Frauenrechte sind Menschenrechte

verfasst von
  • TERRE DES FEMMES e.V.
veröffentlicht
Aus der Neuen Frauenbewegung hat sich mit der Frauenrechtsbewegung eine international aktive und vernetzte, heute weitgehend anerkannte feministische Strömung entwickelt, die die Wahrung und Durchsetzung der allgemeinen Menschenrechte für alle Mädchen und Frauen weltweit zum Ziel hat.

Gehörte Gewalt gegen Frauen als zentrales Thema, und insbesondere die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, zu den Schlüsselfragen der Neuen Frauenbewegung, fokussierten sich Teile der Bewegung während der 1980er-Jahre allmählich auf den Aspekt der spezifischen Menschenrechtsverletzungen an Frauen.1  Ausdruck dieser Strömung der Neuen Frauenbewegung bis heute ist der Einsatz für Frauenrechte im Sinne der Durchsetzung und Wahrung der allgemeinen Menschenrechte für Mädchen und Frauen, weltweit.

Mit ‚den‘ Menschenrechten sind jene international als allgemeine Menschenrechte anerkannten individuellen Grundrechte und Freiheiten gemeint. Sie sind per definitionem allen Menschen kraft ihres bloßen Menschseins eigen, vorstaatlicher Natur und doch durch Nationalstaaten per Gesetz und Sanktion zu schützen. In den Grundstatuten der Vereinten Nationen (UN) und deren Dokumenten sind sie in der Bill of Human Rights als normative Absichtserklärungen niedergelegt: Insbesondere die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948, der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt) sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt). Auch wenn die Idee der allgemeinen Menschenrechte weltweit Verbreitung gefunden hat, heißt das nicht, dass über unterschiedliche Wertvorstellungen und Menschenbilder nicht noch immer diskutiert oder gestritten würde; doch beziehen sich alle Kritiken zu den allgemeinen Menschenrechten bzw. deren Anspruch auf Universalität auf eben dieses Menschenrechtsverständnis nach UN-Definition, das damit einen international anerkannten Maßstab darstellt.2

Frauenrechtsbewegung: Frauenrechte sind Menschenrechte – universal und unteilbar

„Sind Menschenrechte auch Frauenrechte?“3, fragte mit der Frauenrechtsbewegung ein Teil der Neuen Frauenbewegung im Laufe der 1980er- und insbesondere in den 1990er-Jahren mit Blick auf die eigene politisch-proemanzipatorische Entwicklung und frauenpolitische Agenda. Im Fokus stand der Einsatz gegen Gewalt an Frauen zwischen autonomem Basisaktivismus und allmählicher Integration frauenbewegungspolitischer Themen und Akteurinnen in staatliche und überstaatliche Institutionen und Kooperationen.

Der Leitgedanke, dass Menschenrechte auch Frauenrechte sind, scheint auf den ersten Blick selbstverständlich, ist er doch Ergebnis feministischer Kämpfe um gleichberechtigte Teilhabe an Grundfreiheiten und  rechten. Er ist aber auch Teil innerfeministischer Kontroversen, in denen das Verhältnis zwischen Feministinnen als Frauen und ‚Vater‘ Staat lange ein gespanntes war – insbesondere in der in Deutschland seit Beginn stark ‚autonom‘ geprägten, staatskritischen Neuen Frauenbewegung, „die rechtspolitisch häufig Abstinenz pflegte, denn Recht war für sie das patriarchale Mittel des Männerstaates und für Frauen deshalb nicht zu nutzen“. 4

Dahinter steckt eine basale Kontroverse innerhalb der Neuen Frauenbewegung zur Frage: Was bedeuten ‚allgemeine‘ Menschenrechte für die Frauen der Welt, gerade vor dem geschichtlichen Hintergrund ihrer Entwicklung? 

Bezugnahmen auf weibliche Vorbilder historischer Vorkämpferinnen wie die erste Frauenrechtlerin der Neuzeit, Olympe de Gouges, riefen ins Bewusstsein, dass der Einsatz von Frauen für Frauenrechte – im Sinne gleicher Rechte und Freiheiten und der vollen rechtlichen, sozialen und politischen Gleichstellung der Geschlechter – vielfach auf aktiven wie strukturell bedingten Widerstand in einer von Männern dominierten Gesellschaft stieß und nur der jahrhundertlange politische und gesellschaftliche Druck von Frauen dazu geführt hatte, dass sie eine schrittweise gleichberechtigtere Stellung erreichten.  

Neben dem Geschlechteraspekt existierten, zum Teil bis heute anhaltend, kontroverse Interventionen in der Neuen Frauenbewegung, die postkolonial argumentierten, wenn sie den Anspruch der Universalität der Menschen- und Frauenrechte infrage stellten oder ganz verwarfen: Konnten und durften die historisch von weißen Westeuropäern entwickelten humanistischen Ideale einen universalen Geltungsanspruch haben? Demgegenüber sahen sich AkteurInnen der Frauenrechtsbewegung gefordert, in der humanistischen Tradition von Demokratie, Aufklärung und Emanzipation gerade auch gleiche Rechte für alle Frauen der Welt gegen Versuche ihrer Relativierung zu verteidigen – unabhängig davon, ob Letztere unter Verweis auf kulturelle, religiöse oder traditionelle ‚Eigenheiten‘ geschah und die häufig genug misogynen Strukturen darin so schützte, statt zu ihrer Überwindung beizutragen.

Frauenrechte: Menschenrechte in der Frauen(rechts)bewegung

Dass die internationale Frauenrechtsbewegung vor allen anderen Strömungen der Frauenbewegung gegen Ende des 20. Jahrhunderts Priorität und seither international hohe Anerkennung genießt, mag zum einen daran liegen, dass Frauen heute unentrinnbar in „verrechtlichten Verhältnissen“5 leben. Der Rückzug einzig auf radikalfeministische, autonome Politiken der Differenz gleiche einer „Sackgasse“, lautet eine frauenrechtspolitische Kritik: „Recht kann nicht in Ruhe gelassen werden, weil es uns nicht in Ruhe lässt. Recht und die Abwesenheit von Recht sind Teil der Diskriminierung, die Frauen erfahren“.6 Der Einsatz für Frauenrechte ist dieser Tatsache geschuldet, den rechtlichen Rahmen in Staaten und Staatenbünden, in dem Frauen weltweit leben, im Sinne der Emanzipation, Teilhabe und Gleichstellung mitzugestalten. Zudem kann die Integration der internationalisierten feministischen Debatte in den rechtlichen Raum dazu dienen, die „Problemwerdung“ weiblicher Lebenszusammenhänge in aller Deutlichkeit bewusst zu machen, das heißt „Frauen aus einer Unterwerfungsnormalität zu befreien“.7

Die Normalität mannigfaltiger Unterwerfung und Diskriminierung ist für Frauen – zumeist unter den Vorzeichen von patriarchaler Kultur, Religion und Tradition – vor allem auch geprägt von geschlechtsspezifischen Menschenrechtsverletzungen. Weibliche Genitalverstümmelung, Gewalt im Namen der Ehre wie Zwangsverheiratung, Mitgiftmord, Frauenhandel, Femizid, Abtreibungsverbote, Zwangsverschleierung, Vergewaltigung als Kriegswaffe, die weitverbreitete häusliche und sexualisierte Gewalt sind Beispiele solcher Menschenrechtsverletzungen, die den Einsatz für Frauenrechte als spezifischer wie grundlegender Teil der Menschenrechte bis heute weltweit notwendig machen.8

Der Einsatz für Frauenrechte – ein transnationales Projekt der Solidarisierung, Aufklärung und Emanzipation

Jenseits völkerrechtlicher Erfolgsgeschichten befasste sich die Frauenrechtsbewegung seit der Neuen Frauenbewegung basisaktiv und international ausgerichtet mit Gewalt gegen Frauen, den spezifischen Frauenrechtsverletzungen nicht nur der eigenen Gesellschaft, sondern auch der anderen Länder – im Sinne einer transnationalen Solidarität.

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Massenvergewaltigung in Kriegen als Kriegswaffe zum Beispiel in Tschetschenien oder Ex-Jugoslawien, sogenannte Trostfrauen, Zwangsprostituierte für japanische Bordelle im Zweiten Weltkrieg, waren Themen, die frauenrechtspolitische Unterstützung durch Protest für die Einhaltung von Frauen- und Menschenrechten hervorriefen, die politisch Verantwortlichen unter Druck setzten und die Öffentlichkeit über die geschlechtsspezifischen Verbrechen aufklärten.

Die Gewalt gegen Frauen durch fundamentalistische Regime, etwa in Algerien oder in Iran seit der Machtergreifung der Ayatollahs 1979, waren wiederholt Anlass zu Interventionen und Vernetzung mit Aktivistinnen vor Ort. Lange vor dem Erwachen der Weltöffentlichkeit nach dem 11. September 2001 war Afghanistan, wo Frauen der totalen Entrechtung durch die islamistische Terrorherrschaft der Taliban ausgeliefert waren, Gegenstand von feministischen Protesten und solidarischen Hilfen. Ein weiteres Dauerthema sind Forderungen nach Anerkennung geschlechtsspezifischer Fluchtgründe und nach Verbesserungen im Asylrecht für Frauen.

Aufbruchstimmung seit den Weltfrauenkonferenzen – Menschenrechte für alle Frauen, überall

Da die eingangs genannten allgemeinen Menschenrechtsdeklarationen etwa auf UN-Ebene nur normativ-appellativen Charakter, jedoch keine Rechtsverbindlichkeit für die einzelnen Staaten der Völkergemeinschaft besitzen, entwickelten MenschenrechtsakteurInnen aus Politik, Zivilgesellschaft und NGOs spezifische Instrumente und Deklarationen, die von Nationalstaaten unterzeichnet werden sollen und daraufhin in nationales Recht umgesetzt (Ratifizierung) werden müssen. Auf frauenrechtspolitischer Ebene stellt das 1979 von der UN-Generalvollversammlung verabschiedete und 1981 völkerrechtlich in Kraft getretene Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) der UN das wichtigste menschenrechtliche Instrument zur rechtlichen und faktischen Gleichstellung von Frauen in allen Lebensbereichen dar, das geschlechtsspezifische Diskriminierung erstmals klar ausdefiniert und ein Aktionsprogramm zum Schutz vor Gewalt gegen Frauen formuliert.9

Im Vorfeld der jahrzehntelangen Vorarbeit von AkteurInnen der Frauen- und Menschenrechtsbewegung stellten die Weltfrauenkonferenzen der UN wichtige Plattformen dar, die Weiterentwicklung frauenrechtspolitischer Fragen und Instrumente ihrer Implementierung zu fördern. Zu den Höhepunkten zählte die vierte UN-Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, zu der über 30.000 TeilnehmerInnen aus der Frauenrechtsbewegung und von regierungsunabhängigen Frauen-NGOs aus allen Teilen der Welt zusammenkamen. Die hier erzielten Vorgaben der Abschlusserklärung zur Verbesserung der Lage von Frauen weltweit sorgten noch in der nachfolgenden Dekade für Rückblicke und Bilanzierungen, die in der Frauenrechtsbewegung mitunter die Enttäuschung über zu langsame Fort- und teils konstatierte Rückschritte festhalten.

Veröffentlicht: 11. Juli 2018
Verfasst von
TERRE DES FEMMES e.V.
Empfohlene Zitierweise
TERRE DES FEMMES e.V. (2024): Frauenrechte sind Menschenrechte, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv
URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/themen/frauenrechte-sind-menschenrechte
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Fußnoten

  1. 1 Holland-Cunz, Barbara: Die alte neue Frauenfrage, Frankfurt a. M. 2003; Lenz, Ilse (Hg.): Die Neue Frauenbewegung in Deutschland. Abschied vom kleinen Unterschied. Eine Quellensammlung, Wiesbaden 2008, S. 99 ff.
  2. 2 Hamm, Brigitte: Menschenrechte. Ein Grundlagenbuch, Opladen 2003, S. 26 ff.; Weiß, Norman: Die Entwicklung der Menschenrechtsidee, heutige Ausformung der Menschenrechte und Fragen ihrer universellen Geltung, in: Hasse, Jana et al. (Hg.): Menschenrechte. Bilanz und Perspektiven, Baden-Baden 2002, S. 39–69; United Nations (UN)/United Nations Human Rights Office of the High Commissioner: Women’s Rights are Human Rights, New York/Genua, 2014, S. 4.
  3. 3 Hübner, Susanne: Sind Menschenrechte auch Frauenechte?, in Terre des Femmes-Rundbrief, 1/1992, S. 4-7.
  4. 4 Baer, Susanne: Feministische Perspektiven zu Recht und Menschenrechten, in: Olympe. Feministische Arbeitshefte zur Politik: Frauenrechte sind Menschenrechte, H. 1, Juni 1994, S. 74.
  5. 5 Hamm: Menschenrechte, S. 53–55.
  6. 6 Baer, S. 74-75
  7. 7 Ebenda, S. 74f.
  8. 8 Hamm: Menschenrechte, S. 53–59; United Nations (UN)/United Nations Human Rights Office of the High Commissioner: Women’s Rights are Human Rights, S. 50–61.
  9. 9 Golze, Anna: Die Individualbeschwerde nach dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW), in: Hasse, Jana et al. (Hg.): Menschenrechte. Bilanz und Perspektiven. Reihe Demokratie, Sicherheit, Frieden und Recht II, herausgegeben von S. Lutz, Dieter, Band 137. Baden-Baden 2002, S. 511–533.