Die Zeitschrift Frauenliebe
In der Weimarer Republik erschienen zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum Zeitschriften, die von und für gleichgeschlechtlich liebende Frauen produziert wurden. Zu diesen gehörte die Frauenliebe. Die Zeitschrift erschien in den Jahren 1926 bis 19301jeden Mittwoch im Berliner Karl-Bergmann Verlag. In einigen Ausgaben gab es auch einen Hinweis auf den Frauenliebe Verlag. Dieser ist jedoch nicht als eigenständiger Verlag zu sehen, sondern stellte ein Konstrukt innerhalb des Karl-Bergmann Verlages dar.2 Der Verkaufspreis betrug 20 Pfennig. Das Format war in etwa DIN A4 (22cm/29cm) und die Zeitschrift wurde in schwarzweiß gedruckt. In der Frauenliebe wurden Vertriebsadressen über den Berliner Raum hinaus genannt, was auf eine überregionale Verbreitung hinweist. In den ersten Jahren trug die Zeitschrift den Untertitel Wochenschrift für Freundschaft, Liebe und sexuelle Aufklärung, im Jahr 1929 wurde der Untertitel geändert in Wochenschrift des deutschen Freundschaftsverbandes. Für die Frauenliebe wird in Sperlings Zeitschriften- und Zeitungsadressbuch von 1926 eine Auflagenhöhe von 10.000 Stück angegeben.3 Die Frauenliebe war über den gesamten Erscheinungszeitraum die Wochenschrift des Deutschen Freundschaftsverbandes. Schriftleiterin war ab 1928 Karen, über die es leider keine weiteren Informationen gibt.
1926 wurde das Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften verabschiedet. Vor dem Hintergrund dieses Gesetzes wurde auch die Frauenliebe in Augenschein genommen. Es wurden die Ausgaben 36, 37 und 41 aus dem Jahr 1927 geprüft. Das Ergebnis war die Aufnahme der Zeitschrift für zwölf Monate in die Liste der Schund- und Schmutzliteratur.4 Damit durfte die Zeitschrift nicht mehr öffentlich ausgehängt werden. Der Straßenverkauf und eine Auslage in Buchhandlungen waren ebenfalls nicht mehr erlaubt. Diese Einschränkung war existenzgefährdend für die betroffenen Zeitschriften, dennoch wurde die Frauenliebe weiter produziert und vertrieben.
Ab dem 15. Dezember 1930 wurde die Frauenliebe zum Beiblatt in der seit Oktober 1930 erscheinenden Garçonne. Bereits in der ersten Ausgabe formulierte Karen: „Ich will auch ganz heimlich verraten, daß es gewissermaßen die erweiterte und neu aufgezogene Frauenliebe darstellen soll […].“5 Die Frauenliebe blieb als Beiblatt Wochenschrift des deutschen Freundschaftsverbandes mit einem eigenen Mitarbeiter_innenstamm. Hauptschriftleiterin war Karen. „Ständige Mitarbeiter: Prof. Karsch-Haack, Herta Laser, Annette Eick, Helga Welf, Käthe Wundram, Ikarus, Beba, Hedwig Aries, Ruth Marg. Röllig, Käte Lippert, Hildegard G. Frisch, John Mc Leen, Lo Hilmar u. a.“6 Die Frauenliebe setzte außerdem ihre Zählweise fort, sodass die erste Beilage intern als 5. Jahrgang Nummer 49/50 gezählt wurde.7 Vom Mai 1931 bis Mai 1932 stand die Frauenliebe erneut auf der Liste der Schund- und Schmutzliteratur.8 Damit verschwand sie auch als Beilage in der Garçonne.
Die Frauenliebe und die Konkurrenz
Die Frauenliebe war das Konkurrenzblatt zu den Zeitschriften Die Freundin und Ledige Frauen, die von Friedrich Radszuweit herausgegeben wurden. Diese Zeitschriften fungierten als Schriften des Bundes für Menschrechte. Zwischen den beiden Verbänden, dem Deutschen Freundschaftsverband (DFV) und dem Bund für Menschenrechte (BfM), herrschte eine erbitterte Konkurrenz. Vermutlich 1928 übernahm Karl Bergmann, der Verleger der Frauenliebe, den Vorsitz im DFV. Damit wurde diese Konkurrenz auch in den Zeitschriften der frauenliebenden Frauen ausgetragen.9
Wer hat und was wurde in der Frauenliebe veröffentlicht?
Verantwortlich im redaktionellen Sinn war über viele Jahre Karen. Inhalt der Frauenliebe waren Fachartikel, Gedichte, Fortsetzungsromane, Veranstaltungshinweise, gewerbliche Inserate, private Kleinanzeigen und Fotografien. Außerdem Leserbriefe, aus denen sich zum Teil Diskussionen über mehrere Ausgaben hinweg entspannten. Ein Beispiel für eine solche Debatte war der Meinungsaustausch über Bisexualität, der sich über Monate erstreckte.10 Die Beiträge in der Frauenliebe sind im Allgemeinen signiert. Doch die Namen der Autorinnen sagen uns heute meist nichts mehr. Es ist naheliegend, dass ein großer Teil aus der Gemeinschaft der frauenliebenden Frauen stammte und zeitgenössisch in diesen Kreisen bekannt war. Zu den bekannteren Autorinnen zählen Ruth Margarete Röllig11, Selli Engler12 oder Annette Eick13. Gelegentlich gab es als Leitartikel Sachtexte bekannter Protagonisten aus der homosexuellen Bewegung. Diese Artikel erfuhren in der Frauenliebe eine Art Zweitverwertung, da sie primär und zuerst an anderer Stelle veröffentlicht wurden. Dazu gehörte zum Beispiel der Abdruck einer Rede von Dr. Max Hodann über Geschlecht und Beruf14 oder ein Artikel von Adolf Brand, der sich mit dem § 175 und den Reichstagswahlen 193015 beschäftigte.16 Prominent platziert war auf der Titelseite der Frauenliebe fast ausnahmslos eine Fotografie. Häufig handelte es sich um einen Akt oder um die Inszenierung einer virilen homosexuellen Frau. Die ‚virile‘ oder ‚maskuline‘ homosexuelle Frau waren zeitgenössische Begriffe für Frauen, die sich in Habitus und Gestus männlich konnotierte Aspekte aneigneten und neu interpretierten. Neben dem Titelbild waren in der Zeitschrift weitere Fotografien von Frauen in unterschiedlichen Posen und von unterschiedlicher Gestalt zu finden. Nur wenige davon waren so untertitelt, dass sich die Identität der Abgebildeten erschloss. Deshalb bleiben die Frauen für uns heute häufig anonym.
In der ersten Zeit ihres Erscheinens gab es in der Frauenliebe die Beilage Der Transvestit und auch nach Einstellung der Beilage blieben Artikel zum Thema Transvestismus ein Bestandteil der Zeitschrift.
Was wollte die Frauenliebe sein?
Die Macherinnen der Zeitschrift verfolgten mehrere Ziele. Ein Ziel war es, Vernetzung und Organisation frauenliebender Frauen untereinander zu fördern. So galt etwa der Damenklub Monbijou seit seiner Gründung 192817 als Treffpunkt der Leserinnen der Frauenliebe. In der Zeitschrift wurde entsprechend über Aktivitäten und Feste des Clubs berichtet. Die Art der Leserinnenbriefe und der Bezug aufeinander, der darin immer wieder formuliert wurde, deuten darauf hin, dass es sich um eine miteinander verbundene Leserinnengruppe handelte.
Ein weiteres Ziel war es, eine Plattform zu sein für die Formulierung einer frauenliebenden Identität. Dabei gerieten die Frauen immer wieder in das Spannungsfeld zwischen eigenen Vorstellungen und gesellschaftlicher Konvention. Dies wurde deutlich bei der Auslegung des Gesetzes gegen Schund- und Schmutzliteratur. Es wurde auch deutlich in der Diskussion über die Gestaltung des Titelblattes. 1928 gab es eine entsprechende Umfrage: „Schon häufig hörten wir aus unserem Leserkreis den Wunsch äußern, doch lieber eine Zeitung herzustellen, bei der das Aktbild in Portfall kommt. Dieser Gedanke unserer Leserinnen ist wohl aus der Ursache heraus entstanden, um der Prüderie in Verwandtschafts- und Bekanntenkreisen nicht ausgesetzt zu sein. – Außerdem sei es viel leichter, eine Zeitung mit einem geschmackvollen Umschlag ohne Aktbild beim Zeitungshändler zu kaufen.“18 Die Schamgrenze der Leserinnen und die Sorge, diese könnten durch die Frauenliebe kompromittiert werden, blieben bis Ende 1930 ein wichtiges Thema und führte schließlich zur Veränderung des Zeitschriftendesigns. Das Titelbild verschwand. Lediglich Portraits finden sich noch hin und wieder auf der Titelseite. Die Titelseite erhielt damit ein unauffälligeres Aussehen. „Garçonne soll für alle, die einmal gerne die Frauenliebe lasen und alle, die diese um des Titels willen nicht lasen oder die sie noch nicht kannten, ein in jeder Hinsicht gediegenes, aufklärendes und anregendes Unterhaltungsblatt sein.“19 Die Auseinandersetzung über eine frauenliebende Identität und die Formulierung von Beziehungs- und Begehrenskonzepten wurde besonders deutlich in den Leser_innenbriefen und in den literarischen Beiträgen. In Geschichten und Gedichten brachten die Autor_innen ihre Ideale, aber auch ihre Schwierigkeiten im Umgang mit dem eigenen Begehren zum Ausdruck. Damals wurden bereits intensiv virile (was heute als Butch begriffen wird) und feminine (was heute als Femme begriffen wird) Rollen diskutiert. Auch die Gegenüberstellung von einem viril-femininen Begehrenskonzept zu einem Kameradschaftsmodell war ein Thema. Über die Rolle von bisexuellen und verheirateten Frauen und auch über sexuelle Praktiken gab es Texte und Kommentare. Transvestismus war ebenfalls ein bedeutsames Thema. Spannenderweise wurden viele diese Themen über Jahrzehnte weiter diskutiert und sind in weiterentwickelter Form zu einem großen Teil heute noch Teil der Diskussionen in der lesbisch-queeren Community.
Fußnoten
- 1 Frauenliebe, Berlin 1926–1930; 1926, 1–30 Ausgaben; 1927, 1–51 Ausgaben; 1928, 1–51 Ausgaben; 1929, 1–51 Ausgaben; 1930, 1–48 Ausgaben (Januar bis November).
- 2 Impressum, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 19.
- 3 Sperlings Zeitschriften-Adressbuch: Handbuch d. deutschen Presse; die wichtigsten Zeitschriften u. politischen Zeitungen Deutschlands, Österreichs und des Auslandes, in: Börsenverein der Deutschen Buchhändler (Hg.), bearb. von der Adressbücher-Redaktion des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, Leipzig: Verl. d. Börsenvereins d. Dt. Buchh. – Stuttgart: Sperling. Nr. 52, 1926.
- 4 Sammlung von Beschlüssen der Oberprüfstelle Leipzig und der Prüfstelle Berlin für Schund- und Schmutzschriften im Besitz von Oberregierungsrat Schilling, Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften. Bundesarchiv, Berlin. Pr. Nr. 18 vom 10.1.1928.
- 5 Geleitwort in: Garçonne, 1. Jg.,1930, Nr. 1.
- 6 Garçonne, 1. Jg. 1930, Nr. 5.
- 7 Ebenda.
- 8 Dobler, Jens: Zensur von Büchern und Zeitschriften mit homosexueller Thematik in der Weimarer Republik, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten, 2. Jg.: Homosexualitäten in der Weimarer Republik 1919 bis 1933, Hamburg 2000, S. 85–104, hier S. 102.
- 9 Bericht über die Mitgliederversammlung des Damenklubs Violetta, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 49.
- 10 Meinungsaustausch, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 4–14.
- 11 Röllig, Ruth M.: Sensation in Berlin, in: Frauenliebe 3. Jg., 1928, Nr. 20.
- 12 Engler, Selli: Lu und Lie, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 50–4. Jg., 1929, Nr. 8.
- 13 Eick, Annette: Die bisexuelle Frau, in: Frauenliebe, 4. Jg., 1929, Nr. 6.
- 14 Hodann, Max: Geschlecht und Beruf, in: Frauenliebe, 3. Jg. 1928, Nr. 25.
- 15 Brand, Adolf: § 175 und die Reichstagswahlen, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 20. Der gleiche Artikel, in dem dann allerdings homosexuelle Männer statt Frauen angesprochen wurden, erschien auch in der Neuen Freundschaft. Ders: § 175 und die Reichstagswahlen, in: Neue Freundschaft, 3. Jg., 1928, Nr. 20.
- 16 Weitere Beispiele sind Dr. P., W.: Über das Sadismusproblem, in Frauenliebe, 3. Jg. 1928, Nr. 18. Der gleiche Artikel erschien unter: Dr. Paulsen, W.: Über das Sadismusproblem, in: Neue Freundschaft, 3. Jg., 1928, Nr. 20, S. 5. Oder auch in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 20.
- 17 Anzeige, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 34. Ausführlich in: Schader, Heike: Die Klubrevolte 1929. Die Dynamik der Berliner Damenklubs Violetta und Monbijou in den Jahren 1928–1929, in: Invertito 18, 18. Jg., 2016.
- 18 O. A.: Umfrage an unsere Leserinnen!, in: Frauenliebe, 3. Jg., 1928, Nr. 2.
- 19 O. A.: Rundfrage, in: Frauenliebe, 5. Jg., 1930, Nr. 14.
Ausgewählte Publikationen
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Schader, Heike: Die Klubrevolte 1929. Die Dynamik der Berliner Damenklubs Violetta und Monbijou in den Jahren 1928–1929, in: Invertito. Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten, 18. Jg., 2016, S. 12-44.