Die Frauenfriedensbewegung der 1970er und 1980er Jahre
Entstehungsgeschichte und Themen
Die Verbindung von Frauen mit dem Thema Frieden hat eine lange Tradition, die nicht zuletzt in der Charakterzuschreibung, Frauen seien das sanftere und friedlichere Geschlecht1, begründet ist. 1889 erschien das Buch Die Waffen nieder! der Friedensaktivistin und Nobelpreisträgerin Bertha von Suttner, ein Start- und wichtiger Bezugspunkt für die Frauenfriedensbewegungen des 20. Jahrhunderts. Um die Jahrhundertwende gründeten sich Frauenfriedensgruppen, um sich dann unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs für Frieden einzusetzen. Ein Beispiel ist die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, die sich bis heute für den Frieden und gegen Gewalt an Frauen einsetzt und die UN bei ihren Aktivitäten in diesen Bereichen berät. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in den 1950er Jahren, setzte sich die Westdeutsche Frauenfriedensbewegung (WFFB) gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und die atomare Aufrüstung der Supermächte USA und Sowjetunion ein. Die Liste der Namen der Frauen, die sich persönlich für den Frieden einsetzten und die im kollektiven Gedächtnis der Aktivistinnen verankert sind, ist lang. Exemplarisch sind hier Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann, Clara Zetkin und Klara Marie Faßbinder zu nennen.
Auf diese Vorfahrinnen bezog sich auch die Frauenfriedensbewegung, die Ende der 1970er Jahre in der Bundesrepublik entstand und die in Abgrenzung zu den vorher genannten auch teilweise „neue Frauenfriedensbewegung “2 genannt wird. Diese neue Frauenfriedensbewegung speiste sich aus dem „alternativen (Protest-)Milieu“3, welches in diesen Jahren zunehmend an Zulauf gewann. Die wichtigsten Wurzeln dieser Frauenfriedensbewegung waren die Neue Frauenbewegung und die Friedensbewegung. Dennoch fanden auch zahlreiche Frauen, die vorher noch keiner Neuen Sozialen Bewegung angehört hatten, zu den Friedensfrauen. Für viele machte genau diese Vielfalt den Reiz der Frauenfriedensbewegung aus, wie eine der Aktivistinnen 1980 in der Zeitung taz berichtet: „Da finden Frauen aller Altersstufen, ohne feste Parteizugehörigkeit, aus allen Schichten und Berufen, ganz spontan, ohne sich vorher zu kennen, zusammen. Sie haben ein gemeinsames Ziel, über das sie sich schon lange, allein für sich, Gedanken gemacht haben.“4 Dieses gemeinsame Ziel war der Frieden, den viele Menschen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt Ende der 1970er Jahre bedroht sahen.
Die erste Aktion, welche die Frauen für den Frieden in der Bundesrepublik auf den Plan brachte und zu zahlreichen Gruppengründungen im ganzen Land führte, war die aus Skandinavien importierte Unterschriftenaktion „Aufruf der Frauen für den Frieden“, mit der die Aktivistinnen ihre Verzweiflung „angesichts der gegenwärtigen weltpolitischen Entwicklung“ kundtaten und Frauen auf der ganzen Welt aufforderten, gemeinsam mit ihnen den Machtkampf zwischen den Großmächten nicht länger „stillschweigend zu akzeptieren“5. Den 1980 initiierten Aufruf unterschrieben allein in Deutschland mehr als 70 000 Frauen. Europaweit kamen ca. 500 000 Unterschriften zusammen, die die Frauen am 14. Juli 1980 dem Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kurt Waldheim, vorlegten.6
In der Bundesrepublik hatte die Frauenfriedensbewegung – ebenso wie die Friedensbewegung – in den frühen 1980er Jahren ihren Höhepunkt. Dies lag am immer heftigeren gesamtgesellschaftlichen Streit um den NATO-Doppelbeschluss und seine Umsetzung, also die geplante Stationierung von Mittelstreckenraketen auf bundesrepublikanischem Boden.7 Die Frauenfriedensbewegung beteiligte sich an diesem Protest und konnte mit ihren Aktionen vor allem im Zeitraum bis 1983 tausende Frauen mobilisieren. Dazu nutzten sie Protestformen, wie zum Beispiel Unterschriftenaktionen, Demonstrationen und Sit-ins, und entwickelten neue, wie Fahrradrallys, Frauenfriedensmärsche und Straßenfeste für den Frieden. Sie besetzten Plätze und benannten Straßen um. Auch die Idee der Menschenkette wurde in der Bundesrepublik 1983 erstmals von Frauen umgesetzt. Im März dieses Jahres kamen in West-Berlin ca. 5 000 Frauen zusammen und fassten sich an den Händen, um so eine über zwei Kilometer lange Menschenkette und damit eine symbolische Verbindung zwischen dem US-amerikanischen und dem sowjetischen Konsulat herzustellen.8
Ein weiteres wichtiges Thema war die Frage, ob Frauen für den Dienst in der Bundeswehr (Zivildienst oder an der Waffe) herangezogen werden durften oder sogar sollten. Die Diskussion wurde vor allem in der Neuen Frauenbewegung kontrovers geführt. Während einige feministische Gruppen einen gleichberechtigten Zugang für Frauen zu allen Bereichen der Gesellschaft forderten und damit eben auch zum Militär, sahen andere hierin einen Schritt hin zur (weiteren) Militarisierung der bundesrepublikanischen Bevölkerung. Da innerhalb der Neuen Frauenbewegung lange keine gemeinsame Linie gefunden werden konnte, gründeten sich schon Mitte der 1970er Jahre erste Gruppen, die sich zunächst ausschließlich mit diesem Thema befassten und unter dem Slogan „Frauen in die Bundeswehr – Wir sagen NEIN!“ auftraten. Spätestens ab dem 6. Dezember 1980, an dem in mehreren deutschen Städten Großdemonstrationen mit über 9 000 Teilnehmer*innen stattfanden und auf denen Frauen der Gruppen „Frauen in die Bundeswehr – Wir sagen NEIN!“ gemeinsam mit Aktivistinnen der „Frauen für den Frieden“ auftraten, kann von einer gemeinsamen Frauenfriedensbewegung mit einem gemeinsamen Themen- und Ziele-Kanon ausgegangen werden.9
Transnationales Engagement
Die Frauenfriedensbewegung in der Bundesrepublik grenzte sich durch ihre Themenstruktur deutlich von anderen Frauenfriedensgruppen und -bewegungen in Europa ab. Gleichzeitig hatten die Aktivistinnen einen transnationalen, grenzüberschreitenden Anspruch. Verbindendes Element war immer die Kategorie Geschlecht, Hauptanliegen das gemeinsame Engagement für einen geschlechtergerechten Frieden. Sie kommunizierten und kooperierten mit Frauengruppen in der ganzen Welt, und das blockübergreifend. So pflegten die Friedensfrauen der Bundesrepublik auch mit den Frauenfriedensgruppen in der DDR einen regen Austausch, was unter den repressiven Bedingungen in der DDR nicht leicht und – gerade für die Frauen in der DDR – auch nicht ungefährlich war. Aufgrund der restriktiven Ein- und Ausreisebestimmungen der DDR war es den Frauenfriedensgruppen nicht möglich, gemeinsame Aktionen durchzuführen. Dennoch vergewisserten sich die Aktivistinnen regelmäßig ihrer gegenseitigen Solidarität, zum Beispiel durch Besuche von westdeutschen Aktivistinnen im Osten, Grußworte ostdeutscher Frauenfriedensgruppen, die auf Veranstaltungen im Westen verlesen wurden, oder den Abdruck von Briefen aus der DDR in den bewegungseigenen Zeitschriften im Westen10.
Frauen für den Frieden – warum Frauen? Und „für welchen Frieden eigentlich?“
Einer der Hauptgründe, warum Frauen eigene Gruppen und schließlich eine eigene Bewegung gründeten, lag darin, dass viele der Aktivistinnen sich in der Friedensbewegung in ihren gemischten Gruppen oft unwohl und mit ihren frauenspezifischen Themen nicht ausreichend gesehen fühlten. Häufig beschreiben die Aktivistinnen, dass in den geschlechterübergreifenden Gruppen stereotype Rollenbilder reproduziert wurden und sie als Frauen vor allem für Hilfstätigkeiten (das berühmte Kaffeekochen) eingesetzt wurden.11 Auch für Frauen, die noch keine Erfahrungen mit der Arbeit in solchen Bewegungen hatten, schien die Hemmschwelle einer reinen Frauengruppe beizutreten, oft niedriger.
Die Frauenfriedensbewegung zeichnete sich jedoch nicht nur dadurch aus, dass es sich hierbei um eine Bewegung von Frauen für Frauen handelte, die ihren Mitgliedern einen safe space zur freien Entfaltung ihrer Gedanken und ihrer Kreativität bot, sondern auch durch einen spezifisch ‚weiblichen‘ Friedensbegriff. Mit ihrer dezidierten theoretischen Bearbeitung der Frage, für „welchen Frieden“12 sie sich eigentlich engagierten, setzte sie sich deutlich von der Friedensbewegung ab, in deren Argumentationen für den Frieden Geschlecht kaum eine Rolle spielte. Die Friedensfrauen argumentierten, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Krieg und Gewalt an Frauen bzw. deren Unterdrückung oder Ungleichbehandlung bestünde, genauso wie zwischen Frieden und Gleichbehandlung der Geschlechter: „Wir sehen, daß ein Zusammenhang besteht zwischen dem Krieg, vor dem wir alle Angst haben und der alltäglichen Unterdrückung und Gewalt, die Frauen jeden Tag erleben: auf der Straße, in den Wohnungen, in der Familie, im Beruf, im öffentlichen Leben.“13 Der Friedensbegriff der Frauenfriedensbewegung wendete sich damit gegen jede Art von Gewaltausübung und schloss somit im Gegensatz zu dem der Friedensbewegung auch alle Formen struktureller Gewalt ein.14
Diesen eigenen, geschlechtergerechten Friedensbegriff versuchten die Aktivistinnen wiederum in die Friedensbewegung einzuspeisen und dort ebenfalls eine Diskussion anzuregen, für welchen Frieden man sich einsetzen mochte. Dies scheiterte oft an den männlichen Mitstreitern, die zwar durchaus bereit waren, Frauenthemen in den Gruppen und auf Veranstaltungen zu integrieren, aber nur solange sie selbst sich nicht mit diesen Themen befassen mussten. Häufig wurde den Frauen bei großen Veranstaltungen das kulturelle Rahmenprogramm zugewiesen, bei Protestmärschen wurden sie in gesonderte Frauenblocks verbannt, und bei Kundgebungen mit mehreren Redner*innen in die Randzeiten verwiesen. Dieses Vorgehen wurde von den Aktivistinnen der Frauenfriedensbewegung ambivalent gesehen. So konnten bspw. eigene Frauenblocks einerseits als besonderer Versuch der Sichtbarmachung der Frauengruppen gesehen werden. Andererseits empfanden einige Aktivistinnen diese räumliche und teilweise programmatische Trennung als Akt der Marginalisierung. Umso aufsehenerregender war es, wenn Frauengruppen es schafften, sich ihren Platz bei den Hauptkundgebungen der Friedensbewegung zu erstreiten. So zum Beispiel auf der Bonner Hofgarten-Demonstration 1982, als eine Kasseler Frauengruppe die Hauptbühne eroberte und einen eigenen Redebeitrag, quasi zur ‚Primetime‘, platzieren konnte.15 Wie in Bonn gelang es den Friedensfrauen vor allem in den frühen 1980er Jahren immer wieder, auf sich aufmerksam zu machen und sich in innerhalb der Neuen Frauenbewegung und zum Teil in der Friedensbewegung geführten Debatten über die Themen Krieg, Frieden, Wehrdienst und Feminismus einzumischen und hier Denkanstöße zu liefern.
- Dr. Anne Bieschke
- Digitales Deutsches Frauenarchiv
- CC BY-SA 4.0
Ausgewählte Akteurinnen
Fußnoten
- 1 Hausen, Karin: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben, in: Conze, Werner (Hg.): Sozialgeschichte der Familie in der Neuzeit Europas. Neue Forschungen, Stuttgart 1976, S. 363‒393.
- 2 Maltry, Karola: Die neue Frauenfriedensbewegung. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt a.M./New York 1993.
- 3 Vgl. u. a. Baumann, Cordia et al.: Linksalternative Milieus und Neue Soziale Bewegungen in den 1970er Jahren, Heidelberg 2011; Reichardt, Sven: Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und frühen achtziger Jahren, Berlin 2014.
- 4 Strecker, Anja: Leserinnenbrief, in: taz, Nr. 284 vom 20.05.1980, S. 3.
- 5 Aufruf „Frauen für den Frieden“. Unterschriftenaktion, begonnen am 18. Februar 1980 in Kopenhagen, abgedruckt in: Quistorp, Eva (Hg.): Frauen für den Frieden. Analysen, Dokumente und Aktionen aus der Friedensbewegung, Bensheim 1982, S. 20.
- 6 Vgl. Quistorp, Eva: Frauen brechen aus, aus dem Rüstungswahnsinn. Frauenfriedensbewegung seit 1945, in: Dies. (Hg.): Frauen für den Frieden, S. 170.
- 7 Vgl. Gassert, Philipp: Arbeit am Konsens im Streit um den Frieden: Die Nuklearkrise der 1980er Jahre als Medi-um gesellschaftlicher Selbstverständigung, in: AfS 52, 2012, S. 491‒516.
- 8 Vgl. Frauenforschungs-, -bildungs- und Informationszentrum (FFBIZ), A Rep. 400 BRD 21.22a, Flugblatt der “Frauen für Frieden” West-Berlin, “FRAUEN! Kommt am 8. März”, Berlin (West) 1983; Bieschke, Anne: Die unerhörte Friedensbewegung. Frauen, Krieg und Frieden in der Nuklearkrise (1979–1983), Essen 2018, S. 109.
- 9 Vgl. Bieschke: Die unerhörte Friedensbewegung, S. 48 f.
- 10 Bieschke, Anne: Öffentlichkeit über Grenzen? Frauenfriedensbewegungen im geteilten Deutschland der 1980er Jahre, in: Kemper, Claudia (Hg.): Gespannte Verhältnisse. Frieden und Protest in Europa während der 1970er und 1980er Jahre, Essen 2017, S. 111‒128.
- 11 Vgl. Dittmer, Charlotte et al.: Ein bißchen Frieden – ein bißchen Feminismus… Überlegungen zum Verhältnis von Frauenbewegung und Friedensbewegung, in: beiträge zur feministischen theorie und praxis, 6. Jg., 1983, H. 8, S. 113‒115.
- 12 Brockmann, Dorothea: Frauen gegen den Krieg, Frauen für den Frieden – gegen welchen Krieg, für welchen Frieden eigentlich?, u.a. nachgedruckt in: Geiger, Ruth-Esther / Johannesson, Anna (Hg.): Nicht friedlich und nicht still. Streitschriften von Frauen zu Krieg und Gewalt, München 1982, S. 105‒116.
- 13 Epple, Eva-Maria / Bauer-Buchrücker, Cornelia: Friedensanstifterinnen. Rede, gehalten in der Kommission „Die Frau für Frieden und Abrüstung“ auf dem Weltkongress der Frauen für Gleichberechtigung, nationale Unabhängigkeit und Frieden in Prag, 10.10.1981, abgedruckt in: Quistorp (Hg.): Frauen für den Frieden, S. 21‒25, hier: S. 24.
- 14 Vgl. Randzio-Plath, Christa: Frauen wehren sich. Zur Notwendigkeit einer Frauenfriedensbewegung, in: Dies. (Hg.): Was geht uns Frauen der Krieg an?, Reinbek bei Hamburg 1982, S. 128‒151, hier: S. 129 f.
- 15 Vgl. Bieschke: Die unerhörte Friedensbewegung, S. 222‒234.
Ausgewählte Publikationen
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Bieschke, Anne: Die unerhörte Friedensbewegung. Frauen, Krieg und Frieden in der Nuklearkrise (1979–1983), Essen 2018.
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Davy, Jennifer A. et al. (Hg.): Frieden, Gewalt, Geschlecht. Friedens- und Konfliktforschung als Geschlechterforschung, Essen 2005.
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Dunkel, Franziska / Schneider, Corinna (Hg.): Frauen und Frieden? Zuschreibungen – Kämpfe – Verhinderungen, Leverkusen-Opladen 2015.
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Maltry, Karola: Die neue Frauenfriedensbewegung. Entstehung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt a.M./New York 1993.
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Kreis, Reinhild: „Männer bauen Raketen“. Frauenfriedensbewegung und Geschlechterdimensionen, in: Becker-Schaum, Christoph et al. (Hg.): „Entrüstet Euch!“ Nuklearkrise, NATO-Doppelbeschluss und Friedensbewegung, Paderborn 2012, S.294–308.