda, S. 19.
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3
Seßar-Karpp, Ellen: Vorbemerkung, in: Deutscher Frauenring e.V. (Hg.): Computerkurse von Frauen für Frauen. Modellprojekt in Hamburg. Werkstattbericht, Kiel/Hamburg 1986, S. 1.
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4
Ebenda.
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5
Ebenda, S. 3.
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6
Ebenda, S. 2.
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7
Zipfel, Gaby: Kursauswertung aus der Sicht einer Teilnehmerin, in: Deutscher Frauenring e.V. (Hg.): Computerkurse von Frauen für Frauen. Modellprojekt in Hamburg. Werkstattbericht, Kiel/Hamburg 1986, S. 4.
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8
Ellebrecht, Das Baukastenmodell, S. 20 f.
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9
Ebenda, S. 6.
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10
Ebenda, S. 7.
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11
Zipfel, Kursauswertung, S. 5.
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12
Ebenda.
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13
Ebenda.
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14
Ebenda, S. 9.
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15
Ebenda, S. 8.
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16
Stein, Marianne: Frauen und Computer. Arbeitsmarkt, Wirtschaftspolitik und soziale Hindernisse, in: DFR e.V. Mitteilungen. Schwerpunktthema: Das Ehrenamt, 1987, H. 2, S. 14.
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17
Ellebrecht, Ingrid: Das Baukastenmodell „Computerkurse von und für Frauen“, in: Deutscher Frauenring e.V. (Hg.): Computerkurse von Frauen für Frauen. Modellprojekt in Hamburg. Werkstattbericht, Kiel/Hamburg 1986, S. 20.
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18
Seßar-Karpp, Vorbemerkung, S. 3.
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19
Zipfel, Kursauswertung, S. 7.
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20
FrauenTechnikZentrum DFR e.V. (Hg.): Arbeitsbericht, Hamburg 1991, S. 1.
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21
Ebenda.
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22
Ebenda.
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23
Vgl. Ellebrecht, Ingrid: Frauen, Arbeit, Selbstorganisation, Ihrerzeit Podcast, Frauenstadtarchiv Hamburg, Folge 4, Min 22:50-25:03. https://frauenstadtarchiv.hamburg/archiv/podcast-ihrerzeit/.
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24
Ellebrecht, Ingrid / Seßar-Karpp, Ellen: Erweiterte Berufschancen für Frauen durch informationstechnische Bildung. Konzept und Evaluation eines ganzheitlichen EDV-Weiterbildungsangebots für Frauen von Frauen, Stuttgart/Berlin/Köln 1991, S. 162, 164.
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25
Zipfel, Kursauswertung, S. 8.
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26
Ebenda.
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27
FrauenTechnikZentrum DFR e.V., Arbeitsbericht, S. 14.
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28
Ebenda. S. 10.
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29
FrauenTechnikZentrum DFR e.V., Arbeitsbericht, S. 3.
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30
Ebenda.
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31
FrauenTechnikZentrum DFR e.V., Arbeitsbericht, S. 31 f.
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32
Ebenda, S. 28.
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33
Ebenda, S. 3.
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34
Ebenda, S. 28.
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35
Ebenda, S. 29.
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36
Ebenda.
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37
Ebenda, S. 30.
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38
Ebenda.
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39
Ihrerzeit Podcast: Frauen, Arbeit, Selbstorganisation, Frauenstadtarchiv Hamburg, Folge 4, https://frauenstadtarchiv.hamburg/archiv/podcast-ihrerzeit/.